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Herrschaft des Volkes allein durch Wahlen? – Ein Appell für die Wahl und politisches Engagement

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Die Demokratie ist eine der erfolgreichsten staatsorganisatorischen Grundprinzipien weltweit. Vor allem in Wahlen hat dabei der wahlmündige Staatsbürger das Recht, Repräsentanten auf nationaler, regionaler und teilweise sogar internationaler Ebene zu wählen und damit mittelbaren Einfluss auf die Staatslenkung, unter Umständen auch auf die Weltpolitik zu nehmen. Hierin verwirklich sich die Herrschaft des Volkes. Freilich sind damit die politischen Einflussmöglichkeiten nicht zwingend erschöpft und von Staat zu Staat finden sich vielfältige Varianten und Facetten dieses Systems. Sei es ein repräsentatives Modell wie in Deutschland, in dem das Parlament einziges direkt gewähltes Staatsorgan ist, sei es ein Präsidialsystem alla USA, welches eine – von den Wahlmännern abgesehen – direkte Wahl des Präsidenten neben dem Parlament vorsieht. Nicht unerwähnt bleiben kann dabei natürlich das schweizerische System direkter Demokratie, von Deutscher Seite oft gelobt und vielleicht auch etwas romantisch verklärt angesichts einiger kritisierter Volksentscheide in der näheren Vergangenheit. 1 Gemein bleibt diesen Systemen, dass sie dem jeweiligen Staatsvolk ein in seiner Reichweite variantes Mitbestimmungsrecht gewähren. Gleich, ob man den Ursprung der Demokratie bei den antiken Griechen, in der Aufklärung oder den großen Revolutionen verorten mag, so bleibt sie doch immer eine der großen Errungenschaften des modernen Staats- und Gesellschaftswesens.  Soweit, so gut.

Gerade mit Blick auf den einleitenden Satz mögen dem ein oder anderen denn aber doch Zweifel kommen. Was soll „erfolgreich“ bedeuten? Geht man dabei allein von der absoluten Zahl derjenigen aus, welche die Demokratie als gelebte Staatsform für sich reklamieren, so ist diese These wohl kaum bestreitbar. Es ist aber die Crux solcher Selbstbewertungen, dass sie meist nur diejenigen Kriterien einer Demokratie in den Vordergrund rücken, die der Bewertende selbst am ehesten erfüllt. 2 So trübt sich denn das Bild, wenn das Individuum darüber entscheiden soll, wo diese Demokratie auch wirklich gelebt wird. Eindrückliches Beispiel dafür ist die vergangene Wahl des US-amerikanischen Präsidenten; zwar holte die Kandidatin Hillary Clinton absolut mehr Wählerstimmen als ihr Konkurrent Donald Trump, dennoch verlor sie letztlich die Wahl. 3 Weltweit hat dies Kopfschütteln ausgelöst – so etwas in der vermeintlich ältesten Demokratie unserer Zeit. 4 Freilich wurde den USA deshalb nicht das demokratische Gütesiegel abgesprochen und auch mit der neuen Regierung dieser Weltmacht hat man sich ohne größeres Zögern und in gewohnt diplomatischer Manier ins Benehmen gesetzt.

Eine Rückkehr zum „Business as usual“? – Im Gegenteil! Was auf internationaler Ebene schon fast wieder vergessen erscheint, wird viele Staaten Europas, die EU als solche und gerade auch Deutschland im Jahr 2017 gewiss noch in Atem halten. Dabei geht es weniger um das zukünftige Verhältnis zu US-Präsident Trump, sondern vielmehr um die Frage, wieso 46,4 % 5 US-amerikanische Wähler für ein Wahlprogramm gestimmt haben, das sich schlicht gegen das Establishment, die politische Klasse richtete, einen grundlegenden Umbruch forderte und sich erwiesenermaßen vielfach auf sogenannte „Fake-News“ stützte.

Dass sich in diesem Phänomen möglicherweise nur ein Symptom einer größeren und tiefer liegenden Problematik zeigt, drängt sich insbesondere mit Blick auf diverse vergangene und zukünftige Wahlen und Referenden in Europa auf. Mit politischen Hetzjagden gegen die etablierten Akteure, Parteien und Strukturen lassen sich Wahlen gewinnen. Es herrscht eine Umbruchstimmung in Europa. Nicht selten beklagen – mitunter besorgte – Bürger, sie würden von den Politikern gar nicht mehr gehört, sie seien bloß das „Stimmvieh“, das alle paar Jahre zur Urne gebeten werde, zur Wahl zwischen dem inhaltlichen Einheitsbrei nur personell voneinander zu unterscheidender Parteien. Wo in dieser gefühlten Alternativlosigkeit eine Partei also verspricht die Alternative zu sein, wo alternative Fakten zur rosaroten Brille des Weltgeschehens werden, fühlt sich ein beachtlicher Teil des Wahlvolkes gehört und stark. Et voilà, der vielbeschworene Protestwähler, der sich womöglich lange seiner Stimme enthalten hat, wagt sich zur Wahl und bringt die Parteienlandschaft in Aufruhr.

Die Demokratie also in der Krise? – Ja, vielleicht; man kann sich aber durchaus die Frage stellen, ob diese Krisen möglicherweise modus vivendi eines jeden Staatssystems ist. Und möglicherweise zeichnet sich die Demokratie im Vergleich zu den anderen Staatsformen durch ihre besondere Adaptionsfähigkeit und Veränderlichkeit aus. 6 

Jedenfalls mussten natürlich auch die herkömmlichen Parteien Europas sich der ihnen v.a. im Superwahljahr 2017 drohenden Gefahr bewusst werden. Und plötzlich beginnt die Wahlkampfmaschinerie zu laufen und diejenigen in der Gesellschaft, die von den angebotenen Alternativen nicht zu überzeugen sind, machen sich stark für eine weltgewandte, tolerante und europäische Politik. 7 Vielleicht wird dem ein oder anderen in diesem Klima bewusst, dass um sicher geglaubte Errungenschaften auch heute noch zu ringen ist. Dabei reicht es bei weitem nicht, sich alle vier Jahre in die Wahlkabine zu begeben und dort ein Kreuzchen zu setzen. Vielmehr sind uns in den freiheitlichen Demokratien Europas weitreichende Möglichkeiten zur Teilnahme am politischen Geschehen gegeben. Um in einer Partei mitzuwirken und mitzugestalten, muss man nicht das ganze Wahlprogramm paraphieren, sondern sich an den Stellen einmischen und einbringen, an denen man die parteipolitische Linie gerade nicht mitträgt. Und wer in den Parteien dennoch keine Lobby zu finden vermag, dem bleibt der zwischenmenschliche Diskurs und die Demonstration auf der Straße. Egal welche dieser Formen der Teilnahme wahrgenommen werden, ist ihnen doch allen gemein, dass sie ein Zusammentreffen und den Widerstreit verschiedener Meinungen und Überzeugungen voraussetzen. Wahlen oder Volksabstimmungen gewährleisten kaum eine solche Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Meinungsvielfalt, denn sie erlauben es eben gerade auch, sich Andersdenkenden schon von vornherein zu verschließen – für die Stimme auf dem Wahlzettel muss man sich nämlich gerade nicht rechtfertigen. Die Rolle des Nur‑Wählers ist aber nicht unumstößlich. Die Herrschaft des Volkes beginnt in der Wahlkabine, aber sie muss bzw. darf dort auch nicht Enden.

Was Europa im Jahr 2017 bevorsteht, gleicht grotesk einem Staffellauf. Eine europäische Nation nach der anderen muss, ächzend unter den Strapazen des Wahlkampfes, um den Beweis ihrer Weltoffenheit und Europaverbundenheit ringen. Und Deutschland wird den Staffelstab bei den Bundestagswahlen am 24.09.2017 selbst übernehmen müssen, nachdem die Niederlande besagtes Etappenziel erreicht haben und Frankreich vielleicht erreicht haben wird.

Eine Herrschaft des Volkes bedeutet immer auch, dass Mehrheiten die politische Agenda bestimmen und natürlich kann es auch Mehrheiten für Alternativen geben. Wer mitwirken und -steuern will, dem sind hinreichend politische Mittel an die Hand gegeben. Mit jedem zusätzlichen ausgefüllten Stimmzettel und egal wo das Kreuz letztlich steht, ist eher gewährleistet, dass das Ergebnis wirklich die Gesellschaft wiederspiegelt. Dabei ist die Demokratie, das Recht zu wählen, zwar kein Garant gegen Rechts, Links oder die Mitte, aber eine Gelegenheit, unserer Stimme ganz frei, geheim, unmittelbar und jeder anderen Stimme gleichberechtigt politisches Gewicht zu verleihen. Zwar steht es jedem zu, das eigene Kreuzchen dem Protest zu widmen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass wir als Staatsbürger dazu berufen sind, unserer Vertreter primär zu (er)wählen und nicht abzuwählen, ein Aspekt, der in Zeiten von „The Voice“, „DSDS“ und Konsorten vielleicht in den Hintergrund gerückt ist.

 

Timmy Ebert (Schatzmeister Freilaw e.V.)


Fußnoten:

  1. http://www.sueddeutsche.de/politik/volksabstimmung-zur-zuwanderung-schweizer-votum-irritiert-europa-1.1884078; zuletzt abgerufen am 01.05.2017.
  2.       Haack, Demokratie mit Zukunft?, JZ 2012, 753.
  3. http://edition.cnn.com/election/results/president; zuletzt abgerufen am 01.05.2017.
  4. Vgl. http://www.bpb.de/izpb/175902/wege-zur-modernen-demokratie?p=all; zuletzt abgerufen am 01.05.2017.
  5. http://edition.cnn.com/election/results/president; zuletzt abgerufen am 01.05.2017.
  6. Diehl, Die Krise der repräsentativen Demokratie verstehen. Ein Beitrag der politischen Theorie, ZPol 14.10.2016.
  7. Beispielhaft sei nur auf die Aktion „Pulse of Europe“ verwiesen. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/pulse-of-europe-demonstrationen-europa-berlin; zuletzt abgerufen am 01.05.2017.

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