Dr. Timo Rademacher, MJur (Oxon)*
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Die Klausur behandelt im Schwerpunkt die – v.a. in der Darstellung nicht ganz einfache – Abwägung zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit. Die Klausur wurde in leicht abgewandelter Form im Rahmen der Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger II (Kleine Übung) im Wintersemester 2016/2017 gestellt.
Sachverhalt
Im Jahr 2013 lernte die vermögende Unternehmerin W den C kennen. Im Zuge der sich anschließenden Liebesbeziehung zog W den C auch in geschäftlichen Dingen zu Rate und gewährte ihm freien Zugriff auf ihr Vermögen. Als die Beziehung 2015 ein Ende fand, zeigte W den C u.a. wegen Untreue in besonders schwerem Fall an (mit bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe bedroht): Zwischen 2014 und 2015 war es zu Vermögenstransfers in Millionenhöhe zu Lasten der W und zu Gunsten des C gekommen, was W erst jetzt bemerkt habe. C bestreitet nicht, dass Geld an ihn „geflossen“ ist, behauptet aber, dass es sich um Schenkungen der W an ihn gehandelt habe.
In dem sich anschließenden, medial erhebliche Aufmerksamkeit erregenden Strafprozess wird C freigesprochen: Die vorgeworfene Tat sei ihm nicht nachweisbar. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um von W ausgeführte oder zumindest autorisierte Schenkungen gehandelt habe.
Unmittelbar nach Rechtskraft des Freispruchs gibt C einer bundesweit erscheinenden Illustrierten ein Interview; er führt u.a. aus:
„Ich habe ja schon früh gemerkt, dass W krankhaft eifersüchtig ist. Aber dass sie auch noch so dermaßen rachsüchtig ist, dass sie versuchen würde, mich mit miesen Lügen ins Gefängnis zu bringen, nein, das habe ich mir nicht vorstellen können.“
W reagiert auf diese Aussagen, indem sie zwei Tage später in derselben Illustrierten auch ein Interview gibt:
„Wer C kennt, der weiß, dass er schuldig ist; wer mich kennt, weiß, dass ich das Geld nicht verschenkt habe. Aber so ist er: manipulativ und verschlagen, und in der Lage, andere für seine miesen Tricks einzuspannen.“
Übrigens habe der C sie einmal sogar mit dem Tode bedroht.
C ist ob des Interviews von W außer sich vor Wut: Nach dem Freispruch müsse er sich Ws Lügen doch wohl nicht mehr gefallen lassen. Er geht gegen W gerichtlich vor: Gestützt auf §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verurteilt das zuständige Zivilgericht die W unter Androhung eines Ordnungsgeldes, die oben wedergegebenen Aussagen zu unterlassen. Auch soweit sich W auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könne – freilich ohnehin nur teilweise –, hätten weniger emotionale, sachlich vorgetragene und damit weniger beleidigende Informationen zur Interessenwahrnehmung völlig ausgereicht. Angesichts der hohen Intensität, mit der die Aussagen der W in Cs Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingriffen, sowie mit Blick darauf, dass W sich ja letztlich eigennützig äußere und daher ihrerseits nur abgeschwächten Grundrechtsschutz genieße, obsiege bei der notwendigen Gesamtabwägung C.
Rechtsmittel der W bis zum Bundesgerichtshof (BGH) bleiben erfolglos. Gegen die letztinstanzliche Entscheidung erhebt W form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Sie verstehe nicht, wie ihre Meinungsfreiheit so heruntergespielt werden könne.
Hat die Verfassungsbeschwerde der W Aussicht auf Erfolg?
Hinweise für die Bearbeitung:
Die §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB sind formell und materiell verfassungskonform, erfüllen insbesondere auch die Anforderungen an ein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG.
Gehen Sie außerdem davon aus, dass die Normen des BGB (hier in Verbindung mit der Strafvorschrift sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) im Allgemeinen geeignet sind, die ausgeworfene Rechtsfolge – Verurteilung zur Unterlassung ehrverletzender Äußerungen – zu liefern.
Im Übrigen ist auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen – ggf. hilfsgutachtlich – einzugehen.
Hingewiesen wird auf folgende Normen des StGB:
§ 186 StGB [Üble Nachrede]
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet …, welche denselben … in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, … bestraft.
§ 190 [Wahrheitsbeweis durch Strafurteil]
Ist die behauptete … Tatsache eine Straftat, [ist] der Beweis der Wahrheit … ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vor der Behauptung … rechtskräftig freigesprochen worden ist.
§ 193 [Wahrnehmung berechtigter Interessen]
Äußerungen, welche … zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden …, sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Lösung
Die Verfassungsbeschwerde der W hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig (A) und begründet ist (B). 1
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit BVerfG
Das BVerfG ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG für Verfassungsbeschwerden zuständig.
II. Beschwerdeberechtigung
Beschwerdeberechtigt ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG „jedermann“, damit also auch W als natürliche Person.
III. Beschwerdegegenstand
Als Beschwerdegegenstand kommt jeder Akt öffentlicher Gewalt in Betracht, § 90 Abs. 1 BVerfGG. W wendet sich gegen eine letztinstanzliche Entscheidung der Zivilgerichte. Anders als bei Art. 19 Abs. 4 GG (grds. nur Exekutive) fällt unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG auch die Judikative, was sich grundgesetzlich aus der umfassenden Grundrechtsbindung aller drei Gewalten in Art. 1 Abs. 3 GG und einfachrechtlich zudem aus §§ 94 Abs. 3, 95 Abs. 2 BVerfGG ergibt.
Das zivilgerichtliche Urteil ist als Akt der Judikative folglich tauglicher Beschwerdegegenstand.
IV. Beschwerdebefugnis
W muss behaupten können, durch die zivilgerichtliche Entscheidung möglicherweise in einem ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt und darüber hinaus auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein.
1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
a. Schutzgut (sachlicher Schutzbereich)
Da W durch die zivilgerichtliche Entscheidung bestimmte Aussagen untersagt werden, kommt eine Verletzung ihrer Meinungsfreiheit in Betracht, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.
Fraglich ist allerdings, ob auch oder ggf. nur (im Fall von Spezialität) die Pressefreiheit verletzt ist: Die Pressefreiheit schützt (u.a.) die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, d.h. insbesondere beruflich-institutionelle Rahmenbedingungen u.ä. W ist aber schon selbst nicht Teil der Presse; außerdem zieht die Pressefreiheit eine bestimmte (unterstellt: Meinungs-) Äußerung nicht gleichsam „an sich“, nur weil die Äußerung in der Presse publiziert wurde; 2 und schließlich richtet sich die zivilgerichtliche Entscheidung nicht (nur) gegen die Aussagen der W in Form des Interviews, sondern verbietet ihr deren Wiederholung unabhängig vom Medium. Eine Verletzung der Pressefreiheit erscheint daher von vornherein nicht als möglich.
b. Grundrechtsbindung des C?
Einer Verletzung der W in ihrer Meinungsfreiheit könnte jedoch von vornherein entgegenstehen, dass sie eine zivilgerichtliche Entscheidung angreift, die einen Rechtsstreit zwischen Privaten zum Gegenstand hat.
Zwar sind die in der Sache entscheidenden Zivilgerichte nach Art. 1 Abs. 3 GG ohne Zweifel an die Grundrechte gebunden („Ob“ der Grundrechtsbindung). Doch haben diese Gerichte die Grundrechte nur zu beachten, soweit sie auch inhaltlich gelten („Wieweit“ der Grundrechtsbindung). Fraglich ist daher, ob die Grundrechte im Verhältnis der privaten Streitparteien überhaupt eine Geltung beanspruchen: 3
Die fehlende Erwähnung von Privatrechtssubjekten in der zentralen, der Frage der Grundrechtsbindung allgemein gewidmeten Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 GG zusammen mit der vereinzelten positiven Nennung Privater in speziellen grundgesetzlichen Bestimmungen z.B. in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG („Abreden“) oder Art. 20 Abs. 4 GG („gegen jeden“) – e contrario-Schluss – belegen zunächst, dass C als Privater grundsätzlich nicht selbst (oder nicht „direkt“) an die Grundrechte gebunden ist.
Das heißt aber nicht, dass Grundrechte im Verhältnis Privater zueinander gar keine Rolle spielen. Indem die Grundrechte bestimmtes Verhalten und bestimmte Güter gegen den Staat schützen (status negativus), verdeutlichen sie, dass Verhalten bzw. Güter nach dem Willen des Grundgesetzgebers gesellschaftlich schützens- und fördernswert sind (sog. „objektive Werteordnung“ oder „objektive Dimension“ der Grundrechte). Zusammen mit der Einsicht, dass der Realisierbarkeit der grundrechtlichen Schutzgüter nicht (mehr) nur Gefahr von staatlicher, sondern gerade auch von privater Seite drohen kann, folgt daraus der Auftrag des Staates im Sinn einer Leistungspflicht, die Rechtsordnung so zu gestalten, dass die Grundrechte realisierbar sind/bleiben. Wo es an entsprechenden Regeln fehlt, muss der Staat sie schaffen („Schutzpflicht“), wo es sie schon gibt, sind Gerichte und Verwaltung gehalten, die Normen des einfachen Rechts so auszulegen und anzuwenden, dass das grundrechtlich geschützte Verhalten/Gut möglichst weitgehend zur Geltung gebracht wird („Ausstrahlungswirkung“ oder „mittelbare Drittwirkung“).
D.h., dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Zivilgerichte das existierende einfache Recht (§§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB) in einer Weise ausgelegt haben, die die Ausstrahlungswirkung konkret der Meinungsfreiheit der W entweder übersehen oder falsch gewichtet und damit spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat.
c. Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Beschwer
Durch die letztinstanzliche Entscheidung des BGH ist die W auch selbst (als Beklagte bzw. Revisionsklägerin), gegenwärtig (seit Wirksamkeit des Äußerungsverbots) und unmittelbar (d.h. ohne weiteren erforderlichen Zwischenakt) beschwert.
V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
Ein Rechtsmittel gegen die letztinstanzliche Entscheidung des BGH steht der W nicht zu, der Rechtsweg ist daher i.S.v. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG erschöpft. Auch ist keine im Sinne des richterrechtlich entwickelten Grundsatzes der Subsidiarität andere Möglichkeit zur Abwendung der – unterstellten – Grundrechtsverletzung ersichtlich.
VI. Form und Frist
Form- und Fristanforderungen (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 f. BVerfGG) sind laut Sachverhalt eingehalten.
VII. Zwischenergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der W ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde der W ist begründet, soweit die letztinstanzliche Entscheidung der Zivilgerichte in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit der W oder eines anderen Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts eingreift und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist.
W wendet sich damit gegen eine gerichtliche Entscheidung (sog. Urteilsverfassungsbeschwerde). Obgleich die umfassend richtige Auslegung und Anwendung der §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, 186 StGB durch die Fachgerichte wegen des diese bindenden Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) streng genommen auch eine Frage des Verfassungsrechts ist, darf die Überprüfung des Urteils das BVerfG nicht in die Rolle einer Superrevisionsinstanz drängen, in der es überfordert wäre und die auch der Wertung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG widerspräche (Verfassungsbeschwerde als Sonderrechtsbehelf). Prüfungsmaßstab ist daher nicht das gesamte einfache Recht, also die (umfassend) richtige Auslegung/Anwendung von §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, 186 StGB, sondern nur die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (sog. spezifisches Verfassungsrecht). Die ist missachtet, wenn das Urteil ein einschlägiges Grundrecht ganz übersehen oder doch zumindest grundlegend falsch angewandt, d.h. seine interpretationsleitende Wirkung verkannt hat; 4 oder wenn dem Gericht Rechtsanwendungsfehler unterlaufen sind, die den (objektiven) Eindruck von Willkür erwecken, die Rechtsfindung oder deren Ergebnis also unter keinem denkbaren Gesichtspunkt noch als juristisch vertretbar erscheinen. 5
I. Meinungsfreiheit
1. Schutzbereich 6
a. Persönlicher Schutzbereich
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG normiert ein Menschenrecht, steht W also insbesondere ungeachtet ihrer (nicht bekannten) Nationalität zu.
b. Sachlicher Schutzbereich
Das von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG u.a. geschützte Verhalten ist das Äußern einer Meinung. Ein Äußerungsverbot liegt ausdrücklich vor, fraglich ist, ob es sich auf Meinungen bezieht.
(1) Definition Meinung
„Meinung“ bezeichnet jedenfalls Werturteile, d.h. solche Aussagen, die durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens gekennzeichnet sind.
Dem gegenüber steht die Tatsachenbehauptung als Aussage, die dem Beweis zugänglich, deren Wahrheit oder Unwahrheit also objektiv feststellbar ist. Zumindest wenn man den Wortlaut eng deutet und unter „Meinung“ nur das Werturteil versteht, fällt die Tatsachenbehauptung nicht unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG; die Norm statuiert kein allgemeines Recht auf „free speech“. Tatsachenbehauptungen sind im Sinne einer effektiven Grundrechtsgewährleistung aber dann in den Schutzbereich einzubeziehen, wenn sie Voraussetzung für eine Meinungsbildung sind, sich ein Werturteil also auf eine bestimmte Tatsache stützt. Entsprechendes gilt, wenn sich Tatsache und Wertung so „verbinden“ (oder „vermischen“), dass sie nicht ohne Sinnverfälschung voneinander getrennt werden können.
Selbst bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen sind zwar als solche nicht vom Schutzbereich erfasst; sie können jedoch als Voraussetzung von Werturteilen oder (sonst) in Verbindung mit ihnen in den Schutzbereich fallen. 7
Fraglich ist, wie sich die einzelnen, der W untersagten Äußerungen in diese Kategorien einordnen lassen:
(2) „manipulativ“, „verschlagen“, „miese Tricks“
Eindeutig negativ wertenden Charakter haben die Bezeichnungen des C als „manipulativ“, „verschlagen“, sowie die Qualifizierung des Verhaltens von C als „miese Tricks“. Soweit sie Elemente von Tatsachenbehauptungen (über ihnen zugrundeliegendes tatsächliches Verhalten des C) enthalten, sind diese als Voraussetzung dieser Werturteile mitgeschützt.
Dabei schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich auch überspitzte und emotionale Meinungsäußerungen. 8
(3) „Schuld“ und „Geschenk“
Demgegenüber betreffen die „Schuld“ des C wie auch die Aussage, W habe das Geld „nicht verschenkt“, objektive, juristisch mit richtig oder falsch zu bezeichnende Umstände; es sind also Tatsachenbehauptungen.
Dieser Status darf sich auch nicht etwa dadurch hin zur Meinung ändern, dass der Beweis ihrer Wahr- oder Unwahrheit im Strafverfahren gescheitert ist. Die Behauptungen sind dadurch nicht weniger als vorher dem Beweis zugänglich. Außerdem darf die Einordnung nicht von der reinen Zufälligkeit des tatsächlichen Beweises abhängen, zumal sich diese im Laufe der Zeit ja doch einstellen kann. Was heute Meinung ist, wäre dann morgen Tatsache. 9 Angesichts dessen liegt hier auch keine erwiesen unwahre Aussage vor. Auch § 190 StGB – an dessen Wertung das BVerfG ohnehin nicht gebunden wäre – ergibt hier nichts anderes, da darin der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen, aber nicht die Unwahrheit als feststehend fingiert wird.
Allerdings dienen die Aussagen zur Schuldfrage des C gerade als Beleg für den „manipulativen und rücksichtlosen“ Charakter des C, sind daher Voraussetzung für diese Wertungen und damit mit von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.
(4) Drohung mit dem Tod
Auch die Behauptung, der C habe sie vor ihrer Anzeige mit dem Tode bedroht, ist dem Beweis zugänglich, und daher zunächst eine offensichtliche Tatsachenbehauptung. Fraglich ist, ob auch insofern eine Verbindung mit wertenden Elementen der Aussage der W besteht. Bei einer sozusagen globalen Betrachtung ihrer Äußerungen im Sinne eines „C ist ein böser Mensch“ hätte die behauptete Todesdrohung tatsächlich einen diese Aussage stützenden Charakter; sie wäre daher nach den oben aufgestellten Maßstäben in den Schutzbereich einbezogen. Freilich sagt W das nicht, sondern bewertet C wesentlich konkreter als „manipulativ“ und „verschlagen“. Die angebliche Todesdrohung stützt diese Charakterisierungen nicht, sondern würde eher eine Qualifizierung als „grob und gewalttätig“ tragen. Diese ist jedenfalls nicht erkennbar geäußert und auch nicht implizit über den mit der Anzeige erhobenen Tatvorwurf der Untreue kommuniziert. Das spricht entscheidend dafür, die angebliche Todesdrohung als bezugslose neue Tatsachenbehauptung zu betrachten. Sie liegt zu den bisherigen Ausführungen quer, lässt sich gerade nicht mit ihnen „verbinden und vermischen“. 10
Insofern ist der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG also schon nicht eröffnet.
c. Zwischenergebnis
Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist daher nur für einen Teil der Aussagen der W eröffnet, was das Landgericht auch zutreffend erkannt hat.
2. Eingriff in den Schutzbereich
Dadurch, dass W durch die zivilgerichtliche Entscheidung die weitere Äußerung ihrer Meinung über C unter Androhung eines Ordnungsgeldes verboten wird, wird ihr das grundrechtlich geschützte Verhalten durch rechtsverbindlichen und zwangsbewehrten Befehl gezielt und ohne weiters erforderlichen Zwischenakt (also final, unmittelbar, rechtsverbindlich und zwangsbewehrt) verboten. Es liegt mithin ein sog. klassischer Grundrechtseingriff vor. Auf dessen Weiterungen hin zum modernen Eingriffsbegriff kommt es nicht an. Dass hinter dem staatlichen Eingriff materiell eine private Durchsetzung einfachen Zivilrechts steht, hindert angesichts der Ausstrahlung der Grundrechte der W in das Verhältnis zu C (s.o.) die Annahme eines Grundrechtseingriffs nicht. 11
3. Rechtfertigung des Eingriffs
Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern ist durch „allgemeines Gesetz“, Art. 5 Abs. 2 GG, und vorbehaltlich der Beachtung der weiteren Schrankenanforderungen des Grundgesetzes beschränkbar.
Der Eingriff muss also auf einer tauglichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen (a), die formell und materiell verfassungskonform ist (b/c), sowie auch im Einzelfall verfassungskonform, d.h. im Lichte der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit ausgelegt und angewandt worden ist (d).
a. Ermächtigungsgrundlage
Mit §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG liegt eine grundsätzlich taugliche Ermächtigungsgrundlage in Form eines „allgemeinen Gesetzes“ (Art. 5 Abs. 2 GG) vor.
b. formelle Verfassungskonformität der Ermächtigungsgrundlage – zu unterstellen
c. materielle Verfassungskonformität der Ermächtigungsgrundlage – zu unterstellen
d. verfassungskonforme Auslegung und Anwendung im Einzelfall
Die Qualifizierung der §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB als allgemeines sowie grundsätzlich verhältnismäßig auslegbares Gesetz reicht aber noch nicht aus, um die Rechtfertigung der Untersagung durch das Zivilurteil zu bejahen. Die Zivilgerichte müssten auch die besondere interpretationsleitende Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bei der Auslegung und Anwendung von §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog, § 186 StGB im konkreten Fall ausreichend berücksichtigt haben, so dass der „wertsetzende Gehalt der Grundrechte auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt“ blieb 12 (sog. Wechselwirkung zwischen allgemeinem Gesetz und Meinungsfreiheit).
Das setzt voraus, dass die sich gegenüberstehenden Güter von W und C durch die Zivilgerichte in Ansehung ihrer jeweiligen Wertigkeit generell (also zum Beispiel auch: liegt ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung vor) 13 sowie insbesondere mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls erkannt und dann so ins Verhältnis zueinander gesetzt wurden, dass ihnen jeweils angemessen Rechnung getragen ist.
(1) Gefördertes Rechtsgut
Fraglich ist daher zunächst, ob die Zivilgerichte zu Gunsten des C das richtige Rechtsgut in die Abwägungsentscheidung eingestellt haben.
Die Zivilgerichte verweisen in ihrer Begründung auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, d.h. auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des C. Dieses schützt den Einzelnen unter dem Aspekt des Rechts auf Selbstdarstellung u.a. vor herabsetzender Darstellung in der Öffentlichkeit.
Die Anschuldigung, ein Vergehen begangen und sich damit gegen die weit verstandenen Interessen der Gesellschaft gestellt zu haben, ist grundsätzlich dazu geeignet, den Beschuldigten in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen. Die Behauptung ist – jedenfalls dann, wenn sie nicht zutrifft – ehrenrührig.
Die Fachgerichte haben daher auf Seiten des C das einschlägige Rechtsgut zutreffend identifiziert.
(2) Gewichtung des geförderten Rechtsguts in concreto
Darüber hinaus dürfen die Gerichte die Bedeutung des Rechtsguts im konkreten Fall nicht verkannt, also aus Sicht der Beschwerdeführerin nicht deutlich zu hoch angesetzt haben.
Die Fachgerichte gingen von einer „hohen Eingriffsintensität“ der Aussagen der W aus. Da die W den C in aller Öffentlichkeit (Breitenwirkung des Mediums!) eines nicht unerheblichen Vergehens bezichtigt hat, das mit bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (§§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB) und das die Ausnutzung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zusammen mit einem massiven Vermögensschaden betrifft, ist der damit potentiell verbundene Ansehensverlust in der Öffentlichkeit vertretbar als hoch einzuschätzen.
Ebenfalls zugunsten des C streitet der Freispruch, der, auch wenn er aus Mangel an Beweisen erfolgte, bedeutet, dass sich C jedenfalls nicht mehr unbegrenzt mit den „abverhandelten“ Vorwürfen wird konfrontieren lassen müssen. 14 Auch diesen Umstand haben die Fachgerichte zutreffend erkannt und frei von verfassungsrechtlichen Bedenken zugunsten des C eingestellt.
Zumindest keine ausdrückliche Berücksichtigung fand in der Begründung der Zivilgerichte die von W behauptete Todesdrohung. Sie streitet aber angesichts der Massivität dieses Vorwurfs wenn, dann nur zugunsten der Annahme einer hohen Belastungswirkung der Aussagen der W, und kann daher die getroffene Abwägungsentscheidung der Gerichte zugunsten von C nicht in Zweifel ziehen.
(3) Beeinträchtigtes Rechtsgut
Zugunsten der W streitet, wie bereits dargelegt, deren Meinungsfreiheit bzgl. derjenigen Aussagen, die deren Schutz unterfallen
(4) Gewichtung des beeinträchtigten Rechtsguts in concreto
Unterstellt, W ist tatsächlich Opfer der C vorgeworfenen Tat geworden, so erscheint ihr persönliches Interesse an den Äußerungen prima facie sehr groß, entsprechend der Schwere des Vorwurfs.
Hinzu kommt, dass W – erneut die Richtigkeit der Aussagen unterstellt – eigenes Erleben/eigene Wahrnehmung schildert. Solches zu untersagen würde eine besondere, auch psychologische Schwere in Form eines – untechnischen – Zensurgefühls nach sich ziehen.
Auch ist die Grenze zur Formalbeleidigung oder zur Schmähkritik von W nicht überschritten worden. 15 Die von W verwandten Adjektive sind zwar nicht freundlich, haben aber doch einen sachlichen Bezugspunkt und sind von einer bloßen Diffamierung der Person des C auch grammatisch weit entfernt.
Fraglich ist insoweit allerdings, ob das Gewicht der Meinungsfreiheit der W dadurch abgemildert wird, dass sich W hier eventuell vor allem „eigennützig“ geäußert hat. Die Fachgerichte gingen davon ausdrücklich aus. Zwar ist den Gerichten insoweit beizutreten, als das Grundrecht der Meinungsfreiheit in einer pluralistischen Demokratie auch eine besondere öffentliche Funktion oder Wertigkeit zukommen kann, nämlich dann, wenn sich der oder die Betreffende zu öffentlich relevanten Belangen äußert. Ob hier ein solcher Belang schon deshalb vorliegt, weil das Verfahren um W und C große mediale Aufmerksamkeit erregte, kann aber deshalb offenbleiben, weil die Meinungsfreiheit jedenfalls auch ein sozusagen normales/privates Grundrecht ist, also Schutz gerade auch zur eigenen Interessenwahrnehmung im Sinne des Eigennutzes genießt. Schematisch ausgedrückt mag das Gewicht einer Meinung gegenüber dem Normalfall bis hin zu einer „Vermutung für die freie Rede“ steigen, 16 weil sie öffentlich relevant ist; umgekehrt sinkt das Gewicht aber nicht schon allein deshalb unter die Linie einer hypothetischen Normal-Konstellation, weil sie nur eigennützig ist. Eine solche Wertung wäre mit dem Charakter der Grundrechte als zuvörderst individuelle Freiheit sichernder Positionen nicht vereinbar, so dass hier die Fachgerichte die interpretationsleitende Wirkung der Meinungsfreiheit der W in diesem Punkt nicht grundrechtsgemäß in ihre Abwägung eingestellt haben. 17
(5) Abwägung
Allerdings könnte das von den Zivilgerichten gefundene Rechtsanwendungsergebnis dann doch angemessen sein, wenn trotz der Fehlgewichtung der Meinungsfreiheit der W das Schutzinteresse des C bei der Gegenüberstellung der Güter offensichtlich überwiegt.
Ein solches Überwiegen könnte sich eben aus dem Umstand des rechtskräftigen Freispruchs ergeben, nämlich in dem Sinn, dass C nun tatsächlich einen unbedingten Anspruch darauf hat, von den unbewiesenen und zumindest zum jetzigen Zeitpunkt offenbar auch nicht beweisbaren Vorwürfen verschont zu bleiben. 18 Diese Wertung ist einfachrechtlich auch in § 186 StGB enthalten, wenn es dort heißt, dass herabsetzende Tatsachen schon dann nicht verbreitet werden dürfen, wenn sie nicht erweislich wahr sind.
Zwar hat W ihre Äußerungen mit Meinungen verbunden, doch wären diese ohne (explizite oder implizite) Behauptung der – unbeweisbaren – Tatsache der Untreue zu ihren Lasten unverständlich.
Ein solches Ergebnis würde allerdings nicht berücksichtigen, dass das Interview der W eine unmittelbare Reaktion auf das siegestrunkene Interview des C war. Seine darin enthaltene Behauptung, W habe gelogen, ist selbst nicht erweislich wahr, da der Freispruch gerade „nur“ aus Mangel an Beweisen erging. Auch insofern ließe sich – einfachrechtlich – § 186 StGB anführen, diesmal gegen C gerichtet, und auf eine Verringerung seiner Schutzwürdigkeit erkennen.
Zudem unterstellt C der W mit seinen Äußerungen öffentlich eine falsche Verdächtigung allein schon durch ihre damalige Anzeige. Hiergegen könnte sich W, wollte man dem rechtskräftigen Freispruch eine endgültige Wirkung beimessen, öffentlich nicht mehr zur Wehr setzen. Das Interview der W ist daher letztlich ein kommunikativer Gegenschlag, geführt auf den herausfordernden Schlag des C hin, der selbst nicht über jeden rechtlichen Zweifel erhaben ist. Einen solchen Schlagabtausch schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auch. 19
§ 186 StGB steht diesem Abwägungsergebnis auch nicht entgegen, vielmehr erlaubt § 193 StGB gerade die Berücksichtigung der von Verfassungs wegen „berechtigten Interessen“ der W; § 186 StGB muss daher auch nicht verfassungskonform reduziert werden. 20
Freilich sind auch die Fachgerichte nicht davon ausgegangen, dass der W jede Form der Erwiderung verboten gewesen wäre – sie hätte diese nur weniger „emotional“ führen müssen. Ungeachtet dessen, dass aber zumindest die Äußerungen der W zur Schuld des C relativ sachlich waren, entspricht es dem Bild des Gegenschlags, der Reaktion dieselbe Tonlage wie der Aktion zuzugestehen. Das Interview des C selbst war emotional und im Ton aggressiv („rachsüchtig“, „miese Lügen“), daher durfte W entsprechend reagieren. Das entspricht der Idee der kommunikativen Waffengleichheit.
Wenn nicht schon als reine Tatsachenbehauptung ausgeschieden:
Keinen Bezug zu dem Interview des C haben allerdings die Äußerungen der W, soweit sie dem C eine Todesdrohung unterstellt. Hier spricht verfassungsrechtlich nichts dagegen, die Wertung der §§ 186, 190 StGB zu übernehmen, und eine solche herabsetzende Behauptung im Falle ihrer fehlenden Nachweisbarkeit nicht zu tolerieren. Dafür, dass W diesen Nachweis erbracht hat oder noch erbringen kann, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
4. Ergebnis für Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
Die Entscheidung des BGH verletzt die W in ihrem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, soweit ihr darin untersagt wird, den C als „manipulativ“, „verschlagen“, mit „miesen Tricks“ arbeitend und ihn als der ihm vorgeworfenen Untreue „schuldig“ zu bezeichnen
II. Art. 2 Abs. 1 GG bzgl. Todesdrohung 21
1. Schutzbereich
Art. 2 Abs. 1 GG schützt in seiner Funktion als allgemeine Handlungsfreiheit entsprechend dem Willen des historischen Grundgesetzgebers, d.h. über seinen eine enge Auslegung nahelegenden Wortlaut hinaus, die Freiheit „zu tun und zu lassen“ was eine(r) will. Dazu zählt grundsätzlich auch die Äußerung einer Tatsache, soweit sie nicht unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fällt. Überhaupt keinen Schutz – d.h. auch nicht von Art. 2 Abs. 1 GG – dürfte, wenn überhaupt, dann nur die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung genießen. 22 Dass es sich bei der Todesdrohung des C gegen die W darum handelt, kann mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden.
2. Eingriff
Mit dem ordnungsgeldbewehrten Äußerungsverbot liegt ein klassischer Grundrechtseingriff vor, trotz des privatrechtlichen Hintergrunds der staatlichen Maßnahme.
3. Rechtfertigung
Korrespondierend mit dem weiten Schutzbereich kann das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit unter der Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ durch jedes formell und materiell verfassungskonforme Gesetz eingeschränkt werden, also namentlich auch durch §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 186 StGB.
Fraglich ist daher nur, ob diese Norm auch im Einzelfall verfassungskonform angewandt wurde. Das ist zu bejahen, da mit der angeblichen Todesdrohung ein massiver, das Ansehen von C (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ganz erheblich herabsetzender Vorwurf geäußert wurde, der nicht erweislich wahr ist. Die einfachrechtliche Wertung des § 186 StGB ist hier von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Ein überwiegendes gegenläufiges Interesse der W, diese mit dem voraufgegangenen Verfahren zusammenhangslose Behauptung in die Welt zu setzen, ist nicht erkennbar. 23
4. Ergebnis für Art. 2 Abs. 1 GG
Die allg. Handlungsfreiheit der W ist nicht verletzt.
5. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der W ist teilweise begründet. Das BVerfG wird die Sache gem. §§ 95 Abs. 2, 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG an den BGH zurückverweisen.
*Der Autor ist Akademischer Rat a.Z. am Institut für Medien- und Informationsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Jens-Peter Schneider). Herrn PD Dr. Mathias Hong gebührt Dank für viele wertvolle Hinweise.
Fußnoten:
- Der Fall ist inspiriert von einem Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13. Voraufgehend LG Köln, Urteil v. 30.5.2012 – 28 O 1065/11. Das BVerfG „überspringt“, da ständige Rspr., zahlreiche Prüfungspunkte, die hingegen im Rahmen der Anfängerübung bzw. der Klausur anzusprechen waren. Das gilt etwa für die Frage der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. ↩
- Kingreen/Poscher, Grundrechte, 32. Aufl. 2016, 637. Krit Trute, in: Merten/Papier, HdB Grundrechte Bd. IV, 2011, § 104 Rn 19. ↩
- Vertretbar ist es, die Möglichkeit der (mittelbaren) Drittwirkung hier nur knapp zu bejahen und erst im Rahmen der Begründetheit näher zu erläutern. ↩
- Vgl. etwa BVerfGE 120, 180 (199 f., 209 f.). ↩
- Ausführungen zum Prüfungsmaßstab des BVerfG können ebenso gut bereits im Rahmen der Zulässigkeit → Beschwerdebefugnis oder auch erst unter I.3.e – Anwendung im Einzelfall – angebracht werden. ↩
- Gut vertretbar sind angesichts der Drittwirkungsproblematik auch ein Schutzpflichten-/Anspruchsaufbau (I. Schutzbereich – II. Bestehen einer Schutzpflicht zugunsten W – III. Verletzung der Schutzpflicht der W durch Übergewichtung der Schutzpflicht zugunsten des C, also unangemessene Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall). ↩
- Bes. klar ist die Rspr. des BVerfG hier nicht, vgl. s. etwa BVerfG-K v. 9.11.2011, 1 BvR 461/08, Rn. 18, 22 – Holocaust-Leugnung: „Zwar leugnen [die strafrechtlich geahndeten Aufsätze des Beschwerdeführers] das historische Gesamtgeschehen des Holocaust. Dieses … Massenvernichtungsunrecht ist aber eine geschichtlich erwiesene Tatsache, deren Leugnen folglich als erwiesen unwahr allein für sich betrachtet nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt. Im Gesamtkontext der jeweiligen Aufsätze betrachtet sind die den Holocaust leugnenden Äußerungen vorliegend jedoch untrennbar mit Meinungsäußerungen verbunden.“ ↩
- StRspr., vgl. etwa Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13 – Rn 25. ↩
- Offenbar a. (sehr überraschende) A. die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG, Beschl. v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13 – Rn 21: „Nach dem Freispruch des Klägers stellen sich deshalb die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen eines nicht aufklärbaren Geschehens dar, die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungen zu behandeln sind“. ↩
- Begründete a.A. vertretbar. ↩
- Nochmals: Ein Schutzpflichtenaufbau wäre ebenfalls sehr gut vertretbar. ↩
- Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13 – Rn. 23. ↩
- Das BVerfG prüft bei Eingriffen in die Meinungsfreiheit auch in privatrechtlichen Konstellationen – nach der Feststellung, es sei keine Superrevisionsinstanz – ausdrücklich intensiv, d.h. ob die Äußerung tatsächlich richtig erfasst wurde und ob sie zutreffend als Meinung, Tatsache, Schmähkritik etc. eingestuft wurde, s. z.B. BVerfGE 85, 1 (14). ↩
- So auch das BVerfG, Beschl. v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, Rn. 27. ↩
- Vgl. BVerfGE 93, 266 (294) m.w.N. ↩
- Siehe BVerfGE 93, 266 (294 f.). Allg. und gut lesbar zur Ausstrahlungswirkung der Meinungsfreiheit in den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II, Rn. 277 ff., für diese Klausur bes. interessant 286, 290. ↩
- Ebenfalls gut vertretbar ist es, das öffentliche Interesse zu bejahen, und schon allein deshalb zu einem Abwägungsfehler zu kommen, weil nicht von der „Vermutung für die freie Rede“ ausgegangen wurde. Auch Bearbeiter und Bearbeiterinnen, die diesen Weg wählen, müssen aber im Folgenden die – möglicherweise gegen die Vermutung sprechende – Bedeutung des Freispruchs thematisieren. Ohnehin gilt: das Problem, ob Art. 5 Abs. 1 GG nur im Fall öffentlich interessierender Fragen voll greift, ist im Sachverhalt angelegt und sollte daher auf die ein oder andere Art angesprochen werden. ↩
- H.M. für Medienberichterstattung nach einem Freispruch: Der Freigesprochene hat nun einen Anspruch auf Anonymität, vgl. Palandt/Sprau, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 106. ↩
- Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II, Rn. 290. A.A. – mit dem LG im Ausgangsfall – vertretbar: Die Äußerungen der W bezögen sich nicht (hinreichend) erkennbar auf das Interview des C, so dass ein von der Meinungsfreiheit privilegierter Gegenschlag nicht vorliege. Die Verfassungsbeschwerde dürfte dann wohl insgesamt keinen Erfolg haben. LG Köln, Urteil v. 30.5.2012 – 28 O 1065/11 – Rn. 60 bei juris. ↩
- A.A. gut vertretbar: § 186 StGB, v.a. i.V.m. § 190 StGB bringe die verfassungsrechtlich haltbare Idee zum Ausdruck, dass bei Nicht-Erweislichkeit von herabsetzenden Tatsachen in Form eines Freispruchs kein öffentlicher kommunikativer Schlagabtausch stattzufinden habe – W wäre zur Interessenverteidigung dann schlicht auf eine Anzeige des C wegen übler Nachrede verwiesen. Wichtig war an dieser Stelle v.a. zu erkennen, dass §§ 186, 190, 193 StGB als Auslegungshilfen verwendet werden können, dass aber nicht deren Voraussetzungen im Stile eines Straf- oder Zivilgerichts „durchzuprüfen“ waren. Das BVerfG erwähnt die Normen in seinen Entscheidungsgründen bezeichnender- und gut vertretbarer Weise überhaupt nicht. ↩
- Falls die Todesdrohung als von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt eingeordnet wurde, muss sich die Prüfung des Art. 2 Abs. 1 GG auf die Feststellung seiner Subsidiarität beschränken. ↩
- In diese Richtung z.B. Schemmer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 33. Ed. 1.6.2017, Art. 5 Rn. 6.1. ↩
- A.A. mit guter Begründung (z.B. unter Verweis auf die eigene Wahrnehmung des angeblichen Geschehens und damit verbundene besonders hohe Anforderungen an die Untersagung) vertretbar. ↩