von stud. iur. Maximilian Loosen*
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Der vorliegende Aufsatz soll einen Überblick über die Funktion der Grundrechte geben und aufzeigen, wie der aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG i.V.m dem Sozialstaatsprinzip folgende Teilhabeanspruch an staatlich monopolisierten Ausbildungsplätzen in der Fallbearbeitung aufzubauen ist.
A. Einleitung
Um den Aufbau eines Teilhabeanspruchs aus Grundrechten in der Fallbearbeitung dogmatisch nachvollziehen zu können, ist es unabdingbar sich mit den Aufgaben und Funktionen dieser auseinanderzusetzen. Anschließend wird die Anwendung eines Teilhabeanspruchs anhand der Fallbearbeitung eines Beispielfalls demonstriert.
B. Die Aufgabe der Grundrechte
Die Grundrechte jedes Deutschen werden in den Art. 1 bis 19 GG gewährleistet. Hinzu kommen die in Art. 93 I Nr. 4a GG genannten grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 20 IV, 33, 38, 101, 103 und 104 GG. Doch welche Funktionen und Auswirkungen haben diese Rechte? Weitestgehend wird zur Beantwortung dieser Frage die Jellinek’sche Statuslehre zu Grunde gelegt 1. Georg Jellinek unterschied zu Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen mehreren Funktionen der Grundrechte, welche sich aus dem Verhältnis zwischen Bürger und Staat in sog. Status ergeben 2.
I. Status subiectionis
Laut Jellinek bildet die Basis aller staatlichen Wirksamkeit die Unterwerfung des Bürgers unter den Staat 3. In diesem Zustand befindet er sich im sog. status subiectionis welcher Persönlichkeit und Selbstbestimmung ausschließt 4. Dieser Zustand macht es dem Bürger unmöglich, den Staat für seine Interessen in Anspruch zu nehmen.
II. Status negativus
Die Herrschaft des Staates ist jedoch nicht grenzenlos, sondern durch das Gemeininteresse begrenzt 5. Daher finden die Grundrechte ihre bekannteste und wohl bedeutendste Ausprägung in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat 6. Jellinek erkannte, dass jedem Staatsmitglied eine staatsfreie, das Imperium verneinende Sphäre zukommt, in welcher er allein Herr ist (daher auch status libertatis) 7. Hier kommt die Idee der Freiheit vom Staat zum Tragen 8. Die meisten Abwehrrechte sind bereits durch ihre Formulierung als solche zu erkennen, wie beispielsweise in Art. 2 II 2 GG: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“. Diese schützen den Bürger vor verfassungswidrigen Eingriffen des Staates in die durch die Grundrechte gewährleisteten Freiheiten und Rechtsgüter. Hierzu zählt auch die Berechtigung Eingriffe, soweit sie bereits geschehen sind, zu beseitigen oder die Unterlassung bevorstehender Eingriffe zu verlangen 9. Ein direkter Anspruch z.B. auf den Erlass bestimmter Normen lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten 10.
III. Status positivus
Das Gegenstück zum status negativus und den hieraus resultierenden Abwehrrechten bildet der sog. status positivus 11 durch welchen die Freiheit durch den Staat 12 gesichert wird. Dieser räumt dem Bürger die rechtliche Fähigkeit ein, die Staatsmacht für sich zu beanspruchen 13. Der Staat verleiht dem Bürger mithin nicht nur Ansprüche gegen ihn, sondern stellt ihm auch Rechtsmittel zur Durchsetzung dieser zur Verfügung 14. Differenziert wird hierbei zwischen Ansprüchen, die sich auf bereits vorhandene staatliche Einrichtungen, Leistungen oder Verfahren beziehen und solchen, die auf die Neuschaffung bestimmter staatlicher Vorkehrungen abstellen 15. Man spricht deshalb auch von sog. originärer, bzw. derivativer Teilhabe 16. Hierin zeigt sich, dass beide Status eng miteinander verbunden sind, obwohl sie gleichermaßen der Natur der Sache nach im Widerspruch stehen 17.
IV. Status activus
Der Staat selbst hat bei der Ausübung seiner Herrschaft ein elementares Problem: Er existiert nicht als natürliche Person und kann so auch selbst keine Handlungen vornehmen. Hier für bedarf es realer Personen, die diese Aufgabe für ihn übernehmen. Dies ist der status activus, in welchem der Staat den Bürgern das Recht zuspricht für ihn tätig zu werden 18. Der status activus räumt dem Einzelnen also das Recht ein, seine Freiheit im Staat und für diesen zu betätigen 19. Ein Beispiel hierfür ist das Wahlrecht aus Art. 38 I GG.
V. Weitere Status
Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass neben den oben genannten, von Jellinek entwickelten Status in der Literatur noch weitere Status erdacht wurden.
1. Status activus processualis
So ergänzte Peter Häberle die Lehre Jellineks beispielsweise um den Status activus processualis, welcher Organisation und Verfahren als notwendiges Element der Wirksamkeit vieler Grundrechte kategorisierte, weshalb diese so gestaltet sein müssen, dass bereits formale Mechanismen für die Sicherung der Grundrechte sorgen und diese als einklagbare Normen zum Schutze Dritter zu verstehen sind 20.
2. Aktualisierung durch Brugger
Winfried Brugger, welcher der Meinung war, dass die Jellinek’sche Statuslehre aufgrund ihres Entstehungszeitpunktes zwar das 19. Jahrhundert, nicht aber das 20. Jahrhundert erfasste, ergänzte diese um den status oecologicus, den status culturalis, den status Europaeus, sowie um den status universalis 21.
C. Die Unterscheidung zwischen Abwehr- und Leistungsansprüchen
Wie bereits erwähnt, dienen die Grundrechte klassisch dem Schutz des Bürgers gegen Eingriffe des Staates. Manchmal bedarf es allerdings eines staatlichen Handelns, um den Bürger zu seinem Willen zu verhelfen, z.B. Grundsicherung oder Zugang zu staatlichen Ausbildungsplätzen. In diesen Fällen verlangt der Bürger mithin ausdrücklich ein staatliches, ihn betreffendes Handeln, womit ein Abwehranspruch allein schon wegen des mangelnden Schutzbedürfnisses nicht mehr in Rede stehen kann. Ein angreifbares Fehlverhalten des Staates kann mithin nur noch in der Nichtleistung bei vorliegender Leistungsberechtigung des Bürgers liegen. Es wäre an dieser Stelle falsch und dogmatisch unsauber diesen Sachverhalt wie ein Abwehrrecht aufzubauen. Daher bedarf es in diesen Fällen eines Alternativaufbaus, welcher den Besonderheiten des Teilhabewunsches gerecht wird.
D. Der Teilhabeanspruch in der Fallbearbeitung
I. Sachverhalt 22
Der baden-württembergische Landtag beschließt eine Änderung des „Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit“ (AGGVG). In § 21 AGGVG wird ein neuer Absatz 2 eingefügt, der folgenden Wortlaut hat:
(2) Richter, Vertreter der Staatsanwaltschaft und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dürfen bei den zur Verhandlung oder zur Verkündung einer Entscheidung bestimmten Sitzungen keine Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in ihre politische, weltanschauliche oder religiöse Neutralität zu beeinträchtigen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
Ausweislich der Gesetzesbegründung erfasst das Verbot Kopftücher, die von muslimischen Frauen aus religiösen Gründen getragen werden, ebenso wie Schleier, die den ganzen Körper umhüllen, aber auch rote Bhagwan-Kleidung, religiösen Schmuck oder den Dastar der Sikhs.
Ebenso erfasst ist das religiös motivierte Tragen von Bärten oder auffälliger Gesichtstätowierungen. Eine solche Regelung sei notwendig, um die richterliche Unabhängigkeit zu wahren und die Einhaltung des staatlichen Neutralitätsgebots zu gewährleisten.
Der deutsche Staatsangehörige J, schließt nachfolgend sein Jurastudium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. erfolgreich mit dem ersten Staatsexamen ab. Hierauf beantragt er beim Präsidenten des OLG Karlsruhe gem. § 5 I JAG BW die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst. Auf dem Passbild, welches J seiner Bewerbung gem. § 37 II Nr. 3 JAPrO beilegt, trägt dieser die bei streng orthodoxen Juden typischen Schläfenlocken. Daraufhin wird J von der Referendarabteilung des OLG Karlsruhe aufgefordert eine Erklärung darüber abzugeben, ob diese auch während seines Referendariats zu tragen beabsichtigt. J bejaht eine solche Absicht mit der Begründung, dass es für ihn auf gar keinen Fall in Frage käme, seine Schläfenlocken abzurasieren. Die Halacha verbiete es ihm, sein Haupthaar zu rasieren. Außerdem ginge es ihm nicht darum andere von seinem Glauben zu überzeugen, sondern es sei vielmehr seine religiöse Pflicht, an die er sich zu halten habe.
Daraufhin lehnt die Präsidentin des OLG Karlsruhe eine Aufnahme des J in den Vorbereitungsdienst ab, obwohl genügend freie Referendariatsplätze zur Verfügung stehen und J alle weiteren Voraussetzungen für eine Aufnahme erfüllt. Zwar sei seine Versicherung seine Schläfenlocken lediglich aus persönlicher Überzeugung und nicht zur Missionierung anderer zu Tragen glaubwürdig, jedoch erweise er sich als ungeeignet gem. § 5 II 1 JAG BW, da er sich weigere objektiv geltendes Recht zu befolgen. Gem. § 10 GVG gehöre es zu seinen Aufgaben als Referendar, Verfahrensbeteiligte anzuhören, Beweise zu erheben und die mündliche Verhandlung zu leiten. Gem. § 142 Abs. 3 GVG könnten Referendare ferner die Aufgaben eines Staatsanwalts übertragen werden. Jedenfalls insoweit unterfielen deshalb auch Referendare der Regelung des neuen § 21 Abs. 2 AGGVG. Das Tragen von Schläfenlocken sei jedenfalls geeignet, Zweifel an der staatlichen Neutralität, sowie der richterlichen Unabhängigkeit aufkommen zu lassen. Außerdem sei auch die negative Glaubensfreiheit etwaiger Prozessbeteiligter zu berücksichtigen.
J klagt vor den Verwaltungsgerichten gegen diese Entscheidung. Allerdings bleibt die Klage des J auch letztinstanzlich erfolglos.
Nach Verkündung des letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Urteils, erhebt J form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.
Prüfen Sie gutachterlich die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde. Hierbei sind nur die Rechte aus Art. 12 GG zu prüfen. Von der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage ist auszugehen.
E. Musteraufbau 23
Begründetheit
A. Prüfungsmaßstab und –umfang
B. der freien Berufswahl aus Art. 12 I i.V.m. Art. 3 I GG
I. Anspruch auf Ausbildung als derivative Teilhabe
1. Art. 12 I GG als Teilhaberecht 24
2. Teilhabe über Art. 3 GG
3. Stellungnahme
4. Zwischenergebnis
II. Gewährleistungsumfang
1. Persönliche Voraussetzungen
2. Sachliche Voraussetzungen
3. Zwischenergebnis
III. Rechtfertigung
1. Einschränkbarkeit (Schranken)
2. Schranken-Schranken
3. Verfassungsmäßige Anwendung im Einzelfall
a. Verkennung des Anspruchs
b. Zumutbarkeit
aa. Drei-Stufen-Theorie
bb. Legitimer Zweck
cc. Legitimes Mittel
dd. Geeignetheit
ee. Erforderlichkeit
ff. Zumutbarkeit (Angemessenheit)
IV. Ergebnis
F. Gutachten
Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde des J ist gem. Art. 93 I 4a GG begründet, wenn er durch das Urteil 25 des BVerwG in seinen Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wurde.
A. Prüfungsmaßstab und –umfang
Im vorliegenden Fall einer Urteilsverfassungsbeschwerde prüft das Bundesverfassungsgericht lediglich Verstöße gegen sog. spezifisches Verfassungsrecht, da ihm weder in Art. 93 I Nr. 4a GG, noch in § 90 I BVerfGG eine Rolle als Superrevisionsinstanz zugedacht wurde 26. Dieses Recht ist jedoch nicht bereits verletzt, wenn eine Entscheidung, gemessen am einfachen Recht, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss vielmehr und gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen (sog. Heck’sche Formel 27). Eine Grundrechtsverletzung ist somit nur gegeben, wenn das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf einer verfassungswidrigen Norm beruht, willkürlich ist, oder bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Bedeutung und Einfluss der Grundrechte grundsätzlich verkannt hat oder nicht erkannt wurde, dass Grundrechte einschlägig sind.
B. Versagung der freien Berufswahl aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG
J könnte in seinem Recht auf freie Berufswahl verletzt sein.
I. Art. 12 I GG umfasst in einem einheitlichen Grundrecht die Berufsfreiheit, welche sowohl die Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes bzw. der Ausbildungsstätte, als auch die Freiheit der Berufsausübung beinhaltet 28.
Ein Beruf ist jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient 29.
Vorliegend wird J nicht zum juristischen Vorbereitungsdienst am OLG Karlsruhe zugelassen und kann keine zweite Staatsprüfung ablegen, was ihm den Zugang zum Beruf des Richters 30, sowie zu zahlreichen anderen juristischen Tätigkeiten 31 verwehrt. Dies schränkt ihn zweifelsohne in seiner Berufsfreiheit ein. Problematisch ist an dieser Stelle allerdings, dass J gerade keinen Nutzen von Art. 12 I GG als klassisches Abwehrrecht 32 gegen den Staat machen will, sondern im Gegenteil eine Forderung an diesen, hier die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst, stellt. Fraglich ist, ob sich aus Art. 12 I GG als Freiheitsrecht ein Anspruch zur Geltendmachung dieser Forderung herleiten lässt.
1. Einerseits wird vertreten, dass, wäre Art. 12 I GG lediglich als Abwehrrecht und nicht in einer zusätzlichen Funktion als Recht auf den Zugang zu staatlich monopolisierten Ausbildungsstätten zu sehen, Art. 12 I GG in seiner Funktion als Freiheitsrecht weitestgehend leer liefe 33. Vielmehr folgt aus Art. 12 I GG ein Anspruch auf Ausbildung, das von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann und seine Grenzen als derivatives Teilhaberecht in den zur Verfügung stehenden Kapazitäten findet 34. Ein Anspruch auf Ausbildung besteht bei Knappheit der Ausbildungsplätze nach den Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit aus Art. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip unter Ausschöpfung der Kapazitäten 35.
2. Dem wird entgegengehalten, dass es für dieses Ergebnis keine Umdeutung des Art. 12 I GG bedarf, da sich der gleiche derivative Anspruch auf Zulassung aus Art. 3 GG i.V.m. Art. 12 I GG ergibt 36.
3. Zwar führen beide Konstruktionen zum selben Anspruch, sie unterscheiden sich jedoch gravierend in ihrem Gewährleistungsumfang. Würde bspw. die Zuteilung des Zugangs zu knappen, staatlich monopolisierten Ausbildungsstätten unter gezielter Nichtausschöpfung der Kapazitäten lediglich nach einem mit den Maßstäben des Art. 3 GG vereinbarem Zuteilungskonzept geschehen, so könnte der Gesetzgeber diesen zur Verfolgung von Zecken beschränken, die mit der Schaffung dieser ursprünglich nicht verfolgt wurden 37. Dies dürfte regelmäßig dem Grundgedanken von staatlichen Ausbildungsplätzen widersprechen. Wird hingegen ein Anspruch aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG zugrunde gelegt, so kommt man zu dem Ergebnis, dass subjektiv qualifizierten Bewerbern keine anderen Schranken als solche, die sich aus den Kapazitätsgrenzen ergeben, auferlegt werden dürfen 38. Die Nichtzulassung trotz vorhandener Kapazitäten wirkt mithin wie eine Berufsausübungsregelung und lässt sich, ungeachtet dessen, dass vorliegend eine Teilhabe in Rede steht, daher verfassungsrechtlich nur an den Maßstäben begründen, an denen sich ein äquivalenter Eingriff rechtfertigen ließe 39. Somit ist ein Anspruch aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip herzuleiten.
4. Es ergibt sich ein derivativer Teilhabeanspruch auf den Zugang zu staatlich monopolisierten Ausbildungsplätzen aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip.
II. Das Teilhaberecht aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip gewährleistet allen Deutschen mit subjektiver Eignung den Zugang zu staatlich monopolisierten Ausbildungsplätzen bei ausreichender Kapazität dieser. Ein einklagbarer Individualanspruch auf Schaffung neuer Ausbildungsplätze wird jedoch grundsätzlich nicht geschaffen 40.
1. J ist deutscher Staatsangehöriger i.S.d. Art. 116 I GG und hat erfolgreich sein erstes Staatsexamen abgelegt. Mithin erfüllt R alle persönlichen Voraussetzungen.
2. J wird durch Urteil der Zugang zum OLG Karlsruhe, einer nur in staatlicher Verantwortung betriebener Ausbildungsstätte, verwehrt, obwohl genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.
3. Mithin steht J ein Anspruch auf die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip zu.
III. Die Versagung des Zugangs könnte jedoch gerechtfertigt sein.
1. Zur Einschränkung des Teilhaberechts aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG bedarf es den gleichen Voraussetzungen wie zur Einschränkung des Freiheitsrechts aus Art. 12 I GG (s. oben). Nach überwiegender Auffassung ist dieses durch einen Gesetzesvorbehalt einschränkbar 41. Mithin ist auch das Teilhaberecht aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip durch Gesetz einschränkbar 42.
2. Die gesetzliche Grundlage, welche jede staatliche Beeinträchtigung gem. Art. 19 I GG bedarf, hier § 5 I JAG BW i.V.m. § 21 Abs. 2 AGGVG, ist laut Sachverhalt formell und materiell verfassungskonform.
3. Fraglich ist, ob das Urteil des BVerwG verfassungskonform ist.
a) Es ist nicht ersichtlich, ob das Gericht den Anspruch des J erkannt und ihn seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
b) Vorliegend ist daher auf die Zumutbarkeit der Einzelmaßnahme abzustellen.
aa) Nach der vom BVerfG entwickelten sog. Drei-Stufen-Theorie 43 bedarf es der Rechtfertigung einer Berufswahlregelung 44 nach subjektiven Kriterien 45 dem Schutz eines besonders 46 oder überragend wichtigen Gemeinwohlgutes 47.
bb) Die Wahrung der staatlichen Neutralität und der Schutz der negativen Glaubensfreiheit der Prozessbeteiligten, sowie der richterlichen Unabhängigkeit stellen einen legitimen Zweck dar.
cc) Das durch das BVerwG ergangene Urteil ist ein legitimes Mittel zur Durchsetzung des Zwecks.
dd) Das Urteil dient der Erreichung des Zwecks und ist somit geeignet.
ee) Es ist kein milderes aber gleich geeignetes Mittel ersichtlich, da ein Ausschluss des J von den in §§ 10; 142 III GVG genannten Ausbildungsteilen diesen in der Ausbildung benachteiligen würde.
ff) Im Weiteren ist zu prüfen, ob die Versagung des Teilhabeanspruchs des J angemessen war, d.h. ob der Schutz der beeinträchtigten Gemeingüter abstrakt höher wiegt als die Berufsfreiheit des J.
Zum einen ist anzuführen, dass die geschützten Rechtsgüter der staatlichen Neutralität und der richterlichen Unabhängigkeit extrem hoch wiegen und somit den Ansprüchen als besonders oder überragend wichtige Gemeingüter genügen. Nicht nur vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit, sondern auch als elementare Grundvoraussetzung für einen Rechtsstaat ist eine neutrale und unabhängige Justiz unabdingbar. Aus Art. 3 I GG und Art. 97 GG ergeben sich die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz, sowie die richterliche Unabhängigkeit. Jedoch bedarf es einer neutralen, i.S. einer „gerechten“ Rechtspflege gut ausgebildeter Juristen. Diese können jedoch nicht in ausreichendem Maße ausgebildet werden, wenn der Staat trotz vorhandener Kapazitäten und objektiver Eignung, Rechtsreferendaren mit willkürlich bestimmten Merkmalen, im Falle des J als Träger von Schläfenlocken, den Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst verwehrt, welcher die einzige Möglichkeit zur Erlangung der Richterwürde und damit dem Zugang zu einer aktiven Teilnahme an der Rechtspflege darstellt. Ist es heute eine bestimmte Frisur, könnten in einer nächsten Gesetzesnovellierung weitere Merkmale hinzukommen, welche die Gefahr der Bildung einer Elite juristischer Gelehrter mit sich bringt, da der Staat bestimmen könnte, wer justiziell agieren darf. Weiterhin ist zu beachten, dass J bereits das erste juristische Staatsexamen abgelegt und somit die Hälfte der juristischen Ausbildung hinter sich gebracht hat. Eine Absage würde diese Bemühungen obsolet machen und J mehrere Jahre Ausbildung rauben, da auch die private Wirtschaft nur Volljuristen, z.B. in Rechtsabteilungen, anstellt, sodass die Absage einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des J bedeutet; zumal dieser vorrangig der Tatsache geschuldet ist, dass das juristische Referat lediglich in einer staatlich monopolisierten Ausbildungsstätte absolviert werden kann. Auch die Aussage der Präsidenten des OLG, J verstoße gegen objektiv geltendes Recht scheint nicht zu überzeugen. Zwar ist das der neue § 21 II AGGVG laut Sachverhalt verfassungsgemäß, jedoch gilt dieser lediglich für Richter, Vertreter der Staatsanwaltschaft und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, also Beamte im Staatsdienst, staatliche Ausbildungsverhältnisse werden hingegen nicht erwähnt.
Wägt man nun die Folgen der Absage, welche die berufliche Zukunft des J vollends zum Erliegen brächte gegen das staatliche Gebot der Neutralität ab, erscheint die Mittel-Zweck Relation als unverhältnismäßig. In Bezug auf lebenslang verpflichtete Staatsbeamte mag eine Reglementierung der Amtstracht angebracht sein, jedoch bereits bei Zulassung zum Referendariat solch strengen Anforderungen zu stellen erscheint in jedem Falle unverhältnismäßig, da es für J keine andere Möglichkeit zur Erlangung der Richterwürde gibt. Zudem widerspricht es dem pluralistischen Weltbild des GG bestimmte Bürger von der Ausübung bestimmter Berufe auszuschließen. Die Versagung des Teilhabeanspruchs des J ist unzumutbar und mithin nicht gerechtfertigt.
IV. Die Verfassungsbeschwerde des J ist begründet und hat sofern sie zulässig ist, Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht.
E. Fazit
Wie gezeigt sind es letztlich nur feine Unterschiede zwischen dem Abwehrrecht und dem Recht auf derivative Teilhabe aus Art. 12 I GG. Diese sind jedoch entscheidend bei der Frage, was der Kläger vom Staat begehrt; will er ein explizites Tätigwerden des Staates oder will er gerade dieses verhindern?
Sind die Unterschiede bekannt sollten diese unbedingt in die Fallbearbeitung eingebracht werden, um dem Korrektor zu zeigen, dass vertiefte dogmatische Kenntnisse vorhanden sind, welche dieser sicherlich mit dem ein oder anderen Extrapunkt oder zumindest einer wohlwollenden Bewertung honorieren wird.
* Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der Beitrag geht zurück auf eine Hausarbeit im Rahmen der Übung für Anfänger II im WS 2013/2014. Prof. Dr. Ulrich Haltern und Dr. Benjamin Rusteberg gilt mein persönlicher Dank.
Fußnoten:
- Vgl. z.B. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 29 Aufl. (2013), Rn. 75; Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG (2013), S. 7 Rn. 3. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 87, 94ff.; an dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass sich die Funktionen der Grundrechte nicht lediglich auf die hier dargestellten Status beschränken, sondern noch weitere Funktionen, z.B. als institutionelle Gewährleistungen oder wertentscheidende Grundsatznormen. Vgl. hierzu z.B. Ossenbühl, NJW 1976, 2100 f; Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG (2013), Vorbem. Rn. 26 ff. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 86. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 86. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 87. ↩
- BVerfGE 7, 198 – Lüth. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 87. ↩
- Voßkuhle /Kaiser in: JuS 5/2011, 411. ↩
- Vgl. Laubinger, VerwArch 1989, 261/299. ↩
- Näher hierzu Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 97 f. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 87. ↩
- Voßkuhle /Kaiser in: JuS 5/2011, 411. ↩
- Voßkuhle /Kaiser in: JuS 5/2011, 411. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 114; ders. Allgemeine Staatslehre 3. Aufl. (1914), S. 419 f. ↩
- Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 29 Aufl. (2013), Rn. 78. ↩
- Vgl. etwa Kloepfer, Verfassungsrecht, 2 Bände 201/2011, § 48 Rn. 22 ff.; Ruffert in: Beck’scher Onlinekommentar GG Edition 19, (Stand: 1.11.2013, Art. 12 Rn. 25) Vgl. etwa Kloepfer, Verfassungsrecht, 2 Bände 201/2011, § 48 Rn. 22 ff.; Ruffert in: Beck’scher Onlinekommentar GG Edition 19, (Stand: 1.11.2013, Art. 12 Rn. 25). ↩
- Danwerth in: JuS 5/2011, 410. ↩
- Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905), S. 87. ↩
- Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG (2013), S. 7 Rn. 32. ↩
- Häberle in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 (86). ↩
- Näher hierzu: Brugger in: Zum Verhältnis von Menschenbild und Menschenrechten, erschienen in: Vom Rechte, das mit uns geboren ist, (2007); ders. in: Freiheit und Sicherheit, (2004), Kap. III. ↩
- Der nachfolgende Sachverhalt lehnt sich an den Sachverhalt der Hausarbeit in der Übung für Anfänger II im WS 2013/14 bei Prof. Dr. Ulrich Haltern und Dr. Benjamin Rusteberg (beide Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.) an. ↩
- Dieser Aufbau dient lediglich als Vorschlag und erhebt keinen Anspruch darauf, die einzig vertretbare Lösung darzustellen. Weiter ist zu beachten, dass der Aufbau selbst an keiner Stelle, weder in Klausur, noch in der Hausarbeit zu begründen ist. ↩
- Der hier angeführte Meinungsstreit ist m. E. nur für Hausarbeiten geeignet, da dieser zu ausschweifend und dogmatisch sehr speziell ist. Für die Klausur reicht eine Kenntnis darüber, dass ein solcher Anspruch überhaupt existiert. Zur Vollständigkeit wird er hier jedoch erläutert. ↩
- Zugrunde gelegt wird eine Urteilsverfassungsbeschwerde, da es dem BVerfG gem. § 95 II BVerfGG nicht obliegt im Ausgangsstreit zu entscheiden, da dies die Aufgabe der Fachgerichte ist. Näher hierzu: Fleury, Verfassungsprozessrecht, 8. Aufl. (2009), S. 57; a.A. Michael/Morlok in: Grundrechte, 3. Aufl. (2012), § 30 Rn. 923. ↩
- BVerfGE 7, 198 (207). ↩
- Vgl. BVerfGE 18, 85 (92). ↩
- Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 28. Aufl. (2012), S. 214 Rn. 878. ↩
- Vgl. u.a. BVerfGE 102, 197 (212); 110, 304 (321). ↩
- Vgl. § 5 I DRiG (Bek. v. 19. 4.1972 I 713). ↩
- Vgl. z.B. § 4 BROA (Bek. v. 10.10.2013); § 122 I DRiG (Bek. v. 19. 4.1972 I 713). ↩
- Vgl. Michael/Morlok, Grundrechte 3. Aufl. (2012), § 12 Rn. 542 f. ↩
- So BVerfG, E 33, 303 (331 f.); 43, 291 (313ff.). ↩
- Murswiek in: Grundrechte als Teilhaberechte § 192 Rn. 85 in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. (2011). ↩
- Murswiek in: Grundrechte als Teilhaberechte § 192 Rn. 85 in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. (2011); Heintschel von Heinegg/Haltern, JA 95, 305. ↩
- so Ossenbühl, NJW 1976, 2100. ↩
- Murswiek in: Grundrechte als Teilhaberecht § 192 Rn. 85 in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. (2011). ↩
- A.a.O.; BVerfGE 33, 303. ↩
- Vgl. hierzu Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S. 335. ↩
- Heintschel von Heinegg/Haltern, JA 95, 305, vgl. auch oben II. 3. ↩
- Oberrath, Öffentliches Recht, 4. Aufl. (2012), S. 60 Rn. 228. ↩
- In einem umfassenderen Gutachten, in welchem auch Art. 4 I GG zu prüfen ist, gäbe es vorliegend einen Fall der sog. Idealkonkurrenz zwischen zwei Grundrechten. In diesem Falle wäre die Versagung nur gerechtfertigt, wenn sie den Rechtfertigungsgründen des stärkeren Grundrechts, in diesem Falle den verfassungsimmanenten Schranken des Art. 4 I, genügten. Näher hierzu: z.B. Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG (2013), Vorbem. Rn. 88 f. ↩
- BVerfGE 7, 377 ff.; näher zur Drei-Stufen-Theorie: z.B. Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG (2013), Art. 12 Rn. 53 ff. ↩
- Diese ist vorliegend anzunehmen, da sich eine Nichtzulassung trotz vorhandener Kapazitäten faktisch wie eine solche auswirkt. Vgl. hierzu: Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung (1983), S. 335. ↩
- Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 3. Aufl. (2011), § 35 Rn. 31. ↩
- BVerfGE 13, 97, 107. ↩
- BVerfGE 69, 209, 218. ↩