von stud. iur. Nadine Schlett*
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Ein Mann, der als „Jahrhundert-Jurist“ in die Geschichte der Rechtswissenschaften einging, der erfolgreich „geschichtliche Rechtswissenschaft“ betrieb und zum Reformator des Zivilrechts wurde: Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Flume setzte sich gegen den Zeitgeist des 20. Jahrhunderts zur Wehr und beeinflusste die damaligen Meinungsstände in der Jurisprudenz nachhaltig. Bei kritischen Auseinandersetzungen mit seinen Zeitgenossen entgegnete er diesen gerne ein „Dissentio!“ und forderte eine Auslegung und Fortbildung des Rechts in Anlehnung an die römischen Quellen.
Dass es zuweilen nicht einfach sein kann, ein „Mann der anderen Meinung“ zu sein, zeigt sein Werdegang.
Werner Flume wurde am 12. September 1908 im westfälischen Kamen geboren. Nach dem Abitur 1927 an einem humanistischen Gymnasium, nahm er zunächst ein Studium der Geschichte und alter Sprachen an der Universität Tübingen auf. Der Besuch einer Vorlesung mit dem Namen „Grundzüge des Bürgerlichen Rechts mit schriftlichen Arbeiten“ von Philipp Heck 1 begeisterte ihn allerdings so sehr, dass er das Fach wechselte und ein Student der Rechtswissenschaften wurde. Unter der Obhut und Anleitung seines akademischen Lehrers Fritz Schulz, einem angesehenen Romanisten und Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Bonn, der seinerzeit an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg habilitierte, war sein weiterer Weg eigentlich vorbestimmt: Nach dem Examen 1931 promovierte Flume bei Fritz Schulz mit einer Arbeit aus dem Römischen Recht 2 in Berlin. Rasch im Anschluss fertigte er eine Schrift zu Habilitationszwecken an.
Doch die Geschichte machte eine Kehrtwende und durchkreuzte seine bislang geschmiedeten Pläne. Als sich in den 30er Jahren das nationalsozialistische Regime etablierte, hatte dies auch Folgen für das universitäre Leben. Flumes Mentor Fritz Schulz musste, da er mütterlicherseits jüdische Wurzeln besaß und mit der Tochter eines Rabbiners verheiratet war, 1933 seine Stelle an der Berliner Universität aufgeben. 1935 wurde er zwangsemeritiert und musste in letzter Konsequenz Deutschland verlassen. Flume begehrte, anders als einige seiner Kollegen, gegen dieses Vorgehen auf und legte sich wörtlich mit einem SA-Dozentenschaftsführer an („Schwein!“), als dieser öffentlich gegen Professoren jüdischer Abstammung propagierte. Negativ in Erscheinung getreten, wurde Flume selbst zum Gehetzten; zwar blieb ihm eine angedrohte Einweisung in ein Konzentrationslager erspart; die bereits im März 1933 beantragte Habilitation an der Berliner Universität durfte er jedoch nicht mehr fortsetzen. Eine Aussicht auf eine akademische Karriere schien er mit seinem widerstrebenden Verhalten eingebüßt zu haben. Er kehrte der Alma Mater zwangsläufig den Rücken, im Gepäck allerdings die Treue zu seinen Grundsätzen und entscheidendes juristisches Fachwissen.
Für Werner Flume sollte diese Zäsur im Nachhinein keinen Nachteil darstellen. Er selbst bezeichnet diese Wendung in seinem Leben sogar als Glück 3 und betrachtet die folgende Zeit als seine praktischen Lehrjahre 4. Flume weitete seine Tätigkeiten als Syndikus in einem Druck- und Verlagskonzern aus, die er bereits während des Referendarsdiensts begonnen hatte, kam zunehmend mit dem Steuer- und Gesellschaftsrecht in Berührung und erhielt schon bald eine führende Position. Nach der schließlich doch nicht unvermeidbaren Einberufung 1944, der Flucht aus der russisch besetzen Zone und nach kurzer amerikanischer Gefangenschaft, war der Krieg beendet und Flume nahm anwaltliche Tätigkeiten als Justitiar in einem Hüttenwerk auf.
Zeitgleich begann auch seine journalistische Karriere. Artikel und juristische Fachbeiträge, vornehmlich zum Steuerrecht, erschienen fortan ab 1946 im Handelsblatt, mit dessen Chefredakteur Friedrich Vogel er befreundet war, aus der Feder Werner Flumes. Er galt als „Souffleur des Verlegers“ 5 und war respektierter Zensor der Zeitung, deren „Charakter er weitgehend mitbestimmte“ 6. 1948 zählte er zu den Gründervätern der als Beigabe zum Handelsblatt erschienenen Fachzeitschrift „Der Betrieb“, die betriebswirtschaftliche, steuerrechtliche, wirtschafts- und arbeitsrechtliche Themen bearbeitet und erläutert und sich bis heute als Ratgeber für Unternehmen versteht. 7
Er soll dabei der einzige deutsche Ordinarius gewesen sein, der schreiben konnte wann immer er wollte 8; seine Meinung erfuhr auch in Kreisen der Printmedien Anerkennung und Respekt, die er auch äußerst direkt zu verkünden vermochte. So berichtet Hans Mundorf, ehemaliger Chefredakteur des Handelsblattes, über ein prägnantes Erlebnis aus seiner Zeit als junger Redakteur beim Handelsblatt, als er einen Leitartikel zum Steuerrecht verfasste, der „wohl eher um die Gunst des Lesers buhlte“, wie er es später ausdrückt, und fachlich nicht sehr in die Tiefe ging. Flumes Bewertung erschöpfte sich in wenigen, aber ausgewählten Worten am Telefon: „Hier Flume! Getretener Quark wird breit, nicht stark! Guten Tag!“. 9
Es gelang Werner Flume jedoch auch wieder der Einstieg in die wissenschaftliche Welt. 1946 habilitierte Flume bei Wolfgang Kunkel an der Universität Bonn mit der Schrift „Vererblichkeit der suspensiv bedingten Obligationen nach klassischem römischem Recht“ und folgte dann 1949 dem Ruf an die Universität Göttingen, kehrte 1953 schließlich wieder zurück nach Bonn und blieb dort bis zu seiner Emeritierung 1976 – einen Ruf nach Heidelberg 1959 lehnte er ab. Besonders zeigt sich in diesem Zusammenhang Werner Flumes Leidenschaft für die Lehre bis ins hohe Alter und die Faszination, die er als Lehrperson auslöste. Er zog seine Studenten in den Bann, hielt zuweilen achtstündige Vorlesungen (für Anfänger!) und brachte gleichwohl riesige Hörsäle zum Überquellen 10. Seine Schüler, die ihm zahlreiche Festschriften im Laufe seines langen Lebens widmeten, sind selbst bedeutenden Juristen geworden. Hier wären beispielsweise Horst Heinrich Jakobs, Brigitte Knobbe-Keuk, Eduard Picker und Jan Wilhelm zu nennen. 11 Die Förderung des Nachwuchses lag ihm stark am Herzen. Mit seinen Worten: „Denn die Schüler sind es, welche die Fackel weiterzutragen haben.“ 12
Die 68er-Bewegung und seine Studenten, die auch das universitäre Leben ins Wanken geraten ließen, lehnte er allerdings kategorisch ab. Zu sehr schätze er die Universität als solche, ihren Auftrag und ihre Unabhängigkeit – war sie ihm in all den Jahren doch auch Heimat geworden. Man sagt, dass die Konflikte in den 1960er Jahren auch seine Gesundheit schwer belasteten – seinen Standpunkt aufzugeben aber war kein Teil seiner Persönlichkeit. Er verstand sich als Souverän und vertrat seine Ansichten mit Entschiedenheit, was ihn für Manchen bisweilen auch unerbittlich scheinen ließ. Gerhard Kegel beschreibt Werner Flumes Aufnahme in die Rheinische-Westfälische Akademie der Wissenschaften. So hieß es in der Begründung des Antrags: „Er wird für Bewegung sorgen wie der Hecht im Karpfenteich.“, worauf ein Theologe entgegnete: „Und wir sind die Karpfen!“. 13
„Werner Flume hat die Kraft des römischen Rechts wiederentdeckt, aus dessen Geist das Zivilrecht interpretiert und das Steuerrecht systematisiert“ 14 – treffender als Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung kann man das juristische Werk Werner Flumes wahrscheinlich nicht beschreiben.
Besonders hervorzuheben ist unter der Vielzahl seiner Veröffentlichungen dabei die Schrift „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ von 1948 (Nachdruck 1979) – ein Problem, das jedem Jurastudenten spätestens in der Zivilrechts-Übung für Vorgerückte begegnet: Flume entwickelt hier, entgegen der ganz h.M., den sog. „subjektiven Fehlerbegriff“, welcher nach der Schuldrechtsreform bekanntlich im § 434 Einzug ins Gesetz gefunden hat.
Darüber hinaus gilt es das drei Bände umfassende Lehrbuch zum „Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts“ zu erwähnen. 1965 erscheint hiervon Band II, „Das Rechtsgeschäft“ 15. Längst ist es ein „Klassiker“ geworden. Flume ficht hier vor allem für die Privatautonomie. Entgegen der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts möchte er das Recht methodologisch aus der geschichtlichen Tradition heraus verstanden wissen. 16 Seine Meinung – zur selben Zeit oft mit „a.A. Flume“ kommentiert – wird sich durchsetzen, der Band wurde 1992 zum vierten Mal aufgelegt.
Dass er erfolgreich „geschichtliche Rechtwissenschaft“ betrieb zeigt sich in „Rechtsakt und Rechtsverhältnis; Römische Jurisprudenz und modernrechtliches Denken“ von 1990: Flume bezeichnet in einer treffenden These die Unterschiede des heutigen juristischen Denkens zum Denken der Römer über Schuldverhältnisse und ihre jeweiligen Auswirkungen.
Im Schlussvortrag „Richter und Recht“ auf dem 46. Deutschen Juristentag 1966 wird sein eigenständiges Denken im Anschluss an die Pandektisten, voran Savigny offenbar: Flume fordert eine Rückbesinnung auf den Rechtspositivismus und erklärt den Richter vor allem an das „Recht“ und nicht nur an das „Gesetz“ gebunden. Der Rechtssatz wiederum muss, seiner Meinung nach, als Bemühung um die Verwirklichung des Rechts verstanden und in der Praxis dementsprechend gehandhabt werden 17. Des Weiteren benannt werden müssen Werner Flumes stetig fortgeführten Untersuchungen zur ungerechtfertigten Bereicherung. 18 Auf Flume ist insbesondere der Begriff der „vermögensmäßigen Entscheidung“ des Schuldners in Bezug auf die Problematik der Begrenzung des Bereicherungsanspruchs durch den Wegfall der Bereicherung nach § 818 III zurückzuführen. 19
Werner Flumes Tod jährte sich am 28. 1. 2014 zum fünften Mal. Er starb 2009 kurz nach seinem hundertsten Geburtstag in Bad Godesberg.
Werner Flumes Lebensweg und sein Werk verdeutlichen eine im Ergebnis konsequente Haltung: Es soll nicht gelten, eine Karriere um ihrer selbst willen anzustreben und selbständiges Denken auf ein bequemes Maß zu drosseln, sondern mit Mut und Überzeugungskraft notwendige Reformen zu erwirken. Die „sententia“ des Werner Flume ließ ihn ein monumentum aere perennius schaffen, eine Leistung, die im Vergleich mit Flumes Meistern, vor allem mit Savigny, – wie Wolfgang Ernst meint – „als gleichrangige Quelle juristischer Inspiration erkannt und genutzt werden möge“ 20.
* Die Autorin ist derzeit Studentin der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im fünften Semester.
Fußnoten:
- Lobinger, ZJS 2008, 675, 675. ↩
- Flume, Studien zur Akzessorietät der römischen Bürgschaftsstipulationen, 1932. ↩
- Lobinger, ZJS 2008, 675, 675. ↩
- Hüttemann, NJW 2009, 820, 820. ↩
- Prantl, Feuerkopf senior, http://www.sueddeutsche.de/kultur/werner-flume-gestorben-feuerkopf-senior-1.469008 vom 17.05.2010, 21:29 Uhr.
Mundorf, Der Jahrhundertjurist, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/werner-flume-der-jahrhundertjurist/3019792.html vom 11.09.2008, 07:02 Uhr. ↩
- Mundorf, Der Jahrhundertjurist, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/werner-flume-der-jahrhundertjurist/3019792.html vom 11.09.2008, 07:02 Uhr. ↩
- Groh, DB 2009, S. 1. ↩
- Prantl, Feuerkopf senior, http://www.sueddeutsche.de/kultur/werner-flume-gestorben-feuerkopf-senior-1.469008 vom 17.05.2010, 21:29 Uhr. ↩
- Mundorf, Der Jahrhundertjurist, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/werner-flume-der-jahrhundertjurist/3019792.html vom 11.09.2008, 07:02 Uhr. ↩
- Picker, NJW 1983, 2015, 2015. ↩
- Lobinger, ZJS 2008, 675, 676. ↩
- Flume, Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 1997, S. 7. ↩
- Kegel, NJW 1988, 2352, 2352. ↩
- Prantl, Feuerkopf senior, http://www.sueddeutsche.de/kultur/werner-flume-gestorben-feuerkopf-senior-1.469008 vom 17.05.2010, 21:29 Uhr. ↩
- Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 1992, S. 282. ↩
- Lobinger, ZJS 2008, 675, 677. ↩
- Lobinger, ZJS 2008, 675, 679; Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II. ↩
- z.B.: Flume, FS-Niedermeyer 1953, S. 155. ↩
- Medicus, Jahrbuch der Bayrischen Akademie der Wissenschaften 2009, S. 233. ↩
- Ernst, NJW 2008, 2760, 2760. ↩