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Europarecht im Theater

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Das Ensemble-Projekt „Die europäische Verfassung – Eine Verzettelung“

am Stadttheater Freiburg

von stud. jur. Claudia Kornmeier, Universität Freiburg

Am Stadttheater Freiburg inszeniert Christoph Frick das Ensemble-Projekt „Die europäische Verfassung – Eine Verzettelung“. Die Inszenierung ist Teil des Projekts „Festung Europa“. Nachdem das Theater in der vergangenen Spielzeit die These „Europa wird kulturell sein oder es wird nicht sein“ an seiner Fassade plakatiert hatte, will es sich nun auf der Bühne mit dem Thema befassen.

Aber wie bringt man die Europäische Verfassung auf die Bühne? „Die Verfassung Europas als Theaterprojekt – das heißt, einen Gegenstand zu untersuchen, den keiner kennt“ kündigt das Theater an.

Knapp neun Jahre sind vergangen seit der Europäische Konvent seine Arbeit aufgenommen hat und einen Entwurf für eine Verfassung für Europa vorgelegt hat. Aus dem Vertrag über eine Verfassung für Europa ist der Vertrag von Lissabon geworden. Mehrere Regierungskonferenzen, Ratssitzungen und gescheiterte Ratifikationsprozesse wurden abgehalten. Die Europäische Union hat sich um zwölf Staaten vergrößert. Und es gilt noch immer der Vertrag von Nizza.

In der Inszenierung schlüpft das Ensemble in die Rolle dreier Abgeordneten des Europäischen Parlaments: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte; die drei ähneln einander zum Verwechseln, erscheinen gleichsam austauschbar. Mal wuseln sie hektisch um Tische und Stühle herum, mal räkeln sie sich träge im Sessel. Jede Bewegung scheint Planlosigkeit auszudrücken. Auf der Bühne herrscht Chaos: Stapel von Aktentaschen, Aktendeckeln, Büromaterial, Kaffeemaschinen und -tassen. Sprachen wechseln wild durcheinander, Nationalhymnen werden im Original intoniert, aus Zeitgründen und ob der großen Anzahl auch parallel. Wer hier wen versteht und ab wann nicht mehr, bleibt offen.

Die Schauspieler verlesen den Originaltext des Verfassungsvertrags (nicht die konsolidierte Fassung), die Tagesordnung oder das Protokoll einer Sitzung. Und das Publikum hat den Eindruck hier trage ein Kabarettist seinen neuesten Text vor. Selbst abgehärtete Juristen müssen bei dieser direkten Konfrontation (mit ihren eigenen Texten) ob der ungewollten Komik lachen.

Die Inszenierung behandelt auch aktuelle europapolitische Themen. Eben noch Abgeordnete schlüpfen die Schauspieler in die Rollen von Thunfischfischer und den Regierungsvertretern von Malta und dem Libanon. Was folgt, ist eine bitterkomische Karikatur der europäischen Asylpolitik.

Im Anschluss an die Vorstellung lädt das Theater zur Diskussion mit Experten ein. Die Bandbreite ist weit: ein Europaabgeordneter, Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaftler, ein Ökonom. Im November stellte sich Prof. Dr. Murswiek der Diskussion. Am 9. Januar kommenden Jahres folgt Prof. Dr. Hochhuth.

Während der Diskussion saßen zwar viele Juristen im Publikum. Aber nicht ausschließlich. Das verdeutlichte die Notwendigkeit, die Komplexität der juristischen Sachverhalte und Argumente, die dem europäischen Reformprozess zugrunde liegen, einem Laien verständlich zu erklären. Das immer wieder propagierte Ziel also: Europa, seinen Bürgern näher zu bringen. Dieser Kommunikationsprozess obliegt aber nicht nur den „Berufseuropäern“, sondern jedem „Experten“ – also gerade auch uns Juristen.


Ausgabe 3/2008 – Wirtschaftsrecht

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Der Markt wächst und wächst. Dieses Sprichwort scheint fast so alt wie die Menschheit selbst zu sein. Aber gerade in heutiger Zeit scheinen damit auch immer mehr Probleme zusammenzuhängen. Der globale Markt entwickelt sich ständig, über nationale Grenzen hinfort – umso mehr häufen sich internationale Probleme.

Inwieweit kann und muss der Staat in dieses System eingreifen?

Welcher Freiraum steht Unternehmen und ihren Vorständen bei ihrem Handel zu und inwieweit müssen sie dabei kontrolliert werden? Inwieweit muss ein Unternehmen transparent werden und wie weit muss diese Transparenz reichen? Wieviel Transparenz ist für den Bürger überhaupt noch verständlich? Soll und wird es das „gläserne Unternehmen“ geben?
Wer muss wirklich geschützt werden? Der Investor oder der Unternehmer?

Außerdem werden von Herstellern und Unternehmern immer gezielter, durch Payback-Karten und gezielte Bestellungsanalysen, das Einkaufsverhalten der Kunden in den Blick genommen. Wie viel gibt der Kunde in solchen System – auch unbewusst – von sich preis? Was sind die Vorteile dieser Systeme für ihre Auftraggeber?

In unserer Rubrik Studieren in Freiburg werden dieses Mal das Colloquium Politicum und insbesondere die Europa-Rede des Präsidenten des Europäischen Parlamentes Hans-Gert Pöttering in den Blick genommen. Im europarechtlichen Kontext fand auch, zum wiederholten Male, die Veranstaltung „Einführung in das Nordische Recht“ für Studenten statt. Nicht nur die Artikel zum Schwerpunktthema behandeln internationale Ereignisse, sondern auch die Erfahrungsberichte setzten dies fort und informieren aus New York vom Kongress der National Model United Nations  (NMUN), aus Indien und über das LL.M. Studium in den USA.

Wir möchten nochmals auf unseren neu eingerichteten Leserservice hinweisen. Mit Emails an leser@freilaw.de könnt ihr Anmerkungen, Lob und Kritik zu den Artikeln an unsere Redaktion schicken.

Euer Freilaw Team

Die Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation in Deutschland und den USA

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von stud. jur. David Eckner, Universität Düsseldorf

I. Einleitung

„Well, we are against fraud, aren’t we?“ brachte Sumner Pike im Jahr 1942 vor die SEC, womit die U.S.A. erstmalig eine allgemeine Kapitalmarktinformationshaftung einführte. Mehr als 50 Jahre später ringen die Obergerichte und der BGH um die Nachwehen des Neuen Marktes, die nicht nur den Finanzplatz Deutschland, sondern auch die Anleger in ihrem Vertrauen auf die Integrität des Kapitalmarktes erheblich negativ beeinflusst haben. In einer Zeit, in der eine spezialgesetzliche Kapitalmarktinformationshaftung in Deutschland am nötigsten gebraucht wurde, hat die Rechtsprechung auf allgemeine Haftungsgrundsätze zurückgreifen müssen.
Durch die Implementierung der §§ 37b, 37c WpHG hat der Gesetzgeber nunmehr eine Anspruchsgrundlage für fehlerhafte Ad-hoc-Meldungen geschaffen, der sich auch die Rechtsprechung in Zukunft bedienen soll. Wie dies geschehen soll und auf welche Probleme die Gerichte sowie Kläger- und Beklagtenvertreter stoßen werden, ist Gegenstand dieses Beitrags.
Der Beitrag analysiert die für den Sekundärmarkt entwickelten Regelungen des WpHG (II.) für Schadensersatzleistungen aufgrund fehlerhafter Kapitalmarktinformationen und skizziert anschließend in einer rechtsvergleichenden Umschau das U.S.-amerikanische Haftungssystem (III.). Daraufhin werden Anregungen für die Rezeption sowie die Gemeinsamkeiten der Kapitalmarktinformationshaftungen aufgezeigt (IV.).

 

II. §§ 37b, 37c WpHG als Nukleus der Kapitalmarktinformationshaftung auf dem Sekundärmarkt

Dem kapitalmarktinformationsrechtlichen Haftungssystem ist eine überaus nennenswerte Komplexität inhärent, die sich insbesondere durch eine Vielzahl konkurrierender Anspruchsgrundlagen auszeichnet. Diese Ausgangslage macht eine Standortbestimmung erforderlich, die auf die Einordnung der Kapitalmarktinformationshaftung nach §§ 37b, 37c WpHG abzielt.

1. Entstehungsgeschichte und Regelungsziel

Die Haftungstatbestände §§ 37b, 37c WpHG wurden durch das am 1. Juli 2002 in Kraft getretene 4. FMFG als eigenständige Anspruchsgrundlagen in das WpHG eingepflegt.1
Ausgangspunkt für die Schaffung einer spezialgesetzlichen Norm der Kapitalmarktinformationshaftung auf dem Sekundärmarkt waren die zunehmend fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen am Neuen Markt in den Jahren 2000 und 2001, sowie die materielle und prozessuale Problematik für Anleger, Schadensersatz geltend zu machen.2 Der fehlgeschlagene Versuch der Einführung eines KapInHaG, das eine allgemeine Erklärungshaftung vorsah3, führte jedenfalls dazu, dass die bis dato umstrittenen §§ 37b, 37c WpHG beibehalten wurden.4 Eine Fortentwicklung erfuhren die Normen dann jedoch durch die Marktmissbrauchs-Richtlinie bzw. das AnSVG vom 28. 10. 2004, welche eine redaktionelle Anpassung wegen der Änderung des § 15 WpHG erforderlich machte.5
Das Regelungsziel der Anspruchsgrundlagen §§ 37b, 37c WpHG ist das Interesse des Anlegers an eine ordnungsgemäße Erfüllung der Publizitätspflicht des Emittenten nach § 15 WpHG in Anknüpfung an einen Schadensersatz im Falle der Verletzung zu schützen.6 Damit knüpfen die Tatbestände der Haftungsnormen an die Ad-hoc-Publizität des § 15 WpHG. § 15 WpHG dient wiederum der informationellen Chancengleichheit sowie der Verhütung von Insiderhandel i.S.v. §§ 12 ff. WpHG. Damit zielt die Ad-hoc-Publizitätspflicht jedoch primär auf die Funktionsfähigkeit des Marktes und damit nicht auf die individuellen Interessen der Marktteilnehmer respektive Anleger.7 §§ 37b, 37c WpHG sollen jedoch gerade einen erheblichen Beitrag zum Anlegerschutz leisten.8 Diese Indifferenz will durch die Beziehung der Normen zueinander behoben werden.9 Der ausdrückliche Verweis möglicher Schadensersatzansprüche des Anlegers im Falle einer fehlerhaften Ad-hoc-Meldung in § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG führt zu Tage, dass der Anleger nunmehr unmittelbar und nicht mehr nur reflexartig geschützt ist.10 Damit konstituiert sich das Regelungsziel der Normen durch das 4. FMFG deutlicher und dem Bedarf eines reformierten Anlegerschutzes ist augenscheinlich Rechnung getragen.
Der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke lässt sich im Hinblick auf § 15 WpHG weitergehend darstellen. Verspätete oder unterlassene Ad-hoc-Meldungen führen zu einer fehlerhaften Preisbildung am Kapitalmarkt, die sich wiederum kursintensiv auf die Werte der Anleger auswirken können.11 Das bislang vorherrschende Sanktionsdefizit, dass für den geschädigten Anleger bei Verletzungen des § 15 WpHG, soll daher durch die §§ 37b, 37c WpHG beseitigt werden.12 Damit konzentriert sich der Schutzzweck der Normen auf die Entschädigung solcher Anleger, die aufgrund einer fehlerhaften Ad-hoc-Meldung ihre Finanzinstrumente zu teuer gekauft oder zu billig verkauft haben.13

2. Systematisierung der Schadensersatzleistungen und Kapitalmarktinformationen

Die Unterteilung von Informationspflichten und Rechtsfolgen der Verletzung von Informationspflichten kann in Anbetracht der Segmente des Kapitalmarktes unternommen werden. Dahingehend unterscheidet man spezielle Informationen und Schadensersatzansprüche auf dem Primär- und Sekundärmarkt.
Der Primärmarkt bezeichnet einen Kapitalmarkt, an dem erstmalig Wertpapiere an Anleger begeben werden.14 Primärmarktinformationen erfolgen über den Börsenzulassungsprospekt.15 Die Kapitalmarktinformationshaftung auf dem Primärmarkt ist auf die Börsenprospekthaftung der §§ 44 ff. BörsG i.V.m. §§ 13, 13a VerkProspG konzentriert. § 44 Abs. 1 S. 1 BörsG stellt dem Anleger von am Markt zugelassenen Wertpapieren, für deren Beurteilung wesentliche Informationen unrichtig oder unvollständig sind, gegenüber dem Emittenten zwei Kompensationsmöglichkeiten anheim.16
Der Sekundärmarkt ist dadurch gekennzeichnet, dass die bereits emittierten Kapitalmarktpapiere nunmehr in börsenorganisierten oder außerbörslichen Märkten gehandelt und zirkuliert werden können.17 Insoweit trifft den Emittenten nach der Zulassung am Primärmarkt eine Reihe an Publizitätsfolgepflichten am Sekundärmarkt.18 In Betracht kommen Informationspflichten aus den einzelnen Börsenordnungen (z.B. §§ 62 bis 66 BörsO FWB), dem WpHG (z.B. §§ 15, 15a, 26, 30a-c, 37v-y) und WpÜG (z.B. §§ 10 Abs. 1 S. 1, 11 Abs. 1 S. 1) sowie aktienrechtliche Publizitätspflichten (§ 161 AktG).
Eine der zentralen und überaus bedeutsamen Informationspflichten besteht nach § 15 WpHG.19 § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG konstituiert für börsennotierte Gesellschaften die Pflicht zur Veröffentlichung von nicht öffentlich bekannten Informationen, die sie selbst unmittelbar betreffen und bei nicht unverzüglicher Veröffentlichung geeignet sind, den Wert des Finanzinstruments erheblich zu beeinflussen. Diese sog. Ad-hoc-Publizität findet erstmals seit Inkrafttreten des 4. FMFG eine zentrale und eigenständige Anspruchsgrundlage bei Verletzungen seitens des Emittenten in §§ 37b, 37c WpHG, wie § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG ausdrücklich vorsieht. Insoweit ergänzen die §§ 37b, 37c WpHG für den Sekundärmarkt die Börsenprospekthaftung der §§ 44 ff. BörsG am Primärmarkt.20Erwähnenswert ist neben den vorbenannten Haftungsgrundlagen noch die Einstandspflicht des Emittenten bei fehlerhafter Regelpublizität seitens seiner Organmitglieder. Diese Haftung istauf deliktische Anspruchsgrundlagen, v.a. §§ 823 Abs. 2 (i.V.m. §§ 331 Nr. 1,2, 334 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG), 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog konzentriert.21 Die Ad-hoc-Publizität ergänzt damit die Regelpublizitätspflichten und sonstige Informationen22, in dem sie den Emittenten von Finanzinstrumenten zur Veröffentlichung von kurserheblichen, anlassbezogenen Meldungen verpflichtet. 23

3. Der haftungsbegründende Tatbestand der §§ 37b, 37c WpHG

§§ 37b Abs. 1, 37c Abs. 1 WpHG entsprechen weitestgehend dem Tatbestand der Ad-hoc-Publizitätspflicht, weshalb im Folgenden vereinzelnd auf die Voraussetzungen des § 15 WpHG eingegangen werden muss.

a) Anspruchsberechtigter und Anspruchsgegner

Die Entstehungsgeschichte der §§ 37b, 37c WpHG hat gezeigt, dass die Ansprüche zum Schutz von Anlegern vor fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen existieren. Anspruchsinhaber ist folglich, wer durch die verwirklichten Tatbestandshandlungen der §§ 37b Abs. 1, 37c Abs. 1 WpHG einen Schaden erlitten hat. Nach den Gesetzesmaterialien ist dies der Fall, wenn ein Anleger aufgrund der Fehlinformation „zu teuer“ gekauft oder „zu billig“ verkauft hat.24 Insoweit werden erwerbende Neuanleger, die infolge der tatbestandsmäßigen Handlungen des Emittenten das Finanzinstrument erworben haben und noch besitzen, sowie veräußernde Altanleger, die bereits vor der tatbestandsmäßigen Handlung Inhaber waren und infolge der Fehlinformation das Kapitalmarktpapier veräußert haben, erfasst.25 Sonstige Anspruchsberechtigte kommen nicht in Betracht. Insbesondere scheiden potentielle Neuerwerber und Altanleger, die durch falsche Informationen von einer geplanten Veräußerungen zurückgetreten sind, aus.26 Beiden Anlegergruppen fehlt insoweit die Aktivlegitimation.27 Dies ist damit zu begründen, dass die vorbenannten Anleger gerade keine, für §§ 37b, 37c WpHG zwingend erforderliche Transaktionsentscheidung getroffen und damit regelmäßig auch keinen Schaden erlitten haben.28
Nach dem gesetzlichen Wortlaut der §§ 37b Abs. 1, 37c Abs. 1 WpHG richten sich die Ansprüche gegen den Emittenten von Finanzinstrumenten, die an einer inländischen Börse zugelassen sind.29 Nach dem Wortlaut der Normen ist also ausschließlicher Haftungsadressat der Emittent. Den §§ 37b, 37c WpHG ist das Auswirkungsprinzip inhärent. Danach werden nicht nur Emittenten, die einen Sitz im Inland haben, erfasst, sondern auch ausländische Gesellschaften, deren Finanzinstrumente im Inland zugelassen sind.30 Problematisch ist indes eine Haftung der Verwaltungsmitglieder des Emittenten gem. §§ 37b, 37c WpHG. Einige Vertreter der Sonderdeliktstheorie wollen die Haftungstatbestände des WpHG über § 830 Abs. 1 S. 1 BGB auf die Organe des Emittenten ausweiten.31 Grundsätzlich müssen die tatbestandsmäßigen Handlungen des Vorstands dem Emittenten über § 31 BGB analog zugerechnet werden. Dies folgt daraus, dass der Emittent als juristische Person nicht handlungsfähig ist und die Verwaltungsmitglieder gem. §§ 76, 78, 111 Abs. 1 AktG die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten des Emittenten wahrnehmen.32 Dies mag jedoch noch keine Haftung aus §§ 37b, 37c WpHG begründen. Im Ergebnis ist eine Haftung der Verwaltungsmitglieder als Mittäter (§ 830 Abs. 1 S. 1 BGB), Anstifter (§ 830 Abs. 2 Var. 1 BGB) oder Gehilfe (§ 830 Abs. 2 Var. 2 BGB) abzulehnen, da sie weder Adressat der §§ 37b, 37c WpHG sind, noch einen gemeinsamen Tatentschluss mit dem Emittenten unterhalten oder gar einen Tatentschluss der Gesellschaft wecken können.33 Indes bestehen über die aktienrechtliche Innenhaftung gem. § 93 Abs. 2 AktG, den Regress gem. §§ 37b Abs. 6, 37c Abs. 6 WpHG sowie eine deliktische Außenhaftung (v.a. § 826 BGB) ausreichende Mittel für eine persönliche Haftung zur Verfügung.34 Mit der überwiegenden Ansicht sind die §§ 37b, 37c WpHG somit ausschließlich auf den Emittenten und nicht auf dessen Verwaltungsmitglieder anzuwenden.35
Weitere Voraussetzung ist, dass der Emittent ein Finanzinstrument begeben hat. Gem. § 2 Abs. 2 b WpHG wird nunmehr aufgrund des rapide wandelnden Kapitalmarktes jedwedes Finanzinstrument, wie z.B. Klima/Wetterderivate oder CDS erfasst.36
Schließlich müssen die Finanzinstrumente des § 2 Abs. 2 b WpHG an einer inländischen Börse, mithin am Amtlichen oder Geregelten Markt zugelassen sein.37Aufgrund des gleichen Schutzbedürfnisses werden weitergehend auch solche Finanzinstrumente umfasst, bei denen lediglich der Zulassungsantrag erfolgt ist.38Solche Kapitalmarktpapiere, die gem. §§ 49 Abs. 1, 56 BörsG nur in den Geregelten Markt bzw. den Freiverkehr einbezogen werden (§§ 49 ff. BörsG), unterliegen nicht den §§ 37b, 37c WpHG. Diesen Papieren fehlt zum einen die Zulassung gem. §§ 30 ff., 49 ff. BörsG und zum anderen können auch Dritte die Einbeziehung beantragen.39
Eine analoge Anwendung der §§ 37b, 37c WpHG kommt grundsätzlich nicht in Betracht.40 Mit Inkrafttreten des § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG durch das 4. FMFG hat der Gesetzgeber erkennbar gemacht, dass eine Haftung nur auf bestimmte Fälle zu konzentrieren ist und damit die Haftungsfallen für die Emittenten überschaubar zu halten sind.41

b) Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht

§§ 37b Abs. 1 WpHG verlangt als haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, dass eine den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformation gem. § 13 WpHG nicht oder nicht rechtzeitig veröffentlicht wurde. 37c Abs. 1 WpHG knüpft die Pflichtverletzung des Emittenten an eine unwahre Insiderinformation.
§§ 37b, 37c WpHG wiederholen die unbestimmten Rechtsbegriffe der Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. § 15 WpHG, weshalb eine Begriffsbestimmung erforderlich ist. Das entscheidende Tatbestandsmerkmal der §§ 37b, 37c WpHG und damit des § 15 WpHG ist eine Insiderinformation gem. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG42, die den Emittenten unmittelbar betrifft. § 13 Abs. 1 WpHG definiert die Insiderinformation als eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf den Emittenten von Finanzinstrumenten bezieht und geeignet ist, beim öffentlichen Bekanntwerden erhebliches Kursbeeinflussungspotential zu entfalten. Eine Information über Umstände ist konkret, wenn sie eine Grundlage für die Einschätzung des Kursverlaufs des Wertpapiers darstellt.43 Dabei werden sämtliche Mitteilungen und Angaben erfasst, wie z.B. auch Einschätzungen und Gerüchte.44 Diese Information ist nicht öffentlich bekannt, wenn sie nicht einer unbestimmten Anzahl von Personen zugänglich gemacht wird.45 Gem. dem Zweck des § 15 WpHG, der u. a. die informationelle Chancengleichheit gewährleisten will, hat der Emittent somit dafür Sorge zu leisten, dass die Insiderinformation auf ihm obliegende Weise bereichsöffentlich gemacht wird.46 Die Insiderinformation muss zudem den Emittenten betreffen, was jedoch nicht aussagen will, dass sie auch in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten ist.47 Vielmehr genügt auch eine mittelbare Betroffenheit, die Kursbeeinflussungspotential besitzt.48 Schließlich setzt §§ 37b, 37c WpHG i.V.m. §§ 15 Abs. 1 S. 1, 13 Abs. 1 S. 1 WpHG die Eignung der Information zur erheblichen Beeinflussung des Wertpapierpreises voraus. Dieses Tatbestandsmerkmal ist im Wege einer ex ante-Einschätzung auszulegen, was bedeutet, dass eine tatsächliche Kursbeeinflussung für die Eröffnung des Tatbestands unerheblich ist.49 Die Kursbeeinflussung ist somit zu bejahen, wenn sie aus Sicht eines verständigen Anlegers wahrscheinlich erscheint.50 Einer nachträglich eintretenden Beeinflussung des Kurses kommt jedoch Indizwirkung zu.51 In der Praxis wird daher empfohlen, zunächst die Eignung zur Kursbeeinflussung zu prüfen, um sodann die konkreten Umstände des Einzelfalls zu untersuchen.52
Entsprechen die Ansprüche in ihren wesentlichen Tatbestandsmerkmalen überein, so unterscheiden sie sich in der ihnen zugrunde liegenden Tathandlung. 53 Ein Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung gem. § 37b Abs. 1 WpHG ist gegeben, wenn die gem. § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG erforderliche Veröffentlichung vollständig unterbleibt, verspätet ist oder die Anforderungen des § 15 Abs. 7 WpHG i.V.m. §§ 4 ff. WpAIV nicht erfüllt.54 Dem Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung einer Ad-hoc-Meldung steht das Unterlassen bzw. die Verspätung der Berichtigung einer bereits ergangenen Ad-hoc-Meldung gem. § 15 Abs. 2 S. 2 WpHG gleich.55 § 37c Abs. 1 WpHG verlangt hingegen die Veröffentlichung einer Insiderinformation, die unwahr ist. Die Unwahrheit kann sich sowohl auf die inhaltliche Unrichtigkeit als auch auf die mangelnde Vollständigkeit beziehen.56 Da der Inhalt von Ad-hoc-Mitteilungen häufig auch Gerüchte oder lediglich prognostizierte Sachverhalte umfassen kann, wird bei deren Beurteilung grundsätzlich auf den Lebenssachverhalt sowie die kaufmännische Vertretbarkeit des Inhalts abgestellt.57

4. Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität

Die haftungsbegründende Kausalität im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG ist umstritten. Die erste Ansicht verlangt zwischen der Informationspflichtverletzung und der Transaktionsentscheidung des Anlegers eine konkrete Kausalität.58 Die Gegenansicht will es genügen lassen, wenn der Anleger in seinem Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Preisbildung enttäuscht wurde, mit der Folge, dass die haftungsbegründende Kausalität aufgrund der stets kursbeeinflussenden (auch pflichtgemäßen) Ad-hoc-Meldungen in der Regel unproblematisch gegeben ist.59
Auf Grundlage der ersten Ansicht, die auf den Wortlaut der Normen abstellt, muss angenommen werden, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Ad-hoc Meldung und dem Entschluss des Anlegers bestehen muss.60 Der Anleger sieht sich dabei jedoch erheblichen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt, da ein individueller Vertrauensnachweis i.d.R. nur sehr schwer zu erbringen ist.61 Das Regelungsziel der Haftungstatbestände, ausweislich der Begr RegE zum 4. FMFG, ist auf einen Anlegerschutz am Kapitalmarkt gerichtet. Zu Recht wird daher eine Beweiserleichterung analog § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG diskutiert.62 Das der Gesetzgeber eine solche Beweiserleichterung bei Schaffung der Haftungstatbestände nicht vorgesehen hat, kann keine hinreichende Begründung dafür darstellen, dass der Anleger nicht aus anderen kapitalmarktrechtlichen Regelungen oder Erwägungen eine prozessuale Erleichterung erhält. Die Annahme einer Erleichterung liegt mit Blick auf die Gesetzesmaterialen vielmehr nahe. Dort ist explizit angeführt, dass die §§ 37b, 37c WpHG dem Regelungsziel eines verbesserten Anlegerschutzes Rechnung tragen sollen.63 Die erheblichen Nachteile in der Beweisführung kommen diesem gesetzgeberisch erklärten Ziel jedoch nicht nahe. Die mangelnde Bestimmung zur Beweiserleichterung in §§ 37b, c WpHG ist damit nur ein weiteres Exempel der Reformbedürftigkeit und Ergänzungsnotwendigkeit der Regelungen, wie sie in der Literatur an anderer Stelle gleichwohl laut wird.64 Unter den vorbenannten Gesichtspunkten und in Anbetracht der anschließenden, rechtsvergleichenden Umschau wird eine Beweislastumkehr zugunsten des Anlegers vorzugswürdig sein.
Desgleichen verhält es sich mit der haftungsausfüllenden Kausalität, die vom Anleger erfordert, dass er den Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Ad-hoc-Pflichtverletzung und seines Schadens antritt.65

5. Schaden und Schadensberechnung

Der Schadensinhalt gehört mitunter zu den problematischsten Fragen im Zusammenhang mit den §§ 37b, 37c WpHG, weshalb im Folgenden auf den Verlauf und die Beurteilung des Streitstands eingegangen werden soll.
Eine Ansicht will den Anleger für seinen erlittenen Schaden im Wege des Ersatzes der Kursdifferenz schadlos stellen.66 Der Kursdifferenzschaden bezieht sich insoweit auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen und hypothetisch angemessenen, wahren Wert des Finanzinstruments am selben Tag.67 Die Gegenansicht verlangt indessen eine Naturalrestitution, d.h. die Rückgängigmachung des Wertpapiergeschäfts in Form von Erstattung des Kaufpreises als Vertragsabschlussschaden.68
Der BGH hat hinsichtlich des ersatzfähigen Schadens bisweilen keine Stellung bezogen, aber in den Verfahren zur Kapitalinformationshaftung nach § 826 BGB eine Naturalrestitution gewährt.69 Auch die ersten Verfahren nach dem KapMuG haben keine Entscheidung zum ersatzfähigen Schaden vorgebracht.70 Ob die bisherige Entscheidung des BGH die Schadensberechnung im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG beeinflusst, wird jedoch überwiegend abgelehnt.71 Damit bleibt es abzuwarten, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung oder gar die Gesetzgebung die Frage des ersatzfähigen Schadens aufgreift und klarstellt.
Nach den bisherigen Erkenntnissen spricht für die Naturalrestitution i.S.v. § 249 Abs. 1 BGB, dass sie am ehesten den in §§ 44 Abs. 1 BörsG, 13a VerkProspG angelegten Schadensersatzinhalt entspricht.72 Erheblich gegen die Anwendung einer Naturalrestitution spricht der Umstand, dass systematische Risiken auf den Emittenten überwälzt werden, die jedoch als allgemeines Markt- oder Kursrisiko nicht mehr vom Schutzbereich der §§ 37b, 37c WpHG umfasst sein können.73 Ein ungünstiges allgemeines Marktrisiko im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen, lässt sich nur schwer mit §§ 37b, 37c WpHG vereinbaren.74 Des Weiteren ist der Übertrag der Rechtsprechung des BGH zur Schadensberechnung zu § 826 fraglich. § 826 erfordert eine vorsätzlich sittenwidrige Handlung, die es durchaus tragbar erscheinen lässt, dem Emittenten auch das systematische Kapitalmarktrisiko aufzubürden. Die spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen des WpHG eröffnen jedoch bereits bei grober Fahrlässigkeit eine Haftung des Emittenten, weshalb das Aufkommen für allgemeine Marktrisiken unangemessen erscheint. Schließlich erfolgt wiederum ein enger Vergleich zur Prospekthaftung, der wie bereits bei der dogmatischen Einordnung, im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG unangebracht ist. Mit der überwiegenden Ansicht ist somit die Kursdifferenz zu erstatten.
Gem. § 9 Abs. 1 KapMuG findet auf ein Musterverfahren, in dem die Ansprüche nach §§ 37b, 37c WpHG durchgesetzt werden können, § 287 ZPO Anwendung. Nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO gilt, dass dem Gericht die Beurteilung über die bestrittene Schadensberechnung obliegt. Unter Annahme des Kursdifferenzschadensersatzes lassen sich mittels kapitalmarkttheoretischer Methoden hinreichende Grundlagen für die tatrichterliche Entscheidung abbilden.75 Die operablen Größen sind dabei der Transaktionswert des Finanzinstruments und ein hypothetischer Preis, der die Kursveränderung unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Insiderinformation erfasst.76 Die Wahl der Kursdifferenz als ersatzfähiger Schaden im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG manifestiert sich somit auch bei der Schadensberechnung als vorzugswürdig.

6. Exkurs: Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG)

Der bisweilen häufig anzutreffenden Formel, dass ein Anleger bei der prozessualen Durchsetzung seines Anspruchs aus §§ 37b, 37c WpHG vor erhebliche Beweis- und Darlegungsprobleme gestellt ist und dem Umstand, dass die Rechtsprechung in beigelegten Verfahren äußerst zurückhaltend den geschädigten Anlegern einen Ersatz zugesprochen hat, sollen durch das am 1. November 2005 erlassene KapMuG77 begegnet werden. Das KapMuG ermöglicht Anlegern, die durch eine fehlerhafte Kapitalmarktinformation einen Schaden erlitten haben, diesen im Wege eines Kollektivverfahrens gerichtlich geltend machen zu können.78 Der Anwendungsbereich des KapMuG fokussiert insbesondere die fehlerhafte Ad-hoc-Publizitätshaftung nach §§ 37b, 37c WpHG, daneben auch andere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen.79 Seit Einführung des KapMuG wurde allseits Kritik laut, die v. a. dahingehend lautet, dass durch die Einführung des Musterverfahrens dem Anleger keine spürbaren Vorteile geboten und die Regelungsprobleme der §§ 37b, 37c WpHG sowie anderer Haftungsgrundlagen ebenso nicht gelöst werden.80 Insgesamt trägt der Gesetzgeber seinem selbsterklärten Ziel des Anlegerschutzes mit Einführung ein für den Zivilprozess bisweilen vollkommen neuen Prozesstypus Rechnung. Gleichwohl ist damit auch ein Teilerfolg für geschädigte Anleger zu vermerken.81 Es bleibt zu hoffen, dass sich die Rechtsprechung auch weitergehend an dem Verfahren erprobt.82

 

III. U.S.-amerikanische Kapitalmarktinformationshaftung

Das U.S.-amerikanische Kapitalmarktrecht ordnet eine dem deutschen Recht vergleichbare Fülle von Publizitätspflichten für börsennotierte Gesellschaften an.83Eine konkrete Ad-hoc-Publizitätspflicht, wie sie § 15 WpHG vorsieht, ist in den U.S.A. jedoch erst im Jahr 2002 durch den Sarbanes-Oxley Act (SOX) Sec. 409 im SEA §13(l) kodifiziert worden.84 Zuvor bestimmte sich die Regelpublizität ergänzende Ad-hoc-Meldungspflicht durch die einschlägigen U.S.-amerikanischen Börsenordnungen85 bzw. Form 8-K der SEC.86 Die sog. real time issuer disclosures rule nach dem Securities Exchange Act (SEA) § 13(l) verpflichtet den publizitätspflichtigen Emittenten zur unverzüglichen Abgabe von Informationen, die im Zusammenhang mit der finanziellen Lage oder der Geschäftsführung stehen.87
Die bisweilen wichtigste Anspruchsgrundlage im System der U.S.-amerikanischen Kapitalmarktinformationshaftung stellt die sog. SEC Rule 10b-5 dar.88 Sie ist von der Securities Exchange Commission (SEC) durch Rechtsfortbildung der Section 17(a) des Securities Act (SA) 1933 und der Section 10(b)89 des Securities Exchange Act (SEA) 1934 im Jahr 1942 entstanden.90 Insoweit ist SEC Rule 10b-5 auch von der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung i.V.m. SEA § 10(b) als impliziter Schadensersatzanspruch für geschädigte Anleger (private cause of action) anerkannt.91 Als haftungsrechtliche Generalklausel lässt sich mit SEC Rule 10b-5 u.a. auch die vorbenannte, fehlerhafte Ad-hoc-Publizität gem. SEA § 13(l) einklagen.

1. Sarbanes Oxley Act v. SEC Rule 10b-5

Die vorherrschende Haftungsgrundlage SEC Rule 10b-5 steht seit Einführung der SOX Sec. 807 im Jahr 2002 unter Konkurrenz.92 Die restriktivere SOX Sec. 80793 ist auf eine strafrechtliche Verurteilung des pflichtwidrig handelnden Emittenten angelegt, indem sie eine strafrechtliche Betrugshandlung zur Eröffnung des Tatbestands erfordert.94 Durch eine Analogie zu SEC Rule 10b-5 wird jedoch auch eine gerichtliche Geltendmachung des 18 U.S.C. § 134895 durch Anleger bejaht.96 Die Entwicklung der Beziehung zwischen SEC Rule 10b-5 und 18 U.S.C. § 1348 bleibt aufgrund bislang fehlender Rechtsprechung und einigen tatbestandlichen Unklarheiten bisweilen noch abzuwarten.97

2. SEC Rule 10b-5

Vorerst bleibt damit die SEC Rule 10b-5 die wichtigste Anspruchsgrundlage in den U.S.A. Daher sollen im Folgenden der Tatbestand und die Rechtsfolge der Vorschrift skizziert werden.
Im Wesentlichen hat der Anspruch nach SEC Rule 10b-5 fünf Voraussetzungen. Danach muss der Anspruchsberechtigte eine wissentliche Falschdarstellung, die durch irgendeine Person begangen wurde, in Verbindung mit dem Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments, nachweisen.98 Weitergehend muss eine hinreichend begründete Darlegung weiterer konstitutiver Voraussetzungen des Anspruchs erfolgen, die auf die Erheblichkeit der Anlageentscheidung (materiality), die Vornahme der Transaktion im Vertrauen auf die Darstellung (reliance) und die Kausalität (causation) und den Schaden (damages) abzielt.99

a) Persönlicher Anwendungsbereich

Grundsätzlich kann unter SEC Rule 10b-5 jeder geschädigte Anleger anspruchsberechtigt sein, sofern die nachfolgenden Voraussetzungen in einem Prozess seitens der Klägerseite hinreichend nachgewiesen und begründet werden.
Der Anspruchsverpflichtete kann nach SEC Rule 10b-5 sowohl eine  täterschaftlich handelnde natürliche als auch juristische Person sein.100 Damit ist eine Teilnehmerhaftung ausgeschlossen. Die jüngst erneut proklamierte leading opiniondes U.S. Supreme Court bestätigt abermals, dass Anstifter und Gehilfen nicht durch den impliziten Schadensersatzanspruch gem. SEC Rule 10b-5 i.V.m SEA § 10(b) von geschädigten Anlegern in Anspruch genommen werden können.101

b) Sachlicher Anwendungsbereich

Die Tathandlung der SEC Rule 10b-5 ist auf Falschdarstellungen von wesentlicher Bedeutung (any untrue statement of material fact) jedweder Art angelegt. Damit führt nicht nur ein Verstoß gegen die gesetzlichen Publizitätspflichten zur Anwendung des Anspruchs, sondern sämtliche Falschdarstellungen, die im Einzelnen gesetzlich nicht reglementiert sind.102 Die Tathandlung kann gem. SEC Rule 10b-5(b) sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen begangen werden.
Weitergehend muss diese Falschdarstellung in Zusammenhang mit einer Wertpapiertransaktion (in connection with-requirement) stehen. Das in connection with-Erfordernis wird von den U.S.-amerikanischen Gerichten weit und zugunsten der Anleger ausgelegt.103 Erforderlich ist danach nur der Befund, dass die Falschdarstellung objektiv geeignet war, die Transaktionsentscheidung eines vernünftigen Anlegers zu beeinflussen.104
Des Weiteren sind Wertpapiere i.S.v. SEC Rule 10b-5 sämtliche verbrieften Mitgliedschaftsrechte (any security).105 Eine Registrierung des Wertpapiers unter dem SA oder SEA ist damit nicht erforderlich und für die Anwendung der SEC Rule 10b-5 ohnehin unerheblich.
Eine der wohl wichtigsten Voraussetzungen ist schließlich, dass der geschädigte Anleger eine Transaktionsentscheidung (Purchaser-Seller-requirement) aufgrund der Falschdarstellungen vorgenommen haben muss.106 Diese sog. Birnbaum-Rule ist vornehmlich unter Gesichtspunkten der Beweiserleichterung sowie zur Begrenzung des Missbrauchsrisikos bei class actions107 durch höchstrichterliche Rechtsprechung entstanden.108 Personen, die eine potentielle Kauf- oder Verkaufentscheidung aufgrund der Falschdarstellungen nicht vorgenommen haben (sog. would-be purchasers and sellers), sind jedoch nicht anspruchsberechtigt.109

c) Wissentlichkeit als subjektives Erfordernis

Liegen die vorbenannten objektiven Tatbestandsmerkmale vor, erfordert eine erfolgreiche Klage nach SEC Rule 10b-5 noch ein subjektives Element. Mit Ernst & Ernst v. Hochfelder entschied der U.S. Supreme Court, dass der Kläger beweisen muss, dass der Beklagte wissentlich gehandelt hat (with scienter).110 Damit ist sowohl ein langer Meinungsstreit um das Erfordernis von Vorsatz oder Fahrlässigkeit als auch die expansive Anwendung der SEC Rule 10b-5 niedergelegt worden.111Das Erfordernis der Wissentlichkeit (scienter) wurde in o.g. Urteil des U.S. Supreme Court weitergehend jedoch nicht bestimmt. Insofern bleibt bis zu einer endgültigen Entscheidung festzustellen, dass bisweilen damit betraute Court of Appealsmehrheitlich Leichtfertigkeit (recklessness) für scienter als ausreichend befunden haben.112

d) Materiality

In Basic Inc. v. Levinson hat der U.S. Supreme Court das für das U.S.-amerikanischen Kapitalmarktrecht bekannte Erfordernis der Wesentlichkeit (materiality) auf SEC Rule 10b-5 übertragen.113 Materiality ist danach gegeben, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass ein vernünftiger Anleger die Mitteilung als bedeutend ansieht und sie zur Grundlage seiner Anlageentscheidung machen würde.114 Mündliche Aussagen des Vorstands oder Prognosen, die lediglich eine persönliche Meinung widerspiegeln oder nicht auf hinreichenden Tatsachen gründen, werden grundsätzlich als unwesentlich eingestuft.115

e) Reliance und Causation

Bekannter ist Basic Inc. v. Levinson jedoch für die höchstrichterliche Anerkennung derfraud on the market theory im Rahmen von Schadensersatzklagen nach SEC Rule 10b-5 respektive des Kausalitätsnachweises.116 Das reliance-Erfordernis besagt, dass der Anleger im Vertrauen auf die Falschdarstellung gehandelt haben muss.117Die damit einhergehenden, erheblichen Beweisschwierigkeiten für den Kläger werden unter der fraud on the market theory in eine widerlegbare Vermutung umgekehrt. Danach wird zugunsten des Klägers vermutet, dass der Preis eines Wertpapiers auf einem effizienten Kapitalmarkt durch die verfügbaren Informationen über das Unternehmen bestimmt wird (ECMH)118, so dass der Anleger durch die Falschdarstellung stets beeinflusst wird, auch wenn er sie nicht unmittelbar zu seiner Anlageentscheidung heranzieht.119
Da die U.S.-amerikanische Rechtsprechung zwischen dem reliance-Erfordernis und der Kausalität (causation) keine Trennung vornimmt, sondern vielmehr reliance als Mittel zur Darlegung der causation ansieht, muss der Kläger weitergehend den Beweis erbringen, dass die Falschdarstellung kausal für die nachteilige Transaktion (transaction causation) und den dadurch erlittenen Schaden (loss causation) war.120Die transaction causation ist zu bejahen, wenn der Anleger ohne die Falschdarstellung die Wertpapiertransaktion nicht oder nur in anderer Form vorgenommen hätte.121 Die loss causation122 liegt vor, wenn der Anleger darlegt, dass der erlittene Schaden unmittelbar auf die Transaktion der Wertpapiere zurückzuführen ist.123

f) Damages: Rescission v. Out of Pocket

Als Rechtsfolge sieht SEA Sec. 10(b) i.V.m. SEC Rule 10b-5 einen Schadensersatz vor. Wie der Schaden konkret bemessen wird, ist unter den Gerichten sehr streitig und bislang ohne vorherrschende Ansicht.124
Im Wesentlichen lassen sich sog. out-of-pocket damages und rescissionary damagesunterscheiden.125 Out-of-pocket bezeichnet den Ersatz der Kursdifferenz, d.h. den Unterschiedsbetrag zwischen dem hypothetischen Wert zum Verkaufs- bzw. Kaufzeitpunkt unter Beachtung effizienter Kapitalmärkte und dem Wert zum Zeitpunkt der Falschdarstellung. Der Kursdifferenzschaden ist in SEA Sec. 21D(e) besonders reguliert, mit dem Ziel, den Anleger bei Gewährung des out-of-pocket-Ansatzes nicht besser zu stellen, als er ohne Falschdarstellung stünde.126 Rescissionary damagesentsprechen insoweit einer Naturalrestitution, mithin der Rückgängigmachung der Wertpapiertransaktion. Voraussetzung ist dabei, dass der klägerische Vortrag auf der willenswidrigen Falschdarstellung im Kauf- bzw. Verkaufszeitpunkt liegt.127
Neben zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen sind gleichwohl etwaige Strafzahlungen der SEC erwähnenswert. So hat die SEC in denen von ihr geführten Verfahren neben zivilrechtlichen Verhandlungen, die Möglichkeit unter SEA Sec. 21(d)(3) und SEA Sec. 21(c)(3) Strafen gegen die Publizitätspflichtverletzungen des Unternehmens zu verhängen.128

3. Rezeption der U.S.-amerikanischen Regelungen

Nachdem nunmehr das System der U.S.-amerikanischen Kapitalmarktinformationshaftung dargestellt wurde, fragt sich nach Möglichkeiten zum Übertrag der Regelungen auf die Schwachstellen der deutschen Kapitalmarktinformationshaftung respektive der Haftung nach §§ 37b, 37c WpHG.
Dahingehend ist zunächst feststellungsbedürftig, ob sich der deutsche Gesetzgeber nicht bereits bei Schaffung der §§ 37b, 37c WpHG von der U.S.-amerikanischen Regelung hat inspirieren lassen. Finden sich explizit in den Gesetzesmaterialien zum 4. FMFG keine Anzeichen für eine rechtsvergleichende Umschau129, so lässt jedoch der direkte Vergleich einige Gemeinsamkeiten erkennen.
Ein Vorbild für die §§ 37b, 37c WpHG stellt die sog. Birnbaum Doctrine mit Blick auf das Transaktionserfordernis dar. Die Rezeption hat präventive und Erfolg versprechende Vorteile, da mit ihr eine Vielzahl von unbegründeten Klagen unterbleibt und Anleger, die zwar theoretisch aber praktisch nicht betroffen sind und damit keinen Schaden erlitten haben, von der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs ausgeschlossen werden.130
Ähnlich verhält es sich mit der Rezeption der fraud on the market theory. Der Streit um eine konkrete Kausalität und dem Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Preisbildung lässt sich mit der fraud on the market theory zugunsten des Anlegerschutzes und damit i. S. d. deutschen Gesetzgebers zufrieden stellend lösen. Die der (konkreten) haftungsbegründenden Kausalität inhärente Beweis- und Darlegungslast ist für den Anleger derart hoch, dass ein erfolgreicher Prozess i. d. R. aussichtslos sein wird. Zumal es sich auf dem Sekundärmarkt nicht um ein face-to-face-Geschäft handelt, sondern der Sekundärmarkt bereits sämtliche Informationen für den Anleger bündelt131, ist es eine legitime Entscheidung, den Anleger in den Kapitalmarkt und eine ordnungsgemäße Preisbildung vertrauen zu lassen. Das legt eine Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität zugunsten des Anlegers i.S.d. fraud on the market theory auch im deutschen Recht sehr nahe.132
Erwähnenswert sind ebenfalls die sich ähnelnden Tendenzen der Teilnehmerhaftung in der deutschen und U.S.-amerikanischen Kapitalmarktinformationshaftung. Scheidet mit der herrschenden Ansicht eine Anwendung des § 830 BGB über §§ 37b, 37c WpHG aus, bleiben auch Teilnehmer in den U.S.A. von SEC Rule 10b-5 unbeschadet. Beide Rechtsordnungen halten auf anderem Wege jedoch hinreichende Sanktionsmöglichkeiten bereit.133
Hinsichtlich der U.S.-amerikanischen Ansichten zur Schadensermittlung lassen sich deutliche Gemeinsamkeiten zur deutschen Diskussion finden. Neben Gemeinsamkeiten verhilft der Blick jedoch v. a. zu einer zielstrebigen Lösung der Problematik und damit zu einer vorherrschenden Ansicht, der sich die Rechtsprechung und der Gesetzgeber künftig annehmen können. Rescissionary damages sind in der U.S.-amerikanischen Spruchpraxis eine Seltenheit, da sie ein vertragliches Verhältnis zwischen Unternehmen und Investor erfordern.134 Liegt selbst diese Voraussetzung vor, sind die U.S.-amerikanischen Gerichte eher zögerlich bei der Gewährung einer Rückabwicklung der Transaktion.135 Out of pocket damagessind damit vorherrschend, was die Belege aus der Rechtsprechung untermauern.136Dem Emittenten bei einer möglichen Rückabwicklung systematische Risiken des Kapitalmarktes aufzuerlegen, sind mit den Erkenntnissen der U.S.-amerikanischen Finanzwissenschaft ebenfalls abzulehnen, was den Übertrag auf die deutsche Rechtsordnung unter den gleichen Gesichtspunkten wünschenswert erscheinen lässt.
SEC Rule 10b-5 stellt eine Generalklausel für Informationshaftung am Kapitalmarkt dar und umfasst damit sowohl die Haftung auf dem Primärmarkt als auch die auf dem Sekundärmarkt.137 Eine solche generalklauselartige Anspruchsgrundlage bzw. allgemeine Erklärungshaftung ist dem deutschen Recht fremd.138 SEC Rule 10b-5 gilt aufgrund seiner expansiveren Auslegung auch als Auffangtatbestand für die restriktiveren Regelungen des SOX und des SEA.139 Auch dieser Umstand ist nicht mit der deutschen Kapitalmarktinformationshaftung in Einklang zu bringen. Auch wenn sich unter diesen Gesichtspunkten eine generelle Rezeption der SEC Rule 10b-5 als problematisch erweist, bietet die wesentlich ausgreiftere Anspruchsgrundlage jedoch fruchtbare Ansätze für die §§ 37b, 37c WpHG.

 

IV. Fazit

Die durch das 4. FMFG eingefügten §§ 37b, 37c WpHG stellen erstmalig in Reaktion auf die Skandale am Neuen Markt und zur Stärkung des Anlegerschutzes eine eigenständige Anspruchsgrundlage für Verletzungen der Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. § 15 WpHG zur Verfügung. Wie sich im Beitrag gezeigt hat, ist sowohl die dogmatische Einordnung als auch einige Tatbestandsvoraussetzungen, v. a. das Kausalitätserfordernis sowie die Schadensermittlung sehr streitig und bisweilen nicht hinreichend beantwortet. V. a. mit Blick auf das U.S.-amerikanische Kapitalmarktrecht lassen sich jedoch vorhandene Lücken und Streitigkeiten um die §§ 37b, 37c WpHG lösen. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sich sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung um eine Konkretisierung der Anspruchsgrundlagen bemüht. Es ist abzusehen, dass sich v. a. die Rechtsprechung aufgrund der anhängigen Musterverfahren unter dem KapMuG mit den §§ 37b, 37c WpHG näher gehend äußert und die im Schrifttum vertretenen Ansichten ausgiebig einbezieht. 

 

 

 

 

 

1 BT-Drs. 14/8017, S. 2, 64; Sethe, Assmann/Schneider, §§ 37b, c Rn. 2 f.

2 Dies v.a. aufgrund des § 15 Abs. 6 a.F. WpHG; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 5; Tilp, ZIP 2002, 1727, 1729; Zimmer, KMRK §§ 37b, c WpHG Rn. 2.

Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 26 f.

Tilp, ZIP 2002, 1727, 1729.

5 Die Europäische Richtlinie 2003/6/EG v. 28. 01. 2003 wurde durch das AnSVG umgesetzt; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 2.

Buck-Heeb, KMR, § 4 Rn. 207; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 3.

Fischer zu Cramburg/Royé, AktR und KMR, § 15 WpHG Rn. 1 f.; Zimmer, KMRK, §§ 37b, c WpHG Rn. 5; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 3, 9.

8 BT-Drs. 14/8017, S. 62 f.

9 So auch Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 9.

10Renzenbrink/Holzner, BKR 2002, 434, 434; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 9.

11 Vgl. nur Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 12.

12 Allg. A., Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 15 f. m.w.N.

13 BT-Drs. 14/8017, S. 93 f.; Zimmer, WM 2004, 9, 10.

14 Bruski, BankR-Hdb. Vor § 104 Rn. 20; Kümpel, Bank- und KMR, Rn. 8.174.

15 Krämer, Hbd. Managerhaftung, §26 Rn. 4; Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., §26 Rn. 8.

16 Assmann, Hdb. KapAnlR, § 6 Rn. 245; Buck-Heeb, KMR, § 12 Rn. 500.

17 Buck-Heeb, KMR; § 2 Rn. 68; Kümpel, Bank- und KMR, Rn. 8.182.

18 Krämer, Hdb.Managerhaftung, §26 Rn. 6; von Rosen, Hdb. KapAnlR, §2 Rn. 197 ff., 213 f.

19 Buck-Heeb, KMR, § 4 Rn. 175 f.; Fischer zu Cramburg/Royé, AktR und KMR, § 15 WpHG Rn. 1 f.; Hopt, BankR-Hdb., § 107 Rn. 79.

20 Zimmer, KMRK § 37b, 37c WpHG Rn. 10, 16.

21 Fleischer,Hdb.KapAnlR, §7 Rn.59 ff.; Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., §26 Rn.164 ff.

22 Kümpel, Bank- und KMR, Rn. 16.212; Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 12 f.

23 Kümpel, Bank- und KMR, Rn. 16.210.

24 BT-Drs. 14/8017, S. 93; vgl. auch Baums, ZHR (2003), 177 f.; Möllers/Leisch, KK-WpHG, §§ 37b, c Rn. 193;dies., Ad-hoc-Publ., § 14 Rn. 42 ff.

25 Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., § 26 Rn. 133 ff.

26 Fleischer, Hdb. KapAnlR, Rdnr. 51; Maier-Reimer/Webering, WM 2002, 1859.

27 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 51; Möllers/Leisch, Ad-hoc-Publ., § 14 Rn. 56.

28 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 51; Möllers/Leisch, Ad-hoc-Publ., § 14 Rn. 57.

29 Der persönl. Anwendungsbereich entspricht insoweit § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG.

30 Möllers/Leisch, KK-WpHG, §§ 37b, c Rn. 77; Sethe, WpHG Komm.,§§ 37b, c Rn. 41.

31 Buck-Heeb, KMR, § 4 Rn. 208 f.; Rieckers, BB 2002, 1220 m.w.N.

32 Casper, BKR 2005, 86; Zimmer, KMRK, §§ 37b, c WpHG Rn. 21.

33 Mayer-Reimer/Webering, WM 2002, 1864, die zu Recht von einer „Überstrapazierung der Tatbestände“ sprechen; Möllers/Leisch, KK-WpHG, §§ 37b, c Rn. 80; Veil ZHR 167 (2003), 396 f.; Zimmer, KMRK, §§ 37b, c WpHG Rn. 130.

34 Krämer, Hdb. Managerhaftung, § 26 Rn. 43; Veil, ZHR 167 (2003), 397 f.

35 H.M., Fleischer, AG 2008, 268 f.; ders., Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 6; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 34, 131;Krämer, Hdb. Managerhaftung, § 26 Rn. 41 f.

36 Vgl. Holzborn/Israel, NJW 2008, 792; Fischer zu Cramburg/Royé, AktR und KMR, § 37b, c WpHG Rn. 3;BAFin, Emittentenleitfaden, S. 15 f.

37 Möllers/Leisch, NZG 2003, 113; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 36.

38 Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 39.

39 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 41; Möllers/Leisch, KK-WpHG, §§ 37b, c Rn. 94.

40 Möllers/Leisch, KK-WpHG, §§ 37b, c Rn. 92 außer beim „Rechtsschein“ der Ad-hoc-Meldung.

41 Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 38 a.E.

42 Vgl. hierzu den Katalog von Insiderinformationen, BAFin, Emittentenleitfaden, S. 43f.

43 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 19; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 731.

44 Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841, 848.

45 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 20; Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 42.

46 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 21; Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 42.

47 Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 45.

48 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 21; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 735.

49 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 22 f.; Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 50.

50 Ausf. Vaupel, WM 1999, 521, 525 f.

51 Vaupel, WM 1999, 529 f.

52 BAFin, Emittentenleitfaden, S. 23.

53 BT-Drs. 14/8017, S. 94.

54 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 43; Möllers/Leisch, NZG 2003, 114.

55 Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., § 26 Rn. 126.

56 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 44; Möllers/Leisch, NZG 2003, 116.

57 Fleischer/Schmolke, AG 2007, 844;auch für die Abgrenzung zur Unterlassung gem. § 37b Abs. 1 WpHG,Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 44; Zimmer, KMRK, §§ 37b, c WpHG, Rn. 35 f.

58 Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., § 26 Rn. 152; Veil, ZHR 167 (2003), 370.

59 Möllers, JZ 2005, 78; Möllers/Leisch, BKR 2002, 1071, 1079; Rössner/Bolkart, ZIP 2002, 1475; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 83 f.

60 Siehe etwa Buck-Heeb, KMR, § 4 Rn. 216 m.w.N.

61 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 46 m.w.N.

62 Vgl. Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 46 ; Möllers, JZ 2005, 78.

63 BT-Drs. 14/8017, S. 1, 62 f., 93.

64 Vgl. nur Baums, ZHR 167 (2003), 145 f.; Hutter/Leppert, NZG 2002, 654 f.

65 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 54 m.w.N.

66 Fleischer, BB 2002, 1872 f.; Gerber, DStR 2004, 1798; Sauer, ZBB 2005, 33 f.; Zimmer, WM 2004, 17.

67 Escher-Weingart/Lägeler/Eppinger, WM 2004, 1855.

68 Möllers/Leisch, Ad-hoc-Publ., § 14 Rn. 77 f.; Rössner/Bolkart, ZIP 2002, 1475.

69 St.Rspr., BGH NJW 2004, 2971, 2972; BGH NJW 2008, 76, 77 m.w.N.

70 OLG Stuttgart BB 2007, 565; OLG Schleswig WM 2005, 696.

71 Fleischer, DB 2004, 2035; Gerber, DStR 2004, 1798; Teichmann, JuS 2006, 957 f.; a.A. Leisch, ZIP 2004, 1578 f.

72 Vgl. Möllers/Leisch, BKR 2002, 1073 f.; a.A. Veil, BKR 2005, 97.

73 Baums, ZHR 167 (2003), 185; Escher-Weingart/Lägeler/Eppinger, WM 2004, 1849; Fleischer, BB 2002, 1871;Fleischer/Kalss,AG 2002, 331 ff

74 So aber Sethe, WpHG-Komm., §§ 37b, c Rn. 78.

75 Mülbert/Steup, Unternehmensfinanz., § 26 Rn. 156.

76 Fleischer, BB 2002, 1871; Escher-Weingart/Lägeler/Eppinger, WM 2004, 1850, die zutreffend die viel versprechende Verwendung des CAPM während der Desinformationsphase hervorheben; a.A. Reichert/Weller, ZRP 2002, 55.

77 BGBl. I, S. 2437 – 2445.

78 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13; Buck-Heeb, KMR, Vor § 22 Rn. 688 f.; ausf. Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79, 79 f.

79 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79, 85.

80 Plaßmeier, NZG 2005, 609, 614; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737, 2738, 2740.

81 Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737, 2740 f.

82 Als „Experimentiergesetz“ gilt es vorerst 5 Jahre, Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737, 2740 f.

83 Vgl. insb. SEA §13 (a); sonstige Texte sind abrufbar unter http://ecfr.gpoaccess.gov/.; siehe auch Veil, ZHR 167 2003), 375.

84 SEC Release Nos. 33-8128, 34-46464 v. 15.11.2002; Soderquist/Gabaldon, S. 126 f.; aus dem deutschen Schrifttum v.a. Regelin/Fisher, IStR 2003, 285.

85 Gruson/Wiegmann, AG 1995, 174.

86 Vgl. FAZ v. 25.03.2002, Nr. 71, S. 24.

87 SEA Sec. 13(l) lautet im Originaltext [Auslassungen durch den Autor]: “Each issuer […] shall disclose to the public on a rapid and current basis such additional information concerning material changes in the financial condition or operations of the issuer[…]”.

88 Vgl. Ratner/Hazen, S. 144; SEC Rule 10b-5 ist in 17 C.F.R. §240.10b-5 kodifiziert. Die SEC Rule 10b-5 („Employment of manipulative and deceptive devices”) lautet: “It shall be unlawful for any person, directly or indirectly, by the use of any means or instrumentality of interstate commerce, or of the mails or of any facility of any national securities exchange, (a) To employ any device, scheme, or artifice to defraud, (b) To make any untrue statement of a material fact or to omit to state a material fact necessary in order to make the statements made, in the light of the circumstances under which they were made, not misleading, or (c) To engage in any act, practice, or course of business which operates or would operate as a fraud or deceit upon any person, in connection with the purchase or sale of any security.”

89 Sec. 10(b) SEA ist kodifiziert in 15 U.S.C. § 78j(b).

90 Soderquist/Gabaldon, S. 148; in diesem Zusammenhang hat die Aussage von Sumner Pike vor der SEC „Well, we are against fraud, aren’t we?“ Berühmtheit erlangt.

91 Vgl. nur Superintendant of Ins. of N.Y. v. Bankers Life & Casualty Co., 404 U.S. 6, (1971).

92 Vgl. Soderquist/Gabaldon, S. 169 f.

93 SOX Sec. 807 ist kodifiziert in 18 U.S.C. § 1348.

94 Ratner/Hazen, S. 146 ff.; Soderquist/Gabaldon, S. 170.

95 Der United States Code (U.S.C.) entspricht insoweit einem dem kontinentaleuropäischen Regelungswerk vergleichbare Kodifikation bisweilen ergangener Acts in den U.S.A.

96 Soderquist/Gabaldon, S. 170.

97 Soderquist/Gabaldon, S. 170 f., die 18 U.S.C. § 1348 dahingehend auslegen wollen, dass der Anwendungsbereich eine über SEC Rule 10b-5 hinausgehende Bedeutung erlangt.

98 Klein/Coffee, S. 172; Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 54.

99 Klein/Coffee, S. 172; Werlen, Unternehmensfinanz., § 30 Rn. 140 f.

100 Ratner/Hazen, S. 144.

101 Stoneridge Investment Partners, LLC v. Scientific-Atlanta, Inc., 128 S. Ct. 761 (2008); dazu ausführlichFleischer, AG 2008, 265 ff.; damit bleibt es bei einer ausschließlichen Verfolgung von Teilnehmern durch die SEC nach SEA § 20(e).

102 Loss/Seligman, S. 537 f.; Ratner/Hazen, S. 144.

103 Ratner/Hazen, S. 149; Soderquist/Gabaldon, S. 150 m.w.N.

104 Ratner/Hazen, S. 150.

105 Baums, ZHR 167 (2003), 148; Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 61.

106 Soderquist/Gabaldon, S. 155 f.

107 Sog. strike suiters bringen unbegründete, aber problematische Klagen vor Gericht, um Unternehmen zu einer außergerichtlichen Streitschlichtung zu zwingen, vgl. Soderquist/Gabaldon, S. 156.

108 Birnbaum v. Newport Steel Corp., 193 F.2d 461; Baums, ZHR 167 (2003), 178.

109 Vgl. nur Blue Chips Stamps v. Manor Drug Stores, 421 U.S. 723, (1975).

110 Ernst & Ernst v. Hochfelder, 425 U.S. 185, 96 S.Ct. 1375, 47 L.Ed.2d 668 (1976).

111 Soderquist/Gabaldon, S. 156 f.

112 Soderquist/Gabaldon, S. 157; Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 64 m.w.N.

113 Basic Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224, 242 (1988); Soderquist/Gabaldon, S. 164.; Loss/Seligman, S. 582.

114 Grundlegend TSC Industries, Inc. v. Northway, Inc. 426 U.S. 438 (1976).

115 Instruktiv die Aufzählung bei Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 74 f. und zur safe-harbour-doctrine gem. SEA Sec. 21E(c), ders., § 6 Rn. 76 f.

116 Klein/Coffee, S. 172; Soderquist/Gabaldon, S. 154; Ratner/Hazen, S. 180.

117 Basic Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224, (1988); Blackie v. Barrack, 524 F.2d. 891, 907 (1975).

118 Klein/Coffee, S. 417; Sauer, ZBB 2005, 25 f.

119 Blackie v. Barrack, 524 F.2d. 891, 907 (9th Cir. 1975).

120 Affiliated Ute Citizens v. United States, 406 U.S. 128, 155 (1972).

121 Ratner/Hazen, S. 156.

122 Seit 1995 ist die loss causation in SEA Sec. 21D(b)(4) als „standard rule of tort law” [Bastian v. Petren Resources Corp., 892 F.2d 680, 685 (7th Cir. 1990)] kodifiziert.

123 Loss/Seligman, S. 1268 Fn. 210 ff.

124 Soderquist/Gabaldon, S. 165.

125 Soderquist/Gabaldon, S. 165; nicht diskutiert werden die benefit-of-the-bargain damages / measured by the disgorgement approach, die beide sehr selten angewandt werden.

126 Ratner/Hazen, S. 148 f.; es handelt sich dabei um eine Einschränkung der Schadensberechnung zugunsten des Unternehmens, die durch den Private Securities Litigation Reform Act 1995 in den SEA implementiert wurde; vgl. aus dem deutschen Schrifttum Fleischer, BB 2002, 1872.

127 Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 89.

128 Soderquist/Gabaldon, S. 166 f.

129 So auch Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 31 a.E.

130 Vgl. Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 51.

131 So die Erkenntnisse der ECMH; eingehend Sauer, ZBB 2005, 25 f.

132 Fleischer, Hdb. KapAnlR, § 7 Rn. 46; für die Rezeption in das deutsche Recht, vgl. Maier-Reimer/Webering, WM 2002, 1860; Sethe, WpHG Komm., §§ 37b, c Rn. 84 m.w.N.; siehe aber auch BGH ZIP 2007, 326.

133 Vgl. auch Casper, BKR 2005, 84.

134 Ratner/Hazen, S. 310.

135 Ratner/Hazen, S. 180 m.N. aus der Rspr.

136 Affiliated Ute Citizens v. United States, 406 U.S. 128, 155 (1972).

137 Ratner/Hazen, S. 144; Baums, ZHR 167 (2003), 150 f.

138 S. aber ausführl. zum Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance bzgl. der Annäherung an einen allg. Informationshaftungstatbestand, Veil, ZHR 167 (2003), 398 f. (i.E. jedoch auch ablehnend).

139 Soderquist/Gabaldon, S. 170 f.; Schulte, Ad-hoc-Publ., § 6 Rn. 47.

Recommender Systeme

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Aufbau von Wechselkosten mit Unterstützung von Recommender Systemen*

von stud. VWL Stefan Tröller, Universität Freiburg

In der heutigen, von steigender Komplexität und Dynamik geprägten Zeit, in der stationäre Handelsunternehmen einem ständigem Konkurrenzdruck und dem ständigen Wandel der Umweltbedingungen ausgesetzt sind, hängt das wirtschaftliche Überleben von einem maßgeblichen Erfolgsfaktor ab: dem Einkaufsverhalten der Kunden.
So könnte manches mehr verkauft werden, wenn der Verkäufer im Gespräch mit dem Kunden immer die aktuellsten Produktinformationen zur Hand hätte und gewonnene Informationen aus dem Verkaufsgespräch sofort erfassen könnte. Es müsste auch nicht viel Zeit darauf verwendet werden, Fakten wie Schuh- oder Konfektionsgröße, Qualitäts- und Preiswünsche oder andere dem Kunden wichtige Kaufvoraussetzungen erfragt werden, dafür könnte der Verkäufer sofort mit dem Anbieten und Verkaufen beginnen.
Personalisierte Kundenkommunikation in Echtzeit am POS (Point of Sale – Verkaufsort) war aber bisher hauptsächlich im E-Commerce vertreten. Die Reaktion darauf war bei vielen stationären Handelsunternehmen die Einführung von Multi Channel-Strategien. Durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ergeben sich nun aber auch Potentiale für diese Unternehmen, weil ihre Käufer künftig Informationen direkt am POS abrufen und  diese vom Unternehmen erfasst werden können. Dadurch werden die Kundenbeziehungen intensiviert und die Wechselbereitschaft eingeschränkt.
Unternehmen müssen wegen der beschränkten Ressourcen nicht nur die Potentiale ausnutzen, um neue Kunden für sich zu gewinnen, sondern auch Strategien entwickeln, wie sich diese langfristig an das Unternehmen binden lassen.

Diese Arbeit soll die Konzepte ökonomischer “Wechselkosten” theoretisch beschreiben und zeigen, wie Anbieter im stationären Handel erfolgreich Kunden binden können, indem Sie Wechselkosten aufbauen mit Hilfe von personalisierten Produktinformationen durch Recommender Systeme.

In Kapitel 1 werden hierfür Wechselkosten vor dem Hintergrund der Transaktionskostentheorie und der Informationsökonomie klassifiziert und beschrieben, wie sie im Rahmen der aktuellen Marktsituation stationärer Handelsunternehmen zu berücksichtigen sind.

In Kapitel 2 soll im Kontext eines Data Mining gestützten CRM-Ansatzes gezeigt werden, wie mit Hilfe verschiedener Arten von Recommender System-Methoden eine nachhaltige Kundenbindung über die gesamte Zeit der Kundenbeziehung erreicht werden kann.

Kapitel 3 enthält eine Zusammenfassung und die Einschätzung des Autors, ergänzt mit einem Ausblick auf  weitere  Entwicklungen und unbehandelte Themenfelder.

 

I. Wechselkosten in stationären Handelsunternehmen

Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die theoretischen Konzepte von Wechselkosten und die Strukturierung der verschiedenen ökonomischen Erklärungsansätze.

1. Grundlegende Begriffe und Einordnung von Wechselkosten

Ausgangsgangspunkt der folgenden Ausführungen sind die begriffliche und inhaltliche Einordnung der darauf aufbauenden oder verwandten Konzepte. Dabei ist es sinnvoll mit den Begriffen „Kundenbindung“ und „Kundenbindungsmanagement“ zu beginnen, diese zu systematisieren und davon ausgehend den Begriff Wechselkosten zu definieren und zu erschließen.

Unter dem Begriff „Kundenbindung“ werden sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens verstanden, die das Ziel haben, die Verhaltensabsicht sowie das tatsächliche Verhalten des Kunden zu dem Anbieter oder dessen Leistung positiv zu gestalten,  zu intensivieren oder zu erweitern.1 Daraus ergibt sich, dass man zwischen einer Anbieter bezogenen und einer Nachfrage bezogenen Sicht der Kundenbindung trennen muss.2

Die Anbieter orientierte Sicht umfasst somit alle Maßnahmen, die zu kontinuierlichen oder vermehrten Wieder-, Zusatz- und Folgekäufen führen oder verhindern, dass ein Kunde die Geschäftsbeziehung verlässt und den Anbieter wechselt.3
Die Nachfrage orientierte Sichtweise zur Kundenbindung ergibt sich aus  dem bisherigen  Kauf- und Weiterempfehlungsverhalten, um wiederholte Käufe sinnvoll oder notwendig erscheinen zu lassen.4

Weiter lässt sich Kundenbindung konzeptionieren anhand der Dimension ihrer Bindungsart. Es werden Attraktivität und Abhängigkeit unterschieden5. Attraktivität bietet dem Kunden in einer Geschäftsbeziehung einen existierenden oder zukünftigen Nettonutzen, Abhängigkeit stellt die eingeschränkte Handlungsfreiheit dar.

Zusätzlich lässt sich Kundenbindung in die Arten der Bindungspotentiale aufteilen. Dazu zählen faktische, vertragliche, ökonomische, technisch-funktionale und emotionale Bindungen.
Kundenbindungspotentiale sind Hemmnisse, die aus Sicht des Kunden die Abwanderung zu einem anderen bzw. neuen Anbieter erschweren oder gar zeitweise unmöglich machen. Somit fallen auch rein subjektiv empfundene Wechselhindernisse darunter.

Anzumerken ist, dass Abhängigkeit vorrangig durch faktische und Attraktivität primär durch emotionale Kundenbindungspotentiale hervorgerufen werden.
Der Begriff „Kundenbindungsmanagement“ wird dagegen definiert als die systematische  Planung, Realisation, Kontrolle und Anpassung aller Maßnahmen, die auf  den aktuellen Kundenstamm abgerichtet sind, um die Wechselbereitschaft durch Aufbau oder Ausbau von faktischen oder emotionalen Bindungen zu vermindern oder zeitweilig auszuschließen. Damit verfolgt das Kundenbindungsmanagement das Ziel, profitable Kundenbeziehungen zu etablieren und Anbieterwechselbereitschaft und Markttransparenz zu minimieren.6

a) Definition und Begriffsabgrenzungen

Der Begriff Wechselkosten7 wird definiert als Aufwendungen8, die für einen Kunden mit seiner Abwanderung zu einem anderen Anbieter einhergehen.9 Eine ergänzende Definition findet sich bei KLEMPERER: „Switching Cost results from a comsumer’s desire for compatibility between his current purchase and a previous investment.”10

Ausgehend davon stellen Wechselkosten somit Kosten und Nutzeneinbussen dar, die ein Kunde wegen seiner Abhängigkeit tragen muss. Auch kann er bei einem Wechsel die subjektiv rational empfundenen  Kosten- oder Nutzenvorteile, die er auf Grund der Attraktivität der Geschäftsbeziehung hat, verlieren. Es ist festzuhalten, dass je höher die Wechselkosten in ihrer Gesamtheit sind, desto mehr wächst die Bereitschaft, in der bestehenden Geschäftsbeziehung zu verbleiben.

Abzugrenzen sind hier die Gründe der Kundenbindung, deren Wechselkosten nicht auf  Kosten- oder Nutzengesichtspunkten zurückzuführen sind.11 Diese liegen bei einer emotionalen Kundenbindung vor, wenn Kunden aus emotionalen Gründen –welcher Art auch immer- den Anbieter nicht wechseln wollen.

2. Ansätze und Klassifikation von Wechselkosten

Zur Erklärung und Typologisierung der relevanten Wechselkosten wurden aus vorhandenen Erklärungsansätzen nur die ausgewählt, die für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sind, wobei Überschneidungen  oder Auslassungen möglich sind. Die ausgewählten Ansätze aus der modernen Institutionen-Ökonomik erscheinen mir mit ihren individuellen Vor- und Nachteilen und ihren spezifischen Perspektiven geeignet,  Wechselkosten zu erklären.

a) Transaktionskostentheoretische Perspektive

Ausgangspunkt der Transaktionskostentheorie12, ist, dass durch die Koordination von Aktivitäten der handelnden Wirtschaftssubjekte Koordinationskosten (= Transaktionskosten) entstehen. Transaktionen sind nur dann effizient, wenn die Wirtschaftssubjekte diese so organisieren, dass sie im Vergleich zu anderen Organisationsformen, wie Markt oder Hierarchie, die geringsten Transaktionskosten aufweisen.13

Das wichtigste Transaktionsmerkmal ist die Spezifität14 und die damit zusammenhängende Investition. Neben der Häufigkeit und der Annahme der Unsicherheit beim Verhalten beschränkter Rationalität oder bei opportunistischem Verhalten bestimmen sie die Höhe der Transaktionskosten. Transaktionskosten bestehen aus den anfallenden Kosten bei der Anbahnung, Abwicklung, Kontrolle, Anpassung und Auflösung von Verträgen15.

Spezifische Investitionen werden in vier Formen der Spezifität unterteilt:

1. standortspezifische („Site Specificity“)

2. anlagenspezifische („Physical Asset Specificity“)

3. abnehmerspezifische („Dedicated Assets“) und

4. Humankapital („Human Asset Specificity“).16

Auch wird zwischen ex-ante und ex-post Spezifität unterschieden.
Ex-ante Spezifität stellen Investition dar, die die Voraussetzung für Transaktionen schaffen,  also Anbahnungs- und Verhandlungskosten.
Ex-post Spezifität werden dagegen die Investitionen genannt, die aus den Kosten der Überwachung, Durchsetzung und nachträglichen Anpassung der Transaktionskonditionen entstehen, also Kontroll- und Anpassungskosten.17

Durch zunehmende Spezifität der Einsatzfaktoren ändert sich die Beziehung zwischen den Akteuren; der Wechsel zu einem anderen Transaktionspartner wird zunehmend schwerer, da hierdurch entweder die so genannten Quasi Renten, d.h. die Erlösdifferenz zur nächsten Verwendungsmöglichkeit der Faktoren und/oder durch die Spezifität induzierten Kostenvorteile verloren gehen.

Existieren hohe und spezifische Investitionen, so zwingt die Spezifität den Investor zur Durchführung der geplanten Transaktion(en) und begründet damit seine Abhängigkeit. Vor allem spezifische Investitionen des Kunden, die ihn an einen bestimmten Anbieter binden, stellen für potentielle Wettbewerber Barrieren dar und schützen die etablierte Geschäftsbeziehung. Damit sind sie irreversible Kosten für den Kunden und begründen damit Wechselkosten.

b) Informationsökonomische Perspektive

Auch die Informationsökonomie basiert auf den Annahmen der Unsicherheit und der unvollkommenen Information. Wobei die Unvollkommenheit der Information nicht als exogen vorgegeben angenommen wird. Der Informationsstand kann vielmehr durch die Marktteilnehmer beeinflusst werden.
Gegenstand der Informationsökonomie ist das Agieren der Marktteilnehmer, ihre Strategien des Informationstransfers und die damit verbundenen Kosten-Nutzen-Beziehungen. Da der Abbau von Unsicherheit und die damit zusammenhängenden Prozesse des Informationstransfers wesentliche Schritte vor allem bei der Kaufentscheidung sind, steht die Marktunsicherheit im Zentrum der Betrachtung der betroffenen Transaktionspartner innerhalb einer Geschäftsbeziehung.

Die Unsicherheit entsteht hier aus der Vermutung der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den Transaktionspartnern18. Unter der Annahme der asymmetrischen Informationsverteilung und unter der Annahme von positiven Informationskosten werden opportunistische Verhaltensweisen wahrscheinlich19. Aus diesem Grund streben die Austauschpartner nach Informationssymmetrie und übertragen Informationen. Diese Informationsübertragung kann auf zwei unterschiedliche Arten erfolgen: entweder durch „Signaling“ oder durch „Screening“.20

„Signaling“ bezeichnet die Aktivitäten des Transaktionspartners mit der vollkommeneren Information. Betrachtet man die Transaktionsbeziehungen zwischen Anbieter und Kunden, so liegen die größeren Informationsdefizite in der Regel beim Kunden. Das Interesse des Anbieters ist es deshalb, die Unsicherheit des Kunden durch den Ausgleich der Informationsdefizite zu reduzieren und somit die Bereitschaft zur Transaktion zu steigern.21
„Screening“ nennt man dagegen die Aktivitäten des Transaktionspartners mit der unvollkommeneren Information. Für die Situation zwischen Anbieter und Kunde bedeutet dies, dass der Kunde versucht, seine Unsicherheit bezüglich des Transaktionsgegenstandes abzubauen, um dadurch die Gefahr eines Fehlkaufs zu verringern22 .

Besonders die Unsicherheit bezüglich der Qualität eines Transaktions­gegenstandes kann die Beurteilung seiner Eigenschaften sehr schwierig oder sogar unmöglich machen23. Die Eigenschaften eines Transaktionsgegenstandes können in drei Kategorien unterteilt werden:

  • Sucheigenschaften können durch Informationssuche und Inspektion und den damit verbundenen Kosten vor dem Kauf vollständig beurteilt werden.
  • Erfahrungseigenschaften können erst nach dem Kauf vollständig beurteilt werden.
  • Vertrauenseigenschaften können weder vor noch nach dem Kauf vollständig beurteilt werden, da die Untersuchung und Bewertung des Transaktionsgegenstandes für den Kunden mit einem zu hohen Aufwand verbunden wäre.

Auch wenn in der Regel ein Transaktionsgut Eigenschaften aus allen drei Kategorien aufweist24, werden gewöhnlich die Eigenschaften einer Kategorie dominierend sein. Beide Transaktionspartner werden deshalb Anstrengungen unternehmen, um die Informationsdefizite zu beseitigen, die entweder mit Kosten oder mit einem potentiellen Nutzen des Anderen verbunden sind.

Ausgehend von den ökonomischen Erklärungsansätzen und anhand der Bindungsarten und Bindungspotentiale kann man Wechselkosten klassifizieren:

  • Direkte Wechselkosten sind Kosten der Suche, der Anbahnung und der Vereinbarung einer neuen Geschäftsbeziehung sowie Informationskosten in  Form von Opportunitätskosten25, die beim Wechsel des Transaktionspartners anfallen -  tatsächlich oder subjektiv wahrgenommen.
  • Lernkosten stellen versunkene Kosten dar. Sie sind irreversible Kosten oder Investitionen, die spezifisch für diese Geschäftsbeziehung entstanden sind. Sie können somit auch nicht einer Andersverwendung zugeführt werden und haben nur solange einen Wert, wie die bestehende Geschäftsbeziehung anhält
  • Künstliche/vertragliche Wechselkosten sind Geldvorteile für den Kunden,  wie Rabatte oder Kundenkarten, die eine Intensivierung der Geschäftsbeziehung bewirken sollen.
  • Sozialpsychologische Wechselkosten entstehen durch emotionale Bindungspotentiale. Sie enthalten somit keinerlei Kosten- oder Nutzenvorteile in einer Geschäftsbeziehung sondern wirken über positive emotionale Empfindungen oder Affinität gegenüber dem Anbieter. Unter Anderem zählen dazu Comitment und Vertrauen. Sie werden hier nicht weiter verfolgt.

3. Voraussetzungen & Markterfordernisse

Bei Discountern und Supermärkten – den umsatzstärksten Betriebsformen des Einzelhandels – ist ein heftiger Konkurrenzkampf zu beobachten. Steigende Wettbewerbsintensität auf gesättigten Märkten, stagnierende oder sehr geringe Wachstumsraten, gut vergleichbare Produkte bei Qualität und Preis und erhöhte Kosten beim Neugewinnen von Kunden sind im stationären Handel Hauptgründe für die Etablierung von Wechselkosten und erhöhen die Wichtigkeit der Kundenbindung gegenüber der Neukunden-Akquisition.

Wegen der massiven Konkurrenz von Versand- und Auktionshandel sowie E-Commerce wird eine individuelle Kundenbeziehung für den stationären Handel immer bedeutsamer. Das Internet wird vielfach als Such- und Informationsmedium eingesetzt. Die Einkaufsstätte gestattet dagegen eine Begutachtung des Produktes mit allen Sinnen und bietet eine persönlichere Beratung26. Diese Vorteile gilt es zu nutzen für die Veränderung von undifferenziertem Masseneinkauf hin zu einer auf die Kundenwünsche abgestimmte „Erlebniswelt“. Das bewirkt nicht nur eine bessere Kundenbindung sondern ist auch langfristig notwendig für das Kundenbindungsmanagement.
Diese Entwicklung führt dazu, dass die Bedeutung von Wechselkosten steigen wird mit entsprechender Auswirkung auf die Kundenbeziehungen.

 

II. Recommender Systeme als Instrument zur Kundenbindung

1. Kundenbindung durch personalisierte Zusatzdienstleistungen

Kundenbindung können durch Zusatzdienstleistungen intensiviert werden, besonders dann, wenn sie individuell gestaltet sind. Der Begriff Zusatzdienstleistungen27 (Value added Services) ist dahin gehend zu verstehen, dass sie sowohl für das Unternehmens wie auch für den Kunden einen zusätzlichen Nutzen erkennen lassen, der den üblichen Nutzen einer Geschäftsbeziehung übersteigt.28
Aus diesem Begriffsverständnis heraus bedeutet es einen Nettonutzenvorteil für den Anbieter gegenüber seiner Konkurrenz und somit ein ökonomisches Bindungspotential.

Die Zielsetzungen von Zusatzdienstleistungen werden in ökonomische und nicht-ökonomische Ziele unterteilt.
Ökonomische Ziele beinhalten Umsatzsteigerungen in Form von Zusatzkäufen und/oder Wiederkäufen. Nicht-ökonomische Ziele widmen sich dem Aspekt der Kundenbindung29. Angebotene Zusatzleistungen sollen eine positive Auswirkung auf die Gewinnung kundenbezogener Daten haben, um eine Steigerung des Kundennutzens zu bewirken und damit Einfluss auf die Kundenbindung auszuüben30.

Die unterschiedlichen Formen von Zusatzdienstleistungen können anhand der Art der Leistung eingeordnet werden in:

  1. Informations-/Beratungsdienstleistungen
  2. logistische Dienstleistungen
  3. Individualisierungsdienstleistungen
  4. betriebswirtschaftliche Dienstleistungen
  5. Bequemlichkeitsdienstleistungen
  6. technische Dienstleistungen
  1. Informations-/Beratungsdienstleistungen sind zusätzliche Dienstleistungen, die sich auf die Beschaffung und Nutzung von Produkten beziehen. Sie haben ein relativ geringes Bindungspotential, da sie von Kunden nicht notwendigerweise gewünscht werden.
  2. Logistische Zusatzdienstleistungen sind meist ein fester Bestandteil des gekauften Produkts und haben so eine sehr hohe Kundenbindungswirkung.
  3. Individualisierungsdienstleistungen passen sich bei Produkt und Dienstleistung  individuell den Bedürfnissen des Kunden an und haben somit ein besonders hohes Bindungspotential.
  4. Betriebswirtschaftliche Zusatzdienstleistungen sind hauptsachlich monetäre Größen wie zum Beispiel bei der Finanzierung. Sie haben ein extrem hohes Bindungspotential, weil sie nur schwer aufzulösen sind.
  5. Bequemlichkeitszusatzdienstleistungen haben ein hohes Kundenbindungs­potential, weil sie sich an den häufigsten Bedürfnissen der Kunden ausrichten.
  6. Technische Zusatzdienstleistungen sind die „klassischen Dienstleistungen“,  die fast jedes Unternehmen mit technischen Produkten erbringen muss und haben deswegen auch keine besondere Bedeutung für die Kundenbindung.

2. Orientierung am Customer Relationship-Management

Für ein individualisiertes Kundenbeziehungsmanagement hat sich der Begriff des Customer Relationship-Management (CRM) durchgesetzt31. Er wird wie folgt definiert „CRM umfasst den Aufbau, die kontinuierliche Optimierung sowie den Erhalt dauerhafter und gewinnbringender Kundenbeziehungen“32.

a) Prinzipien des Customer Relationship-Management

Der CRM-Ansatz bedient sich vier wesentlicher Prinzipien33:

1. Integration
Dies beschreibt die Einbindung aller kundenorientierter Geschäftsprozesse in den CRM-Ansatz. So werden alle Bereiche des Unternehmens, die in direktem Kontakt mit dem Kunden stehen, einheitlich dem Kunden gegenüber auftreten. Dafür ist es notwendig, dass alle an den Customer Touch Points gewonnenen Kundeninformationen zusammengeführt werden.

2. Langfristigkeit
Darunter ist im Rahmen des CRM zu verstehen, dass durch den Aufbau einer langfristigen Kundenbindung die Profitabilität des Kunden steigt. Eine langfristige Kundenorientierung ist somit kosteneffizienter als eine kurzfristig angelegte Transaktionskostenorientierung.

3. Profitabilität
Nicht alle Kunden sind bereit, sich längerfristig an einen bestimmten Anbieter zu binden und in vielen Unternehmen liefert nur ein geringer Prozentsatz der Stamm-Kunden den relevanten Umsatz für ein Unternehmen34. Kunden unterscheiden sich nicht nur durch ihre individuellen Bedürfnisse, sondern auch anhand ihres Kundenwertes, den sie für das Unternehmen haben. Somit sollten Kunden, die schon länger einen negativen Gewinnbeitrag leisten, nicht mehr aktiv betreut werden.

4. Differenzierung
Dieses Prinzip fordert, dass die Unternehmensaktivität sich an einer möglichst feinmaschigen Kunden-Segmentierung orientiert. Sowohl die Produkte und Dienstleistungen wie auch die Kommunikation müssen gezielt auf spezielle Kundengruppen ausgerichtet sein.

b) Unterstützung durch Data Mining-Verfahren

Es ist zwischen dem operativen und dem analytischen CRM zu trennen. Das operative CRM bezieht sich auf die unmittelbare Unterstützung kundenbezogener Geschäftsprozesse, wie zum Beispiel eine individuelle Kaufempfehlung. Im analytischen CRM werden alle kundenrelevanten Informationen systematisch aufgezeichnet und für eine kontinuierliche Unterstützung kundenbezogener Geschäftsprozesse analysiert.
Im Rahmen des analytischen CRM ist die Datenbasis für eine Differenzierung der Kundenbeziehung die Aggregation und die Zusammenführungen aller kundenorientierter Daten in ein Customer Data Ware House. Dies stellt die Informationsbasis dar und liefert für die Datenanalyse die entsprechenden Daten.

Data Mining ist die weitgehend automatische Suche nach neuartigen und interpretierbaren Beziehungsmustern in großen Datenbankbeständen und stellt einen Teilprozess des Knowlege Discovery in Database (KDD) dar. Der KDD Prozess ist der eigentliche Prozess der Mustererkennung und läuft in folgenden Schritte ab:
Aus dem Data Warehouse erfolgt eine Auswahl relevanter Rohdaten. Diese werden aufbereitet, um die Analysedaten für das Data Mining zu liefern. Die daraus entstehenden Muster werden interpretiert und stellen somit explizites Wissen dar.

Um eine langfristige und differenzierte Kundenbeziehung zu ermöglichen – wie anhand des CRM-Ansatzes gefordert wird – kann Data Mining eine gezielte phasenspezifische Unterstützung bieten. Fasst man die Kundenbeziehung als Kundenlebenszyklus (Customer Life time cycle)35 auf, so durchläuft ein Kunde Entwicklungen in einzelnen Phasen des Zyklus, die immer wieder spezifische Aufgaben zur Anpassung an die Geschäftsbeziehung für das Management bedeuten.

aa) Einsatzbereiche von Recommender Systemen

Ein Recommender System bezeichnet eine Software, deren Aufgabe darin besteht, dem Benutzer auf Grundlage seiner Präferenzen eine Empfehlung für ein Objekt zu geben. Dazu benötigt es zum Einen die ungefilterten Hintergrunddaten und zum Anderen – als weiteren Input – Informationen über den Nutzer. Das Recommender System ist ein Algorithmus, der beide Daten kombiniert und als Ergebnis personalisierte Empfehlungen generiert. Man unterscheidet das Recommender System in inhaltsbasierter und gemeinschaftsbasierter Filterung36.

Inhaltsbasierte Filterung ermittelt die Ähnlichkeit von Objekten über deren Eigenschaften. Gemeinschaftsbasierte Filterung vernachlässigt alle Informationen über die vorhandenen Objekte. Sie erstellt die Präferenzprofile anderer Nutzer, die dem des derzeitigen Nutzers ähnlich sind.

(1) Transformierung von Kundendaten in Kundeninformationen

Vorraussetzung für Personalisierung ist ein Kundenprofil, das schrittweise aus Kundendaten gewonnen wird. Es gibt unterschiedliche Arten von Kundeninformationen, die sich anhand ihrer Erfassung bzw. Benutzereingabe unterscheiden.
Dazu gibt es zwei Sichtweisen: Eine eher individuelle Sicht, bei der aus individuellen Kundenprofilen ein gezielter Nutzen für einen Kunden erzeugt wird (Personalisierung). Bei der Gemeinschaftssicht werden Kundenprofile zusammengefasst und ihre Aggregation zum Nutzen der Gemeinschaft eingesetzt.

Quellen von Kundenprofilen sind:

1. Benutzereingaben:
Diese Personalisierungsdienste basieren auf der freiwilligen Eingabe von Präferenzprofilen.

2. Aufzeichnung:
Transaktionsaufzeichnungen erfolgen heute bereits im großen Umfang am POS im Einzelhandel. Diese werden mit Kundenkarten oder Kaufhistorien von Barcode-Scannern aufgezeichnet.

3. Aggregation:
Transaktionsdaten und Präferenzprofile

Recommender Systeme, bei der die Aggregation eingesetzt wird, können gemeinschaftliches oder individuelles Wissen analysieren und transferieren.

(2) Identifizierung von Kundensegmenten

Im Hinblick auf die geforderte Profitabilität des CRM-Ansatzes ist es auf der Basis von gewonnenen Kundeninformationen möglich, Kunden zu segmentieren und sie anhand ihrer Profitabilität zu analysieren, ob sie in Zukunft für das Unternehmen einen Wert darstellen. Als Mittel hierzu können Cross- und Up Selling-Analysen verwendet werden37.
Mittels Cross Selling-Analysen wird ermittelt, welche Kunden die Produkte A gekauft haben, ob sie auch für Produkt B in Frage kommen oder ob Käufer des  Produkts C regelmäßig  Produkt D nicht kaufen.
Dagegen beschäftigt sich Up Selling mit der Analyse, wie man dem Kunden auf der Basis seines gekauften Produkts ein höherwertiges verkaufen könnte. Kauft beispielsweise ein Kunde das Produkt A, wird analysiert, ob die Möglichkeit besteht, dass er auch gerne Produkt AA kaufen würde.

Um Cross und Up Selling durchführen zu können, besteht auch die Möglichkeit der Warenkorb-Analyse.
Warenkörbe38 enthalten alle Produkte, die ein Kunde während seines Kaufprozesses tätigt. Mit Hilfe von Assoziations-Analysen können häufig gekaufte Produktkombinationen ermittelt werden, die dem Unternehmen helfen, Kundenprofile detaillierter zu gestalten und ergänzt mit Sequenz-Analysen eine zeitliche Strukturierung des Kaufverhaltens abbilden.
Damit ist eine Einsatzmöglichkeit für Recommender Engines gegeben. So können vor dem Hintergrund der Kundenbewertung, Einzelkunden auf ihre  Profitabilität im Rahmen der Zielgruppenselektion analysiert werden.
Kunden, die die für ein spezielles Kundensegment typischen Warenkörbe aussparen, so genannte Wechselkäufer39, werden eindeutig identifiziert und dann z.B. im Rahmen eines gezielten Kampagnen-Managements angesprochen; oder profitable Kunden bekommen einen persönlichen Beziehungsmanager zugewiesen, der die Geschäftsbeziehung weiter intensiviert40.

(3) Einbindung in Kundenkommunikationskanäle

In Rahmen des CRM-Ansatzes werden alle Customer Touch Points und alle Kanäle, die der Kommunikation mit Kunden dienen, eingesetzt. Die Verwaltung und Koordination verschiedener Kanäle bezeichnet man als Multi Channel-Management. Dies muss sicher stellen, dass der Kunde immer eine einheitliche Sicht auf das Unternehmen (one face to the customer) hat, unabhängig davon, welche Kanäle er benutzt41.
Die einzelnen Kommunikationskanäle waren bisher strikt getrennt. Mit der Einführung eines Customer Interaktions Center (CIC), das eine Weiterentwicklung eines Call Centers ist, kann dies geändert werden.

CICs können gleich mehrere Kommunikationskanäle unterstützen:

  • Am POS die Einkaufsberaterfunktion ausweiten
  • Für bestimmte Kundenbedürfnisse den am besten geeigneten Mitarbeiter empfehlen
  • Via Internet gezielt mit dem Kunden kommunizieren, um ihm bei derWarenbestellung zu helfen
  • Das Kundenprofil im Internet durch den Kunden ergänzen zu lassen, um ihn beim nächsten Einkauf gezielter beraten zu können
bb) Methoden von Recommender Systemen

Die Einsatzbereiche von Recommender Systemen erfordern Voraussetzungen,  die hier in allgemeiner Form beschrieben werden und nicht für spezielle Typen der Recommender Systeme.

(1) Anforderungen bezüglich der Kundenprofile

Probleme bei einzelnen Recommender Systemen machen die gewünschten Anforderungen:

  • bei  Sparsity müssen viele Benutzer das System nutzen, damit Ähnlichkeiten bzw. Zusammenhänge zwischen Benutzern berechnet werden können.
  • Bei Start Up müssen genügend Bewertungen durch einen Benutzer vorliegen.
  • Bei New User muss ein neuer Nutzer zuerst eine Anzahl von Gegenständen angeben, die er kaufen möchte.
  • Bei New Item müssen neue Gegenstände erst vom Benutzer bewertet werden, bevor sie vorgeschlagen werden können.
  • Bei Schwarze Schafe werden Benutzer beschrieben, die sich nicht klar in die bestehenden Gruppen einordnen lassen und somit schwer zu erfassen sind
  • Der Portfolio-Effekt bezieht sich darauf, dass ein idealer Recommender schon mehrmals gekaufte Produkte nicht empfehlen sollte.
(2) Anforderungen bezüglich der Kundensegmentierung

Da die Datenlage bei bereits erfassten Kunden natürlich weitaus besser ist als bei neuen Kunden, müssen bei fehlenden Merkmalen bestimmte Kriterien beachtet werden, die Aufschluss über die Bedürfnisse der Kunden geben sollen.
Grundsätzlich kann man folgende Kriterien für die Segmentbildung heranziehen:42

  • Identifizierungs-Kriterien (z.B. Vorname, Name, Wohnort)
  • Demographische Kriterien (z. B. Geschlecht, Alter)
  • Geographische Kriterien (z.B. Bevölkerungsdichte, regionaltypische Kennzeichen)
  • Sozioökonomische Kriterien (z. B. Einkommen, Beruf, Bildung)
  • Psychologische Kriterien (z. B. Interessen, Lifestyle)
  • Verhaltenskriterien (z. B. Transaktionshäufigkeit, Preissensitivität)

Diese Segmentierungkriterien müssen folgenden Anforderungen genügen:

  • Messbarkeit: die Marktsegmentierungskriterien müssen mit den vorhandenen Marktforschungsmethoden messbar und erfassbar sein.
  • Kaufverhaltensrelevanz: muss Verhaltensweisen und Eigenschaften erfassen, die eine Voraussetzung des Kaufes darstellen und die anhand der intern homogenen und extern heterogenen Marktsegmente abgegrenzt werden können.
  • Erreichbarkeit /Zugänglichkeit: die Segmentierungskriterien müssen so gewählt werden, dass sie die gezielte Ansprache der abgegrenzten Marktsegmente gewährleisten.
  • Handlungsfähigkeit: die Segmentierungskriterien müssen die Ausgestaltung und den gezielten Einsatz der Marketinginstrumente ermöglichen.
  • Wirtschaftlichkeit: der Nutzen der Erhebung muss größer als die Kosten
  • Zeitliche Stabilität: die Informationen, die mittels der Kriterien ausgewählt wurden, müssen weitgehend stabil bleiben.

Auch muss ein Kundenwert ermittelt werden, um die Profitabilität jedes einzelnen Kunden zu bestimmen. Dazu gibt es verschiedene Verfahren:

  • Kundenumsatzanalyse (ABC-Analyse)
  • Kundendeckungsbeitragsanalyse
  • Kundenportfolioanalyse
  • Scoring-Verfahren
  • Customer Lifetime Value (CLV)

Besonders wichtig ist der CLV, da er auch zukünftig erwartete Umsätze abzüglich zukünftiger Kosten ermittelt, die auf den gegenwärtigen Zeitpunkt diskontiert werden.

(3) Anforderungen bezüglich der Kundeninteraktion

Die Interaktion erfolgt in Form von Recommendations oder Predictions. Recommendations sind Produktvorschläge für einen potentiellen Kunden durch ein System. Bei Predictions prognostiziert das System für den Nutzer die Bewertung eines bestimmten Produkts.
Um die Interaktion zu generieren, werden sowohl Kundenprofile wie auch externe Informationen über Produkte und/oder Kunden herangezogen.
Für beide Empfehlungen, die ein Kunden erhält, ist die Genauigkeit und der Nutzen von zentraler Bedeutung. Meist hat ein unerwarteter Produktvorschlag für den Kunden einen höheren Nutzen als ein offensichtlicher.
Die Interaktionen mit dem Kunden werden nach dem Grad der Perso­nalisierung unterschieden:
Unter flüchtiger Personalisierung versteht man Empfehlungen, die auf der Grundlage des aktuellen Verhaltens des Kunden gemacht werden. Darunter fallen beispielsweise Produktvorschläge, die auf Grund der Produkte, die bereits im Warenkorb des Kunden liegen, getroffen werden. Jedoch kann der Grad der Personalisierung variiert werden. Zum Beispiel nur der aktuelle Kundenwert (mit der ABC-Kundenwert-Analyse) oder aber der gesamte Kundenlebenszykluswert (Customer Lifetime Value).

Bei persistenter Personalisierung werden Informationen über die Kunden dauerhaft aufgezeichnet, die bei Recommendations und Predictions dazu führen, dass das System verschiedenen Kunden unterschiedliche Vorschläge macht, obwohl sie das gleiche Produkt zum Kauf in Erwägung ziehen.

Unpersonalisierte Empfehlungen sind statistische Zusammenfassungen des Unternehmens wie zum Beispiel die Kaufhistorie aller Kunden, denen externe Informationen ergänzend hinzugefügt werden können. Empfehlungen, die auf Grund der Eigenschaften von Produkten gemacht werden, gehören zu den unpersonalisierten Vorschlägen.
Dadurch können Kunden, die bereits einige Sonderangebote in ihrem Warenkorb haben, alle aktuellen Sonderangebote empfohlen werden.

c) Verbesserungen durch Hybride Ansätze

Hybride Systeme sind Empfehlungssysteme, die aus einer Kombination von Content-based Filtering und Collaborative Filtering entstehen. Ihr Ziel ist es, die individuellen Nachteile der Systeme zu minimieren, die Performance für den Empfehlungsprozess zu steigern und in Bereichen mit großen Datenmengen die Empfehlungsqualität zu verbessern.

Daneben gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die die beiden Basistechniken unterschiedlich kombinieren und teilweise neue Aspekte integrieren. Einer der bekanntesten Vertreter von Hybriden Systemen ist das Item-based Collaborative Filtering, das unter Anderen von Amazon eingesetzt wird und Content-based mit Collaborative Filtering kombiniert. Der Empfehlungs­prozess besteht bei diesem System aus einer analytischen und einer operativen Phase. Analytisch werden die Bewertungen der Nutzer in der Datenmatrix verwendet, um Ähnlichkeiten bei Produkten zu berechnen.
Wegen der ausgezeichneten Vorverarbeitung der Daten kann die online-Berechnung in kurzer Zeit erfolgen. Das Item-based Collaborative Filtering liefert also auch bei sehr hohen Datenmengen hochwertige Empfehlungen in Echtzeit.

Es existieren zahlreiche andere Methoden, die aber wegen ihres bis jetzt noch geringen praktischen Einsatzes nicht berücksichtigt werden können.

3. Ergebnis

Die Notwendigkeit, Geschäftbeziehungen individueller am Kunden zu orientieren, rückt immer mehr in den Fokus der Unternehmensstrategie.
Für den Aufbau von Wechselkosten stehen den stationären Handelsunternehmen heute unterschiedliche Instrumente zur Verfügung:

Der Data-Mining gestützte CRM Ansatz beim Einsatz von Recommender Systemen soll verdeutlichen, dass es bei der systematischen Umsetzung große Chancen gibt, um die Kundenbindung mit individuellen Marketingmaßnahmen zu erhalten und zu intensivieren, jedoch existieren Einschränkungen, die es zu beachten gilt.

So führt die dabei geforderte Kundensegmentierung mit Hilfe von Recommender Systemen dazu, dass identifizierte profitable Kunden mit individualisierte Zusatzdienstleistungen anhand ihrer Bedürfnissen über Kundenprofile gewonnene Informationen zusätzlich ausgestattet werden können, die ihren Kundennutzen erhöhen und auch die Cross- und Upsellingpotentiale erhöhen.

So können personalisierte Zusatzdienstleistungen zum Teil erhebliche Kundenbindungspotentiale erzeugen und Abwanderungshemmnisse aufbauen.

In der Praxis existieren schon Anwendungsbeispiele, wie die Firma prudsys, die unterschiedliche Software Lösungen dazu anbietet wie zum Beispiel eine Recommender Engine, Kundenprofilklassifikationsverfahren-Software  und Warenkorbsanalysen-Tools.

 

III. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Recommender Systeme eröffnen dem stationären Handel – zumindest aus theoretischer Sicht -  eine Möglichkeit, den Aufbau von Wechselkosten zu unterstützen.
So lassen sich Zusammenhänge bei den Geschäftsbeziehungen erkennen, die  bisher in dieser Breite nicht möglich waren. Doch können sich in der Praxis  Probleme ergeben, die den erfolgreichen Einsatz beeinflussen, aber in der vorliegenden Arbeit noch nicht erfasst werden konnten. So müsste die verhaltenswissenschaftliche Wirkung auf den Kunden intensiver erforscht und die technischen und finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Unternehmen genauer erfasst werden können.
Da die Einsatzbereiche von Recommender Systemen so vielfältig sind, erschließen sich damit auch kleineren Einzelhandelsunternehmen im Bereich der Intensivierung von Geschäftsbeziehungen Möglichkeiten, die noch genutzt werden könnten, um Kunden in Zukunft für sich zu gewinnen, die wieder mehr Wert auf Auswahl, Qualität und Beratung legen.

Kritisch ist anzumerken, dass die meisten Systeme zum Teil sehr umfangreiche Nutzerprofile benötigen und beim Anlegen der Dateien datenschutzrechtliche Probleme aufwerfen können, zumal die Kunden sensibler mit der Preisgabe ihrer Daten geworden sind.

 

 

 

 

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Seminars “Internet-Ökonomie” von Prof. Dr. Müller im Wintersemester 2006/2007.

1 Vgl. Homburg und Bruhn (2003), S.8.

2 Vgl. Dittrich und Reinecke (2001), S.261.

3 Vgl. Dittrich und Reinecke (2001), S.263. Alternativ, vgl. Homburg und Bruhn (2003), S.10.

4 Vgl. Dittrich und Reinecke (2001), S.261.

5 Vgl. Dittrich und Reinecke (2001), S.263, „People stay in relationsships for tow major reasons: because they want to, and because they have to”, vgl. Johnson (1982), S.52 ff.

6 Vgl. Meffert (2005), S.149 ff.

7 Ab hier werden die Begriffe Wechselbarrieren (exit barriers) und (rein ökonomische) Wechselkosten synonym verwendet, auch wenn unterschiedliche Auffassungen dahinter stehen. Vgl. zum Beispiel Dick und Basu (1994).

8 Alle monetären und nicht-monetären Größen, die der Kunde durch den Wechsel ausgelöst hat, als Opfer ansieht. Vgl Plinke (2005), S.85).

9  Vgl. Plinke und Söllner (2005), S.85.

10 Vgl. Klemperer (1995) S.517 & Strüker (2005), S.57.

11 Vgl. Dittrich und Reinecke (2001), S.267.

12 Die Transaktionskostentheorie geht zurück auf Coase (1937) und wurde maßgeblich durch Beiträge von Williamson (1975,1985) weiter entwickelt.

13 Vgl. Williamson (1985), S 22.

14 Vgl. Williamson (1985), S.52.

15 Vgl. Picot (1982), S. 270.

16 Vgl. Plinke und Söllner (2005), S. 81.

17 Vgl. Picot (1982), S 270.

18 Vgl. Adler (1994), S.10 ff.

19 Vgl. Kaas (1995), Richter und Furubotn (1999).

20 Vgl. Kaas (1995).

21 Vgl. Kaas (1992), S.36 ff.

22 Vgl. Adler (1994), S.63 ff.

23 Vgl. Backhaus (1992), S.784 ff.

24 Vgl. Kaas und Busch (1996), S.244.

25 Opportunitätskosten stellen den entgangenen „Nutzen einer Andersverwendung der Ressource“dar, vgl. Plinke (1997), S.36 direkt zitiert aus Kleinaltenkamp (1998), S.371.

26 Vgl. Hippner und Wilde (2003), S.488

27 Zusatzdienstleistungen stehen immer in Verbindung zu einem Produkt vgl. Beutin (2005), S.300.

28 Vgl. Beutin (2005), S.300.

29 Vgl. Beutin (2005), S.301.

30 Vgl. Beutin (2005), S 302.

31 Vgl. Buck-Emden und Saddei (2005), S.503.

32 Vgl. Hippner und Martin (2002).

33 Vgl. Hippner und Wilde (2003), S.466.

34 Vgl. Pareto-Prinzip (80/20-Regel) ausführlich dazu Koch (1998).

35 Vgl. Hippner und Wilde (2003), S.472.

36 Vgl. Burke (2002).

37 Vgl. Hippner und Wilde (2003), S.474.

38 Dies kann im stationären Handel mittels RFID-Einsatz auf Artikelebene erreicht werden.

39 Vgl. Strüker (2005), S.118.

40 Vgl. Abschnitt 3.1 insbesondere Bequemlichkeitsdienstleistung.

41 Vgl. Hippner und Wilde (2003), S.488 ff.

42 Vgl. Meffert und Bruhn (2006).

Milchpreise und Millionensummen

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Das Kartellrecht als Schnittstelle dreier Rechtsmaterien

von ref. iur. Jochen Bernhard, Maître en droit

Wer sich in jüngerer Zeit mit der aktuellen Milchpreisdiskussion beschäftigt hat, wird vermutlich nur am Rande bemerkt haben, dass es sich um eine kartellrechtlich höchst brisante Thematik handelt. Der Begriff des „Kartells“ leitet sich dabei aus dem lateinischen Begriff „Charta“ (= Vereinbarung/Urkunde) her und bezog sich ursprünglich nur auf unerlaubte Vereinbarungen zwischen Unternehmen zu Lasten des freien Wettbewerbs. Heute beziehen sich die Regelungsmaterien des Kartellrechts auf sämtliche wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen und dringen in dieser Weise in weite Teile des Alltagslebens ein1. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle der deutsche Milchmarkt als Ausgangspunkt einer kurzen Einführung in das Kartellrecht dienen.

 

I. Tatbestände des Kartellrechts

Sämtliche Teilmaterien des Kartellrechts lassen sich durch die Bewahrung der Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage charakterisieren. Während das Lauterkeitsrecht (UWG) als „kleiner Bruder“ des Kartellrechts den ordnungsgemäßen Ablauf eines bereits bestehenden Wettbewerbsverhältnisses regelt, schafft das Kartellrecht erst die Voraussetzungen für die Entstehung und Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs. Der Gesetzeszweck schlägt sich auch im Titel des deutschen Kartellgesetzes, des „Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB), nieder. Auf europäischer Ebene wird das Kartellrecht durch die primärrechtlichen Normen des EG-Vertrags (EGV) sowie diverse sekundärrechtliche Texte wie die Fusionskontrollverordnung (FKVO) oder die Kartellverfahrensverordnung 1/2003 geregelt.

1. Kartellverbot (§§ 1 ff. GWB / Art. 81 EGV)

Die erste kartellrechtliche Materie, das Verbot wettbewerbsbe-schränkender Absprachen, führte zunächst im August 2007 zu einer Untersuchung des Milchmarkts durch das Bundeskartellamt. Damals bestand aufgrund einer in nahezu sämtlichen großen Handelsketten durchgeführten Preiserhöhung von Milchprodukten um durchschnittlich 20%2 der Verdacht einer Preisabsprache auf Ebene der Supermärkte oder der milchverarbeitenden Industrie. Hinsichtlich des umgekehrten Sachverhalts, einer nahezu zeitgleich durchgeführten Milchpreissenkung sämtlicher großer deutscher Discounter um rund 10%, wurde eine zweite Untersuchung im April 2008 eingeleitet3. Das Verfahren ist noch im Gang; die Nachweisbarkeit einer Absprache wird sich allerdings nach bisherigem Kenntnisstand nur schwer tätigen lassen. Das Kartellverbot bezog sich hier in beiden Fällen auf ein typisches Preiskartell, d.h. die Absprache von Preisen unter Wettbewerbern. Kartellrechtlich unzulässig sind jedoch etwa auch die regionale Aufteilung von Märkten, um einen lokalen Konkurrenzkampf zu vermeiden, die Diskriminierung einzelner Handelspartner sowie der Zwang zur Abnahme mehrerer Verkaufsgegenstände („Kopplung“) ohne sachlichen Zusammenhang. Ausnahmsweise können jedoch einzelne Kartellverhaltensweisen zulässig sein, wenn sie etwa zum Nutzen der Verbraucher sind oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein bestimmter Mindestpreis für Milchprodukte für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der deutschen Bevölkerung erforderlich wäre oder die Einhaltung einer bestimmten Milchqualität nur im Falle eines Mindestpreises gewährleistet wäre. Ob ein solcher gesetzlicher Ausnahmetatbestand („Legalausnahme“) vorliegt, ist nach der VO 1/2003 durch die Unternehmen selbst zu beurteilen, was ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit mit sich bringt.

2. Missbrauchsverbot marktbeherrschender Stellung (§§ 19 ff. GWB / Art. 82 EGV)

Aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen das Boykottverbot als Teil der zweiten kartellrechtlichen Säule („Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung“) hat das Bundeskartellamt am 14. Juni 2008 ein Untersuchungsverfahren gegen den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) eingeleitet. Dieser hatte versucht, den von seinen Mitgliedern angestrebten Milchpreis von 43 Cent durch einen koordinierten Milchlieferboykott zu erzwingen4 und für den Falle eines erneuten Sinkens des Milchpreises bereits neue Aktionen im Rahmen der „Milchpreisoffensive 2008“ angekündigt5. Als bedenklich stuft das Bundeskartellamt insbesondere den Plan der Milchbauern ein, überschüssige Milch künftig von einem eigens hierfür zu gründenden Fonds aufkaufen zu lassen, um so den Marktmechanismus eines sinkenden Milchpreises bei steigendem Milchangebot auszuhebeln. Während die erzwungene Preiserhöhung auf dem Milchmarkt noch von weiten Teilen der Bevölkerung moralisch unterstützt wird, wird die Marktmacht einzelner Marktteilnehmer der Energie- und Ölindustrie mit wesentlich mehr Argwohn betrachtet. Hier konnte zwar bislang hinsichtlich steigender Benzinpreise keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nachgewiesen werden; in Bezug auf die überproportionale Marktmacht einiger weniger Konzerne im Energiesektor hat die EG-Kommission jedoch durch die erzwungene Trennung („Entbündelung“) von Netz und Stromerzeugung einzelner Energieunternehmen6 bereits konkrete Maßnahmen vorgenommen.

3. Fusionskontrolle (§§ 36 ff. GWB / Art. 1 ff. FKVO)

Mit dem dritten kartellrechtlichen Teilbereich auf dem deutschen Milchmarkt, der Überprüfung von Unternehmenszusammenschlüssen, beschäftigte sich das Bundeskartellamt im Juli 1999. Damals beabsichtigten vier norddeutsche Molkereien, als „Nordmilch“ zu fusionieren. Aufgrund des hohen Marktanteils der neu zu bildenden Großmolkerei und der damit einhergehenden Verringerung des Wettbewerbs auf dem Milchmarkt unterlag die Freigabe des Zusammenschlusses der Genehmigung durch das Bundeskartellamt. Zweck eines solchen Genehmigungserfordernisses ist, eine übergroße Marktmacht einzelner Unternehmen zu verhindern und so die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht durch Duopole oder Monopole zu vermeiden. Die Fusion zur „Nordmilch“ wurde schlussendlich durch das Bundeskartellamt genehmigt, da Großkunden im Falle von Preiserhöhungen leicht auf andere Milcherzeuger in anderen Bundesländern ausweisen konnten7. Hingegen wurde etwa die Fusion von ProSiebenSat1 mit dem Axel-Springer-Verlag wegen einer drohenden Duopolstellung untersagt9 oder die Fusion von Edeka und Tengelmann aufgrund zu großer Nachfragemacht im Lebensmittelmarkt nur unter Auflagen genehmigt10.

Aufgrund der zunehmend grenzüberschreitenden Auswirkung von Kartellen hat das deutsche Kartellrecht in jüngerer Zeit immer stärker an Bedeutung verloren: Aufgrund der nach Art. 23 I S. 2 GG erfolgten Kompetenzübertragung auf die europäische Gemeinschaft finden heutzutage auf die überwiegende Mehrheit aller Kartellrechtsfälle europarechtliche Kartellrechtsnormen Anwendung. Gem. Art. 3 II VO 1/2003 werden Sachverhalte mit grenzübergreifender Auswirkung am Maßstab der Art. 81 ff. EGV geprüft; Sachverhalte mit rein nationaler Auswirkung verbleiben hingegen im Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts (§ 1 ff. GWB). Aufgrund der zunehmenden Dezentralisierung der kartellbehördlichen Kompetenzen ist dabei die Europäische Kommission gem. Art. 4 VO 1/2003 zwar weiterhin nur für grenzübergreifende Sachverhalte zuständig; die nationalen Kartellbehörden hingegen können inzwischen gem. Art. 5 VO 1/2003 neben Sachverhalten mit rein nationaler Auswirkung auch solche mit grenzüberschreitendem Umfang überprüfen.

Im Zuge einer weitreichenden europäischen Rechtsharmonisierung verlaufen die Tatbestände des deutschen und europäischen Kartellrechts in immer stärkerem Maße parallel. Lediglich in Form des ausdrücklich genannten Boykottverbots (§ 19 GWB) und der ausnahmsweisen Zulassung von Kartellen kleinerer und mittelständischer Unternehmen (§ 20 GWB) weichen die Tatbestände des deutschen Kartellrechts von den Regelungen des europäischen Kartellrechtsgefüges ab.

Hinsichtlich der Rechtsfolgen erfolgt hingegen weiterhin eine klare Differenzierung zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene. Während Untersagungsverfügungen und Bußgeldanordnungen von den Kartellbehörden auf europäischer und nationaler Ebene erlassen werden dürfen, bleibt die Beurteilung zivilrechtlicher Klagen infolge von Kartellrechtsverstößen den Gerichten der Mitgliedstaaten vorbehalten. Faszinierend stellt sich hinsichtlich der Rechtsfolgen des Kartellrechts insbesonder die Tatsache dar, dass diese sowohl öffentlich-rechtlich als auch straf- und zivilrechtlich ausgestaltet sind.

 

II. Rechtsfolgen

1. Öffentlich-rechtliche Normen (§ 32 GWB / Art. 7 VO 1/2003)

Ist ein Kartellrechtsverstoß nachweisbar, kann die Behörde das kartellrechtswidrige Verhalten zunächst durch eine Untersagungsverfügung für die Zukunft unterbinden und für nichtig erklären. Ebenso kann sie das Vorliegen eines Kartellrechtsverstoßes explizit feststellen. Hierbei handelt es sich um einen klassischen Verwaltungsakt, der nach den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts in Verbindung mit den besonderen Vorschriften des Kartellverwaltungsrechts (§§ 63 ff. GWB) im Wege des Beschwerdeverfahrens angefochten werden kann. Während die Feststellungsverfügung zumindest im Hinblick auf spätere zivilrechtliche Schadensersatzklagen Tatbestandswirkung entfaltet (§ 33 IV GWB), stellt die reine Untersagungsverfügung lediglich das kartellrechtswidrige Verhalten für die Zukunft ab, übt aber keine besondere Abschreckungswirkung gegenüber Kartelltätern aus. Zu diesem Zweck sieht das kartellrechtliche Regelungsgefüge besondere ordnungswidrigkeitenrechtliche Normen vor.

2. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Normen (§§ 81 ff. GWB / Art. 23 VO 1/2003)

Gem. § 81 GWB stellt ein Kartellrechtsverstoß eine Ordnungswidrigkeit dar, die durch Auferlegung einer Geldbuße zu ahnden ist. Was zunächst harmlos klingt, kann für Unternehmen zum Existenzrisiko werden: um eine hinreichende Präventionswirkung zur Vermeidung zukünftiger Kartellrechtsverstöße auszuüben, kann die Höhe der Geldbuße im Falle rein nationaler Sachverhalte gem. § 81 IV GWB bis zu einer Million EUR betragen. Liegt ein grenzübergreifender Sachverhalt vor, beträgt die Höhe der Geldbuße gem. Art. 23 II S. 2 VO 1/2003 sogar bis zu 10% des Unternehmensumsatzes. So etwa wurde Microsoft im Februar 2008 durch die EG-Kommission ein Bußgeld i.H.v. 899 Mio. EUR wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auferlegt; das Bundeskartellamt hat jüngst gegenüber mehreren Apotheker- und Arzneimittelhersteller-Verbänden wegen unzulässiger Preisabsprachen eine Geldbuße i.H.v. 465.000 EUR verhängt. Für den Fall neuer Milchlieferstreiks hat das Bundeskartellamt dem Bundesverband deutscher Milchviehhalter bereits ebenfalls die Verhängung einer Geldbuße angedroht11. Schärfere Sanktionierungsmaßnahmen, insbesondere strafrechtlicher Art, existieren in Deutschland bisher nicht, werden aber auf gesetzgeberischer Ebene bereits angedacht12. Bislang werden jedoch Maßnahmen mit größerem Abschreckungseffekt insbesondere auf zivilrechtlicher Ebene vorangetrieben: Bußgelder fließen nämlich lediglich dem mitgliedstaatlichen bzw. europäischen Haushalt zu und tragen somit nicht in direkter Weise zur Kompensation finanzieller Einbußen der Kartellgeschädigten bei. Diese kann nur durch eine effektive zivilrechtliche Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche erlangt werden.

3. Zivilrechtliche Normen (§§ 33 ff. GWB)

Aufgrund Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz ist jegliche Kartellabrede in rein nationalen Sachverhalten gem. § 134 BGB nichtig. Auf europäischer Ebene legen bereits die Art. 81 ff. EGV selbst die Nichtigkeit des kartellwidrigen Verhaltens fest. Die Nichtigkeit führt aber nur dazu, dass den Kartellanten untereinander kein Anspruch auf Durchführung des absprachegemäßen Verhaltens zusteht. Dritte können aus der bloßen Nichtigkeit keinen Nutzen ziehen. Ihnen steht daher gem. § 33 I GWB zunächst ein Anspruch auf zukünftige Unterlassung des kartellrechtswidrigen Verhaltens zu. Wurde der Kartellrechtsverstoß überdies schuldhaft begangen und entstand hierdurch ein Schaden, können die Geschädigten einen Schadensersatzanspruch gem. § 33 III GWB geltend machen13. So wie zivilrechtliche Klagen unabhängig von strafrechtlichen Klagen erhoben werden können, stehen auch kartellrechtliche Zivilklagen unabhängig neben Bußgeldverfahren der Kartellbehörden. Der Schadensersatzanspruch aus § 33 GWB (vormals § 823 II BGB i.V.m. §§ 1 ff. GWB) ist dabei nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen zu prüfen und birgt folgerichtig auch klassische deliktsrechtliche Probleme in sich: Wie lässt sich die Kausalität zwischen Kartellverstoß und finanziellem Schaden nachweisen? Lässt sich eine Schadensweitergabe nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung rechtfertigen? Wie kann die konkrete Schadenssumme bemessen werden? Um die gröbsten Beweisschwierigkeiten zu beseitigen, hat der deutsche Gesetzgeber in § 33 IV GWB der öffentlich-rechtlichen Behörden- oder Gerichtsentscheidung zumindest hinsichtlich des Bestehens des Kartellverstoßes eine Tatbestandswirkung für nachfolgende privatrechtliche Schadensersatzklage zugewiesen. Da aber der Nachweis der Kausalität und der Schadenshöhe weiterhin nach allgemeinen Grundsätzen dem Kläger obliegt, wurde bisher nur eine minimale Anzahl kartellrechtlicher Schadensersatzklagen vor Gericht gebracht und schlussendlich weitgehend vergleichsweise beigelegt14. Eine in Auftrag der EG-Kommission angefertigte Studie15 hat folgerichtig eine „totale Unterentwicklung“ privatrechtlicher Rechtsdurchsetzung diagnostiziert. Im vergangenen Jahr wurden daher auf verschiedenen Wegen Reformvorschläge in Gang gebracht, um die privatrechtliche Geltendmachung von Kartellschäden zu erleichtern.

 

III. Reformbemühungen

Lenkt man das Augenmerk zurück auf die Milchpreisproblematik, zeigt sich ein gravierendes Problem in der Praxis: Selbst wenn ein kartellierter Milchpreis nachweisbar wäre, würde ein durchschnittlicher Verbraucher wegen eines Schadens von 10 cent pro Milchpackung Klage erheben? Hohe Gerichts- und Anwaltskosten, eine schlechte Beweislage sowie ungewisse Erfolgsaussichten würden ihn wohl davon abhalten. Die Reformbemühungen der Kommission zielen daher gerade auf die Geltendmachung solcher „Streuschäden“ ab, die die Kartellanten bislang als Mehrgewinn verbuchen konnten. Um ein Verbleiben derartiger Schäden, die zwar bei einer großen Menge Geschädigter entstehen, aufgrund ihrer geringen Einzelhöhe in der Regel nicht geltend gemacht werden, zu vermeiden, wird einerseits eine Gewinnabschöpfung durch qualifizierte Verbände angedacht, andererseits wird die Einführung kollektiver Rechtsschutzmechanismen zwecks Zusammenschluss mehrerer Kartellgeschädigter in Erwägung gezogen. Einen alternativen Lösungsweg mit den herkömmlichen Mitteln des deutschen Zivilrechts hat bereits das belgische Unternehmen Cartel Damages Claims beschritten: mehrere Ansprüche wurden gem. § 398 BGB von den Geschädigten an die Klageführerin abgetreten, die diese nunmehr als eigene Ansprüche geltend macht. Das OLG Düsseldorf hat die Klage am 14. Mai 2008 zugelassen. Ein solcher Weg erscheint bei einer geringer Anzahl Geschädigter mit hohem Schaden durchaus erfolgversprechend. Für die Geltendmachung massenhafter Kleinstschäden erscheint aber das Abtretungsmodell aufgrund erheblichen Beweisführungsaufwands bei geringem Streitwert nicht lukrativ, weshalb die Einführung kollektiver Rechtsschutzmöglichkeiten zumindest bis zu einer bestimmten Bagatellgrenze nicht nur geeignet, sondern unter dem Gesichtspunkt effektiver Rechtsschutzgewährung auch erforderlich erscheint.

Spätestens durch die im Weißbuch Schadensersatzklagen getätigten Vorschläge zur Einführung spezialgesetzlicher Sammelklagen16 ist das Kartellrecht wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Wer bereits heute Interesse an der kartellrechtlichen Spezialmaterie gefunden hat, kann im Rahmen der Schwerpunktbereiche 4, 6 und 8 einen tieferen Einblick in das Rechtsgebiet erhalten: Im Zuge der Umstellung auf die Schwerpunktbereichsausbildung ist das Kartellrecht zwar als eigene Vorlesung entfallen17, hat nun aber an der Universität Freiburg im Rahmen mehrerer Einheiten der Vorlesung „Europäisches Wirtschaftsrecht“ seinen Platz gefunden. In der Praxis gewinnt das Kartellrecht ohnehin kontinuerlich an Bedeutung18: Rechtsabteilungen und wirtschaftsberatende Kanzleien beschäftigen sich vermehrt mit der Schulung („Compliance“) leitender Angestellter im Hinblick auf die Vermeidung etwaiger Kartellrechtsverstöße und beraten Kartellsünder über die mögliche Anfechtung kartellbehördlicher Maßnahmen. Überdies werden zivilrechtliche Schadensersatzklagen im Kartellrecht massiv zunehmen, sobald die nun getätigten Reformbemühungen in Bezug auf erweiterte Klagebefugnis und erleichterte Beweisführung für Kartellgeschädigte in die Tat umgesetzt sind. Bereits heute suchen Wirtschaftskanzleien und Kartellbehörden daher laufend neue Mitarbeiter mit kartellrechtlichen Vorkenntnissen19.

 

 

 

 

 

 

 

1 Zu denken sei etwa an die laufenden Prüfungsverfahren hinsichtlich der zentralen Rechtevermarktung der Deutschen Fußballliga, die Untersuchung des Benzinmarkts oder die Geldbuße gegen Bayer wegen unzulässiger Rabattgewährung beim Verkauf der „Aspirin“-Tabletten (zu allem siehe www.bundeskartellamt.de).

2 Financial Times Deutschland, Bundeskartellamt durchsucht Büros der Milchindustrie, Ausgabe vom 15.08.2007.

3 Spiegel online, Bauern setzen Kartellamt auf Aldi an, Artikel vom 23.04.2008.

4 Explizite Boykottaufrufe finden sich unter http://www.bdm-milchlieferstopp.de.

5 Hierzu die Rede von Romuald Schaber, Vorstandsvorsitzender des BDM, zur Abschlusskundgebung des Milchlieferstopps vom 05.06.2008.

6 Darunter insbesondere die deutsche E.ON, die das Missbrauchsverfahren durch eine „freiwillige“ Verpflichtung zum Verkauf ihres Stromnetzes beizulegen versucht, siehe Pressemitteilung der Kommission vom 12.06.2008.

7 Bundeskartellamt, Beschluss vom 29.07.1999.

8 Bundeskartellamt, Pressemeldung vom 24.01.2006, abrufbar unterhttp://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/archiv/PressemeldArchiv/2006/2006_01_24.php.

9 vgl. Freilaw Ausgabe IV (2007):   Kai Paterna – Konzentrationskontrolle im Rundfunkrecht

10 Bundeskartellamt, Pressemeldung vom 01.07.2008.

11 Spiegel online, Kartellamt warnt vor neuen Milchstreiks, Artikel vom 01.07.2008, abrufbar unterhttp://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,563168,00.html.

12 Hierzu Biermann, Neubestimmung des deutschen und europäischen Kartellsanktionenrechts: Reformüberlegungen einer Kriminalisierung von Verstößen gegen das Kartellrecht, ZweR 2007, 1.

13 Näher hierzu Alexander, Die zivilrechtlichen Ansprüche im Kartellrecht nach der 7. GWB-Novelle – Ein Überblick, JuS 2007, 109.

14 Zur Entwicklung der kartellrechtlichen Schadensersatzklagen in Deutschland siehe die Statistik in Weidenbach/Saller, Das Weißbuch der Europäischen Kommission zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen, BB 2008, 1020 (1021).

15 Ashhurst-Studie vom 31.08.2004, S.1, abrufbar unter .

17 Zu den Gründen siehe Hönn, JuS 2004, 760.

18 Ausführlich aus Anwaltssicht Montag, 50 Jahre Bundeskartellamt aus Sicht der Anwaltschaft.

Überblick über die Änderungen durch das MoMiG[1]

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von RA Daniel Garcia Calvo/ref. jur. Carl-Philipp Eberlein, Universität Freiburg2

I. Einführung

Nach langem Warten wurde das MoMiG mit seiner Verabschiedung im Bundestag am 26. Juni 2008 endlich auf den Weg gebracht. Nachdem die Reform des GmbH-Rechts schon lange überfällig und angekündigt war, wurde der letzte Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 25. Juli 20073 im Rechtsausschuss nochmals gründlich überarbeitet und in der Fassung der Beschlussempfehlung vom 24. Juni 20084angenommen. Das Gesetz wird den Bundesrat voraussichtlich am 19. September 2008 passieren und dann am 1. November 2008 in Kraft treten. 

Das GmbH-Recht wird durch das MoMiG zum ersten Mal seit über 100 Jahren grundlegend modernisiert und zugleich dereguliert. Existenzgründungen sollen erleichtert und die GmbH soll national und international wieder attraktiver und wettbewerbsfähiger werden. Der Deregulierung gegenüber stehen jedoch auch neue Beschränkungen, durch welche Missbrauchsfälle effektiver verhindern werden sollen.

Die wichtigsten Änderungen lassen sich wie folgt einteilen: Die Gründung der GmbH, aber auch Kapitalerhöhungen und Übertragungen von Anteilen sollen maßgeblich erleichtert und beschleunigt werden (II.). Die Kapitalaufbringung soll dereguliert und Risiken für die Gesellschafter durch Fehler bei der Kapitalaufbringung deutlich minimiert werden (III.). Auch die Regeln der Kapitalerhaltung sollen entschärft und die Regelungen zum Kapitalersatzrecht im Insolvenzrecht verortet werden (IV.). Zuletzt tritt der Gesetzgeber dem wuchernden Missbrauch der GmbH durch erhöhte Anforderungen an Gesellschafter und Geschäftsführer insbesondere im Endstadium der Gesellschaft entgegen (V.).

 

II. Erleichterungen bei Gründung, Kapitalerhöhung und Übertragung

1. Herabsetzung des Mindeststammkapitals5, § 5 I GmbHG

Ausgerechnet einer der meist erörterten Änderungsvorschläge und vielleicht sogar der Auslöser für die GmbH-Reformdebatte hat es mehr oder weniger überraschend nicht in die verabschiedete Fassung des MoMiG geschafft: Es kommt zu keiner Absenkung des Mindeststammkapitals auf 10.000 €!

Schon durch das MindestkapG6 sollte als Antwort auf die Konkurrenz ausländischer Kapitalgesellschaften das Mindestkapital gesenkt werden. Dies sah auch noch der Regierungsentwurf des MoMiG vom 25. Juli 20077 vor. Während Befürworter der Absenkung auf die fehlende internationale Wettbewerbsfähigkeit und die mangelnde Attraktivität der GmbH für kleine Existenzgründer und Dienstleistungsunternehmen verwiesen, befürchteten die Gegner der Absenkung Nachteile im Gläubigerschutz, eine höhere Insolvenzanfälligkeit und einen damit einhergehenden Seriositätsverlust der deutschen GmbH. In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages vom 24. Juni 2008 wurde die Absenkung des Mindeststammkapitals schließlich gestrichen. Auslöser für die Streichung dürfte nicht so sehr die gegen die Absenkung vorgebrachten Bedenken gewesen sein, zumal davon ausgegangen werden kann, dass sich die Qualität des Gläubigerschutzes nicht so sehr nach der Mindestkapitalfrage richtet8, sondern dass durch den Regierungsentwurf vom 25. Juli 20079 eine echte Alternative zur Absenkung des Mindeststammkapitals ins Spiel gebracht wurde.

2. Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)10, § 5a GmbHG-nF

Den Spagat zwischen Gläubigerschutz/Seriosität und Wettbewerbs-fähigkeit/Attraktivität soll die „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“schaffen. Die „UG (haftungsbeschränkt)“, wie sie nach § 5a Abs. 1 GmbHG auch firmieren darf, stellt keine neue Gesellschaftsform, sondern lediglich einen Sondertypus der klassischen GmbH dar. Für sie gelten sämtliche Regeln der GmbH, soweit nicht in § 5a GmbHG-nF etwas anderes bestimmt wird. Durch die unterschiedliche Firmierung ist im Rechtsverkehr jederzeit erkennbar, dass gegenüber der klassischen GmbH ein geringeres Haftkapital bestehen kann. Für Gründer bestehen Erleichterungen bei der Kapitalaufbringung. So wird die Seriosität der klassischen GmbH nicht beeinträchtigt11, während Verfechter der Stammkapitalabsenkung und Gründer doch noch ihre „kleine GmbH“ bekommen.

§ 5a Abs. 1 GmbHG-nF sieht zunächst vor, dass die GmbH mit einem geringeren Stammkapital als 25.000 € gegründet werden kann. Da jedoch auch die Unternehmergesellschaft nach § 5a GmbHG-nF mit einem Stammkapital gegründet werden muss, ist (nach der Streichung des § 5 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) eine Stammeinlage in Höhe von zumindest 1 € zu erbringen. Das Stammkapital ist jedoch in voller Höhe bereits bei der Anmeldung aufzubringen. Sachgründungen sind bei der Unternehmergesellschaft ausgeschlossen, § 5a Abs. 2 GmbHG-nF. Auf das in der Diskussion um die Mindestkapitalherabsenkung öfters angesprochene Problem der Insolvenzreife schon bei Gründung sei hier nur kurz hingewiesen.

Nach § 5 Abs 3 GmbHG ist bei der Unternehmergesellschaft zwingend eine Rücklagein Höhe von einem Viertel des Jahresüberschusses einzustellen. Diese Ausschüttungsbeschränkung dient dem Aufbau von bilanziellem Haftvermögen, welches lediglich zum Auffangen von Verlusten oder (optimalerweise) zu einer Erhöhung des Stammkapitals aus Gesellschaftsmitteln nach § 57c GmbHG verwendet werden darf.

Sobald die Unternehmergesellschaft ihr Stammkapital auf mindestens 25.000 € erhöht, entfallen die besonderen Pflichten der § 5a Abs. 1-4 GmbHG-nF. Die Firmierung kann jedoch beibehalten werden. Wird eine Kapitalerhöhung unterlassen, obwohl Stammkapital und Rücklage die Mindeststammkapitalziffern nach § 5 Abs. 1 GmbH erreichen, so ist die Gesellschaft weiterhin nach § 5a Abs. 1-4 GmbH-nF eingeschränkt.

3. Einführung eines Musterprotokolls, § 2 Abs. 1a GmbHG-nF

Der Regierungsentwurf vom 25. Juli 2007 eröffnete in § 2 Abs. 1a GmbHG noch die Möglichkeit, bei Verwendung eines als Anlage zum GmbHG ersichtlichen „Mustergesellschaftsvertrages“ die Gesellschaft durch schriftliche Abfassung des Gesellschaftsvertrages und schlichte öffentliche Beglaubigung der Unterschriften der Gesellschafter zu gründen. Die Gründung einer GmbH sollte dadurch in unkomplizierten Standardfällen vereinfacht werden.

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde an der vereinfachten Gründung mittels Mustergesellschaftsvertrag und notarieller Beglaubigung Kritik geäußert. Durch die Verwendung von Mustersatzungen werde die GmbH-Gründung nicht wesentlich vereinfacht. Die fehlende Flexibilität führe aber demgegenüber zu wesentlichen Nachteilen. Zur Gründung der Gesellschaft ohne Rechtsberatung sei die Mustersatzung zudem unzureichend. Außerdem falle damit die Anzeigepflicht des Notars gegenüber der Finanzverwaltung weg12.

Die vom Bundestag verabschiedete Fassung hält an der Pflicht den Gesellschaftsvertrag zu beurkunden fest. Solange die Gesellschaft höchstens drei Gesellschafter und nur einen Geschäftsführer hat, kann jedoch das als Anlage zum GmbHG-nF angefügte „Musterprotokoll“ für die Beurkundung verwendet werden. Das Musterprotokoll vereint Gesellschaftsvertrag, Geschäftsführerbestellung und Gesellschafterliste in einem Dokument. Die Verwendung des Musterprotokolls bringt zumindest für die Unternehmergesellschaft einen Kostenvorteil: Nach § 41d KostO-nF ist bei der Gründung mittels Gründungsprotokoll der Mindestgeschäftswert von 25.000 € (§§ 39, 41a KostO-nF) nicht anzuwenden. Bei Gründung einer „normalen“ GmbH wird dies jedoch keine Rolle spielen, da der Geschäftswert ohnehin mindestens 25.000 € beträgt. Ob die Verwendung des Musterprotokolls zu einer Beschleunigung bei der Eintragung führen wird ist zweifelhaft, da der Eintragungsvorgang durch die Einführung des elektronischen Handelsregisters13schon weitgehend optimiert wurde.

4. Abkoppelung des Eintragungsverfahrens von Genehmigungen, § 8 I Nr. 6 GmbHG-aF

Zu einer echten Beschleunigung des Gründungsvorganges beigenehmigungsbedürftigem Unternehmensgegenstand wird jedoch die Streichung des § 8 I Nr. 6 GmbHG-aF führen. Dadurch ist ab Inkrafttreten des MoMiG die Eintragung der Gesellschaft nicht mehr von der Vorlage öffentlich-rechtlicher Genehmigungen abhängig. Damit ist dem Missstand, dass die Vorlage öffentlich-rechtlicher Genehmigungen bei bestimmten Unternehmensgegenständen erforderlich war, die Genehmigungen aber nur der juristischen Person erteilt werden durften, die aber mangels Eintragung noch nicht bestand (§ 11 II GmbHG), abgeholfen. Statt wie bisher auf die Erteilung von Vorbescheiden angewiesen zu sein oder den Unternehmensgegenstand erst nach Gründung in einen genehmigungspflichtigen zu ändern14, können die erforderlichen Genehmigungen in Zukunft zum Handelsregister nachgereicht werden. 

5. Gesellschafterliste und gutgläubiger Erwerb von Geschäftsanteilen, § 16 GmbHG-nF15

Bereits nach bisheriger Rechtslage war bei der Anmeldung beim Handelsregister eine Gesellschafterliste (vgl. § 40 GmbHG) beizufügen, die in den entsprechenden Registerordner (§ 8 II HRV) aufgenommen wurde. Nach § 9 HGB konnten auch Dritte in die Liste Einsicht nehmen. Das MoMiG verknüpft die Liste mit einer Reihe weiterer materieller Rechtswirkungen. Zweck ist es, über die Anteilsstrukturen der GmbH Transparenz zu schaffen (Schutz vor Missbräuchen, Verhinderung von Geldwäsche). 

§ 16 I GmbHG-nF bestimmt ‑ angelehnt an das Aktienregister bei der Namensaktie (§ 67 II AktG) ‑, dass Mitgliedschaftsrechte gegenüber der GmbH nur von Gesellschaftern ausgeübt werden können, die in die Gesellschafterliste aufgenommen sind. Der Eintragung steht es gleich, wenn die Eintragung unverzüglich nachgeholt wird.

Die Eintragung ist weiterhin keine Voraussetzung für den Erwerb des Anteils. Die Gesellschafterliste fungiert aber gem. § 16 III GmbHG-nF als Rechtsscheintatbestand für den gutgläubigen Erwerb von Gesellschaftsanteilen. Der gutgläubige Erwerb orientiert sich an den aus dem bürgerlichen Recht bekannten Strukturen: (1) Der Veräußerer muss als Inhaber des Geschäftsanteils aus der Gesellschafterliste hervorgehen, (2) der Rechtsschein muss dem tatsächlichen Inhaber zuzurechnen sein, (3) der Erwerber muss gutgläubig sein (wobei Kenntnis und grobe Unkenntnis schadet) und (4) der Liste darf kein Widerspruch zugeordnet sein. 

(1) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs vom 25. Mai 2007 soll mit § 16 III GmbHG-nF der gute Glaube in die Verfügungsbefugnis geschützt werden16. § 16 III GmbHG-nF sieht aber vor, dass der Veräußerer in die Gesellschafterliste eingetragen ist (was nur Gesellschafter sein können), somit nur der gute Glaube in die Inhaberschaft des Geschäftsanteils geschützt ist. Zumindest missverständlich nimmt § 16 III GmbHG-nF bezüglich der Bestimmung des guten Glaubens auf die „Berechtigung“ Bezug. Sinnvollerweise kann damit nur die Inhaberschaft gemeint sein, da die Gesellschafterliste keinen Bezugspunkt für Verfügungsbeschränkungen liefert. Bspw. können daher keine vinkulierten Geschäftsanteile gutgläubig erworben werden.

(2) Unabhängig davon, ob dem Inhaber der Rechtschein zuzurechnen ist, sieht § 16 III GmbHG-nF vor, dass ein Gutgläubiger Geschäftsanteile erwerben kann, wenn der Nichtberechtigte seit drei Jahren unbeanstandet als Gesellschafter eingetragen gewesen ist. Ist dem Berechtigten der Rechtschein zuzurechnen, spielt die Dauer der Unrichtigkeit jedoch keine Rolle17. Als Zurechnungsgründe nennt der Regierungsentwurf vom 25. Mai 2007 z. B. das Unterlassen von Maßnahmen zur Einreichung einer neuen Gesellschafterliste durch den Gesellschafter, nachdem er einen Gesellschaftsanteil erworben hat oder wenn ein wahrer Erbe es unterlässt, auf die Korrektur einer aufgrund Erbscheins des Scheinerben fehlerhaften Gesellschafterliste hinzuwirken18.

(3) Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen sieht anders als § 892 BGB vor, dass neben der Eintragung eines Widerspruchs und Vorsatz auch grobe Fahrlässigkeit den Erwerb hindert. Zwar handelt es sich auch beim Handelsregister wie beim Grundbuch um ein öffentliches Register. Die abweichende Bewertung rechtfertigt sich aber daraus, dass hinsichtlich der Gesellschafterliste keine Richtigkeitsprüfung durch das Register vorgesehen ist.

6. Weitere Erleichterungen

Nach § 5 II GmbHG-nF soll ein Gesellschafter zukünftig auch mehrereGeschäftsanteile übernehmen können. Entsprechend wird in § 5 II GmbHG-nF nur noch ein Mindestnennbetrag von 1 € verlangt. Die Nennbeträge können in unterschiedlicher Höhe bestimmt werden (§ 5 III GmbHG-nF). Hiermit wurde auf Kritik der Praxis reagiert, die die starren Regelungen über die Höhe der Geschäftsanteile bisher als unnötige Beschränkungen sahen. § 17 GmbHG fällt konsequenterweise weg. 

Bei der Einpersonengründung wird auf das Erfordernis der Sicherheitsleistung nach § 7 Abs. 2 GmbHG verzichtet.

Die Neufassung des § 4a GmbHG soll Gesellschaften ermöglichen, einenVerwaltungssitz zu wählen, der nicht notwendig mit dem Satzungssitz im Inland übereinstimmt. Damit geht der Bundesgesetzgeber über die Vorgaben des EuGH ausInspire Art19 hinaus. Zum einen ermöglicht es den rechtsformwahrenden Wegzug einer Gesellschaft aus Deutschland, unabhängig davon, ob dies durch die Niederlassungsfreiheit geboten ist. Zum anderen gilt dies nicht nur im Raum der EU. Damit sollen in erster Linie gleiche Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu Auslandsgesellschaften geschaffen werden, denen der Zuzug kraft Europarecht garantiert wird. Die Neuregelungen zur Zustellung in Deutschland erhalten dadurch zusätzlich an Gewicht.

Gemäß § 55a GmbHG-nF können Kapitalerhöhungen in Zukunft, ähnlich wie bei der AG auch in Form des genehmigten Kapitals durchgeführt werden.

 

III.     Deregulierung bei der Kapitalaufbringung

1. Einführung einer Differenzhaftung bei verdeckter Sacheinlage, § 19 IV GmbHG-nF

Mit § 19 IV GmbHG-nF regelt der Gesetzgeber die verdeckte Sacheinlage. Die Rechtsprechung nahm bisher die Unwirksamkeit der schuldrechtlichen Vereinbarung und des Erfüllungsgeschäfts der verdeckten Sacheinlage in analoger Anwendung von § 27 III 1 AktG an20. In der Insolvenz musste der Gesellschafter demgemäß die Einlageleistung oft zweimal erbringen, ohne dass er mit seinem Rückforderungsanspruch hätte aufrechnen können, § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG-aF.

Das MoMiG sieht in diesem Bereich die Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft und die Anrechnung der Sacheinlageleistung vor, § 19 Abs. 4 GmbHG-nF. Die Bareinlageverpflichtung der Gesellschafter besteht zunächst unverändert bis zur Anmeldung fort. Im Gegensatz zur ebenfalls diskutierten Erfüllungslösung21 bleibt die Strafbarkeit des Geschäftsführers bei falscher Versicherung der erfolgten Bareinlageleistung daher erhalten. Nach Anmeldung wird der Wert der Sacheinlage auf die Bareinlageleistung angerechnet, wobei der Gesellschafter die Beweislast für die Werthaltigkeit des eingelegten Vermögensgegenstandes trägt. Die Wertdifferenz ist in bar zu erbringen. Trotz der weiterhin bestehenden Strafbarkeit des Geschäftsführers führt dies zu einer deutlichen Entschärfung der Rechtsfolgen, nicht nur für mittelständische Gesellschaften, die von der verdeckten Sacheinlage oft völlig überrascht werden, sondern auch für das ökonomisch sinnvolle Cash Pooling.

2. Hin- und Herzahlung bei der Gründung, § 19 Abs. 5 GmbHG-nF

§ 19 Abs. 5 GmbHG-nF22 regelt die von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe des „Hin- und Herzahlens“, bei der die Einlageleistung aufgrund vorheriger Absprache z. B. als Darlehen wieder an die Gesellschafter zurückfließen soll (v. a. im Cash Pool). Die Rechtsprechung nimmt bisher in diesen Konstellationen eine Verletzung der Grundsätze effektiver Kapitalaufbringung an, unabhängig davon, ob der Rückzahlungsanspruch (z. B. voll liquide Muttergesellschaft im Cash Pool) vollwertig ist23. Das MoMiG führt eine bilanzielle Betrachtungsweise ein. Eine Rückzahlung steht danach der Kapitalaufbringung bei vollwertigem Rückzahlungsanspruch nicht mehr entgegen, soweit der Rückzahlungsanspruch jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung fällig gestellt werden kann. Das Hin- und Herzahlen ist jedoch in der Anmeldung offenzulegen, damit die registergerichtliche Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG-nF gewährleistet ist.

Abzuwarten bleibt, wie sich die gesetzgeberische Wertung und Liberalisierung bei der verdeckten Sacheinlage und Hin- und Herzahlen auf andere Probleme der Kapitalaufbringung zur freien Verfügung des Geschäftsführers auswirkt, so z. B. wenn die Einlage schon vor Beurkundung der Gründung oder der Kapitalerhöhung geleistet worden ist.

 

IV. Änderungen im Bereich der Kapitalerhaltung, § 30 GmbHG

1. bei aufsteigenden Darlehen, § 30 I 2 Hs. 2 GmbHG-nF

§ 30 I GmbHG-aF verhindert Zahlungen an die Gesellschafter, wenn dadurch das Stammkapital der Gesellschaft angegriffen wird. Aufgrund dieser bilanziellen Betrachtungsweise wurden bis zur Novemberentscheidung des BGH24Kreditleistungen der GmbH an ihre Gesellschafter (sog. upstream loans, v. a. Cash Pool-Konstellationen) nicht unter diese Vorschrift gefasst. Bei einem vollwertigen Rückzahlungsanspruch fand bei diesen Leistungen nur ein Aktivtausch statt. Die Transaktion blieb daher bilanzneu­tral.

Der BGH stellte aber fest, dass § 30 I GmbHG-aF nicht bloß eine Bilanzsperre darstelle, sondern Ausdruck der effektiven Kapitalerhaltung sei. Der Tausch liquider Mittel gegen einen zeitlich aufgeschobenen Rückzahlungsanspruch werde dem aber nicht gerecht. Daher fasste er in der Folgezeit auch Darlehensgewährungen an die Gesellschafter unter die Vorschrift des § 30 I GmbHG-aF, soweit eine Unterbilanz besteht. Dass der Rückzahlungsanspruch im Einzelfall vollwertig sein soll, galt als unbeachtlich25.

§ 30 I 2 Hs. 2 GmbHG-nF kehrt nun zu einer rein bilanziellen Betrachtungsweisezurück. Ausdrücklich werden danach von § 30 I 1 GmbHG-nF Kreditleistungen nicht erfasst, wenn sie zwischen den Parteien eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags26 erfolgen oder durch einen vollwertigen Rückzahlungsanspruch gedeckt sind.

In diesem Zusammenhang ist auch § 64 S. 2 GmbHG-nF zu sehen. Dieser weitet die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers ausdrücklich auf Zahlungen der Gesellschaft an die Gesellschafter aus, verortet die Haftung aber ‑ systematisch richtiger ‑ im Bereich der Pflichtverletzungen. Konsequenterweise tritt die Haftung deswegen nicht ein, wenn der Geschäftsführer nachweisen kann, dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind. Dadurch soll ein Teil der vieldiskutierten sog. existenzvernichtenden Eingriffe abgedeckt werden, die Haftung setzt jedoch bei der Organstellung an.

Nach Rechtsprechung des BGH27 waren nicht nur Darlehensgewährungen an einen Gesellschafter der Kapitalerhaltung nach § 30 I GmbHG unterworfen, sondern auch die Rückzahlung eines Darlehens (sowie dementsprechende Rechtshandlungen) an den Gesellschafter in der Krise. Auf diese Rechtsprechung reagiert § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG-nF. Der richterrechtliche Kapitalschutz nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG-aF wird auf diese Weise suspendiert.

2. Verlagerung des Eigenkapitalersatzrechtes in das Insolvenzrecht §§ 32a, b GmbHG-aF, §§ 19 II, 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO-nF28

Die Regelungen über die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in der Krise nach§§ 32a und 32b GmbHG-aF werden aufgehoben, die Thematik wird in dasInsolvenzrecht verlagert, wo sie systematisch auch hingehören. Dadurch sollen Regelungs-Redundanzen zwischen GmbH-Recht und Insolvenzrecht abgebaut werden.

Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-nF werden alle Gesellschafterdarlehen oder vergleichbare Forderungen unabhängig davon, ob sie nach altem Recht als „kapitalerersetzend“ galten oder in der „Krise“ gewährt wurden, in der Insolvenz der Gesellschaft als nachrangig behandelt. Ausgenommen sind Sanierungsdarlehen und Darlehen von Kleinbeteiligten, § 39 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 InsO-nF.

Obwohl Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz der Gesellschaft letztrangig behandelt werden, sind sie in der Überschuldungsbilanz nach wie vor zu passivieren, es sei denn es ist ein Rangrücktritt nach § 39 Abs. 2 InsO vereinbart, § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO-nF. Der Regierungsentwurf vom 25. Juli 2007 sah wegen des ohnehin bestehenden Nachrangs aller Gesellschafterdarlehen den Verzicht auf die Passivierung in der Überschuldungsbilanz vor, selbst wenn kein Rangrücktritt vereinbart war. Da ein Rangrücktritt aber Signalwirkung für die Beteiligten hat und die Beteiligten über die Passivierung der Gesellschafterdarlehen selber entscheiden sollen, wurde das Erfordernis des Rangrücktrittes in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO-nF ausdrücklich festgelegt.

Nach § 135 InsO-nF sind alle Leistungen auf ein Gesellschafterdarlehen, welche im Jahr vor oder nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getätigt wurden,anfechtbar.

Die beschlossene MoMiG-Fassung enthält in § 135 Abs. 3 InsO-nF auch eine gesetzliche Regelung der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung. Der Gesellschafter kann einen Aussonderungsanspruch nach einem Jahr ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend machen, soweit der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung ist. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, kann er sogleich Aussonderung verlangen. Für den Gebrauch des Gegenstandes erhält er eine Vergütung, welche sich nach dem Durchschnitt des letzten Jahres richtet. Durch diese gesetzliche Regelung der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung wird Rechtssicherheit in diesem Bereich und ein interessengerechter Ausgleich zwischen Gesellschafter und Gläubiger/Insolvenzverwalter geschaffen.

Bemerkenswert ist auch, dass die Vorschriften zum Eigenkapitalersatzrecht mit der Verortung im Insolvenzrecht nun rechtsformneutral geregelt sind. Damit ist die Anwendung dieser Regelungen nicht auf deutsche Gesellschaften beschränkt, sondern erfasst auch ausländische Gesellschaften, z. B. die englische Ltd. (vgl. Art. 3 I, 4 I EuInsVO).

 

V.      Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung

1. Möglichkeit der Zustellung, § 35 I 2, II GmbHG n. F.

Das MoMiG reagiert durch verschiedene Vorschriften auf betrügerische Praktiken aus der jüngeren Vergangenheit. Dabei ging es um sog. Firmenbestatter, die die Geschäftsführer der GmbH abberiefen und die GmbH dadurch führungslos machten. Die geprellten Gläubiger hatten nun das Problem, dass ihnen die Zustellungsmöglichkeit fehlte, um etwaige Ansprüche zu verfolgen (vgl. §§ 170, 171 ZPO). § 35 GmbHG n. F. reagiert in mehrfacher Weise darauf. Zunächst begründet Satz 1 eine subsidiäre Empfangszuständigkeit der Gesellschafter für den Fall der Führungslosigkeit. Satz 2 bestimmt außerdem, dass für die Zustellung die im Handelsregister angegebene Geschäftsanschrift maßgeblich ist. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang daher die Pflicht, inländische Geschäftsanschrift sowie Art und Umfang der Vertretungsbefugnis bei der Anmeldung anzugeben (§ 8 IV GmbHG-nF). Ist eine Zustellung nicht möglich, besteht die Möglichkeit unter vereinfachten Voraussetzungen die öffentliche Zustellung zu betreiben, § 185 ZPO-nF. 

2. Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter, § 15a Abs. 3 InsO-nF

§ 15a InsO-nF regelt nun in seinem Absatz 3 die subsidiäre Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter bei Führungslosigkeit der Gesellschaft. Gesellschafter sind aber davon befreit, wenn sie nachweisen können, dass sie von der Führungslosigkeit bzw. Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung keine Kenntnis hatten, was v. a. Gesellschaftern mit geringer Beteiligung gelingen wird. Die Verletzung der Pflicht ist in § 15a Abs. 4, 5 InsO-nF strafbewehrt und führt iVm. § 823 Abs. 2 BGB zur persönlichen Haftung. 

3. Einschränkungen bei der Bestellung zum Geschäftsführer, 6 II 2-4 GmbHG-nF

Die Inhabilitätsgründe bei der Bestellung der Geschäftsführer wurden durch das MoMiG erweitert. Bislang konnte nur ein gem. §§ 283 – 283d StGB Verurteilter (Insolvenzstraftaten) nicht Geschäftsführer werden. Nunmehr sollen strafrechtliche Verurteilungen wegen Insolvenzverschleppung falscher Angaben oder unrichtiger Darstellungen nach § 82 GmbHG, §§ 399, 400 AG, § 331 HGB, § 313 UmwG, § 17 PublG und wegen nahezu aller Betrugs- und Vermögensdelikte einbezogen werden. Letztere aber nur dann, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ausgesprochen wurde. Daraus soll sich generell ergeben, dass sich die Person für die Erfüllung der vermögensbezogenen Geschäftsführerpflichten als ungeeignet erwiesen hat. Hieraus ergeben sich im Zusammenhang mit Art. 12 GG interessante verfassungsrechtliche Fragen, insbesondere bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Regelung und der Ungleichbehandlung zu den Eigentumsdelikten. Entsprechende Regeln sind allerdings international üblich (vgl. insbes. USA nach dem Enron-Skandal, Company Directors Disqualification Act in Großbritannien) und dürften verfassungsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden sein. 

4. Weitere Maßnahmen

§ 6 Abs. 5 GmbHG-nF begründet zudem eine Schadensersatzpflicht des Gesellschafters, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person, die wegen den erweiterten Inhabilitätsvorschriften nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung der Geschäfte überlässt.

Schon bisher haftete der Geschäftsführer für Zahlungen die er nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft tätigt, § 64 Abs. 2 GmbHG. Der Schutz der Gesellschaft vor Ausplünderung wird jetzt vorverlagert, indem nach dem neuen § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG der Geschäftsführer schon der Haftung unterliegt, wenn er Zahlungen tätigt, durch die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft erst verursacht wurde.

 

VI. Beurteilung und Ausblick

Wie sich das MoMiG im Rechtsalltag bewähren wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt betrachtet kann aber gesagt werden, dass es sich um eine längst überfällige und im Wesentlichen durchdachte und ausgewogene Revision des GmbH-Rechts handelt. Es werden alte Probleme beseitigt oder geklärt, sicherlich aber auch neue geschaffen. Für Gesellschafter dürften insbesondere die Gründungserleichterungen und die Deregulierung des Kapitalersatzrechtes erfreulich sein, während auf Geschäftsführer neue Pflichten und Risiken zukommen. Dem ohnehin schon stark abgeebbten Limited-Boom in Deutschland dürfte weiterer Wind aus den Segeln genommen worden sein. 

 

 

1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen.

2 Der Verfasser Daniel Gracia Calvo ist Rechtsanwalt in Freiburg und wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Freiburg, Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht bei Prof. Dr. Uwe Blaurock und befasst sich insbesondere mit dem Steuer- und Gesellschaftsrecht, der Verfasser Carl-Philipp Eberlein ist dort geprüfte wissenschaftliche Hilfskraft.

5 Siehe dazu ausführlich Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 ff.

6 Entwurf eines MindestkapG vom 12.8.2005, BT-Drucks. 619/05. Siehe dazu Seibert, BB 2005, 1061 und ZIP 2006, 1157.

8 Siehe etwa Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 (190).

10 Siehe dazu auch Seibert, GmbHR 2007, 675 ff.

11 Der Vorschlag des Bundesrates,BR-Drucks. 354/07 (B) (S. 4 f.), wonach die Gesellschaft zunächst Gesellschaft mit beschränkter Haftung (ohne Mindestkapital bzw. GmbH (o.M.) firmieren sollte, hätte wiederum zur Folge gehabt, dass auf die klassische GmbH schon wegen der Namensähnlichkeit ein schlechtes Licht fallen könnte.

12 Vgl. etwa Ziffer 1 der Stellungnahme des Bundesrates vom 6.7.2007, BR-Drucks. 354/07 (B).

13 § 8b HGB, Einführung durch das EHUG vom 10.11.2006.

14 Siehe Begründung des Regierungsentwurfs vom 25.5.2007, BR-Drucks. 354/07, S 77.

15 Siehe dazu Mayer, Der Erwerb einer GmbH nach den Änderungen durch das MoMiG, DNotZ 2008, 403 ff.; Rau, Der Erwerb einer GmbH nach In-Kraft-Treten des MoMiG, DStR 2006,1892 ff.

16 Regierungsentwurf vom 25.5.2007, BR-Drucks. 354/07 (S. 87 ff.).

17 Der Bundesrat sieht die Regelung des gutgläubigen Erwerbs nach § 16 Abs. 3 GmbHG-nF kritisch,BR-Drucks. 354/07 (B), S. 14.

18 Regierungsentwurf vom 25.5.2007, BR-Drucks. 354/07 (S. 88).

19 EuGH v. 30.1.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

20 BGH v. 7.7.2003 (II ZR 235/01) BGHZ 155, 329 = NJW 2003, 3127.

21 Siehe dazu Seibert, ZIP 2008, 1208 (1210).

22 Ursprünglich § 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHG-E. Die Regelung des Hin- und Herzahlens wurde jedoch nach § 19 GmbHG verschoben, um die Nähe zur Sacheinlage hervorzuheben.

23 BGH v. 4.11.2003 (II ZR 171/01, sog. Novemberentscheidung) BGHZ 157, 72-79 = NJW 2004, 1111-1112; BGH v. 16.1.2006 (II ZR 76/04) BGHZ 166, 8-18 = NJW 2006, 1736-1739.

24 BGH v. 4.11.2003 (II ZR 171/01) BGHZ 157, 72-79 = NJW 2004, 1111-1112

25 Eine Ausnahme galt, wenn der Gesellschafter nachweisen konnte, dass die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft lag, der Vertrag einem Drittvergleich standhielt und der Rückzahlungsanspruch durch werthaltige Sicherheiten gedeckt war.

26 Die Ausdehnung auf Konzerne war notwendig geworden, weil der BGH die analoge Anwendung des § 291 Abs. 3 AktG auf den GmbH-Vertragskonzern abgelehnt hat, BGH v. 10. Juli 2006 (II ZR 238/04) BGHZ 168, 285 (294). Nach neuer Rechtslage gilt bei Bestehen eines GmbH-Vertragskonzerns daher keine Kapitalbindung mehr.

27 Ständige Rechtsprechung seit BGH v. 26. März 1984 (II ZR 14/84) BGHZ 90, 370. Diese Rechtsprechung fand Anwendung neben §§ 32a, b GmbHG-aF.

28 Siehe dazu auch Gehrlein, BB 2008, 846 ff; Habersack, ZIP 2007, 2145 ff.

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Im Jahr 2006 hatten eine Handvoll Studenten der Freiburger Jura-Fakultät die Idee, anknüpfend an dem aus den USA kommenden Trend ihr eigenes „Law-Journal“ zu gründen. Seitdem sind mit der letzten Ausgabe über „Schwedisches Recht“ 18 Ausgaben erschienen. Insgesamt wurden mehr als 90 Artikel veröffentlicht.

Mit diesem Heft wollen wir die Arbeit der letzten fünf Jahre würdigen. Es enthält eine Auswahl von Artikeln, welche im vergangenen Jahr auf unserer Website erschienen sind. Ein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Eike Michael Frenzel (Freiburg/Karlsruhe), der mit seinem Beitrag „Organe der Verfassungsrechtspflege – Erfüllungsgehilfen des Grundgesetzes“ den Jubiläumsbeitrag ver-fasst hat. Auch möchten wir der Kanzlei „Clifford Chance“ danken, die uns über die Jahre hinweg wohlwollend unterstützt.

Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Freude bei der Lektüre der Jubiläumsausgabe!

Die Redaktion im Dezember 2011

Lesen Sie auch das Grußwort von Frau Professor Dr. Katharina von Koppenfels-Spies

Grußwort

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von Frau Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies Freilaw feiert Geburtstag – vor inzwischen 5 Jahren ist auf Initiative Freiburger Studierender die studentische rechtswissenschaftliche Zeitschrift „Freiburg Law Students Journal“ entstanden. Freilaw als „Zeitschrift von Studierenden für Studierende“ bietet Studierenden die Möglichkeit, wissenschaftliche Artikel zu aktuellen juristischen, gesellschaftspolitischen und studiumsbezogenen Themen zu veröffentlichen und schafft so einen Diskurs zwischen den Studierenden. Die Tatsache, dass die Beiträge von Studierenden geschrieben bzw. aufbereitet werden, sowie die Mischung aus rechtswissenschaftlichen Fachbeiträgen und Erfahrungsberichten über Praktika und Auslandsaufenthalte machen diese studentische Zeitschrift vom ersten bis zum letzten Semester interessant und gut nutzbar. Nicht nur die Möglichkeit, sich auf diese Weise neben dem Studium zu engagieren, sondern auch das Befassen mit Themen, die über den juristischen Pflichtstoff, zum Teil auch über den rechtswissenschaftlichen Tellerrand hinausgehen, erweitert den (juristischen) Horizont und schärft das juristische Denk- und Schreibvermögen. Für die Freiburger Rechtswissenschaftliche Fakultät ist Freilaw eine echte Bereicherung und trägt zur Profilierung bzw. Profilbildung gegenüber anderen juristischen Fakultäten bei. Herzlichen Glückwunsch Freilaw und weiter so! Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies Studiendekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

1/2012 – “Wegsperren und zwar für immer”

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Sicherungsverwahrung zwischen Hotelvollzug und Gefängnisaufenthalt

Die Krise um die Sicherungsverwahrung nahm ihren Ausgangspunkt in der zahlenmäßigen und gesetzlichen Ausweitung der Anordnungen und Regelungen seit Ende der 90er Jahre unter dem von Gerhard Schröder geprägten Slogan „Wegsperren, und zwar für immer“. Ihren Höhepunkt erreichte die Krise Ende 2009 mit der mehrfachen Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und 2011 mit der Kritik an der mangelnden Rechtsstaatlichkeit des deutschen Systems durch das Verfassungsgericht selbst. Diese Entwicklungen begleiteten zahlreiche Kontroversen zwischen der polemischen medialen Berichterstattung und der juristischen Fachwelt.

Die problematische Frage, wie mit gefährlichen Straftätern nach ihrer Schuldabgeltung zu verfahren sei,  stellt sich als Grundfrage für das Wesen eines Rechtsstaats dar. Sie ist so alt wie es gefährliche Menschen als solche gibt und lässt sich aus juristischer, kriminologischer, politischer, psychologischer, psychiatrischer, geschichtlicher, philosophischer und rechtsvergleichender Sicht angehen.

Ist eine Gesellschaft fähig, gefährlichen Straftätern als Menschen und nicht nur als wegzuschließende Objekte zu begegnen und an dem Resozialisierungsgebot festzuhalten? Oder stellt die sog. Sicherheit als „Totschlagargument“ alles in den Schatten? Ist Sicherheit überhaupt, und wie, und um welchen Preis zu haben? Die folgende Ausgabe beleuchtet das Recht zur Sicherungsverwahrung aus verschiedenen Blickwinkeln: wie ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung rechtstatsächlich, welche Prognosemöglichkeiten und –schwächen bestehen hinsichtlich der Gefährlichkeit eines Menschen, wie ist zwischen psychischer Störung und Schuld(un)fähigkeit abzugrenzen und wie sieht die Rechtslage in anderen Ländern aus?

Damit hoffen wir zur Versachlichung des Themas beitragen zu können.

Viel Spaß beim Lesen!

Der Umgang mit gefährlichen Straftätern im europäischen Vergleich – Teil 1

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stud. jur. Linn Döring, Universität Freiburg

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Seit Deutschland vom EGMR bzgl. seiner nachträglichen Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, stellt sich die Frage, was gerade wir Deutschen im Umgang mit gefährlichen Straftätern falsch machen. Schauen wir über unsere Grenzen hinweg, wird deutlich, dass von den 47 Staaten des Europarats neben Deutschland nur sieben Länder[1] ein vergleichbares Instrument wie die Sicherungsverwahrung besitzen[1] und die wenigsten Länder ein zweispuriges System verfolgen. „Warum wir- und nicht die anderen?“ Seine Ausnahmestellung setzt Deutschland unter den Druck sich rechtfertigen zu müssen. Aber die Frage kann auch anders herum gestellt werden: “warum machen andere Länder das nicht so wie wir?“

Der folgende Beitrag in drei Teilen stellt sich dem Thema, wie auf sog. „gefährliche Straftäter“ rechtsdogmatisch und rechtstatsächlich in einzelnen europäischen Ländern reagiert wird und zeigt abschließend auf, was Deutschland möglicherweise von ihnen lernen kann.

I. „Strafen“? Die Sicherungsstrafe am Beispiel England

England ist für eine sehr repressive Strafrechtspolitik bekannt 1. Insofern verwundert es nicht, dass es auch in Bezug auf gefährliche Straftäter allein mit sehr hohen Strafen reagiert. Wie und warum es zu dieser allein strafenden Reaktion kam, soll im Folgenden dargestellt werden.

1. Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Von der Einspurigkeit zur Zweispurigkeit

Das Problem der sog. gefährlichen Straftäter stellte sich in England erst nach dem Siegeszug der Freiheitsstrafe und dem Ende der Deportationsstrafe 2. 1908 wurde mit dem Prevention of Crime Act ein auf gefährliche Straftäter gemünztes zweispuriges System eingeführt 3. Gefährlich waren hier Täter, die zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt und seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens dreimal straffällig geworden waren, ein ständig unehrliches und verbrecherisches Leben geführt hatten und deren Verwahrung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich war 4. Gegen sie konnte zum Schutz und zu ihrer Besserung im Anschluss an die Freiheitsstrafe eine Präventivhaftstrafe bis zu zehn Jahren verhängt werden 5. Der weite Anwendungsbereich führte jedoch dazu, dass die Richter an der Präventivhaftstrafe vorbei urteilten, indem sie bei besonders schweren Verbrechen von der Verwahrung absahen, da ihnen die Strafen lang genug erschienen und sie die Kumulation von Strafe und Maßregeln nicht anerkannten 6. Infolgedessen verringerte sich der Abstand der Strafzeit von Tätern mehrerer kleinerer Vergehen zu Tätern von besonders schwerwiegenden Verbrechen.

1948 kehrte England daher mit dem Criminal Justice Act wieder zur Einspurigkeit zurück 7. Statt einer Maßregel war nun eine spezielle längere Strafe für rückfällige und gefährliche Straftäter anstelle der nach der Einzeltatschuld gemessenen Strafe vorgesehen. 1967 folgte die Einführung der extended sentences, die es erlaubten, bei Wiederholungsverbrechern aus Gründen des Schutzes der Öffentlichkeit die gesetzliche Höchstfrist der Freiheitsstrafe auszuweiten 8. Die Praxis wandte die spezielle Strafe allerdings wiederum vor allem gegenüber lästigen Kleinkriminellen und nicht gegenüber schweren Gewaltverbrechern an 9 und weitete stattdessen die lebenslange Freiheitsstrafe für schwere Gewalttäter aus 10. Das langwierige Bemühen den Anwendungsbereich auf schwere Gewalttäter einzuengen, das sich bis zum Criminal Justice Act 1991 zog 11, ist insofern ein Charakteristikum der englischen Geschichte. Schlusspunkt der Entwicklung bilden der Criminal Justice Act 2003 und der ihn ergänzende Criminal Justice Act 2008, auf deren Regelungen im Folgenden eingegangen wird.

2. Die aktuellen Regelungen

Seit dem Criminal Justice Act 2003 teilt das englische Strafrecht die Straftäter grundsätzlich in gefährlich und nichtgefährlich ein 12. Gefährlich sind nur die Gewalt- und Sexualstraftäter, gegen die in den Sections 224-263 als sichernde Reaktionsmittel drei unterschiedliche besondere Strafen aufgeführt werden, die ab dem 18. Lebensjahr angeordnet werden können 13. So kann der Richter im Rahmen einer zeitigen Freiheitsstrafe eine verlängerte Bewährungsdauer (extended sentence), eine in ihrer Dauer unbestimmte Freiheitsstrafe zum Schutz der Öffentlichkeit im Anschluss an die Strafhaft (imprisonment for public protection, abgekürzt als IPP) und die absolute (bei Mord) oder fakultative (bei schweren Gewaltdelikten) lebenslange Freiheitsstrafe (mandatory/discretionary life sentence) verhängen 14.

Für alle drei Varianten der besonderen Strafen, die jeweils von der Schwere der Anlasstat abhängen 15, ist eine Gefahr schwerer körperlicher und seelischer Schäden zum Urteilszeitpunkt vonnöten, für die nur eine mehr als unerhebliche Wahrscheinlichkeit existieren muss 16. Ob eine Gefährlichkeit besteht, wird vom Richter zunächst ohne Zuziehung eines Sachverständigen entschieden 17. Vorverurteilungen sind als formelle Kriterien nicht erforderlich, sie erleichtern lediglich die Vermutung einer Gefährlichkeit 18.

Die besonderen Strafen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Vollzugs nicht von den gewöhnlichen Strafen, lediglich die Ausgestaltung des Entlassungsmechanismus variiert. So werden gewöhnliche Täter grundsätzlich nach der Hälfte ihrer Haft entlassen 19, wohingegen bei gefährlichen Tätern eine der Vergeltung dienende Mindeststrafhaft (tariff) für die Anlasstat festgesetzt wird 20. Ab dieser Mindesthaft überprüft ein interdisziplinärer Bewährungsausschuss (parole board), ob eine etwaige Gefahr fortbesteht und ob der Täter entlassen werden kann. Bei weiterer Gefährlichkeit können die Straftäter bei der lebenslangen Freiheitsstrafe und bei der IPP bis zum Ende ihrer Strafdauer – damit auch lebenslänglich -, im Falle einer erweiterten Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren eingesperrt bleiben 21. Nach einer Freilassung bleibt die Verurteilung bis Lebensende in Kraft (life licence). So kann ein Straftäter, falls er eine erneute Straftat begeht oder seinen möglicherweise bis lebenslang dauernden Melde- und Aufsichtspflichten 22 nicht nachkommt, jederzeit wieder inhaftiert werden 23.

Gefährliche Personen mit psychischer Störung (mental disorder) oder Unzurechnungsfähigkeit (insanity) zum Zeitpunkt der Aburteilung können in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden (hospital order). Dies ist jedoch nicht zwingend 24, sodass nicht wenige der schuldunfähigen Täter in den Strafvollzug gelangen 25.

Seit einigen Jahren wird in England die Schaffung einer Einrichtung für Personen, die an einer „dangerous severe personality disorder“ (DSPD) 26 leiden und für die Allgemeinheit gefährlich sind, diskutiert 27. Eine sog. DSPD-Order sähe eine unbefristete Unterbringung  auch für Personen vor, die bislang nicht wegen eines gefährlichen Delikts verurteilt, sondern etwa durch Routinekontrollen oder Kontakten mit Ermittlungsbehörden als potentiell gefährlich eingestuft worden sind 28. Damit wäre England das erste Land, indem eine unbefristete präventive Unterbringung auch ohne eine Anlasstat möglich wäre 29. Die heftigen Reaktionen in der Fachöffentlichkeit und die Annahme, dass die Regelung gegen die EMRK verstoßen würde, haben allerdings bisher ein eigenständiges DSPD-Gesetz verhindert 30.

Charakteristisch für England ist weiterhin die Verschmelzung des Strafrechts mit dem Gefahrenabwehrrecht. So existieren zahlreiche Anordnungen (bspw. anti-social behaviour orders oder control orders für Sexualstraftäter und mutmaßliche Terroristen 31), deren Nichtbeachtung eine strafrechtliche Sanktion bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nach sich zieht. Diese umgehen aufgrund ihrer zivil/verwaltungsrechtlichen Ausgestaltung nicht selten die Garantien des Strafrechts (bspw. Unschuldsvermutung) 32.

3. „Warum strafen statt maßregeln?“ – Ein Erklärungsversuch

3.1. Das pragmatische Verständnis von Strafe

Die Entscheidung für ein allein auf Strafen basierendes System wurde in England vor allem durch die Praxis geprägt und fußt im Gegensatz zu Deutschland 33 auch vornehmlich auf pragmatischen und nicht dogmatischen Überlegungen. Dieses grundsätzlich andere Verständnis resultiert zum einen aus der traditionell starken Stellung der Richter 34, aus der die Überdogmatisierung verhindernden Laienorientierung 35 sowie aus dem festen Vertrauen Englands in die Freiheitsrechte seit der Bill of Rights 1689 36. Das Fehlen eines kohärenten dogmatisch-philosophischen Sanktionskonzepts 37 und die sich gegenüber Behandlungskonzepten desillusionierend und zynisch gebende “nothing works“-Einstellung seit den 1980er Jahren 38 haben daher vor allem eine Strafpolitik hervorgebracht, die auf gefährliche Straftäter mit dem pragmatischen Glauben an harte Gefängnisstrafen („prison works“) 39 reagiert. Das deutsche dogmatisch-ausgefeilte, aber unflexible zweispurige Konzept wird demgegenüber als künstlich und metaphysisch belächelt 40.

3.2. Zwecke und Grenzen des Strafens in England

Die Möglichkeit, auf gefährliche Straftäter allein mit Strafen zu reagieren, ergibt sich nicht zuletzt aus dem englischen Verständnis vom Zweck und den Grenzen von Strafen 41. War im Criminal Justice Act 1991 als Strafzweck noch die Proportionalität zwischen Schuld und Strafe festgeschrieben 42, führt der repressiven Criminal Justice Act 2003 als Strafzwecke die Vergeltung (retribution), Abschreckung (deterrence), Rehabilitation (rehabilitation) und der Schutz der Öffentlichkeit durch spezialpräventive Freiheitsentziehung (incapacitation) auf 43. Da die Strafe damit auch explizit dem Schutz der Öffentlichkeit dient, kann der Richter 44 sie aus präventiven Gesichtspunkten über die Einzeltatschuld hinaus dehnen und dabei auf eine Lebensführungsschuld 45 des Täters rekurrieren, sodass sich präventive Maßregeln neben einer Strafe erübrigen. Demgegenüber besitzt in Deutschland das Tatschuldprinzip Verfassungsrang 46.

Rechtsstaatlichen Grenzen der Strafe kommt in England  hingegen eine geringe Rolle zu. Als solche  haben sich zwar bspw. das Gesetzlichkeitsprinzip (principle of legality), das Prinzip der persönlichen Verantwortlichkeit des Täters (principle of responsibility) und das Prinzip, das Strafrecht als letztes Mittel (last resort) anzuwenden, herausgebildet 47. Das englische Recht kennt allerdings kein geschriebenes höherrangiges Verfassungsrecht 48, indem diese rechtsstaatlichen Grenzen des Strafrechts festgeschrieben wären 49.

4. Flexibilität versus Repression? – Eine Einschätzung

Das englische Konzept im Umgang mit gefährlichen Straftätern wirkt aus deutscher Sicht bedenklich scharf, was nicht zuletzt die hohen Gefangenenzahlen belegen. So werden mit der pauschalen Einteilung von Tätern in gefährlich und nicht gefährlich deutlich mehr Straftäter von den Regelungen der besonderen Strafen erfasst, wohingegen in Deutschland der Sicherungsverwahrung eine ultima ratio-Stellung zukommt 50. Um in die Kategorie „gefährlicher Straftäter“ zu fallen, sind in England keinerlei Vortaten erforderlich 51. Zwar ist die Verhängung einer besonderen Strafe an Gewalt- oder Sexualstraftaten gekoppelt, darunter kann allerdings auch bspw. Prostitution fallen 52. Angesichts der unzuverlässigen Prognostizierbarkeit von Gefährlichkeit bedeutet daher die präventive Erhöhung von Strafen für sehr viele Straftäter in England, dass höchstwahrscheinlich nicht wenige ungerechtfertigt eingesperrt werden.

Heikel ist neben der Vermengung von verwaltungs- und zivilrechtlichen Regelungen mit dem Strafrecht außerdem, dass England ohne eine Kontrollinstanz auskommt. Das Parlament kann – womöglich einem Strafverschärfungspopulismus nachgebend -  jedes noch so rechtsstaatlich bedenkliche Gesetz verabschieden, soweit sich keine politische Gegenwehr formiert 53. Das Fehlen einer Kontrollinstanz macht England indessen flexibler als Deutschland im Hinblick auf den Umgang mit gefährlichen Straftätern.


Fußnoten:

  1. Vgl. auch Forster, in Sieber/Cornils, 127, 186f.
  2. Zuvor entledigte man sich unliebsamen Rechtsbrechern, indem man sie in ferne Kolonien deportierte oder mit der Todesstrafe ahndete, vgl. Radzinowicz/Hood, MLR 1980, 1305, 1308; Sturm, 17.
  3. Ashworth, 183; Huber, in Jescheck, 157, 168; Kinzig, 533.
  4. Vgl. Geisler, 40f.; Kinzig, 533.
  5. Kinzig, 533; Allen, ZStW 80, 163, 165.
  6. Hood/Sparks, 156; Floud/Young, 79; Geisler, 42.
  7. Huber, in Jescheck, 160, 202.
  8. Floud/Young, 81.
  9. West, 100; Kinzig, 534ff.;  Huber, in Jescheck, 160, 171.
  10. Kinzig, 538.
  11. Ashworth, 183f.; Sturm, 21f.
  12. Gibson/Watkins, 36; Sturm 33; Ashworth/Player, MLR 2005, 822, 836.
  13. das Jugendlichsein wird jedoch oft mildernd in der Strafzumessung berücksichtigt, vgl. Sturm, 60f.; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 164.
  14. Sturm, 56ff.; Wischmeyer, ZStW 118, 773, 793. WD-BT, 7; Kinzig, 538; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 165f.
  15. Sturm, 61, 69.
  16. Sturm, 70; Ashworth, 210.
  17. Sturm, 84.
  18. ders., 69.
  19. Gibson/Watkins, 147.
  20. Die allerdings in besonders schweren Fällen auch lebenslang dauern kann (whole life order), vgl. WT-BT, 7.
  21. Gibson/Watkins, 147, 149; Sturm, 72; WD-BT, 7.
  22. Diese existieren seit dem Sexual Crime Act 1997 für Sexualstraftäter, vgl. Sturm, 33.
  23. Sturm, 67; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 162; WD-BT, 7; Huber, in Jescheck, 157, 187.
  24. So ist für die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung eine Therapiefähigkeit erforderlich, sodass dauerhaft hochgefährliche Täter nicht selten nicht davon erfasst werden, vgl. Lau, in Handbuch, 369, 370.
  25. Wischmeyer, ZStW 118, 773, 787, 798.
  26. Der als unscharf kritisierte Begriff ähnelt dem Begriff der „schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung“ und des „Hangs“, vgl. Lau, in Handbuch, 369, 377f.
  27. Lau, in Handbuch, 369, 375f.; Lau, MSchrKrim 2004, 451f; Peglau, ZRP 2000, 147f.
  28. Lau, MSchrKrim 2004, 451, 453; Lau, in Handbuch, 369, 377.
  29. Lau, in Handbuch, 369, 377.
  30. Vgl. Lau, MSchKrim 2004, 451, 454; Lau, in Handbuch, 369, 377.
  31. So kann bspw. gegen Terroristen eine Ausgangssperre bis zu 16 Stunden täglich verhängt werden, vgl. Forster, 300.
  32. vgl. Forster, in Siebers/Cornils, 127, 163.
  33. So ist die deutsche Zweispurigkeit ein Kompromiss des Theorienstreits der klassischen Schule und des Marburger Programms, vgl. Eser, FS-Müller-Dietz, 213, 224.
  34. Vgl. Dignan/Cavadino, in Kriminalität, 261, 264; Wischmeyer, ZStW 118, 773, 797.
  35. Wischmeyer, ZStW 118, 773, 798.
  36. Sturm, 22f.
  37. Forster, in Sieber/Cornils, 127, 156; Wischmeyer, ZStW 118, 773, 798; Sturm, 23.
  38. Wischmeyer, ZStW 118, 773, 775.
  39. Vgl. Hostettler, 305f.
  40. Walker, 132f., zum deutschen System: “it requires an extremely retributive philosophy to sustain so artificial a piece of logic
  41. Forster, in Sieber/Cornils, 127, 154, 161.
  42. Dunbar/Langdon, 1; Wischmeyer, ZStW 118, 773, 774; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 156.
  43. Wischmeyer, ZStW 118, 773, 774; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 156.
  44. Die Gewichtung der Strafzwecke ist dem Richter im Einzelfall überlassen, vgl. Wischmeyer, ZStW 118, 773, 777.
  45. Der Begriff der Lebensführungsschuld wurde von Mezger, ZStW 57, 675, 688f. geprägt. Dieser umfasst neben der Tat  auch das „Wesen des Täters“, also auch seine Gefährlichkeit.
  46. Frisch, ZStW 102, 343, 391; BVerfG 6, 398, 439; 54, 100, 108.
  47. Forster, in Sieber/Cornils, 127, 155.
  48. Die Grundrechte sind zwar seit der Ratifizierung des Europäischen Menschenrechtsabkommens 1966 implementiert. Da das Parlament aber jederzeit aus dem Abkommen aussteigen kann, ist die Kontrolle der individuellen Freiheitsrechte nicht dauerhaft gesichert, vgl. Sturm, 47.
  49. Sturm, 46.
  50. ders., 107.
  51. Einer bestimmte Anzahl von Vortaten als formelle Voraussetzung für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung wird nach deutscher Auffassung eine Warnfunktion zumindest gegenüber schweren Gewalt- und Sexualdelinquenten zugeschrieben, vgl. Sturm, 102f.

    [1] Sturm, 106.

  52. Sturm, 106.
  53. Sturm, 47; Bradley/Ewing, 55; wohingegen Deutschland durch das Grundgesetz und seine Überwachung durch das Bundesverfassungsgericht geschützt ist.

Der Umgang mit gefährlichen Straftätern im europäischen Vergleich – Teil 3

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stud. jur. Linn Döring, Universität Freiburg

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III. Das Konzept in den Niederlanden: Longstay-Einrichtungen oder das Problem der „Unbehandelbaren“

Das niederländische System gilt europaweit, vor allem in Bezug auf die spezielle Behandlung  gefährlicher Straftäter mit psychischen Störungen, als Vorbild 1 . Dies ist für Deutschland umso interessanter, als auch die Niederlande das zweispurige Modell – allerdings ohne die umstrittene Sicherungsverwahrung – verfolgt 2  und ihr historischer und philosophischer Hintergrund dem deutschen sehr ähnlich ist 3 . In den letzten Jahren  hat die Ernüchterung über das Fehlschlagen von Behandlungen jedoch zu den umstrittenen Longstay-Einrichtungen geführt, welche einige Stimmen als humane Unterbringung auch für deutsche therapieresistente gefährliche Straftäter favorisieren 4 .

1. Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Der Widerstand gegen die Sicherungsverwahrung

Bestand in der Epoche der „klassischen Schule“ als Reaktion auf gefährliche Straftäter nur die Möglichkeit der Strafe und lediglich bei Schuldunfähigkeit die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt 5 , bildete sich in der Epoche der modernen Schule in den Niederlanden mit der Maßregel der TBR (terbeschikkingstelling van de regering, später in TBS umbenannt) 1928 ein Instrument heraus, das sowohl die schuldunfähigen wie die vermindert-schuldunfähigen gefährlichen Straftäter erfassen sollte. Daneben war eine bis zu zehn Jahre dauernde Sicherungsverwahrung für gefährliche rückfällige und voll schuldfähige Straftäter (bewaring), vorgesehen, die jedoch nie in Kraft trat 6 . Die Frage, warum die Niederlande auf die Sicherungsverwahrung verzichteten, ist im Hinblick auf die deutsche Diskussion umso interessanter. Neben Kostengesichtspunkten hegten die Niederländer Bedenken bzgl. der Verhältnismäßigkeit der Maßregel sowie bzgl. der Differenzierbarkeit von psychisch gestörten zu lediglich rückfälligen Straftätern 7 . Für die wenigen gefährlichen Täter ohne psychische Störung schienen den Niederländern lange Freiheitsstrafen als ausreichend 8 .

 

2. Die aktuellen Regelungen

Die längste Freiheitsstrafe in den Niederlanden ist die lebenslange Freiheitsstrafe. Sie bedeutet, dass der Täter tatsächlich bis zum Lebensende in Haft bleibt 9 . Als höchste zeitige Freiheitsstrafe sind 15 Jahre angesetzt. Besteht bei einzelnen Tatbeständen ein Strafrahmen von bis zu lebenslänglich, können die Gerichte bei verschiedenen gleichzeitig verwirklichten Tatbeständen, terroristischen Taten oder bestimmten Rückfalltaten eine zeitige Freiheitsstrafe von bis zu 30 Jahren verhängen. Damit reagieren die Niederlanden auch im Rahmen der Strafzumessung auf eine etwaige Gefährlichkeit. Von der Verhängung von Strafen kann in den Niederlanden aber auch ganz abgesehen werden, da das Opportunitätsprinzip gilt 10 .

Als freiheitsentziehende Maßregeln existieren die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus (Art. 37 nied. StGB) sowie die behandlungsintensive sog. Überlassung (ter beschikking stelling, TBS genannt, Art. 37a nied. StGB) für psychisch kranke oder gestörte gefährliche Straftäter 11 . Voraussetzung für die TBS ist eine Tat, für die eine Mindeststrafe von vier Jahren vorgesehen ist, eine (nicht geringfügige) Gefährlichkeit des Täters für Personen oder Güter sowie eine mangelhafte Entwicklung oder krankhafte Störung der geistigen Fähigkeiten des Täters zum Tatzeitpunkt. Vorverurteilungen sind nicht nötig 12 . Die Erforderlichkeit der TBS-Maßnahme wird vom Gericht alle zwei Jahre, von einer unabhängigen Expertengruppe alle sechs Jahre überprüft 13 . Eine bis lebenslange Verlängerung der Unterbringung ist jedoch nur bei Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit möglich. Bei Delikten gegen Sachgüter beträgt die Maximaldauer vier Jahre 14 . Je nach Dauer der Behandlung gibt es Abstufungen der Unterbringung, nach einigen Jahren in eine „Long stay facility“, bei fortwährender Behandlungsresistenz in ein „long stay department“ 15 . Im Durchschnitt dauert der Vollzug der TBS sieben bis acht Jahre 16 . Bei vermindert schuldfähigen Tätern können TBS und Freiheitsstrafe zusammen angeordnet werden. Eine bestimmte Reihenfolge der Sanktionen ist nicht festgelegt, ständige Rechtspraxis ist es jedoch, die Freiheitsstrafe vor der TBS zu vollstrecken 17 . Der Richter kann neben der Anordnung einer TBS auch von einer Strafe absehen 18 . Häufig wird die TBS aber neben sehr langen Freiheitsstrafen angeordnet 19 . Dies ist möglich, da auch die Niederlande ein weniger strenges Verständnis von Schuldvergeltung, Proportionalität der Sanktionen und Rechtsstaatlichkeit besitzen als wir Deutschen und die Freiheitsstrafe somit auch präventive Sicherungsaspekte aufnehmen kann 20 . Auch das niederländische Konzept ist damit funktionalistischer und pragmatischer angelegt als das deutsche. Wie auch im deutschen Recht ist allerdings eine klare Trennlinie zwischen Maßregeln und Strafen schwer zu ziehen 21 .

Seit 2004 existiert die Maßregel der ISD, die ein effektiveres Vorgehen gegenüber rückfälligen Kleinkriminellen erlaubt. Wird für ein Anlassdelikt Untersuchungshaft angeordnet, wurde der Straftäter schon dreimal zu Freiheitsentzug, Maßregel oder gemeinnützige Arbeit verurteilt und besteht die Gefahr der Begehung einer weiteren Straftat, kann gegen den Täter eine zusätzliche Freiheitsstrafe von zwei Jahren Dauer in eigens dafür eingerichteten Anstalten verhängt werden 22 . Eine besondere Behandlung der Straftäter ist nicht vorgesehen, insofern besteht kein großer Unterschied zwischen der ISD und dem herkömmlichen Freiheitsentzug 23 .

3. Die Longstay-Einrichtungen

3.1. Die Lebensbedingungen in Longstay-Einrichtungen

Nachdem sich Mitte der 90er Jahre die Anzahl der TBS-Patienten verdoppelte 24 , entwarfen die Niederländer aus Kostengründen ein weniger behandlungsintensiveres Konzept für sog. unbehandelbare Patienten, welches 1999 in Gang gesetzt wurde 25 . Unter „unbehandelbar“ werden seitdem Betroffene verstanden, die seit sechs Jahren in  einer TBS-Klinik untergebracht sind, deren Behandlung nicht zu einer wesentlichen Verminderung ihrer Gefährlichkeit geführt hat und für die ein weiterer Behandlungserfolg nicht abzusehen ist 26 . Um die Resozialisierung und Vermeidung der Rückfallgefahr geht es dem Konzept nicht. Zwar besteht eine gewisse Behandlung, diese dient allerdings primär der Stabilisierung des gegenwärtigen Zustands, wie z.B. der Verarbeitung der Tatsache, zu den „Unbehandelbaren“ zu gehören 27 . Das Konzept rühmt sich vielmehr, therapieresistenten Patienten ein humanes Leben fern von Behandlungsdruck zu schaffen 28 . Im Vollzug werden die Betroffenen möglichst als gleichberechtigte und eigenverantwortliche Verhandlungspartner betrachtet. So drückt sich die Vorgabe, hierarchische Strukturen zwischen Betroffenen und Pflegern möglichst gering zu halten, schon in der Bezeichnung der Betroffenen als „Bewohner“ – nicht als Patienten – aus 29 . Die Einrichtung bietet ihren Bewohnern ungeachtet des hohen Sicherheitsstandards möglichst viel Bewegungsfreiheit und einen weitestgehend freien Tagesablauf 30 . Die Wiedererlangung der Freiheit ist nicht ganz ausgeschlossen. So ist alle zwei Jahre ein Verlängerungsverfahren zu durchlaufen, das dem Betroffenen zumindest eine Chance gibt, aufgrund seines Alters oder neuerlicher Ungefährlichkeit entlassen zu werden oder aufgrund von Behandlungsfähigkeit in den Behandlungsvollzug der TBS wieder aufgenommen zu werden 31 .

3.2. Die kontroverse Diskussion der  Longstay-Einrichtungen

Das Longstay-Konzept ist in den Niederlanden und auch in Deutschland sehr umstritten 32 . Als positiv fällt indessen der gehobene Lebensstandard der Betroffenen ins Auge, der deutschen Sicherungsverwahrten ungeachtet der Vorgabe des Abstandsgebots selten vergönnt ist. Auch erfahren behandlungsresistente Betroffene im Vergleich zur TBS-Maßnahme eine Erleichterung vom Behandlungsdruck, die dazu führen kann, sie wieder für Behandlungsangebote zu motivieren 33 . Neben Kostengesichtspunkten 34  werden die herkömmlichen TBS-Einrichtungen und psychiatrischen Krankenhäuser entlastet, sodass ein effektiverer Einsatz für die behandlungsfähigen Patienten möglich ist 35 .

Die Kritik an den Longstay-Einrichtungen entzündet sich schon an der Voraussetzung für eine Unterbringung. Ob ein Mensch wirklich therapieunfähig oder nur therapieunwillig ist, ist nicht hinreichend zu beweisen 36 . Es kommt der Verdacht auf, dass hier nur eine unbequeme (nicht aber unbedingt unbehandelbare Gruppe) von einer Einrichtung „weg“ und in eine andere „hineindefiniert“ wird 37 . Im Hinblick auf das Risiko von Fehlprognosen bzgl. psychischer Störungen sind die Niederländer allerdings deutlich optimistischer als die Deutschen 38 . Ferner bestehen Zweifel, ob es sich bei den regelmäßigen Überprüfungen eher um Rituale als um Überprüfungen mit realer Entlassungschance handelt 39 . Kritisiert wird außerdem die Annäherung der Maßregel an die Strafe, womit eine schleichende Abkehr vom Prinzip der Zweispurigkeit vollzogen werde, die das gesamte System infrage stelle und auf das Institut der Sicherungsverwahrung zulaufe 40 . Auch werden humane und rechtliche Einwände angemeldet. So geht die Aufnahme in eine Longstay-Einrichtung einher mit dem „Verlust einer Lebensperspektive“. Dem Betroffenen wird das Stigma der vorläufigen Behandlungsunfähigkeit auferlegt. Den Longstay-Einrichtungen zuwider laufe ferner ein einklagbares Recht auf Behandlung 41 . So bestehe die Pflicht des Staates nicht primär in der Förderung des Wohlbefindens, sondern darin, den Betroffenen bei der Wiedererlangung seiner Freiheit behilflich zu sein 42 . Auch rechtfertige nicht die Zustimmung des Betroffenen die Unterbringung in einer Longstay-Einrichtung, da es sich hierbei um einen unzulässigen Grundrechtsverzicht des Betroffenen handele 43 .

3.3. Übertragbarkeit von Longstay-Einrichtungen auf das deutsche Maßregelsystem?

Im deutschen Maßregelrecht existiert eine spezielle Maßregel für psychisch gestörte gefährliche Straftäter wie die niederländische TBS bislang noch nicht 44 . Eine solche wäre indessen begrüßenswert, solange die Behandlung an real vorhandene und erkennbare Störungen anknüpft. Die Etablierung primär verwahrender Longstay-Abteilungen in Deutschland ist jedoch abzulehnen. Zwar ist den aus Sicherungszwecken Verwahrten ein Leben zu wünschen, welches so wenig wie möglich dem Übel eines Strafvollzugs gleicht und somit dem Abstandsgebot genügt. Eine rein verwahrende Unterbringung ist mit der deutschen Verfassung aber nicht vereinbar. Aus Art. 1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot leitet das Bundesverfassungsgericht das Verbot ab, den „Menschen zwangsweise seiner Freiheit zu entkleiden, ohne dass diesem zumindest die Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“ 45 . Der Staat muss sich daher mit allen Kräften darum bemühen, den Betroffenen bei seiner Wiedererlangung der Freiheit zu unterstützen 46 . Ansonsten vermag er nicht das Sonderopfer 47  zu rechtfertigen, welches der Betroffene durch den Entzug seiner Freiheit für die zu schützende Gesellschaft erbringt.

Ob die bisherige Sicherungsverwahrung diesem Resozialisierungsgebot gerecht wird, bleibt zwar fraglich. Die Differenzierung in nach Gefährlichkeit und Behandlungserfolg gestaffelte Einrichtungen ist jedoch auch nicht unproblematisch. Der Fokus sollte nicht auf dem Aufspüren und Aussondern sog. Unbehandelbarer liegen, sondern primär auf der Suche nach effektiveren Behandlungsmethoden 48 . Existieren sog. Longstay-Einrichtungen erst einmal, besteht die Gefahr, dass sie zum „Wasserkopf des Systems“ 49  werden und die Gesellschaft beginnt, problematische Straftäter dauerhaft auszusondern 50 . Da es nicht unmöglich ist, Einrichtungen zu finden, die sowohl das Abstandsgebot als auch das Resozialisierungsgebot einhalten 51 , sollte auch Deutschland in resozialisierende, sozialtherapeutische und nicht in rein verwahrende Anstalten investieren.

IV. Fazit in zehn Thesen: Was wir aus den Konzepten anderer Länder lernen können

1. Die pragmatische und rechtstatsächliche Herangehensweise der anderen drei Länder sollte Anstoß geben, auch unsere Rechts- und Vollzugspraxis zu hinterfragen und nicht die Menschen hinter dogmatischen Konzepten zu vergessen.

2. Zwar ist das zweispurige System grundsätzlich ein treffsichereres Konzept als die pauschale Erhöhung von Strafen. Dabei sollten wir jedoch anerkennen, dass andere Länder auch ohne striktes Schuldprinzip human und verhältnismäßig verfahren können (Bsp. Schweden) 52  und auch wir nicht davor gefeit sind, über die Schuld hinaus zu strafen 53 .

3. „Spezialprävention durch Behandlung ist humaner als Rückfallverhinderung durch langjähriges Einsperren“ 54 . Nach dem Vorbild Schwedens und der Niederlande sollte das Behandlungsangebot für die Sicherungsverwahrten schon während der Strafhaft ausgebaut werden, sodass sich anschließende Maßregeln möglichst erübrigen 55 . Dagegen „den Vollzug der Strafe individualpräventiv unergiebig zu gestalten und individualpräventiven Bedürfnissen gesondert Rechnung zu tragen, ist ein rechtsstaatlich unhaltbarer Formenmissbrauch“ 56 . Ein reiner Verwahrvollzug, wie er ansatzweise bei den Longstay-Einrichtungen in den Niederlanden praktiziert wird, ist abzulehnen. Für unsere im Vergleich mit England wenigen gefährlichen Straftäter sollten wir eigentlich hinreichende Behandlungsressourcen besitzen.

4. Für die Gruppe von Straftätern mit psychischen Störungen, die nach intensiver Behandlung während der Strafhaft noch immer gefährlich sind, sind sozialtherapeutische Anstalten wie die TBS-Einrichtungen in den Niederlanden wünschenswert. Die Unterbringung von Sicherungsverwahrten in psychiatrischen Krankenhäusern ist dagegen abzulehnen 57 . Kein Mensch sollte allein aufgrund seiner Gefährlichkeit oder krimineller Karriere pathologisiert werden, dies sollten wir aus der Geschichte Schwedens lernen.

5. Das Abstandsgebot von Straf- und Sicherungshaft ist ernst zu nehmen. Die Sicherungsverwahrten sind in vom Strafvollzug getrennten Einrichtungen unterzubringen. Ihnen ist weiterhin möglichst viel Bewegungsfreiheit und Eigenverantwortlichkeit, wie in den Longstay-Einrichtungen in den Niederlanden, zuzugestehen. Um die Stellung der Sicherungsverwahrten zu stärken, wäre ein eigenes Gesetz förderlich 58 .

6. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist abzuschaffen. Dem BVerfG ist zu raten, sich wie die Niederlande 59  der Auffassung des EGMR anzuschließen, dass die Gebote ne bis in idem und nulla poena sine lege auch auf Maßregeln anzuwenden sind. Eine Kriminalpolitik sollte die Geltung verfassungsrechtlicher Gebote nach den tatsächlichen Wirkungen festlegen.

7. Da die Höhe des Strafniveaus kaum Einfluss auf die Kriminalität nimmt, wohl aber das Entdeckungsrisiko, sollte vor allem in Strategien und Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten investiert werden. Damit wäre es langfristig möglich, das Strafniveau wie in Schweden zu senken. Die Aufmerksamkeit sollte jedoch nicht nur der umstrittenen Sicherungsverwahrung gelten, sondern auch der schleichenden Erhöhung der langen und lebenslangen Freiheitsstrafen, die eine viel größere Gruppe als die der Sicherungsverwahrung betrifft 60 .

8. Zur besseren Einschätzung der Sinnhaftigkeit von Maßregeln und Strafen sind Evaluierungen der Maßregeln wie in den Niederlanden 61  anzustreben.

9. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung sind aufgrund ihrer Warnfunktion zu stärken. Keinesfalls sollten freiheitsentziehende Maßnahmen ohne jegliche Anlasstat verhängt werden können (vgl. die diskutierte DSPD-Order in England). Wie in England sollte das materielle Kriterium der Gefährlichkeit durch eine interdisziplinäre Expertengruppe (parole board) bestimmt werden 62 .

10. Unser Grundgesetz und die Wachfunktion des Bundesverfassungsgerichts gilt es zu wahren. Sie können uns davor bewahren, einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis nachzugeben, dem in Ländern ohne höherrangiges Verfassungsrecht und Kontrollorgan wie bspw. in England und der Niederlande 63  keine Grenzen gesetzt sind. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Verantwortung weiter ernst nimmt und die rechtsstaatlichen Gebote nach den vollzuglichen Gegebenheiten auslegt.

 


Fußnoten:

  1. Lau, MschrKrim 2004, 451, 452; Blau, FS-Schneider, 759, 769f.; Kinzig, 521.
  2. Lindemann, R&P 2001, 22; Sagel-Grande, in Jescheck, 373, 420.
  3. vgl. Remmelink, ZStW 98, 486f.; Jescheck, in Criminal Law, 5, 6.
  4. Vgl. Sagel-Grande, MschrKrim 2005, 427, 439.
  5. Sagel-Grande, ZStW 103, 732, 733f.
  6. Sagel-Grande, ZStW 103, 732, 740; Finger, 230f.
  7. Jescheck, in Criminal Law, 5, 12; Finger, S. 231f.
  8. Im Strafvollzug wurden die Gewohnheitsverbrecher jedoch aus Schutzgründen von den übrigen Gefangenen getrennt, vgl. Finger, 232.
  9. vgl. WD-BT, 13.
  10. Gaenslen, 193.
  11. Sagel-Grande, in Barton, 187.
  12. Kühne, FS/2010, 150, 152; Kinzig, 514f.; Finger, 238ff.
  13. WD-BT, 13f.
  14. Finger, 243f.
  15. Kühne, FS/2010, 150, 152; WD-BT, 14.
  16. Finger, 237.
  17. Sagel-Grande, ZStW 106, 869, 875; Finger, 244.
  18. Kinzig, 516.
  19. Finger, 245; Sagel-Grande, ZStW 106, 869, 875.
  20. Jescheck, CLiA, 5, 14; Remmelink, ZStW 98, 486, 491ff.; Sagel-Grande, ZStW 103, 732, 738, 760.
  21. Vgl. bspw. die seit 1983 eingeführte Möglichkeit, bei einer Maßregel begnadigt zu werden, vgl. Finger, 233f.
  22. Finger, 253f.
  23. Finger, 256f.
  24. Sagel-Grande, in Barton, 187, 190; Finger, 237.
  25. Lindemann, P&R 2001, 22f.; Kühne, FS/2010, 150, 152; Braasch, 544.
  26. Finger, 248.
  27. Braasch, 556; Finger, 249; Lindemann, R&P 2002, 10, R&P 2001, 25.
  28. Perik, in Braasch, 558; Lindemann, auf http://www.evangelische-akademie.de/_old/materialien/055855/lindemann.pdf, 5 (im Folgenden mit Lindemann abgekürzt), Stand 21.3.2011.
  29. Braasch, 556; Lindemann, 5.
  30. Lindemann, 5.
  31. Finger, 249.
  32. Dass Longstay-Einrichtungen gegen Art. 3 und 5  EMRK verstoßen, wird jedoch nicht angenommen, vgl. Finger, 264.
  33. Lindemann, R&P 2001, 25.
  34. So kostet die Unterbringung mit etwa 225 Euro nur halb so viel wie in einer herkömmlichen TBS-Unterbringung, vgl. Sagel-Grande, MschKrim 2005, 427, 439.
  35. Lindemann, R&P 2002, 11.
  36. Der Therapieerfolg hängt  nicht zuletzt von der Qualität von Behandlungsmethoden ab, vgl. Leygraf, P&R 2002, 3f., 6; Osterheider, R&P 2002, 18; Vgl. Eisenberg, NStZ 2004, 240, 248.
  37. Lindemann, R&P 2002, 8, 10.
  38. Finger, 254f.
  39. Lindemann, R&P 2002, 8, 11.
  40. Kuijck, Vegter und van Emmerik, in Lindemann, P&R 2001, 21, 24; in Braasch, 569; Finger, 249.
  41. Blankstein, in Braasch, 566.
  42. van Emmerik, in Lindemann, P&R 2001, 21, 24.
  43. Lindemann, 7; Mushoff, 490; Lindemann, R&P 2002, 8, 14f.
  44. Vergleichbar sind die Regelungen im Therapieunterbringungsgesetz vom 1.1.2011 für die sog. Altfälle.
  45. BVerfG, 45, 187, 229.
  46. Lindemann, 7; Lindemann, R&P 2002, 8, 12.
  47. Vgl. Kammeier, MaßregelvollzugsR, Rn. A 99f.
  48. Vgl. auch Fehlenberg, R&P 2003,  145, 152; Meier, in Internationales Handbuch, 971, 990f.
  49. De Lange, in Braasch, 568.
  50. So vergleicht Kunz in FS-Eser, 1375, 1386, 1388, die Unterscheidung in Unverbesserlichkeit und Besserungsfähigkeit mit einer sozialdarwinistischen Selektion.
  51. Mushoff, 491.
  52. Vgl. Schütz-Gärden, 456, 501.
  53. Vgl. Kunz, in Barton, 71, 84f.
  54. Dölling, in Jehle, 21, 30.
  55. Vgl. Frisch, ZStW 102, 343, 382.
  56. Frisch, ZStW 102, 343, 379; ähnlich Mushoff, 577.
  57. Dies überlegt Kinzig, ZRP 1997, 99, 105.
  58. Finger, 274.
  59. Vgl. Finger, 274.
  60. Vgl. auch Dessecker, in Pollähne/Rode, 15, 38.
  61. Vgl. Finger, 274; Sagel-Grande, in Barton, 187, 204.
  62. Vgl. Sturm, 110ff.
  63. In den Niederlanden dürfen Gesetz nur nach ihrer Vereinbarkeit mit der EMRK, nicht jedoch mit dem niederländischen Grundgesetz überprüft werden, vgl. Finger, 261.

Der Umgang mit gefährlichen Straftätern im europäischen Vergleich – Teil 2

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stud. jur. Linn Döring, Universität Freiburg

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II. „Behandeln statt Strafen“? Der Glaube an die Besserung des Täters am Beispiel Schweden

Im Gegensatz zum englischen Glauben an die abschreckende und sichernde Wirkung von Strafen steht der optimistische Glaube, gefährliche Straftäter mithilfe unbestimmter freiheitsentziehender Behandlung heilen zu können bzw. zu dürfen. Neben den USA zwischen 1935 bis 1975 1  verfolgte auch Schweden von 1927 bis 1981 das Modell unbestimmter Sanktionen zur Besserung des Täters. Die Gefahren dieses praktisch reinen Maßregelsystems sollen hier anhand der schwedischen Geschichte näher beschrieben werden.

1. Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Die Behandlungsideologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts

1.1. Der Glaube an die Behandlung

Verhängte Schweden in Anlehnung an die klassische Strafrechtslehre im 19. Jahrhundert gegen Rückfalltäter mangels sichernder Maßnahmen z.T. drastische Strafen 2 , schwenkte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die sog. Behandlungsideologie ein. Ausgangspunkt dieser spezialpräventiven Ausrichtung des Sanktionssystems, die mit der Einführung einer Internierung rückfälliger und vermindert-zurechnungsfähiger Täter 1927 in die Tat umgesetzt wurde 3 , bildete die Annahme, dass der Mensch grundsätzlich gut und Kriminalität eine Art Krankheit sei und infolgedessen kriminelles Verhalten geheilt werden könnte. Dementsprechend galt es, ein großes Arsenal von Behandlungssanktionen zu entwerfen und dieses auf atypische Tätergruppen wie auch sog. gefährliche Rückfalltäter auszurichten 4 . Der Richter legte demgemäß nicht mehr den Zeitraum und die Art der Sanktion fest, sondern leitete den verurteilten gefährlichen und zu behandelnden Straftäter an besondere Vollzugsbehörden weiter, die über den Zeitpunkt der „Heilung“ entschieden. Die Trennung von bewertenden Strafen und wertfreien Maßregeln hatte sich damit erübrigt, kam es noch ungeachtet jeden Vorwurfs darauf an, rückfällige und vermindert zurechnungsfähige Täter einer sachgerechten und daher unbegrenzten Behandlung zuzuführen und nicht sie zu „strafen“ 5 . Die im europäischen Vergleich beispiellose kostenaufwendige und langwierige Behandlungssanktionierung gegenüber gefährlichen Straftätern kam insofern einem alleinigen Maßregelsystem nahe 6 , welches sich ebenso wie ein rein strafendes System vom Proportionalitätsprinzip gelöst hatte. Der unter diesem Blickwinkel metaphysisch anmutende Begriff der Strafe verlor seinen theoretischen wie praktischen Sinn, wie es das auf das Wort Strafe verzichtende Kriminalgesetzbuch 7  von 1965 zum Ausdruck brachte.

1.2. Der Irrglaube der Behandlung - der Neoklassizismus

Der kurz nach Inkrafttreten des neuen Kriminalgesetzbuches einsetzende kriminalpolitische Richtungswechsel (sog. Neoklassizismus) speiste sich aus der Effektivitätsforschung 8 . Das trotz aller Behandlungsbemühungen nicht zu übersehende Ansteigen der allgemeinen Kriminalitätsrate und Rückfalldelinquenz führte mit der Abschaffung der Internierung unbestimmter Dauer für rückfällige Delinquenten 1981 zu einer völligen Abkehr von der unbestimmten Sanktionsverhängung „zum Besten des Straftäters“ 9 . Entscheidend für die Rückbesinnung auf Proportionalität und Vergeltung war die Einsicht, dass eine Straftat nicht automatisch ein Symptom für eine psychische Krankheit oder eine ähnliche Abnormität ist, die es zu heilen gilt 10 , sondern dass dem Täter durchaus bewusstes und verantwortliches Handeln zuzutrauen ist. Die Strafe sollte somit wieder einen der Schwere und Vorwerfbarkeit der vergangenen Tat entsprechenden Tadel ausdrücken 11 . So sollten sich die Sanktionswahl und Vollstreckungsdauer an der Verhältnismäßigkeit zwischen Tatschwere und Strafe und zwischen verschiedenen Deliktsarten untereinander sowie an der Voraussehbarkeit und Rechtssicherheit ausrichten. Individualpräventive Aspekte und die Situation des Täters blieben jedoch bei der konkreten Sanktionswahl und Vollstreckung nicht unberücksichtigt 12 . So glaubte man jetzt, die Behandlung des Straftäters auch im Rahmen der allgemeinen und bestimmten Strafe wahrnehmen zu können 13 .

2. Die aktuellen Regelungen

Seit der Abkehr von der Behandlungsideologie reagiert Schweden allein mit Strafen auf gefährliche Straftäter. Eine spezielle spezialpräventiv ausgerichtete Rechtsfolge fehlt 14 . Die längste Strafe ist die lebenslängliche Freiheitsstrafe, die nach zehn Jahren bei Fehlen eines konkreten und beträchtlichen Rückfallrisikos in eine zeitlich bestimmte Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann. Die lebenslange Freiheitsstrafe darf allerdings neben Mord auch für andere schwere Delikte wie bspw. Brandstiftung und Hochverrat verhängt werden. Die längste bestimmte Freiheitsstrafe liegt seit 2009 bei 18 Jahren, Täter unter 21 Jahren können bis zu 14 Jahre eingesperrt werden 15 .

Gefährliche Rückfalltäter werden durch das Mittel der Strafverschärfung bei Rückfall erfasst (Kap. 26 § 3 schw. StGB) 16 . So kann, wenn ein Verbrechen, für das eine mehr als sechsjährige Freiheitsstrafe angedroht ist und eine Vorstrafe von mindestens zwei Jahren vorliegt, eine das Maximum der für das Verbrechen angedrohten Gesamtstrafe um 4 Jahre überschreitende Strafe verhängt werden 17 . Als weiteres Instrumentarium zum Umgang mit gefährlichen Rückfalltätern dient eine verspätete Strafrestaussetzung zum 2/3-Zeitpunkt der Strafhaft 18 . Überbleibsel des Kriminalgesetzbuches von 1965 ist das Fehlen der Zurechnungsfähigkeit als Strafbarkeitsvoraussetzung 19 . Eine Zurechnungsunfähigkeit wirkt sich stattdessen auf die Strafzumessung aus 20 . So können auch Geisteskranke und psychisch schwer Gestörte verurteilt werden und bspw. eine Geldstrafe kombiniert mit einer anderen Sanktion erhalten, sofern ihnen – was große praktische Schwierigkeiten bereitet – Vorsatz oder Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann 21 . Sie gelangen jedoch zumeist im Rahmen der Strafzumessung in eine rechtspsychiatrische Fürsorge (överlämnande till rättspsykiatrisk vård). Eine Gefängnisstrafe für psychisch Gestörte war bis 2008 verboten. Seitdem kann in bestimmten Fällen, etwa bei einem hohen Strafwert der Tat oder einem geringen Behandlungsbedarf, auch eine Gefängnisstrafe angeordnet werden 22 . Reformgutachten sprechen sich für die Wiedereinführung der Zurechnungsfähigkeit und für die Schaffung von „Gesellschaftsschutzmaßnahmen“ aus, die für besonders gefährliche psychisch gestörte oder zurechnungsunfähige Täter angewandt werden sollen 23 .

3. Pendelschlag 24  nach vorn? – Eine Einschätzung

Die schwedische Absicht, gefährliche Straftäter zu resozialisieren und nicht lediglich „wegzusperren“, war als solche achtenswert. Die alleinige Ausrichtung der Sanktionierung auf eine zukünftige Besserung des Täters verschaffte Schweden jedoch das gute Gewissen, welches es nicht verdiente 25 , verschleierte es doch, dass eine – wie auch immer ausgestaltete – Sanktion nichtsdestoweniger Zwang und Übel darstellt 26 . Womöglich griff die Behandlungssanktion sogar intensiver auf die Gefangenen zu als eine bloß verwahrende Strafe, bemächtigte sie sich doch neben dem Körper auch der Seele der Gefangenen 27 .  Sie führte ferner zu einer täterorientierten Strafungleichheit 28 , wurden doch insbesondere die sozial schwächeren und behandlungsbedürftigeren Täter einer härteren Sanktion zugeführt 29 . Seit der völligen Abkehr von der Behandlungsideologie 30  und neuen Ausrichtung an Proportionalität besitzt Schweden indessen einen vorbildlichen Ruf hinsichtlich seiner Kriminalpolitik 31 . In Bezug auf den Umgang mit gefährlichen Straftätern ist allerdings eine Widersprüchlichkeit festzustellen. So vermag Schweden die selbst gesetzte Vorgabe, sich an die Tatschwere und Tatschuld zu halten, nicht einzuhalten, wenn es auf gefährliche Straftäter mit präventiv erhöhten Strafen reagiert 32 . Ebenso mag es nach deutschem Recht inhuman erscheinen, Schuldunfähige mit Gefängnisstrafen zu sanktionieren 33 .  Zu beachten ist allerdings, dass die schwedische Sanktionspraxis dem Gebot der Humanität  besondere Beachtung schenkt 34 . So verhängt Schweden im  europäischen Vergleich eher milde statt harte Strafen, wie die geringen Gefangenenraten belegen 35 . Dies kann sich Schweden nicht zuletzt leisten, da es sich hinsichtlich seiner guten Behandlung im Vollzug auszeichnet 36 . Schweden ist somit ein Beispiel dafür, dass auch ein in sich widersprüchliches Modell in der Rechtswirklichkeit durch seine Humanität bestechen kann.

Die neueste Entwicklung in Schweden kennzeichnet allerdings eine Strafschärfung. Die Vorgabe, Strafe und Strafrecht als ultima ratio einzusetzen, wird zunehmend zugunsten eines Vergeltungsgedankens umgangen 37 . Demgemäß verhängen die schwedischen Gerichte häufiger lebenslange  Freiheitsstrafen anstelle von Einweisungen in rechtspsychiatrische Anstalten 38 . Ausprägung dieses Vergeltungsgedankens ist auch die neu eingeführte Möglichkeit, psychisch Gestörten eine Gefängnisstrafe aufzuerlegen, sowie die Verschärfung des Sexualstrafrechts 2005 39 . Damit ist auch Schweden ein Opfer des allgemeinen europäischen Strafverschärfungstrends und im Begriff, seinen kriminalpolitisch guten Ruf zu verspielen 40 .


Fußnoten:

  1. Vgl. Kinzig, 547f.
  2. Kinzig, 522; Nagel, 18.
  3. vgl. Cornils/Jareborg, Einführung, 6; Kinzig, 523.
  4. Lahiti, in Neuere Tendenzen, 1, 2; Cornils, ZStW 99, 873, 876.
  5. Cornils, in Jescheck, 781, 814.; Kinzig, 524.
  6. Vgl. Victor, ZStW 102, 435, 436.
  7. diskutiert war sogar die Umbenennung in „Schutzgesetz“, vgl. Cornils, in Cornils/Sieber, 595, 650; Schütz-Gärden, 86.
  8. Cornils, ZStW 99, 873, 878; Victor, ZStW 102, 435, 440.
  9. Interessanterweise hatten sich die schwedischen Richter ohnehin nicht vorbehaltslos der Behandlungsideologie verschrieben und sich gleichwohl an Richtsätzen orientiert. Und ebenso wie in England waren statt Gewaltdelinquenten vor allem Straftäter der Vermögensdelikte erfasst worden, vgl. Cornils, in Jescheck, 781, 815; Kinzig, 525ff.; Löfmarck, Neue Tendenzen, 15, 17.
  10. Lahiti, Neue Tendenzen, 1, 3.
  11. Schütz-Gärden, 107.
  12. dies., 107.
  13. Victor, ZStW 102, 435, 441.
  14. Vgl. Victor, ZstW 102 435, 444.
  15. WD-BT, 15.
  16. Kinzig, 529; Kühne, FS/2010, 150, 151.
  17. Kühne, FS/2010, 150, 151; Kinzig, Systems, 19, 24.
  18. Ansonsten ab der Hälfte der Strafhaft, Victor, ZStW 102, 435, 441; Kühne, FS/2010, 150, 151; Kinzig, 530.
  19. Cornils, in Sieber/Cornils, 595, 637; Cornils/Jareborg, Einführung, 15.
  20. Cornils/Jareborg, Einführung, 15; Cornils, in Sieber/Cornils, 595, 636.
  21. Cornils, in Sieber/Cornils, 595, 634; Cornils/Jareborg, Einführung, 15.
  22. Cornils, in Sieber/Cornils, 595, 636.
  23. Cornils, FS-Jareborg, 151, 163f.
  24. Löfmarck vergleicht die schwedische in Extremen verlaufende Entwicklung als Pendelbewegung, in Neue Tendenzen, 15.
  25. Vgl. Hassemer, KrimJ 1982, 161, 163.
  26. Vgl. Mushoff, 149; Dölling, in Jehle, 21, 25f.
  27. Vgl. Hassemer, KrimJ 1982, 161, 163.
  28. Mushoff, 155.
  29. Cornils, ZStW 99, 873, 879.
  30. Interessanterweise werden in Deutschland noch heute Forderungen laut, Freiheitsstrafen auf unbestimmte Zeit bis zu einer Resozialisierung zu verhängen, vgl. Merle, in Wegsperren, 15, 21.
  31. Cornils, ZStW 99, 873, 874; Kinzig, 522; Cornils, FS-Jareborg, 151, 162; Kinzig, 522.
  32. kritisch Blau, FS-Schneider, 759, 766; Kinzig, 532; so beklagt Löfmarck seit dem Neoklassizismus den Verlust einer Ideologie, in Neue Tendenzen, 15, 32.
  33. Vgl. Schütz-Gärden, 530.
  34. So enthält das schwedische Strafgesetzbuch eine Regelung, wonach das Gericht insbesondere zu berücksichtigen hat, ob eine mildere Strafe als Gefängnis verhängt werden kann (Kap. 30, § 4 schwStGB).
  35. So beträgt die Gefangenenrate 2009:  78, vgl. die schwedischen Gefangenenraten auf http://www.kcl.ac.uk/depsta/law/research/icps/worldbrief/wpb_country.php?country=166, Stand 21.3.2011.
  36. Vgl. Dünkel, Internationales Handbuch, 145, 195f.
  37. Hofer, in Kriminalität, 761, 769.
  38. Hofer, in Kriminalität, 761, 765.
  39. Vgl. Cornils, in Sieber/Cornils, 595, 652.
  40. Vgl. Hofer, in Kriminalität, 761, 772.

Probleme und wissenschaftliche Methoden bei der Prognose von Gefährlichkeit

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stud. jur. Julian Sigmund, Universität Freiburg*

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A. Einleitung und Problemaufriss

Die Vorhersage künftiger Ereignisse durchzieht unsere Lebenswirklichkeit an verschiedenen Stellen und beeinflusst unser Verhalten. In vielen Fällen beruht unsere Motivation, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, auf Aussagen, die von uns anerkannte Autoritäten (etwa der Vermögensberater, der Mediziner, die Wetterstation) über die künftige Entwicklung bestimmter Umstände treffen. Neben derartigen institutionellen Prognosen erscheinen auch solche Vorhersagen handlungsleitend, die wir in unzähligen Alltagssituationen gerade im zwischenmenschlichen Bereich eigenhändig und ohne bewusste Reflexion vornehmen. Die Fähigkeit zur zuverlässigen Prognose erscheint demnach im alltäglichen Miteinander von grundlegender Bedeutung. Diese Beobachtung lässt sich ohne weiteres auf das deutsche Strafrecht übertragen, nimmt man die Menge an Normen in den Blick, welche für strafrichterliche Entscheidungen die Stellung unterschiedlicher Prognosen verlangt. Gerade im Bereich des Maßregelrechts, dessen Zweckrichtung einer präventiven Intervention zur Verhinderung künftiger Straftaten ohne Instrumente der Bestimmung und Eingrenzung eines potentiellen Gefährderkreises nicht denkbar erschiene, zeigt sich ihr enormer Stellenwert.

Auch das Bundesverfassungsgericht hält Prognosen im Strafrecht für unverzichtbar, obgleich sie stets das Risiko der Fehlprognose bergen würden und im Einzelfall unzulänglich seien. 1  Damit beschreibt das Gericht ein brisantes Spannungsverhältnis: Der Notwendigkeit der Abgabe von Prognosen in strafrechtlichen Entscheidungsprozessen steht offenbar ein eingeschränktes Zutrauen in deren Güte entgegen. Worauf diese ambivalente Natur der Gefährlichkeitsprognose beruht, soll eine Darstellung der verschiedenen Methoden der Prognostizierung von Gefährlichkeit mitsamt der sie begleitenden Schwierigkeiten zeigen.

B. Methoden und Probleme bei der Prognose von Gefährlichkeitsprognosen

I. Die Gefährlichkeitsprognose im materiellen Strafrecht und die Person des Gutachters

Der Begriff der Gefährlichkeitsprognose leitet sich aus dem Gesetzestext einiger Normen im Maßregelrecht ab, die als Voraussetzung einer Maßregel die Prognose einer Rückfalltat erfordern, infolge derer der Straftäter „für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (z.B. §§ 63, 66 ff. StGB). Gefährlichkeitsprognosen sind insofern gesetzlich geforderte Spezialfälle einfacher Rückfallprognosen und zentrale Voraussetzung der Vorschriften zur Sicherungsverwahrung.

Die Normen des materiellen Strafrechts legen fest, unter welchen Voraussetzungen eine Gefährlichkeitsprognose stattzufinden hat. Die Frage, wer sie treffen soll, beantworten sie nicht. In § 246 StPO wird die Zuziehung eines Sachverständigen verlangt. Bei den vom Gericht beauftragten Gutachtern handelt es sich in der Praxis zumeist um forensische Psychiater. 2  Die Bevorzugung dieser Berufsgruppe erklärt sich wohl damit, dass Richter vor allem den psychopathologischen Aspekten eines Falles Beachtung widmen. 3  Weiterhin mag auch die schnellere Verfügbarkeit forensischer Psychiater sowie deren als Folge ihrer langzeitigen Bevorzug größere prognostische Erfahrung Richter bei ihrer Auswahl beeinflussen. In Einzelfällen werden aber auch Psychologen oder Kriminologen beauftragt.

II. Methoden der Prognosestellung

Wenngleich einige Mindestanforderungen bestehen, wonach bestimmte Faktoren in jeder Gefährlichkeitsprognose zu ermitteln und berücksichtigen sind, 4  bleibt die Art und Weise ihrer Erhebung und Gewichtung der Person des Gutachters überlassen. Diese individuelle Freiheit bewirkt die Existenz verschiedener methodologischer Zugänge bei der Prognose von Gefährlichkeit. Sie lassen sich grob in herkömmliche und moderne Verfahren unterteilen.

1. Die herkömmlichen Verfahren

a) Die intuitive Methode

Die intuitive Methode bezeichnet eine individuelle Vorgehensweise, bei welcher der Vorhersagende die Rückfallwahrscheinlichkeit gefühlsmäßig und unter Anwendung von „Alltagstheorien“ über menschliches Handeln einzuschätzen versucht. 5  Bei der Aussage über die Entwicklung des Betroffenen werden die Eindrücke des Einzelfalls unter Heranziehung praktischer Erfahrung verwertet. Auch wenn erfahrene Entscheidungsträger die für die Prognose relevanten Aspekte im Einzelfall profund einzuschätzen vermögen, leidet die intuitive Methode an ihrer Abhängigkeit von der Person des Prognostikers. Der Forderung nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit kommt sie unzureichend nach. Es ist für den Außenstehenden nicht ersichtlich, wie Einflussgrößen erhoben und bewertet wurden. 6

b) Die klinische Methode

Sie besteht aus einem eng am Einzelfall ausgerichteten zweiteiligen Verfahren, in welchem zunächst eine umfangreiche Exploration des Betroffenen durchgeführt wird, deren Befunde anschließend im Hinblick auf das vorherzusagende Ereignis und vor dem Hintergrund des allgemeinen kriminologischen Wissens eingeordnet werden. 7  Die Durchführung einer ausführlichen Individualanamnese durch einen Mediziner erscheint in solchen Fällen als erfolgsversprechend, in denen psychiatrische Befunde die Triebfeder krimineller Auffälligkeit bilden. Gleichzeitig kann die Fokussierung auf Krankheitsbilder und die Verwendung pathologischer Begriffe aber auch Stigmatisierungseffekte auslösen. Die Ermittlung und Gewichtung der Risikofaktoren obliegt wiederum allein der Person des Gutachters und setzt die Erfolgsaussichten der Methode in Abhängigkeit von der Professionalität des Anwenders.

c) Die statistische Methode

Eine Prognose auf Grundlage der statistischen Methode erfolgt durch Zuordnung des Betroffenen zu einer bestimmten Risikogruppe anhand von Prognosetafeln. Aus Untersuchungen von rückfälligen Straftätern werden Persönlichkeitsmerkmale gewonnen, die offenbar in starker Korrelation mit erneuter Straffälligkeit stehen. 8  Diese Prädiktoren werden in Tafeln zusammengefasst. Anhand von Tests ist zu ermitteln, ob die entsprechenden Merkmale beim Probanden vorhanden sind. Bezüglich eines jeden Merkmales werden je nach Ausprägung Punkte vergeben, wobei am Ende die Gesamtzahl die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe ergibt. Die statistische Methode überzeugt durch Transparenz. Erhebung und Bewertung der Informationen folgen nachvollziehbaren Regeln. Jedoch tritt die zu begutachtende Person als Individuum zurück. 9  Es handelt es sich beim statistischen Vorgehen nicht um eine Individualprognose im eigentlichen Sinne, sondern um die Generalisierung von an einem Durchschnitt erworbenen empirischen Kenntnissen.

2. Neuere Methoden

Bei Evaluationen der drei Methoden hat sich keine als eindeutig überlegen präsentiert; selbst bei Vergleichen der intuitiven Prognose mit den wissenschaftlichen Methoden schnitten letztere allenfalls geringfügig besser ab. 10  Diese Ergebnisse haben die Forschung veranlasst, neue Ansätze zu entwickeln. Dabei waren Bestrebungen zu beobachten, die Vorteile der klinischen und statistischen Methode zu kombinieren. 11  Ausfluss dessen war eine Vielzahl neu entwickelter empirischer Kriterienlisten, die durch eine Zusammenstellung spezifischer Risikofaktoren eine Abschätzung des individuellen Risikos ermöglichen sollen.

Als prominente Vertreter dieser Art von Prognoseverfahren gelten die Psychopathy Checklist Revised (PCL-R) 12 , das Historical Clinical Risk Management-20 (HCR-20) 13  sowie die gerade in Deutschland vorherrschende Integrierte Liste der Risikovariablen. 14  Eine Einschätzung der Rückfallwahrscheinlichkeit des Probanden soll dabei durch die Analyse einer bestimmten Zahl an Risikofaktoren erfolgen. Diese sogenannten Items sind in verschiedene Bereiche unterteilt, beim HCR-20 etwa in biografische Aspekte (z.B. frühe Gewaltanwendung, Stabilität von Partnerbeziehungen), klinische Befunde zur Persönlichkeit (z.B. Mangel an Einsicht, Impulsivität) und mögliche Risikoszenarien in  der Zukunft (z.B. Fehlen realisierbarer Pläne). Bezüglich jedes Items hat der Gutachter je nach dessen Ausprägung beim Probanden nach einer vorgefertigten Skala Punkte zu vergeben, wobei der so schlussendlich ermittelte Punktwert eine Einschätzung der Gefahr künftiger Gewalttaten ermöglichen soll.  Auch wenn das Verfahren der Errechnung eines Punktwertes aus der Beurteilung von Risikofaktoren stark den klassischen Prognosetafeln gleicht, hebt es sich doch  von den rein statistischen Methoden ab. So sind zur profunden Einschätzung vieler Items (z.B. Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung) eine psychopathologische Analyse des Einzelfalles sowie eine Auswertung von Akten unverzichtbar. Auch von ihrem Selbstverständnis wollen diese neuen Prognosemethoden nicht als allein entscheidungsrelevante Instrumente fungieren, sondern dem kompetenten Anwender das Erkennen prognostisch relevanter Problembereiche erleichtern. Ihre Intention ist es nicht, eine klinische Exploration zu ersetzen, sondern sie als Leitfaden zu flankieren.

Die modernen Instrumente stellen eine Verbesserung des kriminalprognostischen Vorgehens dar, was sich auch in Untersuchungen ihrer Treffsicherheit manifestiert. 15  Ihre Stellung als vorherrschende Prognosemethode beschreibt den Wandel der Forschung von einem intuitiven hin zu einem kriteriengeleiteten Ansatz. Gleichwohl gilt zu bedenken, dass eine eindimensionale Orientierung an Summenwerten unzulässig bleibt. Die fachmännische Auswertung der Ergebnisse und ihr Vergleich zu den Eindrücken einer Exploration sind unerlässlich. Nur so kann dem Individualisierungsgrundsatz Rechnung getragen werden.

IV. Probleme bei der Prognose von Gefährlichkeit

Bei der Gefährlichkeitsprognose kann es zu zwei Arten von Fehlern kommen. Wird einem in Wahrheit gefährlichen Täter eine günstige Prognose gestellt spricht man von einem falschen Negativen. Um einen falschen Positiven hingegen handelt es sich, wenn ein ungefährlicher Proband eine ungünstige Prognose erhält. Grundsätzlich ist der Staat – einerseits aufgrund des Gesellschaftsschutzes, andererseits aufgrund des Freiheitsgrundrechts des Einzelnen – verpflichtet, beide Arten fehlerhafter Prognosen zu verhindern. Dass dies unmöglich ist, zeigen schon die spezifischen Schwächen der Methoden. Doch auch unabhängig davon bestehen allgemeine Probleme, die sich auf die Fehlerhaftigkeit der Vorhersagen auswirken.

1. Länge des Prognosezeitraums

Der Sachverständige muss sich bei den Prognosen über einen Zeitraum äußern, der die restliche Lebenszeit des Betroffenen umfasst. Aus dieser Länge des Prognosezeitraumes resultieren Schwierigkeiten. Angesichts unzähliger situativer Faktoren erscheint es unmöglich, menschliches Verhalten über mehrere Jahre vorherzusagen. Lässt sich die Gefahr der Rückfälligkeit einer Person gegenwärtig etwa aufgrund seines strukturierten sozialen Umfelds als gering einschätzen, könnte schon die Trennung von der Lebensgefährtin oder der unvermittelte Verlust der Arbeitsstelle eine andere Risikobewertung hervorbringen.

2. Basisrate und statistische Zusammenhänge

Als in Prognoseverfahren bedeutende Größe gilt die Basisrate. Sie gibt das Vorkommen von Tätern eines Delikts in einer nach allgemeinen Kriterien definierten Menge an. 16  Bei der Gefährlichkeitsprognose interessiert dabei die Häufigkeit, mit der verurteilte Täter mit einer erheblichen Straftat rückfällig werden. Durch Untersuchungen konnten Basisraten für einzelne Delikte annäherungsweise festgelegt werden. 17  Dabei kommt es zu Abweichungen. Werden Exhibitionisten etwa zu 70% rückfällig, soll die Basisrate bei Sexualdelikten 20%, bei Tötungsdelikten ca. 2% betragen. Inwiefern sich diese Zahlen auf das Fehlerbild eines Prognoseverfahrens auswirken, soll anhand folgender Beispiele dargestellt werden.

Beispiel 1: Angenommen, es müssten 1000 Personen, die wegen Exhibitionismus verurteilt wurden, hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls beurteilt werden. Aufgrund der Basisrate ist sicher, dass 700 Personen abermals eine solche Tat begehen werden. Wird weiter angenommen, dass für die Prognose ein Verfahren mit einer Fehlerquote von nur 10% verwendet wird, so werden von den 700 künftig Rückfälligen 630 richtig erkannt (richtige Positive), 70 irrig als künftig straftatfrei eingeschätzt (falsche Negative). Von den 300 tatsächlich harmlosen werden 270 als solche identifiziert (richtige Negative), 30 Personen wird unzutreffend ein Rückfall prognostiziert (falsche Positive).

Beispiel 2: Bezogen auf 1000 Sexualstraftäter käme man bei Verwendung des gleichen Verfahrens zu folgendem Ergebnis: Von den gemäß der Basisrate 200 Gefährlichen werden 180 zutreffend als gefährlich, 20 fälschlicherweise als harmlos eingeordnet. 720 der 800 tatsächlich ungefährlichen werden korrekt als ungefährlich erkannt, 80 Personen wird entgegen der Realität ein Rückfall attestiert.

Es zeigt sich, dass gerade hinsichtlich der Zusammensetzung der fehlerhaften Prognosen, also dem Verhältnis von falsch Negativen zu falsch Positiven, der Basisrate zentrale Bedeutung zukommt. Der Anteil falsch Positiver fällt umso höher aus, je geringer die Basisrate liegt. Berücksichtigt man, dass es im Rahmen der Sicherungsverwahrung um die Prognose schwerer Taten mit niedrigen Basisraten geht, so liegt die Schwäche der Prognosen in diesem Bereich wohl entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nicht darin, dass gefährliche Straftäter auf freien Fuß gelangen. Die Zahl zu Unrecht Freigelassener wird durch diejenige zu Unrecht weiterhin Inhaftierter deutlich übertroffen. Die geringe Basisrate ist ein Anhaltspunkt dafür, dass das Risiko, dass es zu weiteren Straftaten kommen wird, in Gefährlichkeitsprognosen systematisch überschätzt wird.

3. Die Person des Gutachters: Vorurteile und einseitige Drucksituation

Ebenso wie ein professionelles Verhalten einen wichtigen Beitrag zur Legitimation von prognostischen Entscheidungen leistet, können in der Person des Gutachters auch Gründe für die Fehlerhaftigkeit einer Prognose liegen. Dabei ist in erster Linie die öffentliche Drucksituation zu bedenken. Begeht ein von ihm als ungefährlich eingeschätzter Straftäter eine schwere Straftat, tritt neben ein individuelles Verantwortungsgefühl zumeist eine diffamierende mediale Berichterstattung, welche den „zu nachlässigen“ Gutachter als den wahren Schuldigen der Tragödie beschreibt. 18

Doch auch darüber hinaus drohen Konsequenzen. So steht bei einer Tat infolge einer Fehlprognose der strafrechtliche Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung oder gar Tötung nach den §§ 222, 229 StGB im Raum. Es kommt dabei darauf an, inwieweit dem Gutachter eine Sorgfaltspflichtverletzung nachzuweisen ist. Während das Risiko einer strafrechtlichen Haftung lange als gering erschien, 19  bestätigte der Bundesgerichtshof 2003 die Verurteilung zweier Ärzte eines psychiatrischen Krankenhauses, die einem Patienten Lockerungen gewährten, welche von jenem zur Begehung von Gewalttaten missbraucht wurde. 20

Es ist fraglich, ob sich ein Gutachter von Gedanken an derlei Folgen freizumachen versteht. Umso zweifelhafter erscheint es angesichts der Einseitigkeit gutachterlicher Fehlerfolgen. Denn von der fehlerhaften Unterbringung einer ungefährlichen Person nimmt niemand Notiz. Weil der falsch Positive durch die Gefangenschaft an seiner Legalbewährung gehindert wird, fehlt es zwangsläufig an einem Nachweis der Fehlprognose. Vor dem Hintergrund dieses Ungleichgewichtes drängt sich die Annahme einer gutachterlichen Tendenz auf, im Zweifel ungünstige Prognosen zu stellen.

4. Auswertung und These der Übersicherung

Alles in allem lassen einige Aspekte den Schluss zu, dass hinsichtlich der wesentlichen Problematik der Gefährlichkeitsprognosen eine Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Realität besteht. Ob aufgrund der niedrigen Basisrate schwerer Rückfalltaten oder der Drucksituation der Gutachter: den auf längere Zeit betrachtet seltenen Taten zu Unrecht Entlassener, die die Öffentlichkeit umtreiben, scheint eine große Menge zu Unrecht Gefangener gegenüberzustehen. Diese These einer bestehenden Übersicherung lässt sich ob der Unmöglichkeit der Bestimmung der Anzahl falsch Positiver schwer feststellen. Aufgrund von auf besonderen Umständen basierenden Realexperimenten und Untersuchungen kann sie dennoch als empirisch abgesichert gelten. 21

C. Fazit und Ausblick

In der Bewertung dieses Befundes äußern sich das Dilemma der Gefährlichkeitsprognose und ein zentrales Problem der Sicherungsverwahrung. Prognosen über die Gefährlichkeit eines Menschen werden nie eine hundertprozentige Treffsicherheit aufweisen. Ihre systemimmanente Fehlerhaftigkeit aber führt direkt zu der Frage, wem die Lasten der Fehler aufzubürden sind. Es geht um die Abwägung zwischen dem Schutz der Gesellschaft und dem Freiheitsrecht des Einzelnen und die Frage, ob sich die Verwahrung mehrerer ungefährlicher Menschen inklusive aller Entbehrungen eines Freiheitsentzuges durch die nur so mögliche Verhinderung einer leidvollen Straftat rechtfertigen lässt.

Wenn man sich die verfassungsrechtliche Bedeutung des Freiheitsgrundrechts vor Augen führt, erscheint die hohe Zahl falsch Positiver als großer Schaden an der Rechtsordnung. Einer Gesellschaft, die die Würde des Einzelnen zum höchsten Gut erhebt und in der Freiheit des Individuums die Grundlage des Zusammenlebens erblickt, muss das Risiko, dass einzelne ihrer Mitglieder diese Freiheit bisweilen missbrauchen, zugemutet werden können. Daher erscheint die Abkehr von einer restriktiven, sich einer fixen Idee absoluter Prävention verschreibenden Prognosepolitik geboten. Das schon im Anfangszitat des Bundesverfassungsgerichts beschriebene Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit von Gefährlichkeitsprognosen und den unvermeidbaren und schmerzlichen Folgen ihrer Fehler ist nicht ohne weiteres aufzulösen. Der Auftrag der kommenden Jahre wird darin bestehen, die von ihm ausstrahlende rechtsstaatliche Brisanz einzudämmen: Durch eine dem Freiheitsgrundrecht des Einzelnen wieder mehr Bedeutung zumessende Politik. Durch die Einhaltung gutachterlicher Qualitätsstandards. Durch eine  Vermehrung des Wissens über Rückfallfaktoren und die damit verbundene Steigerung der Treffsicherheit unserer Vorhersagen. Und nicht zuletzt auch durch die Sensibilisierung der Gesellschaft für die fragile Komplexität von Gefährlichkeitsprognosen.

*Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.


Fußnoten:

  1. BVerfGE 109, 133 (158).
  2. Bock, Strafverteidiger 2007, S. 269 (270); Boetticher, „…weil er für die Allgemeinheit gefährlich ist!“, S. 87 (101f.); nach einer Untersuchung von Kinzig, SV auf dem Prüfstand, S.313, wurden in knapp 90% der Fälle das Gutachten von Psychiatern oder Neurologen erstellt.
  3. Feltes, Strafverteidiger 2000, S.281 (282).
  4. Siehe der von einer Expertenkommission erstellte Katalog von Mindestanforderungen an kriminalprognostische Gutachten bei Boetticher u.a., NStZ 2006, S.537 (542ff.).
  5. Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigleit, S.196; Dahle, Handbuch der forens. Psychiatrie 3, S.1 (26).
  6. Schumann, Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis, S.31 (34f.); Meier, Kriminologie, § 7 Rn.39.
  7. Eisenberg, Kriminologie, § 21 Rn.17; Meier, Kriminologie, § 7 Rn.31.
  8. Albrecht in: Gewalt – Entwicklungen, Strukturen, Analyseproblem, S.475 (480).
  9. Zur Forderung nach einer auf den Einzelnen eingehenden Individualprognose BGH StV 2008, S.301 (302).
  10. Eisenberg, Kriminologie § 21 Rn.39f; Feltes, Strafverteidiger 2000, S.281 (285).
  11. Dahle, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2007, S.101 (110).
  12. Hare, Psychopathy Checklist
  13. Dt Übersetzung in Müller-Isberner/Jöckel/Cabeza.
  14. Nedopil, Forensische Psychiatrie, S.293ff.
  15. Boetticher u.a., NStZ 2009, S.478 (479).
  16. Volckart, Recht & Psychiatrie 2002, S.105 (106); Kühl/Schumann, Recht & Psychiatrie 1989, S.126 (131).
  17. Haller in: Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik, S.521 (527).
  18. Schumann, Prognoseentscheidungen, S.31 (40f.); beispielhaft hierfür die Überschrift in der Bild-Zeitung: „Erneut haben Gutachter unschuldige Kindereelen zerstört“, Bild-online vom 19.3.2006; www.bild.de (abgerufen am 4.3.2011).
  19. Verrel, Recht & Psychiatrie 2001, S.182 (183).
  20. BGHSt 49, 1ff.
  21. Siehe hierzu etwa das Baxstrom-Experiment (Darstellung bei Kunz, Kriminologie, § 27 Rn.20) sowie die Untersuchung von Rusche, In Freiheit gefährlich?, S.87-120.

Der Vollzug der Sicherungsverwahrung

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stud. jur. Kai Sutter, Universität Freiburg*

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Mit dem Urteil vom 4.5.2011[1] hat das Bundesverfassungsgericht die erst kurz zuvor reformierten Regelungen zur Sicherungsverwahrung in weiten Teilen außer Kraft gesetzt. Dies begründeten die Karlsruher Richter nicht zuletzt mit den Gegebenheiten der Vollzugswirklichkeit. Die nachfolgenden Ausführungen sollen aufzeigen, wie die damaligen Regelungen den Vollzug der Sicherungsverwahrung gestalteten und welchen verfassungsrechtlichen Vorgaben dabei genügt werden sollte. Jede zukünftige Regelung zum Vollzug der Sicherungsverwahrung wird diesen grundgesetzlichen, vom BVerfG verschiedentlich[1]konkretisierten Ansprüchen genügen müssen.

A. Einleitung

Die bisherigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung scheiterten daran, dass es Ihnen nicht gelang, als Bindeglied zwischen Verfassungsideal und Vollzugswirklichkeit zu fungieren und diese in Einklang zu bringen. Nur durch Analyse dieses Scheiterns wird zu erkennen sein, welche Fehler bei der Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Bereich der Vollzugsgestaltung vermieden werden müssen. Somit erscheint ein Vorgehen in drei Schritten als zweckmäßig. Zunächst ist danach zu fragen, welchen Grundsätzen der Vollzug der Sicherungsverwahrung zu genügen hat. Dabei sind insbesondere die verfassungsrechtliche Legitimation der Sicherungsverwahrung sowie die sich daraus ergebenden Ziele und Beschränkungen zu bedenken.

Auf einer zweiten Ebene sind die bisherigen einfachgesetzlichen Regelungen zu betrachten und im Lichte dieser Vorgaben kritisch zu würdigen.

Schließlich wird auf einer dritten Ebene nach empirischen Daten zu fragen sein, die Aufschluss darüber geben können, inwieweit diese Prinzipien und die Vollzugsgesetze in der Praxis des Vollzugs umgesetzt wurden.

B. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Theorie

I. Grundprinzipien des Vollzugs der Sicherungsverwahrung

Es stellt sich zunächst die Frage, welchen übergesetzlichen Grundprinzipien der Vollzug der Sicherungsverwahrung zu genügen hat.

1. Zweck und Legitimation der Sicherungsverwahrung: das „Sonderopfer“

Die Sicherungsverwahrung ist eine der einschneidensten Maßnahmen im Arsenal des Staates, einer der schwersten Eingriffe in die Grundrechte von Bürgern, die das deutsche Recht kennt 1 . Wer in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist, hat zwar schweres Unrecht getan, seine Schuld jedoch durch Verbüßen einer –schuldangemessenen – Haftstrafe bereits ausgeglichen und erbringt nun erzwungenermaßen ein „Sonderopfer“ für die Allgemeinheit. Mit dem Abverlangen dieses Sonderopfers wird massiv in die Grundrechte des Verwahrten eingegriffen. Insbesondere der Schutzbereich von Art. 2 II 2 GG ist eröffnet – Freiheitsentzug zielt gerade darauf ab, die dort geschützte Bewegungsfreiheit zu beschränken. Aus der Freiheitsentziehung ergeben sich als Nebeneffekt aber auch immer wieder Beeinträchtigungen anderer Grundrechte, so etwa der Berufsfreiheit (Art. 12 I 1 GG), oder des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 I GG).Wie jeder Grundrechtseingriff muss die Sicherungsverwahrung verhältnismäßig sein, d.h. sie muss einem legitimen Zweck dienen und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Für die Sicherungsverwahrung als besonders gravierenden Freiheitsentzug stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass sie nur zulässig ist, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies gebietet, namentlich wenn erhebliche Rechtsgutsverletzungen zu erwarten sind. Anknüpfungspunkt für das Sonderopfer ist die Gefährlichkeit der zu Verwahrenden. Dabei muss die Bedrohung ein solches Maß erreichen, dass es der Allgemeinheit nicht zugemutet werden kann, diese hinzunehmen.
Art. 2 GG ist kein reines Abwehrgrundrecht, sondern begründet subjektiv-öffentliche Rechte (statuspositivus). Mit Schutzrechten der Bürger korrespondieren stets Schutzpflichten des Staates; für Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt sich aus Art. 2 II 2 GG eine Verpflichtung der öffentlichen Gewalt, diese Rechtsgüter auch vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu schützen.

Allein diese Schutzpflichten, die Ansprüche der Allgemeinheit auf Gefahrenabwehr begründen, lassen die Sicherungsverwahrung als Eingriff in die Grundrechte des zu Verwahrenden als legitim erscheinen.

Diese Feststellung zeigt aber zugleich die notwendigen Grenzen auf: Nur Mittel, die zur Verwirklichung dieser Schutzpflichten geeignet und erforderlich sind, dürfen bei der Umsetzung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen.

2. Das Resozialisierungsgebot

Die Sicherungsverwahrung begegnet der von den Verwahrten ausgehenden Gefahr auf zwei Wegen. Zum einen nimmt der Freiheitsentzug dem Verwahrten für die Dauer der Sicherungsverwahrung schon die Gelegenheit, weitere Straftaten zu begehen (negative Individualprävention).

Die Resozialisierung hingegen soll den Verwahrten befähigen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“ (positive Individualprävention) – durch geeignete therapeutische Maßnahmen soll die Gefährlichkeit des Verwahrten behoben oder reduziert werden.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich das Resozialisierungsgebot schon aus den obigen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit – nur wenn auf einen Abbau der Gefährlichkeit hingewirkt wird, ist eine Entlassung aus der Sicherungsverwahrung vor dem Greisenalter absehbar. Der kürzere Grundrechtseingriff ist indes milder als der längere.

Aber auch aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 I 1 GG lässt sich ein Resozialisierungsanspruch des Verwahrten herleiten. Wenn das Ende der Freiheitsentziehung einen Wegfall der Gefährlichkeit voraussetzt, ergibt sich aus der Menschenwürde des Verwahrten ein Anspruch auf eine Vollzugsgestaltung, bei der dem Verwahrten für die Resozialisierung die tatsächlichen Rahmenbedingungen geboten werden, insbesondere also hinreichende Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten.

3. Unzulässigkeit generalpräventiver Erwägungen

Auch zeigt sich der individualpräventive Charakter der Sicherungsverwahrung, dass einer Verbesserung der Vollzugsbedingungen nicht das Argument verringerter Abschreckungswirkung entgegengehalten werden darf.

4. Entgegenwirkungsgrundsatz

Unter dem Begriff der „Haftschäden“ werden durch langjährigen Freiheitsentzug verursachte, schwere psychische Schäden diskutiert, die die vielfältige Deprivation verursacht, die mit dem Freiheitsentzug einhergeht. Der damit oft verbundene Verlust sozialer Fähigkeiten läuft dem Resozialisierungsgrundsatz zuwider.

5. Angleichungsgrundsatz und Abstandgebot

Weiter knüpft das Bundesverfassungsgericht Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung an die Bedingung, dass ihr Vollzug sich hinreichend stark vom dem einer Haftstrafe unterscheide (sog. Abstandsgebot).

Grund hierfür ist, dass die Sicherungsverwahrung gerade keine strafende Übelzufügung ist, was der Verwahrte auch am privilegierten Vollzug spüren, und was auch objektiv im Vollzug der Sicherungsverwahrung zum Ausdruck kommen soll. Dies Gebietet auch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 GG). Die Möglichkeiten der Besserstellung müssen soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den „Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt“ 2 .

Der Strafvollzug ist vom Angleichungsgrundsatz bestimmt (§3 I StVollzG) – die Lebensverhältnisse im Strafvollzug sollen soweit möglich denen in Freiheit angepasst werden. Angesichts dessen ist zu fragen, wie in ein hinreichender Abstand zum Strafvollzug hergestellt werden kann, obwohl dieser

sich schon soweit möglich an den Bedingungen in Freiheit orientiert – insbesondere bei langjährigen Freiheitsstrafen.

II. Inhaltliche Anforderungen an die Vollzugsgesetze

Der  Gesetzesvorbehalt (vgl. Art. 20 I, III GG) gebietet es, dass Fragen, die für die Lebensführung der Verwahrten von zentraler Bedeutung sind, von der Legislative geregelt werden. Diese Fragen den Vollzugsbehörden zur Ausgestaltung zu überlassen, würde zu große Ermessensspielräume und damit Rechtsunsicherheit schaffen.

Inhaltlich kann letztendlich nur der Blick auf die Praxis diese Schwerpunkte liefern.

1. Alltag

Von besonderem Interesse für den Verwahrten ist, wie sich sein Alltag gestaltet. Dabei ist die Arbeit, die schon zeitlich eine große Rolle im Tagesablauf spielt, von zentraler Bedeutung – ob den Verwahrten interessante Arbeitsmöglichkeiten in ausreichender Zahl geboten werden, sollte daher nicht von Ermessen und Budget der Verwaltung abhängen. Was die Freizeit angeht, kann nur ein breit gefächertes Angebot aus sportlichen und sonstigen Aktivitäten den Freiheitsentzug erträglich gestalten, wofür daher schon auf normativer Ebene Sorge zu tragen ist.

2. Zentrale Punkte

Ferner sind Aspekte der Gesundheit und der Sicherheit einheitlich zu regeln. Bei ersterer ist nach den Auswirkungen des demographischen Wandels (altersgerechte Unterbringung etc.) zu fragen. Im Bereich Sicherheit ergibt sich schon aus der Gefährlichkeit der Verwahrten (s.o.), dass diese auch untereinander vor Übergriffen zu schützen sind, ferner ist an die Sicherheit der Vollzugsbeamten sowie der Allgemeinheit zudenken.

Die aus Sicht des Verwahrten bedeutsamste Frage ist jedoch die nach seiner Entlassung. Diese setzt therapeutische Maßnahmen zur Resozialisierung sowie ein positives Expertengutachten voraus. Daher sind schließlich aus Sicht der Verwahrten auch verbindliche Regelungen zu Therapie und Begutachtung von überragendem Interesse.

3. Diskussion und Bewertung

Schon vor dem Urteil vom 4.5.2011 waren die einschlägigen Vollzugsregelungen umstritten. Nachfolgend soll sowohl der Diskussionsstand in der Wissenschaft vor zu diesem Urteil skizziert werden.

Die Wissenschaft sah die vollzugsrechtliche Gestaltung der Sicherungsverwahrung eher kritisch. Es wurde vertreten, der Vollzug der Sicherungsverwahrung gestalte sich schon nach der Konzeption des Gesetzgebers fast identisch mit dem Strafvollzug 3 . Es wurde teils ein „Hotelvollzug“ gefordert, ebenso hinreichende Behandlungs-, Therapie- und Arbeitsmöglichkeiten 4 .

Das Gesetz schuf nach allgemeiner Auffassung in keinem Punkt einen ausreichenden Abstand zum Strafvollzug 5 .Zahlreiche Stimmen aus Wissenschaft und Politik forderten, dass die Länder spezielle Gesetze zum Vollzug der Sicherungsverwahrung erlassen sollen.

4. Eigene Wertung

Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in einer JVA ist nicht per se abzulehnen. Vielmehr kommt es darauf an, wie belastend sich die Vollzugsgestaltung in ihrer Gesamtheit aus Sicht des Verwahrten darstellt. Dabei könnte eine eigene Vollzugseinrichtung sogar von Nachteil sein, da aufgrund der relativ geringen Zahl von Verwahrten keine komplexe Infrastruktur aufgebaut werden könnte, etwa mit differenzierten Freizeit- und Bildungsangeboten. Mit der Entscheidung, die Sicherungsverwahrung in der JVA zu vollziehen, müssen jedoch geeignete Vorkehrungen einhergehen, um insbesondere das Abstandsgebot zu verwirklichen. Insbesondere darf das Resozialisierungsgebot nicht durch negative Sozialisation durch die Gefängnis-Subkultur (Gefängnis als Schule des Verbrechens) konterkariert werden. Wenn der Staat verpflichtet ist, die Allgemeinheit vor dem gefährlichen Verwahrten zu schützen, muss den Verwahrten in gleichem Umfang Schutz vor einander zustehen. Der Themenkomplex Resozialisierung und Entlassungsvorbereitung war bisher nur rudimentär geregelt.

5. Das Urteil vom 4.5.2011

Die Verfassungsrichter stellen hinsichtlich der Anforderungen an den Vollzug nochmals unmissverständlich klar, „ […] dass über den unabdingbaren Entzug der „äußeren“ Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden [müssen]. Dem muss durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden […]“.

Vor diesem Hintergrund wird kritisiert, dass die Sozialtherapie als zentrales Instrument der Resozialisierung noch immer nicht mit ausreichender Anzahl von Plätzen den Sicherungsverwahrten zur Verfügung stünde, und dass die sozialtherapeutischen Angebote von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten gemeinsam genutzt werden müssten. Die Zeit im Strafvollzug dürfe nicht ungenutzt verstreichen, sondern müsse bereits zur Resozialisierung genutzt werden.

Das Abstandsgebot müsse durch entsprechende Vollzugsgesetze rechtlich verankert werden.

Derzeit müsse ein Sicherungsverwahrter seine Unterbringung wie eine Strafhaft empfinden, da sie analog ausgestaltet sei.

Insgesamt erklärte das Bundesverfassungsgericht daher die Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung für mit den verfassungsmäßigen Vorgaben und Rechtfertigungen für unvereinbar.

 

C. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Praxis

1. Literaturmeinungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung

1996 hat Kinzig eine Studie zum Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung durchgeführt 6 . Diese kam zu dem Schluss, dass die Sicherungsverwahrung in ihrer damaligen Ausgestaltung ihren Zweck verfehlte – sie müsse in Sinne komplett neu gestaltet oder gänzlich abgeschafft werden.

Kritisch sah Kinzig etwa die Altersverteilung. Legalbiographisch ist die Zeit zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr die Phase der höchsten kriminellen Belastung, während ältere Menschen nur vergleichsweise selten Gewalttaten begehen. Dennoch waren es vorwiegend Ältere, die wegen ihrer Gefährlichkeit verwahrt wurden. Daher stellte Kinzig die Frage, ob eine Maßregel überhaupt präventiv wirken kann, wenn sie schwerpunktmäßig Menschen erfasst, die den Zenit ihrer Gefährlichkeit schon überschritten haben. Die Sicherungsverwahrung stellte für Kinzig eine Zusatzstrafe dar und unterlief den Schuldgrundsatz.

2009 führte Bartsch eine Studie mit ähnlicher Thematik durch 7 .

Auch für Bartsch stand die Frage nach der Vollzugsgestaltung bei der Frage nach der Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung an erster Stelle.

Daneben äußerte er Bedenken in Bezug auf Sicherheitsaspekte, insb. was das Zusammenleben der Verwahrten betrifft. Kritisch bewertete Bartsch dabei den zu erwartenden Zustrom junger Verwahrter – diese stünden körperlich auf dem Höhepunkt in ihrer Kräfte. Zudem sind sie in ihrer kriminell aktivsten Lebensphase und haben „juristisch nichts mehr zu befürchten“, befänden sie sich doch schon in der Sicherungsverwahrung. Daher befürchtete Bartsch erhebliche Sicherheitsprobleme, zumal die vielfältige Deprivation in dieser Lebensphase besonders frustrierend sei.

Bartsch stellte weiter fest, dass insbesondere im therapeutischen Bereich umfangreiche Verbesserungen nötig seien, was freilich Investitionen voraussetze. Ein entsprechend größerer Aufwand und zusätzliches therapeutisches Personal könnte eine weitreichende Versorgung der Verwahrten mit erfolgversprechenden Therapieangeboten gewährleisten. Einen Mangel an Plätzen in der Sozialtherapie sah Bartsch besonders kritisch. Diese werde nämlich von Gutachtern als der Königsweg zur Resozialisierung angesehen – Bartsch formulierte: „Ohne Sozialtherapie keine Entlassung“. Bartsch fasste zusammen, dass trotz lobenswerter Bemühungen die Umsetzung von Abstands- und Resozialisierungsgebot als problematisch bezeichnet werden müsse. Er forderte eine stärkere Betonung des Maßregelcharakters, insbesondere eigene Vollzugsgesetze, eigene Vollzugseinrichtungen und eigene sozialtherapeutische Einrichtungen. Er stellte aber auch fest, dass etwa bei der Therapie von Sexualtätern erhebliche rechtliche und praktische Verbesserungen erfolgt seien.

Kreuzer forderte zur Verwirklichung des Abstandsgebots, den Vollzug der Sicherungsverwahrung weniger strafvollzugsähnlich zu gestalten und die SV-Abteilungen der JVAs entsprechend umzubauen.

Therapie und Resozialisierung müssten schon im Strafvollzug beginnen, sonst sei die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung schicksalhaft-unabwendbar.

Bommarius 8  meinte 2010, für die erfolgreiche Wiedereingliederung, die für die Rückfallprävention sehr wichtig sei, werde nicht genug getan.

Besonders heftig war das Thema Finanzen umstritten. Teilweise wurde bemängelt, die Sparzwänge gingen so weit, dass sie zu einer Antinomie von Sicherung und Resozialisierung führten 9 .

Zur Umsetzung der „Schuldenbremse“ sei dem Strafvollzug in Baden-Württemberg laut Herzog 10 ein indiskutables Sparpaket auferlegt worden, was zu Personalabbau und Qualitätseinbußen führen müsse.

2. Eigene Einschätzung der Vollzugspraxis

Die Gestaltung jeder Form von Freiheitsentzug ist aus praktischer wie verfassungsdogmatischer Sicht facettenreich und komplex. Die Fortschritte in der Vollzugspraxis für die Sicherungsverwahrung im Verlauf der letzten 20 Jahre sind immens und aus grundgesetzlicher Sicht begrüßenswert.

Gleichwohl bleiben Fragen offen und wichtige Themenfelder wurden bisher unzureichend reglementiert.

Ein Befassen etwa mit der Sexualität gebieten schon der Angleichungsgrundsatz und der Schutz der Ehe aus Art. 6 I GG. Projekte wie das Therapieprojekt „Sexualität und Männlichkeit“ der JVA Wriezen (Brandenburg) sind zu begrüßen.

Johannes Rau stellte schon 2001 klar: „Wo die Menschenwürde berührt ist, zählen keine Wirtschaftlichen Argumente.“.

Tatsächlich dürfen die herausgearbeiteten Grundprinzipien auch unter finanziellen Gesichtspunkten nicht relativiert werden. Gewiss ist spätestens mit der sog. Schuldenbremse klar geworden, dass das Gebot zur Sparsamkeit Verfassungsrang hat. Die uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde steht aber auch hierrüber. Nur Unsinniges und Unbezahlbares darf abgelehnt werden, wenn ein Mensch in einem solchen Unterordnungsverhältnis wie in der JVA dem Staat ausgeliefert ist. Mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot ist auch zu fragen, warum die Vollzugskosten je nach Land so unterschiedlich sind.

Aus verfassungsrechtlicher wie aus menschlicher Sicht muss den staatlichen Schutzpflichten auch zwischen den Verwahrten untereinander besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dem werden die JVAs im Rahmen ihrer Möglichkeiten offenbar gerecht.

Wie bei so vielem kommt es auch hier zunächst auf die beteiligten Personen an. Die Schlüsselposition der Vollzugsbeamten in diesem wie in so vielen Bereichen betont Jarner 11 zu Recht.

Das birgt Chancen und Risiken. Wenn Kinzig feststellt, dass die personalen Einflüsse auf den Vollzugsalltag immens sind, stellt sich auch die Frage, ob die bisherigen gesetzlichen Vorgaben konkret genug sind, um Willkür zu verhindern.

Die Praxis der Sicherungsverwahrung, das sind 500 Einzelfälle. Jeder davon muss sich am Maßstab der Verfassung messen lassen.

Kinzig urteilt, die Reform der Sicherungsverwahrung zeige Licht und Schatten. Nichts anderes gilt für die gegenwärtige Ausgestaltung ihres Vollzugs. Das neue Vollzugsgesetz der Sicherungsverwahrung wird sich daran messen lassen müssen, wie es diese Balance beeinflusst.

D: Schlusswort

Die Achtung des souveränen Volks durch den Gesetzgeber darf nicht dazu führen, dass elementare Rechtsgrundsätze dem vermeintlichen Ruf der Bevölkerung nach größerer Härte geopfert werden, sondern gebietet vielmehr die Wahrung der Bürgerrechte auch dann, wenn dies z.B. mit Beliebtheitsverlusten und schlechteren Wahlergebnissen einhergeht. Wenn dem allgemeinen Ruf nach Sicherheit schon mit der Sicherungsverwahrung entsprochen wird („Ob“ des Vollzugs), darf jedenfalls das „Wie“ des Vollzugs nicht danach ausgerichtet werden. Die Vollzugsgestaltung ist konsequent an den dargelegten Grundprinzipien auszurichten. Es wurde gezeigt, dass dies bisher nur teilweise gelang. Vom Gesetzgeber bis zu den Vollzugsbeamten müssen alle Beteiligten stets bereit sein, ihre Motive und ihr Handeln kritisch zu hinterfragen. Dazu mögen empirische Kontrollen ihren Teil beitragen. Letzen Endes gilt aber, was schon Radbruch sinngemäß erkannte: Nur, wenn die Gesellschaft in allen ihren Teilen von einer rechtsstaatlichen Grundüberzeugung durchdrungen ist, wird diese Rechtsstaatlichkeit auch in den JVAs an den dortigen Vollzugsbedingungen erkennbar sein.

 

*Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.


Fußnoten:

  1. BGH 4 StR 568/08 = StV 2010; S. 179.
  2. BVerfGE 109, 133 (166f).
  3. Riebe, Patrick: Die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung; S. 34.
  4. http://www.arthur-kreuzer.de/Stellungn_HStVollzGE_08_09.pdf
  5. Ullenbruch in: StraFo 2010, 443 (445).
  6. Kinzig, Jörg: Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand; Freiburg 1996.
  7. Bartsch, Tillmann: Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme; Gießen 2009.
  8. Bommarius in: FS 2010, 163 (163).
  9. Fennel, Katja: Gefängnisarchitektur und Strafvollzugsgesetz; S. 71.
  10. Herzog in: VD, 2011, 7 (11).
  11. Jarner in: FS 2010, 146 (148).

Gefährliche Straftäter zwischen Schuld(un)fähigkeit und psychischer Störung

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stud. jur. Miriam Hoffmann, Universität Freiburg*

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Im Folgenden soll erörtert sein, ob es das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (kurz: ThUG[1]), in Kraft getreten am 01.01.2011 im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung, vermag,  Sicherungsverwahrten einen Platz zwischen Schuldfähigkeit, Schuldunfähigkeit und psychischer Störung zuzuweisen.

Anlass zu dieser Annahme könnte der vom ThUG zu erfassende Personenkreis geben. Betroffen sollen gemäß § 1 I ThUG, die nach § 66 III 1 StGB zur Sicherungsverwahrung verurteilten Personen sein, deren Entlassung auf der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (kurz: EGMR) vom 17.12.2009 zum Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung basiert. 1  Zusätzlich müssen diese nach § 1 I Nr. 1 ThUG für die Eröffnung des Anwendungsbereiches an einer psychischen Störung leiden. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung wurde jedoch auf keinen psychischen Defekt des Verurteilten abgestellt und dieser sodann als schuldfähiger Täter zu Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Fraglich ist nun, ob mit der ‚psychischen Störung‘ des ThUG eine Schuldunfähigkeit des Betroffenen einhergehen muss und somit dem ehemals Schuldfähigen, vom ThUG aber Betroffenen, nun auf Grund der in diesem Gesetz geforderten psychischen Störung nachträglich die strafrechtliche Verantwortlichkeit entzogen wird, um dem Gesetz einen Anwendungsbereich zu eröffnen.

Beantworten könnte dies eine Erörterung des Bedeutungsgehaltes des im ThUG unbestimmten Rechtsbegriffs der ‚psychischen Störung‘ und dessen Konsequenzen je nach Deutung.

Begonnen sei zunächst mit einer systematischen Orientierung an der Bedeutung des Terminus und der Suche nach einer Analogie mit bestehenden Normen.

Naheliegend erscheint ein Vergleich mit Art. 5 I 2 lit. e EMRK und seinen normativen Begriff des ‚psychisch Kranken‘. Dieser eröffnet einen relativ großen Anwendungsbereich, da der EGMR der Ansicht ist, dass dieser Logos nicht in einer bestimmten Weise festgeschrieben werden könne. So wie die Psychiatrie Fortschritt erlange, ändere sich auch die Bedeutung dieses Begriffes. 2  Er orientiert sich dennoch an den sog. Winterwerp-Kriterien. 3  Anerkannt ist in der Rechtsprechung des EGMR auch, dass fehlende strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zwingend mit der Annahme einer psychischen Krankheit i.S.d. Art. 5 I 2 lit.e EMRK einhergehen muss und tendenziell über den Begriff der Schuldfähigkeit hinausgeht. 4  Würde man sich an der Deutung der Begrifflichkeit des Art. 5 I 2 lit. e EMRK für die ‚psychische Störung‘ des ThUG orientieren, hätte dies zur Folge, dass die vom ThUG Betroffenen nicht notwendig der Diagnose einer Schuldunfähigkeit unterliegen. Geht man allerdings einen Schritt weiter und sucht auch nach grammatischen Übereinstimmungen, fällt auf, dass das ThUG im Gegensatz zu Art. 5 I 2 lit.e EMRK in der aktuellen deutschen Fassung den Begriff der ‚psychischen Krankheit‘ und nicht den der ‚psychischen Störung‘ verwendet. 5  Die unterschiedliche Wortwahl führt auch zu einem unterschiedlichen Bedeutungsgehalt der Begrifflichkeiten.

Dies gibt Anlass in weiteren Normen nach mehr Kongruenz zu forschen.

Zu denken ist an § 64 StGB, denn seiner Konzeption nach könnte sich das ThUG in den Kontext der Behandlungsunterbringung einordnen lassen. Jedoch sei eingewandt, dass das ThUG Grund zur Annahme gibt in erster Linie nicht der Heilung der Betroffenen zu dienen, sondern eher den Eindruck einer Gefahrenabwehrmaßnahme erweckt. Ist dem so, resultieren hieraus zusätzlich Probleme bei der Gesetzgebungskompetenz. Auch ist nach § 64 StGB eine Unterbringung nur bei konkreter Erfolgsaussicht zulässig 6 , die Eignung einer Einrichtung nach dem ThUG wird jedoch selbst bei „fehlende(r) Therapierbarkeit“ 7  nicht in Frage gestellt. 8

Sehr naheliegend erscheint auch der systematische Vergleich mit § 63 StGB, beispielhaft für eine Regelung von psychischen Defekten, welcher eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorsieht. Dieser nimmt als Anordnungsvoraussetzung auf die §§ 20, 21 StGB Bezug, die den Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. die verminderte Schuldfähigkeit näher beschreiben.

Orientiert man sich zusätzlich grammatisch an den Begrifflichkeiten des § 20 StGB fällt auf, dass auch hier der Begriff ‚Störung‘ Verwendung findet. Doch schon die große Strafrechtskommission wusste nicht was unter der ‚Seele‘ und ihrer ‚Störung‘ zu verstehen ist, ging es der Sache nach doch eher um körperliche Krankheiten, woraus sich seelische Störungen ergeben. Auch war nur ein deutschsprachiges Wort für ‚Psyche‘ gemeint, weshalb ‚psychische Störungen‘, wie in den Psychowissenschaften beschrieben gleich ‚seelischen Störungen‘ sein sollten. 9  Dies könnte ein konkreter Anhaltspunkt für die Auslegung der ‚psychischen Störung‘ des ThUG sein, ist die Seele doch nur ein Synonym für Psyche.

Allerdings könnte bei der gebrauchten Begrifflichkeit auch die Möglichkeit der Schaffung einer ganz neuen eigenständigen Kategorie in Betracht gezogen werden, welche sich an der Bedeutung der ‚psychischen Krankheit‘ des EGMR orientiert, jedoch oberhalb der Schwelle zur Schuld(un)fähigkeit agiert.

Fraglich bleibt bei diesem Zustand die konkrete, der Freiheitsentziehung zu Grunde liegende Rechtfertigung,  sowie dessen Therapiebedürftigkeit. Auch muss hinsichtlich einer aktuellen Tendenz zur Psychiatrisierung darauf geachtet werden, dass das ThUG keine Ausuferung dahingehend erfährt, dass eine Vielzahl der Entlassenen verwahrt werden, setzt man der psychischen Störung keinen fassbaren Maßstab.

Entsprechend mag davon ausgegangen werden, dass der Wortlaut des § 1 I 1 ThUG als Oberbegriff zu handhaben ist, welchem die vier Kategorien des § 20 StGB zugeordnet werden können. Hiermit wäre den Juristen ein Altbekannter an die Hand gegeben, welcher es vermag ihnen dabei zu helfen zwischen psychisch Gestörten und für ihre Taten Vollverantwortlichen zu unterscheiden. Auch Widersprüchlichkeiten dürften so zu vermeiden sein. Für diese Annahme spricht auch, dass man sich bereits bei der Namensgebung des Therapieunterbringungsgesetzes parallel zu bestehenden Normen dazu entschied, das Argument der Therapie zur Verwahrung zu verwenden. Somit sollte auch, Normen wie § 63 StGB entsprechend, nicht auf das Kriterium der Schuldfähigkeit verzichtet werden. Denn vorgesehen ist die Unterbringung gefährlicher Straftäter in einer Justizvollzugsanstalt zu Präventionszwecken auf der einen und die Unterbringung psychisch Kranker, welche im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit Straftaten begingen, auf der anderen Seite.

Anders darf es daher auch beim ThUG nicht sein, auch wenn diese Norm abweichend zur bisherigen Rechtslage nicht auf eine Straftat abstellt, die im Zustand der §§ 20, 21 StGB begangen wurde, sondern auf den aktuellen Geisteszustand des Betroffenen. Die Konsequenz wäre ein recht geringer Anwendungsbereich des ThUG, müsste sich die geistige Beschaffenheit des Adressaten doch während der Haft und vor einer Entscheidung zu Therapierung und Unterbringung nach dem ThUG konträr zur einst diagnostizierten strafrechtlichen Verantwortlichkeit entwickelt haben. Auch hätte ein Sicherungsverwahrter auf Grund der ‚psychischen Störung‘ bereits nach § 67a II StGB in ein psychiatrisches Krankenhaus überwiesen werden können, hätte eine solche Aktualität gezeigt. Dennoch sollte im Rahmen einer Unterbringung gegen den Patientenwillen ein juristischer Krankheitsbegriff zu Grunde gelegt werden, welcher sich am Paradigma der Schuld(un)fähigkeit orientiert, um konrekte Maßstäbe zu setzen. Auch auf Grund rechtlicher Folgen einer Krankheit im juristischen Sinne ist es wichtig und erforderlich eine möglichst klare Begriffsbestimmung von ‚psychischer Störung‘ vorzunehmen, welche Eingriffsmöglichkeiten des Staates zwar ermöglicht, diese aber nicht ausufern lässt.

Im Ergebnis vermag es das ThUG bei einer Orientierung am Gebrauch des § 20 StGB zwar nachträglich Verantwortung zu entziehen, jedoch ohne dem Betroffenen einen Platz zwischen Schuld(un)fähigkeit und psychischer Störung zuzuweisen.

*Die Autorin ist Studierende an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.


Fußnoten:

  1. EGMR: U 17.12.2009,  M v. Deutschland,  Nr. 19359/04, Rn. 105, 137.
  2. Meyer-Ladwig, Art. 5 EMRK, Rn. 20.
  3. EuGRZ 1979, 650; Kriterien:Verlässlicher Nachweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit, Notwendigkeit der Unterbringung, Unterbringung darf nur solange die Krankheit und die Notwendigkeit der Unterbringung bestehen andauern.
  4. Vgl. Renzikowski, Joachim: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der

    Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen, S. 2, URL: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/02_Sicherungsverwahrung/04_Stellungnahmen/Stellungnahme_Renzikowski.pdf, Stand: 09.11.2010.

  5. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung v. 22.10.2010.
  6. BVerfGE 1991, 1.
  7. BT-Drs. 17/3403, S. 87.
  8. Klein, in: BeckOK 2011, § 1 ThUG, Rn. 26.
  9. Schild, in: NK-StGB, § 20 , Rn. 22.

Civil Liability for Violations of Personal Rights on the Internet from the German Point of View

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stud. jur. Christoph Gramlich, Universität Konstanz

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Due to diverse cultural and historical backgrounds, the protection of personal rights varies nationally. Every state deals differently with the ideality and intangibility of personal rights. Combining these national problems with the global and anonymous world of the internet, that additionally is based on the division of labour, exponentiates the arising legal problems: How to cope with the structure of the internet on a national basis[1], how to determine the applicable law among many affected legal systems[1] and how to locate jurisdiction internationally[1]? These questions will be answered in the following from a German point of view.

A German Substantive Civil Law

The civil liability for violations of personal rights is determined by substantive civil law.

I. Personal Rights

Personal rights aim to achieve protection of the personality. 1  German substantive civil law knows two sorts of them – a general one and several special ones. Special personal rights (SPRs) are regulated by various statutes. 2  In contrast, the general personal right (GPR) is not set explicitly in a statute but subsumed under the term „another right“ in section 823 paragraph 1 German Civil Code (GCC) whose range is indirectly affected by the evaluation of the Basic Law for the Federal Republic of Germany (BLG) that protects personal rights in article 1 paragraph 1 and article 2 paragraph 1. 3

SPRs protect special areas of personal rights whereas the GPR does no have a final scope but is applied in few cases 4 . The GPR is therefore open to new developments. Concerning violations of personal rights the GPR is only applicable in case SPRs do not protect the violated part or in case they protect it insufficiently. 5

1. Special Personal Rights

Special personal rights are the right to bear a name of section 12 GCC 6 , the privilege as to one‘s own image of sections 22-24 German Authors Copyright Act (GACA) 7 , the author‘s personal rights of sections 12-14 German Copyright Act (GCA) 8 , the protection of one‘s honour and good reputation of sections 185-187 German Criminal Code (GCrC) 9  and section 824 GCC 10 , the protection of the privacy of the spoken word of section 201 GCrC 11 , the protection against violation of intimate privacy by taking photographs of section 201a GCrC 12 , the protection of secrecy of sections 202, 203, 206 GCrC 13 , the privacy of data of section 202a GCrC 14  and the right of sexual self-determination of section 825 GCC 15 .

2. The General Personal Right

German case law admits interferences in the GPR in few cases which are not final but to some extent overlap each other and therefore show a common ground that permits the creation of an area of protection of the GPR. 16  The GPR protects persons from the falsification of their personality and the publication of untrue allegations about them 17 , discrimination and decrease of their honour 18 , their personal rights (such as name or pictures) being used economically against their will 19 , the exposure of personal information 20 , the decrease of their freedom of choice 21  and pestering 22 .

II. Violations of Personal Rights

An violation of a SPR exists in case its elements of an offence are matched. In contrast an violation of the GPR is determined differently: Because the area of protection of the GPR is not finally defined and open to new cases 23  an interference in the GPR does not automatically mean that the victim is granted remedies. The interference additionally has to be illegal to constitute an violation. Therefore each interference in personal rights has to be balanced with the interest of the person causing the interference. If the interfering interest (eg. freedom of press that is protected by article 5 paragraph 1 BLG) overweighs the interfered personal right (that is protected by article 2 paragraph 1 BLG), the interference is legal. If the personality right overweighs, the interference is illegal and an violation exists. 24

III. Liability: Remedies

German substantive civil law knows multiple remedies that ensure an appropriate liability for violations of personal rights. These remedies are also utilised concerning violations of personal rights on the internet.

Provided that a person‘s personal rights were violated through publications in the media, the right of reply enables the violated person to demand the publication of a statement from his point of view. 25  It is a special remedy because it neither requires illegality – the personal right only needs to be interfered, not violated – nor fault. 26  It is explicitly regulated in section 56 German Interstate Broadcasting Treaty (GIBT) and the broadcasting and press (media) acts of the federal states of Germany. 27

Moreover, revision of a violating statement referring to a person can be accomplished through four different types: by removing it (revocation), by adjusting its content to the truth (correction), by adding new content to it (addition) or by dissociating oneself from it (dissociation). 28  Claims of revision do not require fault. 29  The claims of revocation, correction or addition are derived from sections 823, 824, 826 GCC or section 1004 paragraph 1 GCC analogous. 30

Furthermore, the affected person can be empowered to assert injunctive relief: The acting person is forbidden to carry out a certain action that will or already has violated a personal right. 31  This right is set explicitly set in section 12 GCC for the right to bear a name 32  and in section 97 paragraph 1 GCA for the author‘s personal rights of sections 12-14 GCA. Moreover it can be derived out of sections 823 paragraph 2 in conjunction with (icw.) sections 185-187 GCrC, sections 824, 826 GCC 33  for the protection of one‘s honour and good reputation. For the privilege as to one‘s own image, omission can be asserted out of section 823 paragraph 2 GCC icw. sections 22, 23 GACA. 34  Concerning the GPR, injunctive relief is derived from an analogy to sections 12, 862 and 1004 GCC. 35

Compensation for damages can be granted for tangible and intangible damages – bases of claims (requirements) and legal consequences vary.

Compensation for tangible damages is regulated in section 823 paragraph 1 GCC for the infringement of „another right“ which is every SPR and the GPR. 36  It can also be granted by section 823 paragraph 2 GCC which requires the breach of a „statute that is intended to protect another person“. Such protective laws can be found in sections 22-24 GCA for the „privilege as to one‘s own image“ 37 , in 185-187 GCrC for the „protection of one‘s honour and good reputation“ 38 , in section 201 GCrC for the „protection against violation of intimate privacy by taking photographs“ 39  and in sections 202 and 203 GCrC for the „protection of secrecy“ 40 . Section 824 GCC allows compensation for tangible damages if the „protection of one‘s honour and good reputation“ 41  is infringed. Section 97 paragraph 2 GCA grants compensation for tangible damages in case the „author‘s personality rights“ of sections 12-14 GCA is infringed. 42

According to section 253 paragraph 2 GCC, compensation for intangible damages (damages) is only possible in case of „an injury to body, health, freedom or sexual self-determination“. Thus, if the violated SPR or GPR constitutes such an injury, compensation based on sections 823 paragraph 1, paragraph 2 or 824 GCC can be granted. Nonetheless, German case law admits compensation for intangible damages besides section 253 paragraph 2 GCC if a SPR or the GPR 43 44  is profoundly violated and cannot be just compensated through other claims such as the right of reply or an injunctive relief 45 . Compensation for intangible damages then is based on section 823 paragraph 1 GCC icw. articles 1, 2 paragraph 1 BLG. 46

In addition to that, a levy of profit based on section 812 paragraph 1 sentence 2 GCC can be granted. 47

Moreover, supporting claims, such as the revelation of personal information of the infringer, can be granted. 48

IV. On the Internet: Responsibility of Content, Access- and Host-Providers

Due to the internet‘s anonymity and its global distribution of information 49  it is hard to find the person that caused the violation of personal rights (content-providers 50 ). Thus, it is necessary to give consideration to a liability of access- and host-providers. 51

In German substantive civil law, sections 7-10 German Telemedia Act (GTMA) regulate the „responsibility“ of content, access- and host-providers (service providers). The regulations are based on the EU Electronic Commerce Directive (EUECD) which aims at harmonising the internet liability law of the members of the EU. 52

1. Sections 7-10 GTMA

Section 7 GTMA refers to „general legislation“ and sections 7-10 GTMA utilise extensive the term „responsibility“, which shows that they apply in any field of German law (criminal, civil and public law). 53  Their regulatory content is exceptional: On the one hand, they do not regulate bases for claims but establish additional requirements for existing ones and, in this way, filter out violations of certain service providers (filtering solution). On the other hand they cannot extend liability but only limit it. 54  Overall, sections 7-10 GTMA privilege service providers. 55

2. Section 7 Paragraph 1 GTMA: Responsibility of Content-Providers

According to section 7 paragraph 1 GTMA, services providers that keep ready own information on the internet (content-providers) are responsible „in accordance with general legislation“. Thus, it clarifies that they are not granted any privilege which means that their liability is not limited. 56  The term „keep ready“ means that content-providers have to exercise control on the information. It does not refer to providing information on the internet (hosting) and is thus unclear. 57

German case law 58  and most of German academics 59  state that the content-providers‘ own information are those for which he accepts responsibility from an impartial point of view that embraces all relevant issues. 60  Nevertheless, this seems critical with regard to the regulatory target of the ECD. 61  Because of this, some providers that, in terms of the ECD, would be seen as access- or host-providers are in Germany defined as content-providers.

3. Section 8 GTMA: Responsibility of Access-Provider

Section 8 paragraph 1 GTMA, which is based on article 12 EUECD, privileges services providers who transmit information of third parties or give access to them (access-providers) as long as this works passively and automatically (eg. routing 62 ) 63 .

Section 8 paragraph 1 sentence 2 GTMA makes an exception of this privilege if the service provider deliberately cooperates with a recipient of his service to commit illegal acts. Section 8 paragraph 2 GTMA extends the privilege of paragraph 1 sentence 1 by negating the liability for the temporarily storage of information of third parties which serve the purpose of paragraph 1.

4. Section 9 GTMA: Responsibility for Temporary Storage

Section 9 sentence 1 GTMA, that is based on article 13 EUECD, privileges service providers who temporarily storage information of third parties for the purpose of a more efficient transmission of these information (eg. caching) 64  as long as they do not change the information and consider several technological standards 65  (number 1 to 5).

Section 9 sentence 1 number 5 GTMA obliges service providers to remove or disable access to information of third parties once they obtain knowledge of the fact that the information at the initial source of the transmission has been removed from the network or that access to it has been disabled, or that a court or administrative authority has ordered such removal or disablement. Section 9 sentence 2 GTMA refers to the exception of section 8 paragraph 1 sentence 2 GTMA.

5. Section 10 GTMA: Responsibility of Host-Providers

Section 10 GTMA, which is based on article 14 EUECD, privileges service providers who storage information of third parties (host-providers) as long as they have no knowledge of the illegal activity or the information and no knowledge of any facts or circumstances from which the illegal activity or the information is apparent (number 1). Furthermore the privilege does not apply if host-providers obtain such knowledge but do not act expeditiously to remove the information or disable access to it (number 2).

Section 10 sentence 1 letter a GTMA excludes the host-providers‘ privilege in case they know or should know of „the illegal activity or the information“. This wording indicates that host-providers have to know about the illegal activity or about the – legal or illegal – information. Therefore knowledge of the illegality of the information would not be sufficient to exclude the privilege of section 10 GTMA but simple knowledge about the information would be. Thus, host-providers would have to supervise information of third parties. However this would contradict section 7 paragraph 2 sentence 1 GTMA that explicitly excludes an obligation of supervision for information of third parties. 66  Moreover, the knowledge of the information does not automatically show if it is illegal or legal, because the information‘s context is not identifiable 67  or a consent may exist 68 . Thus, it is generally accepted, that the second „the“ in this part of the sentence is wrong and that host-providers shall only be responsible for obvious illegal information. 69  This is supported by article 14 paragraph 1 letter a EUECD that denies the host-providers‘ privilege in case they know or should know of „the illegal activity or information“.

6. Section 7 Paragraph 2 Sentence 2 GTMA: Priority of „General Legislation“

Section 7 paragraph 2 sentence 1 GTMA states that access- and host-providers are not obliged „to monitor the information transmitted or stored by them or to search for circumstances indicating an illegal activity“. Thus, a general monitoring obligation of access- and host-providers is explicitly forbidden. In this way, section 7 paragraph 2 sentence 1 GTMA transfers the regulatory content of article 15 paragraph 1 ECD into German law.

Nevertheless, section 7 paragraph 2 sentence 2 GTMA loosens the strict rule of sentence 1 by declaring that access- and host-providers can still be obliged „to remove or disable access to information under general legislation, even where the service provider does not bear responsibility pursuant to Sections 8 to 10“. Basically, sentence 2 does not contradict sentence 1 or article 15 paragraph 1 ECD, because it only ensures that German general legislation is not annulled. However, the proviso of sentence 2 leads to problems in the event of its conjunction with a special rule known in German case law: If the violated party is granted an injunctive relief, German courts can also instruct an order for omission in the case of identical violations 70 . Thus, the violating party is obliged to make sure that no further violation will occur and for this reason monitor information that could cause further violations and even search for facts indicating further violations. The combination of section 7 paragraph 2 sentence 2 GTMA and the case law of the order for omission in the case of identical violations contradicts the regulatory target of article 15 paragraph 1 ECD. 71

V. Result of the Examination of German Substantive Civil Law

German substantive civil law copes with violations of personal rights that occur on the internet by combining the general rules for violations of personal rights with a statute that explicitly determines the responsibility of content, access- and host-providers (GTMA).

 

B German International Private Law

Violations of personal rights on the internet, usually 72  have a connection with more than one state respectively more than one legal system. Due to the circumstance that every legal system has its own substantive law, it is thus questionable which one is applicable. This question is answered by international private law (private international law) which decides between the affected legal systems by providing rules how to find the right substantive law. International private law should assure a just balance of the affected interests and legal certainty. 73  Hence, it is necessary to describe how German international private law deals with violations of personal rights on the internet.

I. Qualification of Violations of Personal Rights on the Internet

First of all, it is required to track the conflict rules that suit to the „core area of the legal dispute“ (qualification). 74  From a German point of view, there are two different sources of international private law that could apply to violations of personal rights: the EU‘s Rome II Regulation (Rome II) and Germany‘s national IPR, the Introductory Act to the German Civil Code (IAGCC). Both the EU‘s (Rome II) and Germany‘s (IAGCC) international private law do not have particular conflict rules for violations of personal rights 75 , so that the trial courts 76  have to decide about their core area respectively their qualification. 77  This could lead to different qualifications of violations of personal rights because the courts of the EU (Court of Justice of the European Union) and the courts of Germany could interpret their international private laws in different ways. 78  Therefore, according to article 3 number 1 letter a IAGCC, the rules of Rome II basically take precedence over the ones of IAGCC avoiding problems mentioned above.

Nevertheless article 1 number 2 letter g Rome II excludes non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality, including defamation from the scope of Rome II. This exception had to be made due to insurmountable differences between the EU‘s member states concerning their national regulations balancing the rights of individuals and the freedom of the press. 79  That is why international cases of violations of personal rights are only regulated by German international private law (IAGCC).

German international private law basically qualifies violations of personal rights as torts within the meaning of articles 40-42 IAGCC. 80  At least this is generally accepted for compensation, injunctive relief and revision (revocation, correction, addition and dissociation). 81  Moreover, the protection of the „right to bear a name“ is consistently categorised within the meaning of articles 40-42 IAGCC. 82  The right of reply acts in accordance with articles 40-42 IAGCC because otherwise it would be detached from the closely related claims of revision. 83

II. Articles 40-42 IAGCC

It remains to be examined in which way articles 40-42 IAGCC determine the applicable law in case of violations of personal rights on the internet.

1. Article 42 IAGCC: Choice of Law

Article 42 IAGCC enables the parties involved in violations of personal rights to choose a legal regime of a state after the violation occurred (choice of law). To determine the applicable law before violations occur, the parties have to conclude a contract of their choice of law. Afterwards, this contract constitutes a special legal relationship within the meaning of article 41 paragraphs 1, 2 number 1 IAGCC. 84

2. Article 40 Paragraph 2 IAGCC: Common Habitual Residence

Article 40 paragraph 2 sentence 1 IAGCC regulates that in case a common habitual residence of the liable and the injured party exists at the time of the occurrence of violations of personal rights, the law of the state of the common habitual residence shall be applied (lex domicilii communis). Sentence 2 says that for legal persons „the principal establishment, or where a branch is involved, this establishment“ replaces the habitual residence.

3. Article 40 Paragraph 1 IAGCC: Principle of the Scene of an Offence

In case neither a choice of law nor a common habitual residence exists, article 40 paragraph 1 IAGCC is applicable. 85

a) Basic Rule

Article 40 paragraph 1 sentence 1 IAGCC regulates that the legal system is determined according to „the state in which the liable party has acted“ (place of action). In contrast, article 40 paragraph 1 sentence 2 IAGCC enables „the injured party to demand“ the application of „the law of the state in which the injury occurred“ (place of occurrence). That option can be invoked only with certain time limits set forth by article 40 paragraph 1 sentence 3 IAGCC. Through this, article 40 paragraph 1 sentences 2, 3 IAGCC regulate the injured party‘s „option of determination“ in favour of the place of occurrence. 86

The differentiation between the place of action and the place of occurrence is not needed, they are located in the same state (local tort) but only in case they diverge into different states (distance tort). 87

In case the place of action and the place of occurrence are different, article 40 paragraph 1 IAGCC regulates that basically the law of the place of action has to be applied, unless the injured person opts for the law of the place of occurrence. Therefore the applicable law acts in accordance to the place of action or the place of occurrence alternatively. 88  Hence, torts are generally committed at both places (lex loci delicti commissi) (principle of the ubiquity of torts) 89  but the place of occurrence is not considered as long as the injured party opts for it (limitation of the principle of the ubiquity of torts) 90 . Thus, article 40 paragraph 1 IAGCC regulates the principle of the scene of an offence which ties the applicable law up to the place, where the tort was committed. 91

b) Article 40 Paragraph 1 IAGCC: Violations of Personal Rights on the Internet

Having explained the basic principles of articles 40-42 IAGCC, it is necessary to examine how article 40 paragraph 1 IAGCC deals with violations of personal rights on the internet. To provide a clear evaluation, it is necessary to distinguish between the problems that arise from violations of personal rights and those that arise on the internet (internet-torts 92 ). 93

aa) Violations of Personal Rights

Basically, articles 40-42 IAGCC take effect equally in case of violations of personal rights, but the place of action and the place of occurrence of article 40 paragraph 1 IAGCC have to be pinpointed.

aaa) Place of Action

The place of action of violations of personal rights is fixed, where they are carried out. 94  This definition is very abstract and resembles the general definition of the place of action 95 . It is thus hardly helpful for particular cases. This is due to the circumstance that the place of action in case of violations of personal rights depends on the kind of media (eg. letter, printed press, broadcasting, television or internet) that carries the violating information. Therefore it can only be pinpointed for the different kinds of media. 96 97

Preparatory acts (eg. the creation of a text or the decision about the publication) do not give reasons for a place of action. 98  A place of action comes into existence the moment the violating party cannot control the information anymore.

bbb) Place of Occurrence

The place of occurrence in case of violations of personal rights is fixed at the place, where the personal right is violated. 99  For knowing, where personal rights are violated, it is necessary to pinpoint the place, where they are located. Personal rights have no physical equivalent like property rights which are connected with detectable items. 100  Therefore it is questionable, whether personal rights can be located or not.

Some take the position that personal rights are situated everywhere and thus cannot be located at one specific place. 101 According to this opinion, violations of personal rights do not have a place of occurrence and in terms of article 40 paragraph 1 IAGCC the law of the place of action must apply. Other authors states that personal rights have to be distinguished from one‘s personality 102  and that personal rights as a legal structure can be located at the place where they are affected 103 .

In favour of the first opinion argues the circumstance, that it is generally accepted that personal rights abstractly exist everywhere (ubiquity of personal rights). 104  Against the first opinion and in favour of the second opinion argues the consideration, that those abstractly unlocatable personal rights „update“ and „locate“ the time they get violated. 105  Moreover, it is the competence of substantive law to evaluate the legal range of violations of personal rights. By denying a place of occurrence in case of violations of personal rights, international private law would partly deprive substantive law of this competence. 106

Therefore, violations of personal rights can be located at the places where they are affected, which is where they are recognised by the violated party or third parties (place of distribution). 107  Because of the categorical conflict with the freedom of opinion, only predictable places of violations can constitute places of occurrence (places of intended distribution). 108  A reputation of the violated party at the place of distribution favours celebrities and is not required. 109

bb     ) Violations of Personal Rights on the Internet

Having examined how article 40 paragraph 1 IAGCC generally deals with violations of personal rights, it remains to be seen how they have to be assessed when they happen on the internet.

The internet‘s technical structure 110  demands a separate examination of violations of personal rights that are caused by the own information of content-providers and third party information of access- and host-providers.

aaa) Violations of Personal Rights Caused by Content-Providers

Content-providers within the meaning of international private law, are those who create and upload information 111  and is thus different to the definition in German national law (GTMA) 112 .

(1) Place of Action

Basically, the place of action of violations of personal rights on the internet is situated where violations of personal rights are carried out. 113  Thus, it has to be examined, where violations of personal rights are carried out on the internet.

The internet is a connection of worldwide spread networks (sub-networks) that consist of computers. These (sub-)networks again are connected among themselves by computers which are connected to more than one of the networks, the so-called „nodes“ or „gateways“. 114  Because of this structure, the internet forms a grid similar to a spider‘s web and information can be transferred between origin (uploading computer) and destination (server) over different wires. 115  To transfer information on the internet, the information first get separated into multiple packages and are combined with a protocol which guarantees that they can later be rebuild. 116  Each package then sets off from its origin to its for the destination but has no precise route how to get there. On the contrary, the particular network in which the package currently travels, routes it individually in terms of demand and availability of other networks (routing). 117  Therefore not only information but also the packages as parts of one information happen to be transferred over different routes. 118  To access information on the internet, users have to connect to the internet over a dial-in node and then recall information from a server (recall principle) 119 .

Generally speaking, the location of the server, the gateways and the uploading computer are significant transition points of the information. Thus, all of these locations are discussed to establish a place of action.

Some want to establish a place of action at the location of the server and draws a parallel between internet torts and press torts and argues that the location of the server is the place of publication 120  where the violating information is published as recently as users recall it. 121

Nevertheless, the circumstance that content-providers can choose the server to be anywhere in the world and thus would be able to determine their most favourable law of the place of action (law shopping), argues against that opinion. 122  Furthermore, by defining the location of the server to be the place of action, the place of action and the place of occurrence would be the same in case the destination of the information is not a server but the computer of a specific recipient (inter-individual communication 123 ). Moreover, the crucial action of violations of personal rights is that content-providers release information into the internet and thus – in particular because of the routing – let go of the possibility to control the information (ubiquity of information 124 ). Therefore, the place of action has to be pinpointed earlier when the content-provider still has control over their information. 125

Hence, the place of action could be located earlier at the location of the dial-in node or the gateways. But these transition points cannot be controlled and thus disable the content-providers from being able to determine the law of the place of action and from being able to adjust themselves to the law of their place of action. 126  This also constitutes an argument against the location of the server. 127

By and large, the place of action has to enable content-providers to prepare for the law they are liable under. Besides it has to be within the area that can be controlled by content-providers so that the violating information cannot spread independently. That is why the place of action can only be located at the place where the information is injected to the internet computer – the location of the uploading computer (place of uploading). 128  It is rebuttably presumed at the habitual residence of a natural person 129  and at the seat of a legal person 130 . The conceptual design of the offering does not cause a place of occurrence because its a preparatory act. 131

(2) Place of Occurrence

Concerning violations of personal rights, the place of occurrence of article 40 paragraph 1 IAGCC is located where the violating information gets recognised by the violated party or third parties (place of distribution). 132  It remains to be examined, where this place is situated for the different forms of communication on the internet.

(a) Inter-individual Communication

Inter-individual communication between one sender and one recipient mainly occurs through the internet services 133  of electronic-mail (e-mail) or chat 134 . The information exchange is initiated and distributed by the sender (push technology) 135 . The place of distribution is therefore explicitly defined by the sender and the recipient can only access the information that are given to him by the sender. Hence, the place of occurrence is usually situated at the place of residence of the recipient even if the sender does not know about this place. 136

Nevertheless, problems arise when the recipient receives information at a temporary residence (eg. in a foreign state during holidays). It is then questionable, whether the place of receipt (factual residence) or the place of the intended distribution (habitual residence). A place of receipt other than the habitual residence of the recipient, is not predictable because it can be influenced partially by the recipient that would deny the sender‘s right to determine his liability risk allow the recipient to determine the law of the place of occurrence (law shopping). 137  Thus, in inter-individual communication, the place of occurrence is situated at the habitual residence or seat of the recipient. 138  Exceptions can be made, if the sender knows about the temporary residence. 139

(b) Public Communication

Public communication between one sender and an unlimited number of recipients mainly happens through the internet services of world wide web (www) and its contents that are visible for every internet user (public) such as guestbook, comments or public forums (eg. isharegossip.de, rottenneighbor.com). The information exchange is initiated and distributed by the recalls of the recipients (pull technology). 140  A notice of the violated party or third parties can only occur after recalling information from the server (recall principle 141 ). 142

(aa) Places of Recallability

Thus, the location of every recalling computer basically constitutes a place of occurrence (places of recall). Nevertheless, the factual number of recalls cannot be fixed definitely due to technical disabilities 143  and problems with data protection 144 . Moreover, it has to be mentioned that the sender loses control of the distribution of information the minute he uploads them to the internet. 145  It has also to be considered that users are able to conceal or manipulate their place of recall. Hence, the place of recall does not cope with the structure of the internet, which is why the place of the possible distribution (places of recallability) has to be implied as the basic place of occurrence. 146  Due to the internet‘s global networking 147 , this leads to worldwide places of occurrence (multi-state tort 148 ) in public communication. Hence, legal systems all around the world would be applicable and the violated party would be able choose the most favourable law (law shopping) which simultaneously would be the most unfavourable law for content-providers. Consequently, content-providers would be exposed to a „global liability risk“. 149

(bb) Correction

Therefore, it is generally accepted that this result has to undergo a correction. 150  Nonetheless how to do this is highly controversial. Different approaches can be allocated to five main theories:

The first theory does not distinguish a place of action and a place of occurrence but determines the applicable law in accordance with the lex fori. 151

The second theory reduces the places of occurrence to a single location by examining where the most severe violation of personal rights exists (theory of one core area). 152  Some representatives of this theory reduce the places of occurrence further by demanding that the place of occurrence is part of the „intended distribution area“. 153

The third theory reduces the places of occurrence to multiple locations by detaching locations of light or insignificant violations from those of severe violations of personal rights (theory of core areas). Some representatives of this theory determine the core areas by requiring that the location belongs to the intended distribution and that the violated party has a „special relation“ to it. 154  Other authors utilise these requirements progressively. 155  Some reduce the places of occurrence to the intended distribution.

The fourth theory does not reduce the places of occurrence but limits the range of the claims that can be lodged at them: The violated party can choose every place of occurrence, however it can only claim those damages at each place of occurrence which happen there (distributive application of law 156 ). The full range of damage can only be lodged at the place of action (mosaic theory). 157

The fifth theory combines the theory of core areas and the mosaic theory by reducing the places of occurrence to those of severe violations of personal rights and limiting the range of the damages that can be lodged at them to those that happen there (combination theory). Parts of this theory determine the core areas of violations of personal rights by demanding that the violated party holds a certain prominence at the location. 158  Other parts determine them by imposing a duty of determination on the violated party that constitutes a correlate to his right of choice 159 . 160

(cc) Discussion of the Opinions

The first theory bears the the advantage that international private law and the law of international jurisdiction act in accordance. 161  By doing so, it virtually abolishes international private law and disrespects its regulatory content. Moreover, from a today‘s point of view this opinion is contradictory to the evaluation of article 1 paragraph 2 letter g Rome II 162  that explicitly forbids a EU‘s competence concerning the determination of the applicable law in case of violations of personal rights. Therefore, the first theory is to object.

The theory of one core area has the advantage that it pinpoints one place of occurrence and thus leads to a practicable handling of legal disputes and legal certainty. 163  However, the reduction of the places of occurrence to a single location bears the risk of becoming determinable by violators (content-providers) and thus of causing the most favourable law for them (law shopping). Moreover, the reduction to a single place of occurrence leads to practicability at the expense of the protection of the violated party because locations that contain even slightly less severe violations of personal rights are ignored. 164  Therefore a solution can only be found in theory that grants multiple places of occurrence.

The theory of core areas allows many places of occurrence and therefore protects the violated party. Yet it does not limit the range of the damages that can be claimed at these places and thus enables the violated party to lodge every violation of personal rights at the location that grants the most favourable law. This contains a great liability risk for content-providers and does not lead to legal certainty. 165

The mosaic theory is able to create legal certainty because each violation of personal rights is judged according to the law that exists in the place of the violation. The violated party cannot claim all damages at the location that grants the greatest amount of personal rights or the most distinctive personal rights. Each violation of personal rights is assessed according to the historical and cultural backgrounds of the state that grants them. 166  This leads to legal certainty for both the violator and the violated party. 167  Furthermore, it makes the mosaic theory a just tool to balance the interests of both parties involved: the violated party is enabled to claim the damages of all countries but the violator is only liable according to the law that is affected. 168  Moreover, the mosaic theory is applied by the European Court of Justice (ECJ) in terms of jurisdiction. 169  The allegation that the mosaic theory disrespects the character of personal rights because they are not territorially divisible 170 , can be objected by the fact that personal rights update and locate at the location of the violation the time they got violated. 171  The problem of the mosaic theory is that it lacks practicability as a result of numerous and worldwide spread places of occurrence. 172

(dd) Assessment and Conclusion

The root of the excessive discussion is the conflict between the violated party‘s interest of just protection and the violator‘s interest of legal certainty: The violated party does not want to be violated and if she gets violated, she wants to be granted legal protection that compensate its violations. The violator does not want to be liable or at least wants to know which law determines its liability, so that he can prepare himself for the consequences.

A partial legal representation of the violated party‘s interest would allow her to choose the place of occurrence at any place of recall and lodge all claims there. An absolute legal representation of the violator‘s interest would allow her to determine the place of occurrence and therefore to be only liable at the place of action, which is under the control of the violator and inside of his territorial area.

None of these extremes can be justified, a balance has to be found. The theories of core areas try to find that balance by reducing the places of occurrence (quantitative restriction). The more places of recall are excluded from the places of occurrence, the more the theories lead to legal certainty and practicability but the more they also deprive the violated party of her protection in the denied states. In case of excluding only few places of recall from the places of occurrence, the violated party is favoured by these theories. If many places of recall are excluded, the violator is favoured. A balance can hardly be found. The mosaic theory tries to balance the interests by limiting the range of claims that can be lodged at the places of occurrence (qualitative limitation). By doing this, it leads to legal certainty and just protection of the violated party. Overall, the mosaic theory creates a balance between interests of the violated party and the violator.

Nevertheless, the interest of practicability has also to be considered: The separate examination of all the violations‘ different laws is complex and makes the mosaic theory impracticable. Hence, the combination of the mosaic theory‘s qualitative limitation, that provides just protection and legal certainty, and the theory of core areas‘ quantitative restriction which provides practicability, can create a solution that considers not only idealistic interests but also practicable interests. Such a theory firstly reduces the places of occurrence to the core areas of violations of personal rights and secondly limits the range of the claims that can be lodged at them to those claims which happen there.

This conclusion is also made by the combination theories. Nonetheless, it is questionable whether a „certain prominence“ 173  or a „duty of determination“ 174  of the violated party constitutes the determining factor of the core areas. The requirement of a certain prominence of the violated party in the place of occurrence has to be declined. 175  A duty of determination of the violated party may constitute a harmonious addition to the right of choice 176  of article 40 paragraph 1 IAGCC 177  but it favours the violated party by letting her choose the applicable law and thus leads to law shopping. This problem is limited by the combination with the mosaic theory but it is not eradicated completely because the violated party can still choose from her place of occurrence from all of them. 178  Moreover it is not defined how many places are allowed to be determined by the violated party. Hence, the quantitative reduction needs to be done with the help of an impartial factor. At this point, the results of the examination of the places of occurrence concerning general violations of personal rights have to be reminded: Only places of distribution that are predictable can constitute places of occurrence (places of intended distribution). 179 This factor can impartially be defined by the language or subject of the information. The fact, that it can lead to many places of occurrence has to be accepted by content-providers because that constitutes a general risk of the internet.

Therefore, the places of occurrence of violations of personal rights on the internet in public communication have to be determined by a combination of the mosaic theory and the intended distribution.

(c) Limited Communications

Limited communication between one sender and a restricted number of recipients takes place through access restricted services such as mailing list, newsletters, newsgroups, conference chats, forums and social networks that require a registration or subscription (eg. QQzone, facebook). Basically these restrictions do not have an influence on the determination of the places of occurrence through the combination of the mosaic theory and the intended distribution, which means that the place of the intended distribution does not get defined by the restricted number of members. 180  Nevertheless, exceptions can be made if the restrictions do consist of a controlled identification (eg. through the proof of identity).

bbb) Violations of Personal Rights Caused by Access- and Host-Providers

Access- and host-providers do not create violating information but handle information of content-providers (third party information): Access-Providers ensure the connection to the internet and the information exchange on it. 181  Host-Providers save and keep contents ready on their servers. 182  Therefore, access- and host-providers could be liable for handling information of content-providers (of third parties) in terms of substantive law 183 . That is why, international private law has to determine the applicable law for access- and host-providers.

The determination of the liability of access- and host-providers could act in accordance to that of content-providers (accessory determination) 184  or could have to be determined independently (independent determination) 185 .

An accessory determination avoids further examinations of the access- and host-providers‘ international private law and therefore boosts procedural economy. Moreover, the violated party does not get overwhelmed by an complex correlation of laws. 186  In contrast, an independent determination leads to the advantage, that another legal system is responsible for the liability of access- and host-providers, in case the legal system that evaluates the liability of content-providers is not satisfying. 187  Furthermore, the determination of the content-providers‘ place of action is the most technically challenging and the access- and host-providers do not have an influence on it. 188  That is why, the access- and host-providers‘ international private law has to be determined independently.

The access- and host-providers‘ place of action has to be determined according to the last chance of control, whether this is a action or a non-act. 189  Thus, it can be located at the place where the access- and host-providers‘ actions are managed (place of the centre of decisions). 190  Basically, this is the natural person‘s habitual residence 191  and the legal person‘s seat 192 . This is rebuttably presumed. 193

The places where violations of personal rights occur are not influenced by the access- and host-providers‘ actions, which is why the places of occurrence stay the same. 194

4. Article 40 Paragraph 3 IAGCC: Proviso

At last, the proviso of article 40 paragraph 3 IAGCC has to be considered. It limits the claims that are governed by the law of a foreign state if these claims fundamentally and obviously object to German legal principles. 195  This rule primarily prevents the injured party from receiving claims for compensation that contravene the German rule against unjustified enrichment 196 . 197  By doing so, article 40 paragraph 3 IAGCC forms a „special regulation of the ordre public“ set forth in article 6 IAGCC. 198

5. Article 41 IAGCC: Substantially Closer Connection

Article 41 paragraph 1 IAGCC differs from the basic principle of article 40 paragraph 1 IAGCC by declaring that the law of another state shall apply if the facts of the case feature a „substantially closer connection“ with the law of that state. Paragraph 2 thereafter gives examples („in particular“) for a substantially closer connections. Paragraph 2 number 1 regulates that „a special legal or factual relationship between the persons involved“ which is linked to the violation of personal rights may constitute a substantially closer connection (accessory connection) 199 .

6. Articles 40-42 IAGCC: Legitimacy of a Renvoi

According to article 4 paragraph 1 sentence 1 IAGCC, articles 40-42 IAGCC basically refer to the entire legal system of another state which consists of its international private law and substantive law. 200      Article 4 paragraph 1 sentence 1 at the end (ate.) IAGCC makes an exception to this rule „insofar as this is not incompatible with the meaning of the referral“. This exception applies to article 41 paragraph 1 IAGCC 201  and article 41 paragraph 2 number 1 IAGCC (accessory connection) 202 . Furthermore article 4 paragraph 2 IAGCC excludes a renvoi in case of choices of law like article 42 IAGCC 203 .

Article 40 paragraph 1 sentence 1 IAGCC includes a renvoi. 204  The option of article 40 paragraph 1 sentences 2,3 IAGCC only takes effect on the layer of international private law and allows the violated party to choose between the two alternatives – place of action and place of occurrence – of article 40 paragraph 1 IAGCC that both include a renvoi. Hence, article 40 paragraph 1 sentences 2,3 IAGCC do not constitute a choice of law similar to article 42 IAGCC and article 4 paragraph 2 IAGCC is not applicable. 205  The violated party has to choose the law of the place of occurrence. Therefore, the laws which are determined in this way, have to be applicable in the end. Hence according to article 4 paragraph 1 sentence 1 ate. IAGCC, a renvoi is incompatible with the meaning of the referral of article 40 paragraph 1 sentences 2,3 IAGCC. 206  Moreover, this serves the procedural economy. 207

III. Section 3 GTMA: Influence of the State of Origin Principle towards International Private Law

Section 3 GTMA, that is based on article 3 EUECD, says that providers „established in the Federal Republic of Germany and their telemedia shall also be subject to the provisions of German law if the telemedia are commercially offered or provided in another state“ of the EU. Because of this formulation it is questionable, whether section 3 GTMA is only part of Germany‘s substantive law or has an influence ob Germany‘s international private law and thus articles 40-42 IAGCC in favour of the state of origin principle or part of Germany‘s substantive law.

Owing to the explicit note in section 1 paragraph 5 IAGCC, which is based on article 1 Nr.5 EUECD, that says that the GTMA „does not stipulate rules in the field of international private law“, it is generally believed that section 3 GTMA is part of Germany‘s substantive law and does not influence the regulatory content of articles 40-42 IAGCC. 208  Moreover, this would cuase an indirect influence of EU law on the legal evaluation of violations of personal rights which is objected by article 1 paragraph 2 letter g Rome II.

Nevertheless, this legal question will soon be answered by the ECJ that currently deals with this question after the FCJG submitted it to him. 209

 

IV. Results of the Examination of German International Private Law

International private law handles international violations of personal rights on the internet (multi-state torts) by applying the law of the place of action or the law of the place of occurrence which gets determined by cutting back the possible places of occurrence with the help of a quantitative reduction (intended distribution) and a qualitative limitation (mosaic theory).

C German Law of International Jurisdiction

The law of international jurisdiction aims at defining the places of jurisdiction of a case that touches the legal systems of more than one state. 210  Thus, it is essential in the global world of the internet. The law of international jurisdiction needs to be defined exactly because it does not provide a referral in case of incompetence 211  and the German law of international jurisdiction is regulated in multiple sources of law.

I. Sources of Law

1. European Union: The Brussels Convention and the Brussels I Regulation

The law of the European Union (EU) provides two sources of law that can apply in terms of international jurisdiction concerning violations of personal rights on the internet: the Brussels Convention (Brussels C) and the Brussels I Regulation (Brussels I). According to articles 66, 68 paragraph 1 Brussels I, Brussels I replaced Brussels C for proceedings instituted on 1 March 2002 or after that date. In case of proceedings instituted before 1 March 2002, Brussels C is still applied. Nevertheless, the regulatory content of Brussels C and Brussels I is, in most instances, the same. 212  Concerning international jurisdiction for violations of personal rights on the internet, the essential regulations of Brussels C are identical to those of Brussels I. 213  That is why Brussels I has to be examined and the results can be transferred to Brussels C.

Brussels I applies within the European Union. 214  It takes precedence over national regulations 215  and therefore it is applied in most cross-border cases 216 . It applies if, according to article 1 paragraph 1, a civil or commercial matter exists that is not excluded by article 1 paragraph 2 and, according to article 3 paragraph 1, the defendant domiciles in a members state of the EU. The decision whether a civil or commercial matter exists is made autonomously by the EU 217  whereas national law (lex fori) has to decide the defendant‘s domicile according to article 59 218 . In case of a company or other legal person, a statutory seat, central administration or principle place of business inside the EU replaces the domicile of natural persons, article 60 paragraph 1 219 . This requirement is autonomously evaluated by the EU. 220

If these criteria are matched, article 2 paragraph 1 Brussels I sets a general place of jurisdiction at the defendant‘s domicile, regardless of his nationality. Every possible claim for violations of personal rights can be lodged before the courts of this location. 221  But article 2 paragraph 1 only regulates international jurisdiction, local jurisdiction has to be defined by national procedure law (lex fori). 222

Moreover, article 5 number 3 Brussels I, sets a special place of jurisdiction for torts at the place where the harmful event occurred in case the defendant domiciles in a member state different to the member state of jurisdiction. Only tort-related claims can be lodged before the courts of this location 223  and no accessory jurisdiction is granted 224 . Claims of unjust enrichment are excluded from the scope. 225  In contrast to article 2 paragraph 1, article 5 number 3 regulates international and local jurisdiction and no national law (lex fori) has to be applied. 226

The special place of jurisdiction exists alongside of the general place of jurisdiction. The complainant can chose between the two of them. 227 Articles 23 and 24 Brussels I allow the parties to make an agreement concerning the international jurisdiction between them (prorogation). 228

2. European Economic Area: The Lugano Convention

The Lugano Convention (LC) applies to the members of the European Economic Area (EEA) but, according to article 54b number 1 LC, does not influence relations between the member states of Brussels C, and thus Brussels I which replaced Brussels C 229 . LC equals Brussels I in its regulatory content concerning jurisdiction for violations of personal rights on the internet, which is why a separate examination is not necessary. 230

3. Worldwide: The GCCP

If neither Brussels C or Brussels I nor LC applies (outside the EU and EEA) to set international jurisdiction for violations of personal rights on the internet, national law regulates international jurisdiction. 231

German national law does not explicitly regulate international jurisdiction, yet rules of the German Code of Civil Procedure (GCCP) that determine the local jurisdiction are extended to also include international jurisdiction. 232  Therefore, sections 12, 13 GCCP set a general place of jurisdiction at the defendant‘s domicile for natural persons and sections 12, 17 GCCP set a general place of jurisdiction at the defendant‘s seat for legal persons whereas section 32 GCCP sets a special place of jurisdiction for torts at the district in which the performance was committed. General and special place of jurisdiction exist parallel, the complainant is allowed to choose between them. 233 Section 38 GCCP enables the parties to make an agreement concerning the international jurisdiction between them (prorogation).

II. Determination of the Special Places of Jurisdiction

The special places of jurisdiction are abstract and thus need to be determined further.

1. Article 5 number 3 Brussels I/Brussels C/LC

At first, „the place where the harmful event occurred“ of article 5 number 3 Brussels I also seems to be easily identifiable. One might think that the harm could only occur at a single place. But this only applies to violations of personal rights whose place of action and place of occurrence is situated in a single state (local tort). 234  In contrast, the „place where the harmful event occurred“ is questionable in case the place of action and place of occurrence are situated in different states (distance tort): The „harmful event“ could be the action of the violator that causes violations of personal rights at the place of action as well as the occurrence of these violations at the place of occurrence. 235  Both places can „constitute significant connecting factors from the point of view of the jurisdiction“ 236  and „be particularly helpful from the point of view of the evidence and of the conduct of the proceedings“ 237 . Furthermore article 5 number 3 Brussels I needs to be interpreted in such a wide way because it „covers a wide diversity of claims“. 238  On the one hand, the exclusion of the place of occurrence would often lead to a coincidence of the remaining place of action of article 5 number 3 Brussels I and the place of the defendant‘s domicile of article 2 paragraph 1 Brussels I and therefore deprive article 5 number 3 Brussels I of its regulatory content. On the other hand, the exclusion of the place of occurrence would deny complainant a „helpful connecting factor with the jurisdiction of a court particularly near to the cause of damage“. 239  Therefore, both the place of action and the place of occurrence are covered by article 5 number 3 Brussels I („principle of the scene of an offence“ 240 ) and both can basically determine its special place of jurisdiction („principle of ubiquity“ 241 ), yet the complainant has to choose between one of them („limitation of the principle of ubiquity“ 242 ). 243

a) Comparability of International Private Law and the Law of International Jurisdiction

As in the case of article 40 paragraph 1 IAGCC 244 , the scene of the offence, which consists of the place of action and the place occurrence, determines the collision of laws. Thus, it is questionable, whether the results of article 40 paragraph 1 IAGCC can be adopted to article 5 number 3 Brussels I or have to be identified separately.

Basically both international private law and the law of international jurisdiction are confronted by a collision of laws. International private law faces the challenge to determine the right out of multiple substantive laws, whereas the law of international jurisdiction deals with the challenge of determining right jurisdictions. 245  Moreover, International private law and the law of international jurisdiction aim to achieve legal certainty and consistency. 246

Nevertheless, the law of international jurisdiction favours the defendant‘s interests of a nearby jurisdiction in contrast to the international private law‘s neutrality in finding the „closest connection“ between the facts of the case and the substantive laws. 247  In addition, the law of international jurisdiction allows multiple competing jurisdictions, whereas international private law searches the one right substantive law and wants to avoid the application of multiple substantive laws. 248

Hence, the initial situation of international private law and the law of international jurisdiction might resemble, but the underlying interests diverge. 249  That is why the international private law‘s determination of the scene of an offence cannot be adopted by the law of international jurisdiction and its determination of the scene of an offence. 250  Thus, the scene of an offence of article 5 number 3 Brussels I has to be determined separately, but some basic principles that are not based on the international private law‘s and the law of international jurisdiction‘s diverging interests can be adopted.

 

 

 

b) Violations of Personal Rights Caused by Content-Providers

aa) Place of Action

In case of violations of personal rights, the place of action of article 5 number 3 Brussels I is situated where the action that caused the violations took place. 251  On the internet, the location of the server, the location of the gateways and the location of the uploading computer are significant transition points of the information and could thus constitute a place of action. 252

The law of international jurisdiction needs to be close to the case and its evidences. Therefore every act, not only those that cause liability, are potential places of action. Even preparatory acts can serve the law of international jurisdiction‘s interest of a proximity. 253  Nevertheless, these potential places of action also have to be limited to essential acts, because the place of action has to provide information to assess the case. Hence, not every act – in particular preparatory acts – can constitute a place of action. To make sure that only places of action are determined that contribute information about the case it is necessary to connect the place of action with direct physical actions of the violating party. 254  That is why the automatic operations (location of the server and the gateways) of the internet after the physical action of the violator cannot constitute a place of action. 255  Moreover, the law of international jurisdiction protects the defendant by avoiding that he gets taken to court at places that are not reasonable. 256  Therefore, the places of action are limited to places that can be influenced by the defendant‘s behaviour. This also leads to the exclusion of the location of the server and the gateways. 257

Concerning the acts that relate to the internet, only the place of uploading corresponds to these requirements. 258  In case of businesses that are based on the division of labour, the place of upload has to be changed to the „place of the decision about the publication“. 259  These places have to be rebuttably presumed at the natural person‘s habitual residenceand the legal person‘s seat. 260

Furthermore, it is questionable, whether preparatory acts cause places of action. On the on hand, preparatory acts often consist of multiple acts and thus would constitute multiple places of action which would lead to legal uncertainty. 261  On the other hand, the violating information are created at the places of preparatory acts. Moreover, preparatory acts cannot be manipulated as easily as the place of upload. 262  At last, the law of international jurisdiction allows multiple places of action without the risk of legal uncertainty. 263  Therefore, preparatory acts constitute places of action. As mentioned, above they have to match certain criteria in terms of concrete and case-related actions. Hence, only preparatory acts that prepare a concrete violation of personal rights constitute a place of action (place of creation).

bb) Place of Occurrence

In case of violations of personal rights, the place of occurrence of article 5 number 3 Brussels I is located at the place, where the violation steps in. 264  At this moment, abstract personal rights become tangible. 265 Thus, personal rights are violated the moment the information is recognised by the violated party or third parties (place of distribution). 266  To define this place on the internet, it is required to distinguish between the different forms of communication.

aaa) Inter-individual Communications

In inter-individual communications, the place of occurrence is basically located at the place where the recipient recalls the information (place of recall). Usually this is the place of the habitual residence of natural persons and the place of the seat of legal persons. 267

Problematic is the question, whether the place of recall has to be limited to the place of habitual residence in case the sender intends the recipient to receive the information there but the recipient recalls the information at a temporary residence.

In favour of the place of recall speaks the argument that the violated party holds an interest of the place of occurrence being close to her. 268  Against the place of recall and argues the circumstance, that the sender cannot influence the place where the recipient recalls the information. 269  One could say that this is the usual risk of the ubiquity of information on the internet. Nevertheless, in individual communications, the sender unambiguously defines the recipient and the intended place of distribution. Moreover, the connection to the place of recall would virtually grant the recipient the opportunity of choosing his forum (forum shopping). Thus, the place of occurrence in individual communications has to be changed from the place of recall to the place of the habitual residence in case the recipient resides at a temporary residence.

An exception of this rule is made, if the defendant does not know about the habitual residence of the complainant. Here, the place of recall constitutes the place of occurrence. 270

bbb) Public Communications

In public communications on the internet, places of occurrence are basically set worldwide. 271  However, it is generally accepted that they have to be limited because worldwide places of jurisdiction would discriminate against the defendant by enabling the complainant to choose his most favourable forum (forum shopping) 272  whereas the reduction of the places of occurrence to a single one would deprive the complainant of his right of a fair trial 273 .

One opinion wants to reduce the places of occurrence by requiring a qualifying factor (quantitative reduction 274 ) 275 , whereas another opinion wants to limit the jurisdiction at the places of occurrence to the part of the damages that occurred in that state (mosaic theory) (qualitative limitation 276 ). 277

Against a qualitative limitation respectively the mosaic theory speaks the fact, that it leads to multiple proceedings and thus is not economical and stresses the complainant who has to lead proceedings in many different countries at the same time. 278  By doing this, article 5 number 3 Brussels I would cause a fragmentation of cases and jurisdictions which fosters legal discrepancies, although Brussels I aims to avoid such things. 279  Furthermore, the application of the mosaic theory virtually cancels the principle that the place of action and the place of occurrence of article 5 number 3 Brussels I are equally applied (principle of ubiquity). In addition, even the mosaic theory enables the complainant to choose his most favourable forum, yet makes it less beneficial. 280

Against a quantitative reduction argues the circumstance, that it allows the complainant to choose his most favourable jurisdiction law and lodge all damages there. However, this disadvantage can be eradicated by requiring a qualifying factor that reduces the places of occurrence to those that provide a balance between the complainant‘s and defendant‘s interests.

It remains to be examined, which that qualifying factor is. The reduction to the places where the information virtually gets recalled (place of factual recalls 281 ) is not technically accomplishable. Similarly, the place that unites the most recalls (quantitative core area) fails to be defined due to technical reasons. A reduction to places where the violated party holds a reputation needs to be rejected because violations of personal rights can equally occur to parties that hold no such reputation. Furthermore, a reduction to the violated party‘s relations to place of occurrence misjudges the possibility that violations of personal rights can be caused in addition to the relations of the violated party. 282

From this it follows, that the qualifying factor that reduces the places of occurrence needs to be an abstract one, which can be adjusted to the particular case. The factor has to exclude insignificant places to secure the defendant‘s interest of a close connection of jurisdiction and the case and evidences while including significant places to serve the complainant‘s right to judicial review. 283  Hence, a „qualified connection to the state of the place of occurrence“ has to be established. 284

ccc) Limited Communications

In limited communications on the internet, the places of occurrence are also basically determined through a „qualified connection to the state“. 285  Exceptions in favour of „the habitual residence of the violated party“ can be made in case the sender ensures that only members of certain states participate in the communication. 286

c) Violations of Personal Rights Caused by Access- and Host-Providers

In case of violations of personal rights that are caused by access- and host-providers, the place of action has to be changed from the place of upload to the place of where the access- and host-providers‘ actions are managed. 287  The places of occurrence stay the same.

2. Section 32 GCCP

Section 32 GCCP establishes a special place of jurisdiction at the district in which the performance was committed. Although the wording does not suggest it, section 32 GCCP regulates that the „law of the place where the delict was committed“ to be applicable. 288  Therefore the places of action and the places of occurrence deliver places of jurisdiction has to be applied. The interpretation conforms to the one of article 5 number 3 Brussels I. 289

3. Section 3 GTMA: Influence of the State of Origin Principle towards the Law of International Jurisdiction

The state of origin principle of section 3 GTMA respectively article 3 EUECD does not have an influence on the law of international jurisdiction. 290

III. Results of the Examination of the German Law of International Jurisdiction

The law of international jurisdiction copes with the internationality of violations of personal rights on the internet by allowing places of jurisdiction at the place of action and the places of occurrence. The numerous places of occurrence are restricted through a quantitative reduction (qualified connection to the state of the place of occurrence).

Conclusion

The evaluation of the civil liability for violations of personal rights on the internet challenges all levels of German civil law: German substantive law determines the concrete liability by the means of its general remedies and a special statue that establishes responsibilities of content, access- and host-providers, whereas German international private law and the German law of international jurisdiction evaluate international cases with their general instruments.

On the international level, the principle of the scene of an offence is of outstanding significance: The place of action and the place of occurrence determine international private law and the law of international jurisdiction. At this point, it has to be emphasised that international private law and the law of international jurisdiction solve the same problem differently due to different interests: In terms of international private law, the combination of a quantitative reduction (intended distribution) and a qualitative limitation (mosaic theory) emerges as a satisfying solution. In contrast, a qualitative limitation contradicts the interests and aims of the law of international jurisdiction, which is why the restriction of the multiple places of occurrence is accomplish by a quantitative reduction (qualified connection to the state of the place of occurrence) only.

*Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Universität Konstanz.


Fußnoten:

  1. Gounalakis/Rhode, Persönlichkeitsschutz im Internet, München 2002, marginal number (nm.) 36; Schwarz

    Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisses, 3.Auflage, München 2009, section (sect.) 16 mn.49.

  2. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet,             Frankfurt am Main 2007, page (p.) 16; Gounalakis/Rhode (footnote (fn.) 4), mns.36-185; Münch, Der Schutz vor Verletzungen der Persönlichkeitsrechte in den Neuen Medien, Frankfurt am Main 2004, p.9; Wanckel,      Persönlichkeitsschutz in der Informationsgesellschaft, Frankfurt am Main 1999, pages (pp.) 85 and the      following one (f.); Fechner,    Medienrecht, 9.Auflage, Ilmenau/Erfurt 2007, chapter (chap.) 4 mn.18.
  3. BVerfGE 30, 173; 34, 238; BGHZ 13, 334; 30, 7, 11 with further reference (wfr.); Ehmann, Das Allgemeine     Persönlichkeitsrecht, Jura 2011, p.437, p.438, pp.442f..
  4. See A I. 2. The General Personal Right.
  5. Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.37; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 marginal numbers (mns.) 49-51.
  6. Wagner, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 5, 5.Auflage, München 2009,  sect.823 mn.171; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 34.Auflage, München 2010, chap.41 mn.21.
  7. Ehmann (fn.6), p.437, pp.441f.; Wagner (fn.9), sect. 823 mn.171; Brox/Walker (fn.9), chap.41 mn.21.
  8. Ohrmann, Der Schutz der Persönlichkeit in Online-Medien, Wesel 2009, pp.66-73; Roth (fn.5), p.20;      Fechner (fn.5), chap.5 mns.4f.; Gounalakis/Rhode (fn.4), mns.75-98.
  9. Ohrmann (fn.11), pp.73-75; Fechner (fn.5), chap. 4 mns.23f.; Münch (fn.5), p.10.
  10. Gounalakis/Rhode (fn.4), mns.99-165; Brox/Walker (fn.9), chap.41 mn.21.
  11. Ehmann (fn.6), p.437, pp.440, 441; Fechner (fn.5), chap. 4 mns.53-55.
  12. Ehmann (fn.6), p.437, p.442; Ohrmann (fn.11), pp.50-53; Fechner (fn.5), chap. 4 mn.28.
  13. Ehmann (fn.6), p.437, pp.440f.; Gounalakis/Rhode (fn.4), mns.178-183.
  14. Ehmann (fn.6), p.437, p.440; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.185.
  15. Wagner (fn.9), sect. 825, mns.14, 4.
  16. Ehmann (fn.6), p.437, p.439; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mn.53.
  17. BGHZ 13, 334; 30,7, 12f.; BGH NJW 2006, 599 and the following (ff.) ; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mn.54.
  18. BGHZ 39,124; Ehmann (fn.6), p.437, p.439; Roth (fn.5), pp.26f.; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mn.55.
  19. BGHZ 26, 349; 143, 214; Ehmann (fn.6), p.437, pp.441f.; Roth (fn.5), p.28.
  20. BVerfGE 32, 373, 379; 34, 269, 281; WRP 2006, 1021; BGHZ 24, 72, 79; 27, 284, 286; 91, 233.
  21. BGH NJW 2006, 2477f.; OLG Hamm NJW 1983, 1436; LG Bonn JZ 1971, 56.
  22. BGHZ 106, 229, 233f.; Roth (fn.5), pp.28-31; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mn.59.
  23. See A I. Personal Rights.
  24. Ehmann (fn.6), p.437, pp.438f.; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mns.60f.
  25. Ohrmann (fn.11), pp.120-128; Fechner (fn.5), chap.4 mn.110.
  26. Roth (fn.5), pp.38f.; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, Köln 2005, pp.157f..
  27. Fechner, chap.4 mns.111, 119.
  28. Fechner (fn.5), chap.4 mn.120; similarly: Münch (fn.5), p.240.
  29. Wüllrich (fn.29), p.161.
  30. Ehmann, Jura 2011, p.437, p.445; Roth, pp.41f.; Klein, p.22; Fechner, chap.4 mn.121.
  31. Ohrmann (fn.11), pp.108-120; Fechner (fn.5), chap.4 mns.104-109; Schwarz/Wandt (fn.4), sect.16 mn.63.
  32. Fechner, chap.4 mn.74; Gounalakis/Rhode, mn.323; Schwarz/Wandt, sect. 20 mn.22.
  33. Fechner, chap.4 mn.104.
  34. Fechner, ic..
  35. BGHZ 30, 7, 14; Schwarz/Wandt, sect.16 mn.63 icw.sect.20 mn.23.
  36. Ohrmann, pp.128ff.; MüKo-Wagner, sect. 823 mn. 171; Schwarz/Wandt, chap.16 mn.49.
  37. BGHZ 20, 345, 347; 26, 349, 351; OLG München, NJW 1988, pp.915f; Helle, p.50; Roth, pp.44f..
  38. Sect. 184: RGZ 140, 392, 395; sect. 186: BGHZ 95, 212; OLG Düsseldorf, NJW 1978, 704; RGZ, 115, 74,        79; 156, 372, 374; sects. 185-187: Fechner, chap.4 mn. 141; Roth, pp.44f.; Gounalakis/Rhode, mn.158.
  39. Gounalakis/Rhode, mn.176.
  40. Sect. 202: RGZ 94, 1, 2; sect. 203: OLG Hamm, MedR 1995, 328f..
  41. See A. I. 1..
  42. Fechner, chap. 5 mn.100; Gounalakis/Rhode, mn.97.
  43. Except for the postmortem GPR.
  44. Roth, p.46; Gounalakis/Rhode, mn.359.
  45. BGHZ 26, 349; Schwarz/Wandt (fn.?), sect.16 mn.64.
  46. BVerfGE 34, 369; BGHZ 35, 363; 39, 124, 131f.; 143, 214, 218f.; Schwarz/Wandt (fn.?), sect.16 fn.126,  mn.67.
  47. Ohrmann (fn.11), pp.134f.; Roth (fn.5), pp.42-44; Wüllrich (fn.29), pp.168f..
  48. Ohrmann (fn.11), pp.135-137.
  49. See B. II. 3. b) bb) aaa) (1) Place of Action.
  50. See A. IV. 2. Responsibility of Content-Providers.
  51. See A. IV. 3.-5..
  52. EUECD recitals 14, 22, 40, 42, 45, 46; Ohrmann (fn.11), pp.149f.; Fechner (fn.5), chap.12 mn.22; Freytag,

    in: Verantwortlichkeit im Netz, Bayreuth 2003, p.143.

  53. Ohrmann (fn.11), p.150 and fn.775; Fechner (fn.5), chap.12 mn.33.
  54. BGH MMR 2004, p.166, p.167; BT-Drucks.13/7385 p.20; BT-Drucks.13/7385 p.51; Ohrmann (fn.11), p.   151; Fechner (fn.5), chap.12 mn.33; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.264.
  55. Ohrmann (fn.11), p.150 and fn.776 wfr.; Münch (fn.5), p.174.
  56. Ohrmann (fn.11), p.176; Fechner (fn.5), chap.12 mns.34-38.
  57. Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.274.
  58. BGH MMR 2010, 556; BGH MMR 2004, 668; OLG Zweibrücken MMR 2009, 541; OLG Hambrug ZUM 2009, 642; KG Berlin MMR 2010, 203.
  59. Kohl, Die Haftung der Betreiber von Kommunikationsforen im Internet und virtuelles Hausrecht, Regensburg 2007, pp.51f..
  60. BT-Drucks. 13/7385 p.19.
  61. Ohrmann (fn.11), pp.176-184.
  62. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  63. EUECD recital 42; Ohrmann (fn.11), p.195; Fechner (fn.5), chap.12 mns.39-41; Hoeren, p.452.
  64. Ohrmann (fn.11), p.189; Fechner (fn.5), chap.12 mn.42.
  65. Fechner (fn.5), chap.12 mn.50.
  66. Münch (fn.5), p.213.
  67. Münch (fn.5), ibid.em (ibid.).
  68. Ohrmann (fn.11), p.187 and fn.922 wfr..
  69. Ohrmann (fn.11), p.187; Münch (fn.5), pp.213f.; Fechner (fn.5), chap.12 mn.48.
  70. BGHZ 158, 236 ff..
  71. Ohrmann, pp.152ff.; Hoeren (fn.65), pp.452 f.; Fechner, chap.12 mn.50.
  72. Wüllrich (fn.29), p.187; Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, München 2000, p.123; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.8; Härting, Internetrecht, Berlin 1999, pp.1f..
  73. Rauscher, Internationales Privatrecht – Mit internationalem und europäischem Verfahrensrecht, 3.Auflage, Heidelberg 2009, mns.47, 49-51, 55, 66; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6.Auflage, Hamburg 2006, sect.4 I., IV..
  74. Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.8; Rauscher (fn.55), mns.46; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht,      9.Auflage, München 2004, sect.7 I.; v.Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, sect.6 mn.1.
  75. ontrary to: Section 46 of the internation private law of the People‘s Republic of China; section 28 paragraph          3 of the international private law of the Republic of China on Taiwan; article 139 of the Switzerland’s Federal Code on Private International Law.
  76. 3 German Internatonal Jurisdiction.
  77. BT-Drucks. 14/343, p.10; Wüllrich (fn.29), p.261; Münch (fn.5), p.255; Lütcke (fn.54), p.123; v.Hinden,    Persönlichkeitsverletzungen im Internet, Hamburg 1999, p.39.
  78. Schmidt, Grundlagen des europäischen internationalen Privatrechts, Jura 2010, 117, 117f.; Kropholler (fn.  55), sect.10 III..
  79. Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2007: Windstille im Erntefeld der Integration, IPrax 2007, p.   493, p.494; Wagner, Internationales Deliktsrecht, die Arbeiten an der Rom II-Verordnung und der     Europäisches Deliktsgerichtsstand, IPRax 2006, p.372, p.384; idem, Änderungsbedarf im autonomen deutschen internationalen Privatrecht aufgrund der Rom II-Verordnung? Ein Überblick über den   Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Rom II-Verordnung, IPRax 2008, p.314, p.316; v.Hein, Die Kodifikation des europäischen IPR der  außervertraglichen Schuldverhältnisse vor dem Abschluss, VersR 2007, p.440; Thorn, in: Palandt   Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Rome II 1 mn.10; Wurmnest (fn.76), article (art.) 40 IAGCC

    mn.67.

  80. BT-Drucks. 14/343, p.10; Wüllrich (fn.29), p.274; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.9; Junker, in: Münchener    Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 11, Auflage 5, München 2010, art.40 IAGCC mn.72;  Kropholler (fn.55), sect.53 V.4.; Thorn (fn.61), art.40 IAGCC mn.10.
  81. BT-Drucks. 14/343, p.10; Wüllrich (fn.29), p.274; Kristin, Das Deliktsstatut bei    Persönlichkeitsrechtsverletzungen über das Internet, München 2001, pp.87f..
  82. Wüllrich (fn.29), p.274; Neu, Die kollisionsrechtliche Behandlung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im   Internet, Bielefeld 2002, pp.24f.; v.Hinden (fn.59), p.40; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.84.
  83. Wüllrich (fn.29), p.276; Neu (fn.64), pp.27f.; Kristin (fn.63), p.90; Lütcke (fn.54), pp.127f..
  84. Rauscher (fn.55), mn.1289.
  85. Junker (fn.62), art.40 IAGCC mns.12-15.
  86. BT-Drucksache 14/343, p.11; Litterscheid, Das Bestimmungsrecht des Verletzen aus Art.40 Abs. 1 S. 2 und

    S. 3 EGBGB, Bonn 2005, pp.29-31.

  87. Wüllrich (fn.29), pp.66f.; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.29; v.Hoffmann/Thorn (fn.56), sect.11 mns.22f..
  88. BT-Drucksache 14/343, p.11.
  89. Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.22.
  90. Rauscher (fn.55), mn.1255; Wüllrich (fn.29), p.272.
  91. BT-Drucksache 14/343, pp.10, 11; Wüllrich (fn.29), p.270; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.22.
  92. Wüllrich (fn.29), p.72; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.78.
  93. v.Hinden (fn.59), p.76.
  94. Wüllrich (fn.29), p.273; Wurmnest (fn.76), in: juris Praxiskommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Band 6     Internationales Privatrecht, 5.Auflage, 2010, art.40 IAGCC mn.71; Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4.Auflage, Köln 2009, art.40 IAGCC mn.23.
  95. See B II. 3. a) Basic Rule.
  96. Wüllrich (fn.29), pp.273, 278ff.; Junker (fn.62), art.40 mns. 74-76; Wurmnest (fn.76), ibid.; Schaub (fn.76),     ibid.; Kropholler (fn.55), sect.53 V.4..
  97. See B II. 3. b) bb) aaa) (1) Place of Action concerning the place of action of violations of personal rights on     the internet.
  98. Wüllrich (fn.29), p.272; v.Hinden (fn.59), p.55; Lütcke (fn.54), p.129; Junker (fn.62), art.40 mn.76;       Wurmnest (fn.76), art.40 IAGCC mn.72.
  99. Wüllrich (fn.29), p.273.
  100. Wüllrich (fn.29), p.69; v.Hinden (fn.59), p.79; Wurmnest (fn.76), art.40 IAGCC mn.73; v.Hoffmann, in: J. von Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2001, Berlin, art.40 IAGCC  mn.59.
  101. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Bielefeld        1999, p.122; v.Bar, Internationales Privatrecht Band 2: Besonderer Teil, München 1991, mn.665; Hohloch, Rechtsprechungsübersicht, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem Art 5 Nr 3 EuGVÜ, JuS 1995,     928f.; Schack, Die grenzüberschreitende Verletzung allgemeiner Urheberpersönlichkeitsrechte, UFITA 108 (1998), 51, 64.
  102. Wüllrich (fn.29), p.70.
  103. v.Hinden (fn.59), pp.80, 81 ate., 82 , 83 ate.; v.Hoffmann (fn.82), art.40 IAGCC mn.59.
  104. Wüllrich (fn.29), p.70; v.Hinden (fn.59), p.80.
  105. Wüllrich (fn.29), ibid., pp.300f.; v.Hinden (fn.59), ibid..
  106. v.Hinden (fn.59), p.81 ate..
  107. v.Hinden (fn.59), p.110.
  108.           OLG Celle OLGR 2003, p.43; OLG Düsseldorf AfP 2009, 159; Spickhoff, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet: Internationale Zuständigkeit und Kollisionsrecht, IPrax 2011, p.131, p.132; v.Hinden (fn.59), pp.98-101, 110f.; Kropholler (fn.55), sect.53 V.4..
  109. v.Hinden (fn.59), p.88.
  110. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  111. Wüllrich (fn.29), p.50; v.Hinden (fn.59), p.9.
  112. See A. IV. 2..
  113. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  114. Loewenheim/Koch, Praxis des Online-Rechts, Frankfurt/München 1998, p.56; zur Mühlen (fn.98), p.3.
  115. zur Mühlen (fn.98), p.5; Kuner, Internet für Juristen – Zugang – Recherche – Kommunikation – Sicherheit –   Informationsquellen, Frankfurt am Main 1996, pp.15-18.
  116. Roth (fn.5), p.7; Münch (fn.5), p.21.
  117. Loewenheim/Koch, pp.28f.; zur Mühlen, Internet: Historie und Technik, Arbeitsberichte des Instituts für      Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster – Arbeitsbericht Nr. 66, p.3; v.Hinden (fn.59), pp.54, 67.
  118. Kuner (fn.96), p.18; Wanckel (fn.5), p.55.
  119. Wüllrich (fn.29), p.74; v.Hinden (fn.59), p.13f..
  120. LG Düsseldorf, ibid.; Loewenheim/Koch (fn.95), pp.460f..
  121. Loewenheim/Koch (fn.95), ibid..
  122. v.Hinden (fn.59), pp.62f..
  123. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (a) Inter-individual Communication.
  124. Wüllrich (fn.29), p.73; similarly: v.Hinden (fn.59), pp.10f..
  125. v.Hinden (fn.59), pp.63-65.
  126. v.Hinden (fn.59), pp.67f..
  127. v.Hinden (fn.59), pp.65-67.
  128. Wüllrich (fn.29), pp.284f., 306; Münch (fn.5), p.256; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.12; Lütcke (fn.54), pp.128f.; v.Hinden (fn.59), pp.68-71, 77; Kristin (fn.63), p.135; Neu (fn.64), p.40.
  129. Mankowski, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ 63 (1999), pp.203, 265ff.;           v.Hinden (fn.59),p.71; Kristin (fn.63), ibid..
  130. Lütcke (fn.54), p.129.
  131. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action; especially for violations of personal rights: v.Hinden (fn.59),

    pp.73-77.

  132. See B II. 3. b) aa) bbb) Place of Occurrence.
  133. The various possibilites of using the internet are referred to as „services“.
  134. Important forms: IRC, Webchat (facebook chat), Instant Messaging (QQ, ICQ, MSN) and Voicechat

    (Skype).

  135. Roth (fn.5), p.223; v.Hinden (fn.59), p.112.
  136. Neu (fn.64), p.46; Kristin (fn.63), p.148; v.Hinden (fn.59), p.114.
  137. Wurmnest (fn.76), art.40 IAGCC mn.78; v.Hoffmann (fn.82), art.40 IAGCC mn.63.
  138. Neu (fn.64), p.46; Kristin (fn.63), p.148; Wurmnest (fn.76), ibid.; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.81.
  139. v.Hinden (fn.59), p.116.
  140. Neu (fn.64), p.43 ate.; v.Hinden (fn.59), p.118.
  141. See B. II. 3. b) bb) aaa) (1).
  142. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  143. Roth (fn.5), pp.235-237; Neu (fn.64), pp.43, 44; v.Hinden (fn.59), pp.121-125.
  144. Roth (fn.5), pp.237-240; v.Hinden (fn.59), pp.125-129.
  145. Neu (fn.64), p.44.
  146. Roth (fn.5), pp.242f.; Neu (fn.64), p.43; v.Hinden (fn.59), p.139.
  147. See B II. 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  148. Riegl, Streudelikte im internationalen Privatrecht, Augsburg 1986, pp.4f..
  149. Münch (fn.5), pp.257, 258.
  150. Münch (fn.5), p.257 wfr..
  151. Wagner, Ehrenschutz und Pressefreiheit im europäischen Zivilverfahrens- und Internationalen Privatrecht,    RabelsZ 62 (1998), p.243, pp.279ff..
  152. Neu (fn.64), pp.105-139; Kristin (fn.63), pp.154-181; v.Hoffmann (fn.82), art.40 mns.26 ate., 66; v.Hoffman/

    Thorn (fn.56), sect.11 mn.32.

  153. v.Hinden (fn.59), pp.186f..
  154. Lütcke (fn.54), pp.135f..
  155. Gounalakis/Rhode (fn.4), mns.20f..
  156. Wüllrich (fn.29), p.289.
  157. Mankowski, (fn.110) p.203, pp.270f.; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.79; Wurmnest (fn.76), art.40 mn.77;            Rauscher (fn.55), mns.1265f.; Kropholler (fn.55), sect.53 V.4.; Kegel/Schurig (fn.56), sect.18 IV.1.b); for         jurisdiction: ECJ C-68/93, Fiona Shevill et al. vs Presse Alliance SA (NJW 1995, 1881).
  158. Münch (fn.5), p.258.
  159. See B II. 3. a) Basic Rule.
  160. Wüllrich (fn.29), pp.303-306.
  161. Wagner (fn.131), p.243, p.285.
  162. See B I. Qualification of Violations of Personal Rights on the Internet.
  163. v.Hoffmann (fn.82), art.40 IAGCC mn.62.
  164. Wüllrich (fn.29), p.297.
  165. Wüllrich (fn.29), p.295.
  166. See Introduction.
  167. Wüllrich (fn.29), pp.300f..
  168. Wüllrich (fn.29), p.301.
  169. ECJ C-68/93, Fiona Shevill et al. vs Presse Alliance SA (NJW 1995, 1881).
  170. v.Hoffmann (fn.82), art.40 IAGCC mn.60.
  171. See B II. 3) b) aa) bbb) Place of Occurrence.
  172. Wüllrich (fn.29), pp.303f..
  173. Münch (fn.5), p.258.
  174. Wüllrich (fn.29), pp.303-306.
  175. See B II 3. b) aa) bbb) Place of Occurrence.
  176. See B II 3. a) Basic Rule.
  177. Wüllrich (fn.29), p.305.
  178. Wüllrich (fn.29), p.219.
  179. See B II. 3) b) aa) bbb) Place of Occurrence.
  180. v.Hinden (fn.59), p.197.
  181. Wüllrich (fn.29), pp.51f.; Münch (fn.5), p.26; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.290.
  182. Wüllrich (fn.29), pp.52f.; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.278; v.Hinden (fn.59), p.9.
  183. See A IV. On the Internet: Responsibility of Content-, Access- and Host-Providers.
  184. Lütcke (fn.54), p.140.
  185. Neu (fn.64), p.147; Kristin (fn.63)a, p.136; v.Hinden (fn.59), pp.201, 206.
  186. Kristin (fn.63), p.136.
  187. Kristin (fn.63), p.137.
  188. Kristin (fn.63), pp.136f.; v.Hinden (fn.59), 201.
  189. Neu (fn.64), pp.144-147.
  190. Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.13; v.Hinden (fn.59), p.203; v.Hoffmann (fn.82), art.38 IAGCC mn.482.
  191. v.Hinden (fn.59), pp.203f..
  192. Mankowski (fn.131), p.243, p.287; Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.13; Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.75; v.Hoffmann (fn.82), art.40 IAGCC mn.58; Wurmnest (fn.76), art.40 IAGCC mn.71.
  193. v.Hinden (fn.59), pp.203f..
  194. Neu (fn.64), p.148; Kristin (fn.63), p.153; v.Hinden (fn.59), pp.204-206.
  195. Rauscher (fn.55), mn.1297.
  196. Like „treble damages“ or „punitive damages“ in the law of the United States of America.
  197. Rauscher (fn.55), ibid.; Kropholler (fn.55), sect.53 IV.6..
  198. Rauscher (fn.55), mn.1296; Kropholler (fn.55), ibid..
  199. Kropholler (fn.55), sect.53 IV.4..
  200. BT-Drucksache 14/343 pp.8, 15.
  201. Junker (fn.62), art.41 IAGCC mns.25, 26.
  202. Junker (fn.62), art.41 IAGCC mn.27.
  203. Junker (fn.62), art.42 IAGCC mn.29.
  204. Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.120; Rauscher (fn.55), mn.1252.
  205. Junker (fn.62), art.40 IAGCC mn.121; Rauscher (fn.55), mn.1260.
  206. Junker (fn.62), ibid..
  207. Gounalakis/Rhode (fn.4), mn.35.
  208. Wüllrich (fn.29), p.359; Münch (fn.5), p.254; Wurmnest (fn.76), art.40 IAGCC mn.80.
  209. ECJ C-509/09, eDate Advertising vs X (submitted by BGH EuZW 2010, 313).
  210. Roth (fn.5), p.58; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht – Kommentar, 8.Auflage, Frankfurt am Main     2005, sect.58 I.2..
  211. Grunsky, Zivilprozessrecht, 13.Auflage, Bielefeld 2008, mn.68 ate..
  212. Rauscher (fn.55), mn.1601.
  213. Articles 2 paragraph 1, 5 number 3 Brussels C are identical to those of Brussels I.
  214. Although article 1 paragraph 3 Brussels I excludes Denmark from its field of application, Denmark signed an   agreement which has the same regulatory content as Brussels I on the 01.07.2007 (OJ EU 2005 L 299/62).
  215. Rauscher (fn.55), mn.1600; Grunsky (fn.191), mn.68.
  216. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4.Auflage, Kiel 2006, mn.234 irw. mn.235 ate..
  217. Rauscher (fn.55), mn.1604.
  218. Article 59 paragraph 1 Brussels I is identical to article 52 paragraph 1 Brüssels C.
  219. According to article 53 paragraph 1 Brussels C only the seat of a company or legal person is sufficient.
  220. Rauscher (fn.55), mn.1640.
  221. Rauscher (fn.55), mn.1648.
  222. Rauscher (fn.55), mn.1649.
  223. ECJ 189/87, Kalfelis vs Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co; Rauscher (fn.55), mns.1684-1686.
  224. ECJ ibid.; Rauscher (fn.55), mn.1687.
  225. Kropholler (fn.190), art.5 mn.75; Rauscher (fn.55), mn.1686.
  226. Rauscher (fn.55), mn.1683.
  227. Rauscher (fn.55), mn.1651.
  228. Articles 17f. Brussels C are similar.
  229. See C I. 1. European Union: The Brussels Convention and the Brussels I Regulation.
  230. Articles 2 paragraph 1 and 5 number 3 LC are equal to those of Brussels I except for their addressees.
  231. Rauscher (fn.55), mns.2013-2015; Grunsky, mn.68.
  232. Rauscher (fn.55), mn.2023; Grunsky, ci..
  233. Grunsky (fn.191), mn.65.
  234. Rauscher (fn.55), mn.1688.
  235. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mns.13f.; Roth (fn.5), p.168; Rauscher      (fn.55), mn.1691; Kropholler (fn.190), art.5 mn.81.
  236. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mn.15.
  237. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mn.17.
  238. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mn.18.
  239. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mns.20f..
  240. Spickhoff (fn.90), p.131, pp.131f.; Wüllrich (fn.29), p.204.
  241. Wüllrich (fn.29), ibid..
  242. In case of international private law: Rauscher (fn.55), mn.1255.
  243. ECJ C-21/76, Bier vs Mines de potasse d‘Alsace (NJW 1977, 493), mns.24f.; Rauscher (fn.55), ibid.;    Kropholler (fn.190), ibid..
  244. See B II 3. a) Basic Rule.
  245. Roth (fn.5), p.74.
  246. Roth (fn.5), pp.76f..
  247. Roth (fn.5), pp.78f..
  248. Roth (fn.5), pp.79f..
  249. Roth (fn.5), pp.85f..
  250. Roth (fn.5), pp.85f..
  251. Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 6.Auflage, Köln 2007, sect.3 mn.68; Kropholler (fn.190),      art.5 mn.81.
  252. See B II 3. b) aa) aaa) Place of Action.
  253. Roth (fn.5), pp.193f..
  254. Roth (fn.5), pp.193-196.
  255. Roth (fn.5), pp.196f..
  256. See C II. 1. a) Comparability of International Private Law and Law of International Jurisdiction; Roth (fn.5),         pp.     200-205.
  257. Roth (fn.5), p.205.
  258. Spickhoff (fn.90), p.131, p.132; ; Nagel/Gottwald (fn.231), sect.3 mn.71; v.Hoffmann (fn.82), art.40 mn.101.
  259. Roth (fn.5), pp.198, 205.
  260. Roth (fn.5), pp.206-211.
  261. Wüllrich (fn.29), p.231.
  262. Mankowski (fn.110), p.243, pp.262ff..
  263. See C II. 1. a) Comparability of International Private Law and the Law of International Jurisdiction; Roth

    (fn.5),  p.188.

  264. Nagel/Gottwald (fn.231), sect.3 mn.68; Kropholler (fn.190), art.5 mn.81.
  265. See B II. 3. b) aa) bbb) Place of Occurrence; Roth (fn.5), pp.214-221.
  266. See B II. 3. b) aa) bbb) Place of Occurrence; Roth (fn.5), p.221.
  267. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (a) Inter-individual Communication.
  268. See C II. 1. a) Comparability of International Private Law and the Law of International Jurisdiction.
  269. Roth (fn.5), p.228.
  270. Roth (fn.5), p.231.
  271. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (b) Public Communication.
  272. Schütz, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts,     2.Auflage, Berlin 2005, mns.114-121; Köhler/Arndt/Fetzer, Recht des Internet, 5.Auflage, Stuttgart/ Mannheim 2006, p.277.
  273. Spickhoff (fn.90), p.131, p.132.
  274. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (b) (dd) Assessment and Conclusion.
  275. Sujecki, Persönlichkeitsverletzungen über das Internet und gerichtliche Zuständigkeit, K&R 2011, p.315,

    pp.316-318; Spickhoff (fn.90), p.131, pp.131-133; Roth (fn.5), pp.338f..

  276. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (b) (dd) Assessment and Conclusion.
  277. ECJ C-68/93, Fiona Shevill et al. vs Presse Alliance SA (NJW 1995, 1881).
  278. Spickhoff (fn.90), p.131, pp.132f..
  279. Wüllrich (fn.29), p.217.
  280. Wüllrich (fn.29), p.219.
  281. See B II. 3. b) bb) aaa) (2) (b) (aa) Places of Recallability.
  282. Roth (fn.5), pp.269-271.
  283. Roth (fn.5), pp.276..
  284. BGH 29.03.2011 Az.VI ZR 111/10; BGHZ 184, p.313; Spickhoff (fn.90), p.131, p.132; Roth (fn.5),

    pp.293f..

  285. Roth (fn.5), 290-293.
  286. Roth (fn.5), pp.292 & 293.
  287. See B II. 3. b) bb) bbb) Violations of Personal Rights Caused by Access- and Host-Providers.
  288. Nagel/Gottwald (fn.231), sect.3 mn.356.
  289. Rauscher (fn.55), mn.2024.
  290. Wüllrich (fn.29), pp.358f..

Die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags

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stud. jur. Nina Faehling, Universität Berlin*

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Seit seiner ersten Erhebung wird die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags kontrovers diskutiert. Sowohl die Gerichte, als auch die Literatur haben sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Besondere Brisanz hat diese Thematik nun durch die BFH Urteile vom 21.07.2011 (II R 52/09; II R 52/10) erlangt. Dort hat der BFH den Solidaritätszuschlag für das Streitjahr 2005 und 2007 erneut für verfassungskonform erklärt. Die öffentliche Diskussion ist mit diesen Entscheidungen noch lange nicht beendet. Für ihren lebendigen Fortgang sorgt nicht zuletzt der starke politische Bezug des Solidaritätszuschlags.

 

I. Einleitung

Dieser Beitrag distanziert sich von der politischen Kontroverse und analysiert die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags aus einer juristischen Perspektive.

Dafür wird der Solidaritätszuschlag zunächst allgemein dargestellt, seine Entwicklung veranschaulicht und in die Finanzverfassung eingeordnet. Darauf folgt eine Klassifizierung, Darstellung und Auswertung der bisherigen Rechtsprechung zur Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags. Anhand der ergangenen Entscheidungen werden Kriterien erarbeitet, an denen eine Prüfung der Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags vorgenommen wird. Abschließend  wird eine Schlussfolgerung gezogen und ein Ausblick gegeben.

 

II. Allgemeines zum Solidaritätszuschlag

Nach § 1 Abs. 1 SolZG 1995 wird ein Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer (ESt) und Körperschaftsteuer (KSt) erhoben. Derzeit beträgt er nach § 4 SolZG 1995 5,5 % der Bemessungsgrundlage. Mit dem Solidaritätszuschlag in der Fassung des SolZG 1995 sollen primär die Kosten der Deutschen Einheit getragen werden. Darüber hinaus soll er zur Schließung des allgemeinen finanziellen Mehrbedarfs des Bundes beitragen. 1  Der Gesetzgeber hält ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen in Form des Solidaritätszuschlags zur Erreichung dieser Ziele für unausweichlich. 2  Die Notwendigkeit des Solidaritätszuschlags soll nach Aussage des Gesetzgebers mittelfristig überprüft werden. 3  Bis jetzt hat eine solche Überprüfung noch nicht stattgefunden. 4  Obwohl die Einführung des Solidaritätszuschlags zeitlich und wirtschaftlich mit dem Beitritt der neuen Bundesländer zusammenfiel, sollte durch seine Erhebung stets auch der allgemeine finanzielle Mehrbedarf des Bundes gedeckt werden. 5  Das in der Bevölkerung überwiegend herrschende Bild vom Solidaritätszuschlag als Instrument zur ausschließlichen Förderung der neuen Bundesländer ist somit verkürzt.

III. Entwicklung des Solidaritätszuschlags

Durch das Finanzverfassungsgesetz (FinanzverfG) (BGBl I 1955 S. 817) wurde 1955 die Kompetenz zur Einführung einer Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt geschaffen (Art. 105 Abs. 2 i.V. mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 n.F. GG). Von ihr wurde erstmals 1967 Gebrauch gemacht. Durch das Ergänzungsabgabengesetz (BGBl I 1967 S. 1254) wurde eine Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt in Höhe von 3 % eingeführt. 6  Die Ergänzungsabgabe zur ESt endete 1975, die zur KSt 1977. 7  Auf der Grundlage von Art. 105 Abs. 2 i.V. mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG folgte auch die Erhebung des ersten Solidaritätszuschlags mit dem SolZG 1991 (BGBl I 1991 S. 1318). In dem SolZG 1991 wurde ein befristeter Solidaritätszuschlag für den Zeitraum 01.07.1991 – 30.06.1992 erhoben. Der Solidaritätszuschlag betrug 3,75 %. Es folgte eine Aussetzung des Solidaritätszuschlags bis zu seiner Wiedereinführung 1995 mit dem Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (BGBl I 1993 S. 975). Zunächst betrug er 7,5 %. 8  Im Jahre 1998 wurde er auf 5,5 % abgesenkt. Das SolZG 1995 ist heute noch in Kraft und zeitlich nicht begrenzt. 9

 

IV. Einordnung in die Finanzverfassung

Für die Beurteilung der Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags ist die Darstellung der Grundzüge der Finanzverfassung unerlässlich, deshalb wird sie im Folgenden überblickartig dargestellt.

1. Die Finanzverfassung

Das Finanzverfassungsrecht im engen Sinne ist in Art. 104 a-108 GG enthalten und betrifft die Abgabenzuständigkeit (Art. 104a, 104b, 106a GG), die Steuergesetzgebungszuständigkeit (Art. 105 GG), die Steuerertragszuständigkeit (Art. 106, 106b, 107 GG) und die Verteilung der Steuerverwaltungszuständigkeit (Art. 108 GG). 10  Dabei wird der Steuerbegriff im GG nicht definiert. 11  Jedoch ist allgemein anerkannt. 12  dass die einfachgesetzliche Definition in § 3 Abs. 1 AO zugrunde gelegt werden kann. Demnach sind Steuern Geldleistungen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht anknüpft, die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.

a) Steuergesetzgebungshoheit

Art. 105 Abs. 1 GG spricht dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über Zölle und Finanzmonopole zu. Die konkurrierende Gesetzgebung hat er nach Art. 105 Abs. 2 GG über die übrigen Steuern, wenn ihm deren Aufkommen zumindest teilweise zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Die umfassende Gesetzgebungskompetenz des Bundes wird in der Literatur teilweise auf den Katalog des Art. 106 GG begrenzt. 13  Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden zumindest teilweise zufließen, bedürfen nach Art. 105 Abs. 3 GG der Zustimmung des Bundesrates.

b) Steuerertragshoheit

In Art. 106 GG wird die Verteilung der steuerlichen Erträge auf Bund, Länder und Gemeinden geregelt. 14  Diese Verteilung bildet den Kern des Finanzausgleichs, wobei der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern als vertikaler und der zwischen den Ländern als horizontaler bezeichnet wird. 15  Der Bund darf die in Art. 106 Abs. 1 GG aufgezählten Bundessteuern, wie Zölle, Verbrauchsteuern und auch die Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt, für sich vereinnahmen. 16  In Art. 106 Abs. 2 GG werden die Steuern aufgezählt, die den Ländern zustehen, z.B. die Vermögens-, Erbschafts- oder Biersteuer. In Art. 106 Abs. 3 GG wird festgelegt, dass die ESt, KSt und Umsatzsteuer Gemeinschaftsteuern sind, also dem Bund und den Ländern gemeinsam zustehen. Die Ertragszuweisung für die kommunale Ebene erfolgt nach Art. 106 Abs. 6 GG. 17  Den horizontalen Finanzausgleich regelt Art. 107 GG. 18

c) Steuerverwaltungszuständigkeit

Nach Art. 108 Abs. 1 GG hat der Bund die Verwaltungskompetenz über Zölle, Finanzmonopole, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern und Abgaben im Rahmen der EU. Die übrigen Steuern werden nach Art. 108 Abs. 2 GG durch die Landesfinanzbehörden verwaltet. Bei der Verwaltung von Steuern, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen werden sie nach Art. 108 Abs. 3 GG im Auftrag des Bundes tätig.

2. Der Solidaritätszuschlag in der Finanzverfassung

Mit diesem Hintergrund kann der Solidaritätszuschlag verfassungsrechtlich eingeordnet werden. Nach § 1 SolZG 1995 wird der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt erhoben. Der Begriff „Ergänzungsabgabe“ knüpft an die Ertragszuweisungsnorm Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG an. Im Zusammenhang mit Art. 105 Abs. 2 GG besteht die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt. Die Verwaltung des Solidaritätszuschlags obliegt nach Art. 108 Abs. 2 GG den Landesfinanzbehörden, die nach Art. 108 Abs. 3 GG im Auftrag des Bundes tätig werden. Der Solidaritätszuschlag wird auch als Annexsteuer zur ESt und KSt bezeichnet, da er die zu versteuernde Einkommen zusätzlich belastet. 19  Die Stellung des Solidaritätszuschlags in der Finanzverfassung, macht seine Erforderlichkeit zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Bundes deutlich. Sein Aufkommen beträgt ca. 13 Mrd €. 20  Erhöhungen der ESt und KSt könnten zu keinem gleichwertigen Ergebnis führen, da ihr Aufkommen als Gemeinschaftsteuern immer dem Bund und den Ländern gemeinsam zufließt.

V. Bisherige Rechtsprechung

Die Rechtsprechung hat sich ausführlich mit der Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags beschäftigt. Im Folgenden wird die relevante Rechtsprechung exemplarisch in sechs Perioden eingeteilt, dargestellt und ausgewertet. Dabei bezieht sich die erste Periode auf die Ergänzungsabgabe von 1968 und die Zulässigkeit ihrer fehlenden Befristung. Die zweite Periode beschäftigt sich mit der Rückwirkungsproblematik des SolZG 1991. Die dritte Periode befasst sich ebenfalls mit dem SolZG 1991. Die Frage ist hier hingegen, ob der Solidaritätszuschlag eine Steuer oder vielmehr eine unzulässige Sonderabgabe darstellt. In der vierten Periode wird die Verfassungskonformität des SolZG 1995 hinsichtlich seiner fehlenden Befristung gerügt. In der fünften und sechsten Periode ging es ebenfalls um die fehlende Befristung des SolZG 1995, die spätestens seit dem VZ 2005 bzw. 2007 verfassungswidrig sei.

1. Fehlende Befristung der Ergänzungsabgabe von 1968

Die für die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags maßgebliche Entscheidung ist der Beschluss des BVerfG 21  aus dem Jahre 1972, in dem es die Ergänzungsabgabe von 1968 für verfassungskonform erklärt. Zwar bezieht sich der Beschluss inhaltlich nicht auf den Solidaritätszuschlag, sondern auf die 1968 erhobene Ergänzungsabgabe, trotzdem ist diese Entscheidung der zentrale Anknüpfungspunkt für die folgenden Rechtsprechungsperioden, denn bei dem Solidaritätszuschlag handelt es sich um eine Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, so dass die 1972 aufgestellten Grundsätze für die Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe uneingeschränkt Anwendung finden.

a) Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe

In diesem Beschluss stellt das BVerfG Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 n.F. GG) auf, in deren Ausgestaltung sie zulässig ist. Demnach muss die Abgabe eine Ergänzung der ESt und KSt darstellen, also ihrer Struktur ähneln und auf ihrer Systematik aufbauen. Das BVerfG stellt klar, es sei nicht verfassungsrechtlich geboten eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen. Als Argument gegen das Erfordernis einer Befristung führt das BVerfG ihre Funktion die Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfs des Bundes auf. Es weist darauf hin, dass bei den Beratungen zum FinanzverfG bedacht wurde, dass sich auch für längere Zeit ein Mehrbedarf des Bundes ergeben könne, der nicht durch Erhöhung der Gemeinschaftsteuern gedeckt werden könne. Das BVerfG greift Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren auf, nach denen die Ergänzungsabgabe zur Befriedigung „anderweitig nicht auszugleichender Bedarfsspitzen im Haushalt“ und „in Notfällen“ erhoben werden müsse 22 , und weist sie als zu unbestimmt zurück, um daraus schließen zu können, dass eine Ergänzungsabgabe nur befristet eingeführt werden könne. Eine Befristung, die auf vorübergehende Bedarfsspitzen oder Notfälle abstellt, wird von dem BVerfG für mit den Grundsätzen moderner Finanzplanung, Haushalts- und Konjunkturpolitik unvereinbar erklärt. Da sich im Laufe der Ergänzungsabgabe für den Bund neue Aufgaben ergeben können, hält das BVerfG eine erneute Einführung einer Ergänzungsabgabe oder die Fortführung einer bestehenden für zulässig.

b) Grenzen einer Ergänzungsabgabe

Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung auch Grenzen der Zulässigkeit einer Ergänzungsabgabe auf. Es verbietet dem Bund eine Steuer unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ einzuführen, die den erkennbaren Vorstellungen des Verfassungsgebers mit einer solchen Abgabe widerspricht. Insbesondere verweist das BVerfG auf die Unzulässigkeit einer Steuer, die wegen ihrer Höhe die Gemeinschaftsteuern aushöhlen würde. So gesteht es der Ergänzungsabgabe eine Begrenzung der Höhe nach zu. Ferner verbietet es die Einführung einer Ergänzungsabgabe nur für einen ganz kurzen Zeitraum. Offen lässt das BVerfG, ob sich ein verfassungsrechtlicher Zwang zur Aufhebung der Ergänzungsabgabe ergeben würde, wenn ihre Erhebungsvoraussetzungen evident entfielen.

2. Rückwirkungsproblematik SolZG 1991

Gegen das SolZG 1991 bestanden verfassungsrechtliche Bedenken einer unzulässigen Rückwirkung, da das Gesetz am 01.07.1991 und so mitten in einem Veranlagungszeitraum (VZ) in Kraft getreten war. 23  Der BFH entschied, dass eine Verfassungswidrigkeit des SolZG 1991 nicht darauf gestützt werden kann, dass es sich auf zuvor erzielte Einkünfte erstreckt. 24  Die tatbestandliche Rückanknüpfung verstößt nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit. 25  Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen. 26  Eine derartige Rückwirkungsproblematik ist in dem SolZG 1995 nicht enthalten und somit für die aktuelle Diskussion der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 nicht von Bedeutung.

3. Solidaritätszuschlag als unzulässige Sonder-abgabe

Vor dem FG Hessen wurde die Frage behandelt, ob es sich bei dem Solidaritätszuschlag von 1991 um eine Steuer und nicht vielmehr um eine unzulässige Sonderabgabe handelt. 27  Das FG wies die Klage ab und begründete dies damit, dass der Solidaritätszuschlag als Abgabe geregelt sei. Der Weg der selbständigen Ergänzungsabgabe anstelle von ESt- oder KSt-Erhöhungen wurde nur gewählt, da der staatliche Mehrbedarf fast ausschließlich beim Bund bestände. Mit den Revisionen vor dem BFH rügt der Kläger die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags von 1991 und die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das FG. 28  Der BFH wies die Revisionen zurück. Er stellt fest, dass obwohl der Wortlaut auf eine Abgabe hindeute, die Anknüpfung an ESt und KSt für eine Steuer spricht. Der BFH verweist auf BVerfG Beschlüsse 29 , welche die Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt als Steuern des Einkommens einordnen. Er stellt klar, dass der Begriff der Steuer im GG nicht definiert sei und verwendet die allgemein anerkannte 30  Definition aus § 3 Abs. 1 AO. Daraufhin grenzt der BFH Sonderabgaben von Steuern ab und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Solidaritätszuschlag um keine Sonderausgabe handele, da ihm ausnahmslos alle Steuerpflichtigen unterworfen sind. Zur Frage der Befristung verweist der BFH auf den BVerfG Beschluss von 1972. 31  Er sieht auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt, da die zusätzliche Belastung durch den Solidaritätszuschlag ist nicht so schwerwiegend ist, dass sie als unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte angesehen werden könne. Die vom Kläger in Anschluss an die BFH Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlagen. 32  Es fehlte hierfür an der grundlegenden Bedeutung, die der Frage beizumessen ist, da die verfassungsrechtlichen Fragen, auf die es für die Entscheidung ankam, in der Rechtsprechung des BVerfG bereits geklärt waren. Insbesondere verweist das BVerfG auf seine Entscheidung von 1972. 33

4. Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags im Jahr 2002

Eine Klage vor dem FG Münster 34  betraf die Erhebung des Solidaritätszuschlags im Jahr 2002. Die Kläger machten geltend, dass dieser spätestens ab dem Streitjahr eine unzulässige Sondersteuer darstelle. Das FG wies die Klage ab, da es die Verfassungskonformität des SolZG 1995 gewahrt sah, so dass auch die Voraussetzungen eines Vorlagebeschlusses nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht vorlägen. Die Nichtzulassungsbeschwerde 35  wendete sich gegen die Entscheidung des FG Münster. Die Kläger sahen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch das SolZG 1995 verletzt und waren der Auffassung eine Ergänzungsabgabe dürfe nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden. Spätestens 2002 habe er sich zu einer eigenen Steuer neben der ESt und KSt entwickelt. Die Beschwerde blieb erfolglos, da der BFH die verfassungsrechtlichen Zweifel am Solidaritätszuschlag im Streitjahr 2002 nicht teilte. Einen Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit sah er in der zusätzlichen Steuerbelastung nicht, da diese nicht so schwerwiegend ist, dass sie nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechte des Steuerpflichtigen gewertet werden kann. Für die Frage, ob 2002 die längstmögliche Befristung des SolZG 1995 erreicht ist, verweist der BFH auf den Beschluss des BVerfG zur Ergänzungsabgabe. 36  Eine Aushöhlung der Gemeinschaftssteuern zieht der BFH nicht in Betracht. Die vom Bund der Steuerzahler erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das SolZG 1995 im VZ 2002 wurde vom BVerfG ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen. 37

In dieser vierten Rechtsprechungsperiode erfolgt erstmals eine Auseinandersetzung mit dem SolZG 1995. Es wird die fehlende Befristung des Gesetzes gerügt, die 2002 die Grenze der Zulässigkeit erreicht haben soll. Für diese Frage verweist der BFH zutreffend auf die Entscheidung des BVerfG zur Ergänzungsabgabe. 38  Er nimmt eine Prüfung anhand der Maßstäbe vor, die das BVerfG damals aufgestellt hat und kommt zu dem Ergebnis, dass der Solidaritätszuschlag auch im Jahr 2002 zu keiner Aushöhlung der Gemeinschaftsteuern führt. Dem ist zuzustimmen, denn es ist nicht ersichtlich, warum der Solidaritätszuschlag nun ausgerechnet im Jahr 2002 an seine zeitliche Grenze stoßen soll. Als das BVerfG die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde begründungslos nicht zur Entscheidung annimmt, macht es deutlich, dass es sich der Sache nach abschließend geäußert hat.

5. Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags im Jahr 2007

a) Vorlage des FG Niedersachsen

Eine Wende in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung 39 , stellt die Entscheidung des FG Niedersachsen 40 dar. Dort trägt der Bund der Steuerzahler in einem Musterfall die Argumente gegen die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags vor. 41  Das FG Niedersachsen folgt diesem Vortrag und hält das SolZG 1995 für verfassungswidrig. So sieht es die verfassungsgemäße Ordnung i.S. des Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG durch das SolZG 1995 verletzt. Es stützt sich auf die Vorstellungen des Verfassungsgebers, die aus den Materialien zur Einführung einer Ergänzungsabgabe in das GG und aus der Ablehnung des Entwurfes „eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt“ in den Jahren 1954/55 entnommen wurden. 42  Ferner bezieht sich das FG auf die Aussage des BVerfG von 1972, der Bund sei nicht berechtigt unter der Bezeichnung Ergänzungsabgabe eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspricht, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat. 43  Das FG hält den Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt für zulässig, da die Ergänzungsabgabe im Verhältnis zu den sonstigen Steuern eine Ausnahme ist und eben dieser Ausnahmecharakter eine dauerhafte Erhebung versagt. Eine Bedarfsspitze kann nach Ansicht des FG sinnlogisch nicht auf Dauer vorliegen. Das FG geht davon aus, dass der Verfassungsgeber die Vorstellung hatte, eine bereits eingeführte Ergänzungsabgabe müsse vor einer geplanten Steuersenkung entfallen. Es wirft dem BVerfG und dem BFH eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Motiven des Verfassungsgebers bei der Auslegung des Begriffs Ergänzungsabgabe vor.

 

b) BVerfG weist Vorlage als unzulässig zurück

In seinem Beschluss 44  weist die erste Kammer des Zweiten Senats des BVerfG die Vorlage des FG Niedersachsen als unzulässig zurück. Dazu führt es aus, dass ein Gericht die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen kann, wenn es zuvor die Entscheidungserheblichkeit und auch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift sorgfältig geprüft hat. Das BVerfG weist auf die Bindungswirkung seiner Rechtsprechung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG hin, die bei der künftigen Auslegung der Verfassung von den Gerichten beachtet werden muss. Es stellt klar, dass für Rechtsfragen, die es bereits entschieden hat, erhöhte Begründungsanforderungen für Richtervorlagen bestehen, denen die Vorlage des FG angesichts der 1972 ergangenen Entscheidung nicht genüge. Da die Vorlage des FG allein auf die Dauer der Erhebung des Solidaritätszuschlags gestützt sei, habe es die Entscheidung des BVerfG von 1972 nicht zum Ausgangspunkt seiner Prüfung genommen und sich somit nicht hinreichend mit der Reichweite der Bindungswirkung der Rechtsprechung des BVerfG auseinander gesetzt. Nach dem BVerfG bringt das FG auch keine neuen Aspekte ein, die eine erneute Überprüfung der Auslegung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG rechtfertigen würden. Bei der Auslegung der Norm durch das FG sieht das BVerfG wesentliche Zusammenhänge der Begründung der Entscheidung von 1972 durch das FG außer Acht gelassen. Insbesondere stellt sich das FG gegen die Ansicht des BVerfG von 1972, die Begriffe „Bedarfsspitze im Bundeshaushalt“  und „besondere Notfälle“, seine zu unbestimmt, um daraus ein Begrenzungserfordernis folgern zu können. Das BVerfG weist darauf hin, dass die Rechtsansicht des FG, nach der Finanzlücken durch Steuererhöhungen, aber nicht durch die Fortführung der Ergänzungsabgabe geschlossen werden dürfen, unberücksichtigt lässt, dass bereits bei den Beratungen zum FinanzverfG bedacht wurde, dass sich ein Mehrbedarf für längere Zeit nur beim Bund ergeben könne. Die Deckung dieses Bedarfes durch Steuererhöhungen würde die Steuerpflichtigen unnötig belasten und könnte konjunkturpolitisch unerwünscht sein, wenn der Bedarf seitens der Länder nicht besteht. Das BVerfG weist die Behauptung des FG zurück, es hätte sich nicht ausreichend mit den Motiven des Verfassungsgebers beschäftigt und diese bei der Auslegung des Begriffs „Ergänzungsabgabe“ missachtet. Dabei greift es auf seine Feststellung von 1972 zurück, dass während des Gesetzgebungsverfahren zum FinanzverfG keine ernsthaften Versuche angestellt worden seien, eine Befristung zu erreichen, obwohl der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hatte, um eine Begrenzung der Höhe nach zu erreichen. 45  Das BVerfG hält die These des FG Steuersenkungen können nicht mit der Fortführung einer Ergänzungsabgabe einhergehen, für nicht hinreichend begründet. Ferner wirft das BVerfG dem FG eine mangelnde Auseinandersetzung mit Alternative vor.

Die Entscheidung des BVerfG ist mit dem Hintergrund der zuvor ergangenen Entscheidungen zutreffend. Das FG Niedersachsen argumentiert allein historisch und kommt so zu einer abweichenden Auslegung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Bei dieser Interpretation setzt sich das FG über die Rechtsprechung des BVerfG von 1972 hinweg und missachtet somit die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist keine neue. Schon 1972 wurde geprüft, ob eine Ergänzungsabgabe unbefristet ergehen kann. Nun trägt diese Ergänzungsabgabe zwar den Namen Solidaritätszuschlag, die Grundsätze der Aufstellung gelten jedoch fort. Auch in der vierten Rechtsprechungsperiode wurde die Befristungsfrage gestellt. Diese wurde sowohl von den FGs als auch von dem BFH mit einem Verweis auf die BVerfG Entscheidung von 1972 beantwortet. Das BVerfG nahm eine hiergegen gerichtete Entscheidung ohne Begründung nicht zur Entscheidung an. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Vorlage durch das BVerfG überhaupt zur Entscheidung angenommen wurde.

6. Die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags im Jahr 2005 bzw. 2007

Jüngst entschied der BFH über die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags im Jahr 2005 bzw. 2007. 46  Zugrunde lagen die Klagen einer Rechtsanwältin 47  und einer GmbH 48 , die den Solidaritätszuschlag wegen seiner fehlenden Befristung im Jahr 2005 bzw. 2007 für verfassungswidrig hielten. Der BFH entschied hierzu, dass der Solidaritätszuschlag in seiner derzeitigen Ausgestaltung in Höhe von 5,5 % keine verfassungswidrige Aushöhlung der Bund und Länder nach Art. 106 Abs. 3 S. 2 GG gemeinschaftlich zustehenden Steuern darstellt. Auch die fehlende zeitliche Befristung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dazu wird erneut auf den Beschluss des BVerfG von 1972 verwiesen. 49  Auch die in den Gesetzesmaterialien geäußerte Absicht den Solidaritätszuschlag mittelfristig zu überprüfen begründet nach dem BFH mit der Beibehaltung des Solidaritätszuschlags keine Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit. Einen neuen Aspekt bringt der BFH ein, indem er zeitliche Grenzen anspricht. So soll sich eine zeitliche Begrenzung einer unbefristet erhobenen Ergänzungsabgabe daraus ergeben können, dass sie nach ihrem Charakter den Zweck hat, einen aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes zu finanzieren. Selbst wenn sie längerfristig erhoben wird darf sie nicht zum dauerhaften Instrument der Steuerumverteilung werden. 50  Eine Verfassungswidrigkeit soll jedoch erst eintreten, wenn eine eindeutige und offensichtliche Änderung der Verhältnisse besteht. 51  Dabei weist der BFH jedoch auch darauf hin, dass der Solidaritätszuschlag im Jahr 2005 52  und 2007 53  noch erhoben werden konnte.

VI. Prüfungskriterien für die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags

Die bisherige Rechtsprechung zum Solidaritätszuschlag zeigt deutlich die bestehenden Zweifel an seiner Verfassungskonformität auf. Auch in der Literatur und nicht zuletzt in der Politik wird der Solidaritätszuschlag lebhaft diskutiert. Dabei wird von einem immerwährenden Solidaritätszuschlag gesprochen, der als Dauerergänzungsabgabe die Finanzverfassung verletze. 54  Er wird als Störfaktor im System des Finanzausgleichs 55  oder als ärgerlicherweise unerwähnte Zusatz-ESt 56 , die durch Politiker instrumentalisiert wird, bezeichnet.

Die bislang vorgebrachten Zweifel werden im Folgenden anhand von drei wesentlichen Rechtsfragen diskutiert. Die erste Frage ist, ob der Solidaritätszuschlag die Steuereigenschaft erfüllt. Als zweite Rechtsfrage ist die Zulässigkeit der unbefristeten Erhebungsdauer zu betrachten. Als dritte Frage ist die Höhe des Abgabesatzes zu behandeln. Die Zulässigkeit der unbefristeten Erhebung bildet seither den Schwerpunkt der Diskussion. Es folgt eine Prüfung dieser Rechtsfragen.

1. Steuereigenschaft

In der formellen Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 ist danach zu fragen, ob der Bund eine Gesetzgebungskompetenz hatte. Diese Kompetenz wird auf Art. 105 Abs. 2 i.V. mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gestützt. Sie ist jedoch nur gegeben, wenn es sich bei dem Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG um eine Steuer handelt. Für den Steuerbegriff ist die Definition nach § 3 Abs. 1 AO zugrunde zu legen. Die Steuer ist insbesondere von der Sonderabgabe abzugrenzen. Bei einer Sonderabgabe handelt es sich um eine hoheitlich auferlegte Geldleistungspflicht, der keine unmittelbare Gegenleistung gegenüber steht. 57  Sonderabgaben nehmen lediglich eine bestimmte Gruppe in Anspruch und dienen der Finanzierung besonderer Aufgaben, zu denen eine Gruppe eine größere und objektivere Sachnähe aufweist als die Allgemeinheit und deren Bewältigung in Verantwortung dieser Gruppe fällt. 58  Von der Steuer unterscheidet sie sich dadurch, dass der Kreis der Abgabepflichtigen begrenzt ist und ihr Aufkommen einem Sonderfond vorbehalten ist. 59  Der Solidaritätszuschlag ist eine Geldleistung, die keine Gegenleistung darstellt und wird vom Bund und somit von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen erhoben. Er dient der Erzielung von Einnahmen und wird allen Steuerpflichtigen auferlegt. Die Einnahmen sind keinem Sonderfond vorbehalten, sondern dienen dem allgemeinen finanziellen Mehrbedarf des Bundes. Somit handelt es sich bei dem Solidaritätszuschlag um eine selbständige Steuer und nicht etwa um eine Sonderabgabe. 60  Die Steuereigenschaft ergibt sich systematisch auch aus Art. 106 Abs. 1 GG, der „die Erträge der folgenden Steuern“ dem Bund zuspricht und dann unter Nr. 6 die Ergänzungsabgabe zu ESt und KSt aufzählt, als welche der Solidaritätszuschlag nach § 1 SolZG erhoben wird. 61  Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 105 Abs. 2 GG, da das Aufkommen des Solidaritätszuschlags nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG allein dem Bund zusteht. Die Diskussion, ob die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf den Katalog des Art. 106 GG beschränkt ist, ist folglich nicht von Bedeutung, da die Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt, als welche der Solidaritätszuschlag erhoben wird, unter Nr. 6 aufgeführt wird. Eine Zustimmung im Bundesrat nach Art. 105 Abs. 3 GG ist anders als für Bundesgesetze zur ESt und KSt nicht erforderlich, da der Ertrag des Solidaritätszuschlags ausschließlich dem Bund zufließt.

2. Unbefristeter Solidaritätszuschlag

Den Mittelpunkt der aktuellen Diskussion bildet das Befristungserfordernis des Solidaritätszuschlags. Diese Frage war Gegenstand der vierten, fünften und sechsten Rechtsprechungsperiode. Auch diese Frage ist Gegenstand der formellen Verfassungsmäßigkeit und der Gesetzgebungskompetenz, denn sie knüpft an die Auslegung des Begriffs „Ergänzungsabgabe“ an. Wenn der Solidaritätszuschlag den Rahmen einer Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG überschreiten wütde, bestände für den Bund keine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 i.V. mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG.

a) Auslegung des Begriffs „Ergänzungsabgabe“

Die zuletzt vorgebrachten Zweifel des FG Niedersachsen knüpfen an seine Interpretation des Begriffs „Ergänzungsabgabe“ an. Das FG sieht in den Formulierungen „anderweitig nicht auszugleichenden Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt“ 62  und „keineswegs für die Dauer, sondern lediglich für Ausnahmelagen bestimmt“ 63  zwingende Grenzen für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe. 64  Die Beurteilung der Zulässigkeit der fehlenden Befristung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt ist folglich eine Frage der Interpretation des Begriffs „Ergänzungsabgabe“ und somit eine Frage der Verfassungsauslegung. 65  Als Kriterien der Auslegung kommen dabei Grammatik, Systematik, Historie und Sinn und Zweck in Betracht. 66

aa) Grammatik

Auszugehen ist von dem Wortsinn des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, also der Bedeutung des Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch. 67  Der Begriff „Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt“ signalisiert im Alltagsgebrauch, dass die Abgabe neben den Gemeinschaftssteuern existiert, an diese anknüpft und sie ergänzt. Er deutet auf eine gewisse Akzessorietät zur ESt und KSt hin. 68  Der Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gibt keine Auskunft über eine mögliche Beschränkung der Erhebungsdauer. Aus dem Sprachgebrauch des Wortes „Ergänzung“ kann nicht geschlossen werden, dass die Erhebung der Ergänzungsabgabe auf das Vorliegen von Bedarfspitzen beschränkt ist und nicht dauerhaft vorliegen kann.

bb) Systematik

Verschiedene Bedeutungsvarianten können einem Ausdruck auch in seinem Gebrauchszusammenhang zukommen. 69  Hierfür kann auf die Stellung der Ergänzungsabgabe in der Finanzverfassung zurückgegriffen werden. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist lediglich eine Ertragszuweisungsnorm, die dem Bund zusammen mit Art. 105 Abs. 2 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz verleiht, weil der Ertrag dem Bund zufließt. Aus dieser Stellung kann nicht geschlossen werden, dass sie nur beim Vorliegen von Bedarfsspitzen und nicht dauerhaft erhoben werden kann. Im Gegenteil, diese systematische Stellung macht gerade die Erforderlichkeit einer Ergänzungsabgabe deutlich, um den finanziellen Mehrbedarfs des Bundes zu schließen, denn dies ist durch Erhöhungen der Gemeinschaftsteuern nicht möglich. Auch das Argument eine dauerhafte Ergänzungsabgabe laufe dem Finanzausgleich des GG zuwider 70  ist nicht zutreffend. Durch die vom BVerfG 1972 aufgestellten Grenzen, nach denen die Ergänzungsabgabe die Gemeinschaftsteuern nicht aushöhlen darf 71 , wird dieser Gefahr hinreichend Rechnung getragen. Von einer Aushöhlung kann bei dem derzeitigen Abgabesatz von 5,5 % der Bemessungsgrundlage nicht gesprochen werden.

cc) Historie

Bei der historischen Auslegung ist nach der Regelungsabsicht und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers zu fragen. 72  Dabei muss kritisch beurteilt werden, dass ein Gesetzgeber keine Einzelperson, sondern eine Versammlung ist und der Wille des Einzelnen unerforscht bleibt. 73  Somit ist zu beachten, dass Materialien wie Gesetzesbegründungen nicht „den Willen des Gesetzgebers“ abbilden, sondern allenfalls als Indiz für diesen herangezogen werden können. 74  Die Gesetztesbegründungen, die das FG Niedersachsen zitiert 75 , beziehen sich auf unterschiedliche Gesetze und sind somit getrennt zu bewerten. 76  Die Formulierung „keineswegs für die Dauer, sondern lediglich für Ausnahmelagen bestimmt“, stammt aus der Begründung zum Gesetzesentwurf über eine Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt 1955. 77  Aufgrund des einfachgesetzlichen Ranges und der fehlenden Verabschiedung ist dem Dauerhaftigkeitsverbot geringere Bedeutung beizumessen. 78  Das „Bedarfsspitzenargument“ stammt zwar aus den Gesetzesmaterialien zum FinanzverfG 79 , doch auch dieses muss mit einer gewissen Distanz betrachtet werden.

Das FG Niedersachsen wirft dem BVerfG vor, es habe sich in seinen vorausgehenden Entscheidungen unzureichend mit dem Willen des Verfassungsgebers beschäftigt. 80  Das trifft nicht zu. Zwar argumentiert das BVerfG anders als das FG nicht ausschließlich historisch, sonder systematisch und teleologisch, mit den Gesetztesmaterialien setzt es sich trotzdem auseinander. Es misst ihnen nur eine andere Bedeutung als das FG zu. Bezüglich des historischen Kontexts missachtet das FG insbesondere die Feststellung des BVerfG, dass während des Gesetzgebungsverfahrens zum FinanzverfG keine ernsthaften Versuche angestellt wurden, eine Befristung einzuführen, obwohl der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hatte, um eine Begrenzung der Höhe nach zu erreichen. 81  Auch greift das BVerfG schon 1972 die bestrittenen Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren auf, nach denen die Ergänzungsabgabe zur Befriedigung „anderweitig nicht auszugleichender Bedarfsspitzen im Haushalt“ und „in Notfällen“ erhoben werden müsse. 82  Es weist sie jedoch als zu unbestimmt zurück, um daraus schließen zu können, dass eine Ergänzungsabgabe nur befristet eingeführt werden könne, da eine derartige Begrenzung einer flexiblen Anpassung der Finanzplanung an die Ziele der Politik entgegenstehen würde. 83

Die Argumentation des BVerfG ist überzeugend und kann insbesondere im Hinblick auf die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nicht einfach übergangen werden. Es hat sich sehr wohl mit der Historie auseinandergesetzt und kommt schlicht zu einem andern Ergebnis. Selbst mit einer historischen Auslegung der Norm lässt sich nicht eindeutig belegen, dass eine Beschränkung auf Bedarfsspitzen und ein Dauerhaftigkeitsverbot der Ergänzungsabgabe erforderlich sind.

dd) Sinn und Zweck

Die objektiv-teleologische Auslegung fragt nach dem objektiven Zweck des Rechtes, den der Gesetzgeber durch das Gesetz zu verwirklichen sucht. 84  Der Solidaritätszuschlag dient den Kosten der Deutschen Einheit und der Deckung des allgemeinen finanziellen Mehrbedarfs des Bundes. 85  Diese Funktion wird besonders im systematischen Kontext des Solidaritätszuschlags deutlich. Er wird als Ergänzungsabgabe erhoben, deren Ertrag ausschließlich dem Bund zufließt. Die Behauptung des FG, Finanzlücken dürften allein durch Steuererhöhungen geschlossen werden, nicht durch die Fortführung einer Ergänzungsabgabe 86 , ist widersprüchlich und missachtet erneut die Rechtsprechung des BVerfG. Der Solidaritätszuschlag dient gerade dem finanziellen Mehrbedarf, der ausschließlich beim Bund anfällt. 87  Eine Erhöhung der Gemeinschaftsteuern würde die Steuerpflichtigen unnötig belasten und könnte konjunkturpolitisch unerwünscht sein, wenn der Bedarf seitens der Länder nicht besteht. 88  Insofern ist der Vorwurf des BVerfG an das FG zutreffend, das FG setzt sich nicht hinreichend mit Alternativen auseinander. 89  Auch die Argumentation der Solidaritätszuschlag müsse entfallen, da die Wiedervereinigung schon Jahre zurück liegt 90 , ist nicht überzeugend, da sie die Funktion des Solidaritätszuschlags als Instrument zur Schließung des finanziellen Mehrbedarfs des Bundes außer Acht lässt. Der Sinn und Zweck des SolZG 1995 lässt folglich auf kein Befristungserfordernis oder eine Beschränkung auf Bedarfsspitzen schließen.

b) Stellungnahme

Anhand der vier Auslegungsmethoden, lässt sich der Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG kein Befristungserfordernis und keine Beschränkung auf Bedarfsspitzen entnehmen. Somit ist der Solidaritätszuschlag von dem Begriff der Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gedeckt, so dass im Zusammenhang mit Art. 105 Abs. 2 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht.

3. Höhe des Solidaritätszuschlags

Die Höhe des Solidaritätszuschlags ist eine Frage der materiellen Verfassungskonformität und betrifft seine Verhältnismäßigkeit. Dem Gesetzgeber steht ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes und der Bestimmung des Steuertarifs zu. 91  Ein Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit kommt insbesondere in Betracht, wenn eine Steuer eine erdrosselnde Wirkung hat. 92  Es ist also danach zu Fragen, ob der Solidaritätszuschlag mit seiner Höhe von 5,5 % eine erdrosselnde Wirkung hat. Dabei kann auf die Grenzen der Zulässigkeit einer Ergänzungsabgabe zurückgegriffen werden, die das BVerfG 1972 aufgestellt hat. Dort hatte es dem Bund verboten eine Steuer unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ einzuführen, die wegen ihrer Höhe die Gemeinschaftsteuern aushöhlen würde. 93  Bei einem Solidaritätszuschlag von 5,5 % kann jedoch in Anbetracht der ESt- und KSt-Sätze von keiner Aushöhlung dieser gesprochen werden. Insbesondere ist zu beachten, dass das BVerfG eine damals 3 %-ige Ergänzungsabgabe für zulässig hielt. 94  Somit hat der Solidaritätszuschlag keine erdrosselnde Wirkung und verstößt nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

4. Zwischenergebnis

Das SolZG 1995 und somit der danach erhobene Solidaritätszuschlag ist sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß.

VII. Schlussfolgerung

Betrachtet man die bisher ergangene Rechtsprechung steht im Zentrum eine Entscheidung des BVerfGs, die nun mehr als 40 Jahre zurück liegt. Diese Entscheidung stellt die Grundsätze für eine Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG auf. Der wichtigste Grundsatz im Hinblick auf die Diskussion ist wohl, dass eine solche Abgabe nicht von vornherein befristet werden muss. Die Klagefreude der Steuerpflichtigen hinsichtlich des Solidaritätszuschlags ist beachtlich. Gerade mit dem Hintergrund, dass dieser als Ergänzungsabgabe einzuordnen ist. Nachdem Verfassungsbeschwerden durch das BVerfG mit Verweisen auf die Grundsätze der Entscheidung 1972 abgewiesen wurden und angenommene Beschwerden maßgeblich auf diese Entscheidung verweisen, ist verwunderlich, dass daraufhin wiederholt Klagen auf die Erhebungsdauer des Solidaritätszuschlags gestützt werden. Es erweckt den Eindruck, der mit dem Solidaritätszuschlag verbundene Unmut der Steuerpflichtigen hänge mit seinem Bild in der Öffentlichkeit zusammen, das nicht zuletzt durch die Politik falsch dargestellt wird. Für die meisten Steuerpflichtigen besteht das Ärgernis wohl darin, einen solidarischen Beitrag zur Wiedervereinigung leisten zu müssen, obwohl diese schon Jahre zurück liegt. Dabei bleibt völlig außer Acht, dass der Solidaritätszuschlag auch dazu dient den finanziellen Mehrbedarf des Bundes zu decken. Schon eine politisch geschickte neue Einkleidung könnte die Reputation des Solidaritätszuschlags heben und den potentiellen Klägerkreis verringern.

 

 

VIII. Ausblick

Es bleibt spannend den künftigen Verlauf der Diskussion abzuwarten. Die bisherige Entwicklung hat gezeigt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich der nächste Kläger finden wird, der die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags erneut vor Gericht trägt. Allerdings muss eine erneute Klage hinsichtlich ihrer Erfolgsaussicht genau überdacht werden. Eine Klage erneut auf die Dauer der Erhebung zu stützen scheint aussichtslos. Das BVerfG hat deutlich gemacht, dass es sich hinsichtlich dieser Frage 1972 abschließend geäußert hat. Diese Auffassung wurde jüngst durch den BFH bestätigt. Interessante Anknüpfungspunkte wären viel mehr die 1972 aufgestellten Grenzen einer Ergänzungsabgabe, insbesondere, wann eine Aushöhlung der ESt und KSt bzw. ein evidenter Wegfall ihrer Erhebungsvoraussetzungen vorliegt. Im Fortgang der Diskussion wäre eine Befassung mit Alternativen wünschenswert, denn, wie eine durch Wegfall des Solidaritätszuschlags entstehende Finanzierungslücke beim Bund gedeckt werden soll, bleibt bisher außer Acht. So kann abschließend festgestellt werden, dass der Solidaritätszuschlag in seiner derzeitigen Ausgestaltung verfassungskonform ist und eine veränderte Beurteilung in den nächsten Jahren wohl nicht zu erwarten ist.

 

*Die Autorin ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat ihren Schwerpunkt im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht absolviert. Den wahlobligatorischen Teil gestaltete sie dabei im Steuerrecht. Erste Praxiserfahrungen im Steuerrecht sammelte sie bei der KPMG WP AG und der Noerr LLP.


Fußnoten:

  1. BT-Drs. 12/4401 S. 45.
  2. BT-Drs. 12/4401 S. 51.
  3. BT-Drs. 12/4401 S. 51.
  4. Lindenberg in Blümich, 110. Aufl. 2011, § 1 SolZG 1995 Rn. 1.
  5. Rohde/Geschwandtner Ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 verfassungswidrig? NJW 2006, 3332 (3334).
  6. Selmer Keine von Verfassungswegen nur befristete Erhebung von Ergänzungsabgaben – Solidaritätszuschlag JuS 2011, 381 (381).
  7. Maunz in Maunz/Dürig 61. Ergänzungslieferung 2011, Art. 106 GG Rn. 28.
  8. Stuhrmann Die Grundzüge der Steuergesetzänderung 1993 NJW 1993, 2421 (2425).
  9. v. Reden in Littmann/Bitz/Pust 89. Ergänzungslieferung 2010, §§ 1-5 SolZG Rn. 1a.
  10. Henneke in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf 12. Aufl. 2011, Vor Art. 104 a GG Rn. 2.
  11. Pieroth in Jarass/ Pieroth 9. Aufl. 2007, Art. 105 GG Rn. 5.
  12. BVerfG Beschluss v. 02.10.1973 – 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66 (70); BVerfG Beschluss v. 06.11.1984 – 2 BvL 19, 20/83, BVerfGE 67, 257 (282).
  13. Heun in Dreier 2. Aufl. 2008 Art. 105 GG Rn. 33.
  14. Pieroth (Fn. 11), Art. 106 GG Rn 1.
  15. Maunz (Fn. 7), Art. 106 GG Rn 2.
  16. Birk Steuerrecht 12. Aufl. 2009, Rn. 150.
  17. Ebd., Rn. 151.
  18. Siekmann in Sachs 2. Aufl. 1999, Art. 107 GG Rn. 3.
  19. Lang in Tipke/Lang Steuerrecht 20. Aufl. 2010, S. 208.
  20. Statistisches Bundesamt Jahrbuch 2009, S. 578.
  21. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  22. BT-Drs. 2/480 S. 72.
  23. Scheurmann-Kettner/Dötsch Das Solidaritätszuschlaggesetz (Teil I) DB 1991, 1691 (1594).
  24. BFH Urteil v. 25.06.1992 – IV R 9/92, BStBl. II 1992, 702.
  25. BFH Beschluss v. 21.12.1992 – XI B 79/92, BVH/NV 1993, 363; BFH Urteil v. 21.01.1993 – XI R 63/92, BFH/NV 1993, 414.
  26. BVerfG Beschluss v. 12.06.1995 – 2 BvR 762/93.
  27. FG Hessen v. 21.04.1994 – 2 K 2200/93.
  28. BFH Urteil v. 28.02.1996 – XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, 712.
  29. BVerfG Beschluss v. 07.05.1963 – 2 BvL 8, 10/61, BVerfGE 16, 64 (75); BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  30. BVerfG Beschluss v. 02.10.1973 – 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66 (70); BVerfG Beschluss v. 06.11.1984 – 2 BvL 19, 20/83, BVerfGE 67, 257 (282).
  31. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  32. BVerfG Beschluss v. 19.11.1999 – 2 BvR 1167/96, NJW 2000, 797.
  33. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  34. FG Münster v. 27.09.2005 – 12 K 6263/03 E, EFG 2006, 371.
  35. BFH Beschluss v. 28.06.2006 – VII B 324/05, BStBl II, 692.
  36. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  37. BVerfG Beschluss v. 11.02.2008 – 2 BvR 1708/06, DStZ 2008, 229.
  38. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  39. Z.B. FG Münster 08.12.2009 – K 4077/08 E, DStRE 2011, 92; FG Köln v. 14.01.2010 – 13 K 1287/09, BeckRS 2010, 26028820.
  40. Niedersächsisches FG v. 25.11.2009 – 7K 143/08, DStR 2010, 854.
  41. Vgl. Schemmel Verfassungswidriger Solidaritätszuschlag Karl-Bräuer-Istitut des Bundes der Steuerzahler e.V. Berlin 2008.
  42. BT-Drs. 2/480, S. 4, 72.
  43. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  44. BVerfG Beschluss v. 08.09.2010 – 2 BvL 3/10, NJW 2011, 441.
  45. BT-Drs. 2/480 S. 72.
  46. BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 50/09; BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 52/10.
  47. FG München Urteil v. 18.08.2009 – 2 K 108/08, EFG 2010, 166.
  48. FG Köln Urteil v. 14.01.2010 – 13 K 1287/09, EFG 2010, 1063.
  49. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  50. BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 50/09, Rn. 25.
  51. BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 52/10, Rn. 25.
  52. BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 50/09, Rn. 25.
  53. BFH Urteil v. 21.07.2011 – II R 52/10, Rn. 26.
  54. Kanzler Der immerwährende Solidaritätszuschlag und das Bundesverfassungsgericht NWB 2010, 2203 (2204).
  55. Birk Richtervorlage zum Solidaritätszuschlag in 2007 unzulässig FR 2010, 1002 (1003).
  56. Kanzler Keine Nullzone bei Solidaritätszuschlag auf pauschale Lohnsteuer FR 2002, 685.
  57. Pieroth (Fn. 11), Art. 105 GG Rn. 9.
  58. BVerfG Urteil v. 10.12.1980 – 2 BvF 3/77, BVerfGE 55 274(298).
  59. Pieroth (Fn. 11), Art. 105 GG Rn. 9.
  60. Winter Solidaritätszuschlag GmbHR 1991, 57.
  61. Hilgers/Holly Die Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags DB 2010, 1419.
  62. BT-Drs. 2/480 S. 72.
  63. BT-Drs. 2/480 S. 4.
  64. Niedersächsisches FG v. 25.11.2009 – 7K 143/08, DStR 2010, 854.
  65. Schober Die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags Stbg 2010, 389 (391).
  66. Larenz/Canaris Methodenlehre 3. Aufl. 1995, S. 141 ff.
  67. Ebd., S. 141.
  68. BVerfG, Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  69. Larenz/Canaris (Fn. 66), S. 145.
  70. Schemmel (Fn. 41), S. 7.
  71. BVerfG, Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  72. Larenz/Canaris (Fn. 66), S. 149.
  73. Ebd., S. 150.
  74. Schober (Fn. 65), 392.
  75. BT-Drs. 2/480, S. 4, 72.
  76. Schober (Fn. 65), 392.
  77. Schemmel (Fn. 41) S. 9.
  78. Schober (Fn. 65), S. 392.
  79. Schemmel (Fn. 41), S. 8.
  80. Selmer (Fn. 6), 382.
  81. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  82. BT-Drs. 2/480 S. 72.
  83. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  84. Larenz/Canaris (Fn. 41), S. 153.
  85. BT-Drs 12/4401 S. 45.
  86. Balke Solidaritätszuschlaggesetz verfassungswidrig? NWB 2009, 38997 (3899).
  87. BT-Drs 12/4401 S. 45.
  88. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757
  89. Köster Normenkontrollantrag betreffend den Solidaritätszuschlag unzulässig DStZ 2010, 773 (774).
  90. Birk (Fn. 55), 1003.
  91. Hilgers/Holly (Fn. 61) 1421.
  92. Lang in (Fn. 19) S. 128 f.
  93. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
  94. BVerfG Beschluss v. 09.02.1972 – 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.

Organe der Verfassungsrechtspflege

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Erfüllungsgehilfen des Grundgesetzes

Dr. Eike Michael Frenzel, Karlsruhe/Freiburg i. Br.

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Jubiläen haben einen nostalgischen Charme. Man muss sie nicht, man kann sie feiern. Das gilt auch für Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht. Die Kontingenz der Geschichte ist dabei nicht zu übersehen: Die Entwicklungen, die Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht genommen haben, waren nicht zwingend, aber möglich – ein anderer Verlauf war denkbar. Dass die Entwicklung des Grundgesetzes als Erfolgsgeschichte geschrieben werden kann, liegt daher auch an vielen Glücksgriffen, insbesondere in Bezug auf seine Erfüllungsgehilfen. Um diese soll es im Folgenden gehen.

I. Zur Einführung

Der Freiburger Staatsrechtslehrer Konrad Hesse (1919-2005) veröffentlichte 1967 sein Lehrbuch „Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland“ 1. Darin kondensierten neben systematischen und historischen Überlegungen zu den Bestimmungen des Grundgesetzes auch die Erfahrungen mit dem Grundgesetz in den Anfangsjahren der Bundesrepublik 2. In der Einführung stellt Hesse fest: „Die Verfassung besteht aus Normen. In diesen liegen Anforderungen an menschliches Verhalten, noch nicht dieses Verhalten selbst; sie bleiben toter Buchstabe und bewirken nichts, wenn der Inhalt jener Anforderungen nicht in menschliches Verhalten eingeht. Verfassungsrecht läßt sich insoweit von menschlichem Handeln nicht ablösen. Erst indem es durch dieses und in diesem ‚verwirklicht’ wird, gewinnt es die Realität gelebter, geschichtliche Wirklichkeit formender und gestaltender Ordnung und vermag es seine Funktion im Leben des Gemeinwesens (…) zu erfüllen“ 3. Hesse wirkte ab 1975 an besonderer Stelle in diesem Sinne – in Karlsruhe als Richter des Bundesverfassungsgerichts 4. Richter des Bundesverfassungsgerichts sind indes nicht die einzigen, die Hesses Leitsatz zur Verwirklichung des Verfassungsrechts umzusetzen berufen sind.

II. Organe der Verfassungsrechtspflege

Organe der Verfassungsrechtspflege sind nicht gleichzusetzen mit den Verfassungsorganen. Letztgenannte sind auf die verfassungsmäßig Ordnung und die Grundrechte verpflichtet: Bundestag, Bundespräsident, Bundeskanzler 5 etc. sind von Verfassungs wegen Mittler des Verfassungsrechts und werden diesem Anspruch in der Regel gerecht. Daneben sind zum Beispiel die Lehrbuchautoren und die Kommentatoren 6 zu nennen. Aus der Vielzahl der Organe der Verfassungsrechtspflege seien im Folgenden zwei herausgegriffen, die nicht gleichermaßen durch das Grundgesetz verpflichtet sind: Bundesverfassungsgericht einerseits 7 und Beschwerdeführer andererseits. Aufgezeigt werden sollen dadurch die stets individuellen und vor allem erforderlichen Verursachungsbeiträge, die das Grundgesetz und die Verfassungsrechtsdogmatik zu einem Erfolgsmodell werden ließen.

1. Das Bundesverfassungsgericht als Schlusspunktsetzer

Fragt man nach den Institutionen, die das Grundgesetz zur Geltung bringen, wird das Bundesverfassungsgericht – erst recht im Jubiläumsjahr – an vorderer Stelle genannt 8. Es ist in staatsorganisationsrechtlichen Streitigkeiten und bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden erste und letzte, in Urteilsverfassungs­beschwerde­verfahren außerordentliche 9 letzte Instanz der Durchsetzung des Grundgesetzes. Und das Bundesverfassungsgericht ist sicher ein Mitgestalter der Geschichte des Grundgesetzes, die vorzugsweise als Erfolgsgeschichte geschrieben wird – bisweilen unter Vernachlässigung der Verlierer in dieser Geschichte. Die Annahme, dass das Bundesverfassungsgericht nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, liegt nahe. Es ist nicht zu ermitteln, was gewesen wäre, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht zwei Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in Karlsruhe seine Arbeit aufgenommen, sich nicht nach kurzer Zeit in Konfliktlagen von der Bonner Politik und den dortigen Vorstellungen erfolgreich abgesetzt 10 und nicht Entscheidungen gefällt hätte, die eine zwischen Dankbarkeit, Wohlwollen und Kritik changierende Staatsrechtslehre dann nicht hätte aufnehmen und durcharbeiten können. Auch wäre das Schicksal der zunächst lediglich einfachgesetzlich vorgesehenen Verfassungsbeschwerde unsicher gewesen, wenn sie 1969 nicht in das Grundgesetz aufgenommen worden wäre 11.

Mitgestaltet hat das Bundesverfassungsgericht durch zahlreiche Entscheidungen, die sich im Nachhinein zu Leitentscheidungen entwickelt haben und als solche anerkannt wurden, nicht nur durch stetige Rückverweisung in späteren Entscheidungen des Gerichts. Dass dabei juridische wie extrajuridische Faktoren eine Rolle spielen, zeigt das Lüth-Urteil, in dem – mit weit reichenden Konsequenzen – das (mittelbare, vermittelte) Einwirken der Grundrechte auf Privatrechtsverhältnisse konstruiert und das Grundgesetz gar zur „objektiven Wertordnung“ erhoben wurde 12: Es handelte sich nicht um einen x-beliebigen vor das Bundesverfassungsgericht getragenen Rechtsstreit (wobei aus der Sicht der Beschwerdeführer der eigene Rechtsstreit nie x-beliebig ist); vielmehr ging es um einen Boykottaufruf gegen den aktuellen Film des Regisseurs Veit Harlan, der sich mit Propagandafilmen für den NS-Staat engagiert und insbesondere den antisemitischen Film „Jud Süß“ verantwortet hatte. Erich Lüth hatte ausgeführt, dass es „(…) nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht (ist), sich im Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten“ 13. In einem solchen Zusammenhang die Bedeutung des Grundgesetzes und der Grundrechte – über den Fall hinaus – zu entfalten, ist zweifellos spektakulärer als in der Lage eines Mietrechtsstreits, über den das Bundesverfassungsgericht am gleichen Tag entschied: Ein Mieter hatte in Hamburg vor der Bundestagswahl 1953 an der Außenwand des Hauses zwei „Wahlpropagandaplakate“ (86 auf 120 cm, in Holzrahmen mit elektrischer Beleuchtung) angebracht; der Vermieter ging erfolgreich gerichtlich dagegen vor und berief sich auf den zu erhaltenden Hausfrieden; der unterlegene Mieter rief das Bundesverfassungsgericht an – im Ergebnis ohne Erfolg 14.

Das Bundesverfassungsgericht entwickelte oder veredelte im Laufe der Zeit zahlreiche Figuren und prägte damit Verfassungswirklichkeit wie Verfassungsrechtsdogmatik. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Wechselwirkungs- und die Wesentlichkeitslehre, allgemeines Persönlichkeitsrecht 15 und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 16 wären Solitäre, wenn sie nicht in diese Rechtsprechung Eingang gefunden hätten, die ein nahe liegender, wenn nicht zwingender 17 Referenzpunkt für den weiteren Diskurs ist – ansonsten hätte sich über die Figuren vielfach längst der Mantel des Vergessens ausgebreitet. Wer was wann und bei welcher Gelegenheit 18 zu diesen Figuren beigetragen hat, lässt sich häufig nicht feststellen. Dies gilt – mit der Ausnahme der Möglichkeit von Sondervoten 19 – bereits für die beteiligten Richterinnen und Richter: Es ist „(…) nie der einzelne Richter, der Recht spricht. Es ist ‚das’ Gericht, allenfalls ‚der’ Senat, hinter dem der einzelne Richter zurück tritt“ 20. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Richter wichtig waren und sind 21, zumal es ihnen – nicht von vornherein absehbar – gelang und gelingt, sich von den sie entsendenden Parteien freizuschwimmen 22.

Das Bundesverfassungsgericht ist nicht der alleinige Gestalter der Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes, und man sollte sich vorsehen, ihm wie Achill einen Heldenstatus zuzuschreiben; das hat (bei Achill) zwar insoweit Vorteile, als alle anderen Beteiligten in der Folge davon entlastet sind, den Speer genauso weit werfen zu müssen 23, und sich entfalten können, während der so Titulierte in besonderem Maße mit seinem Status, seinen Kritikern 24, seinen Fehlbarkeiten 25 und Verlustmöglichkeiten 26 sowie dem Zeitgeist 27 zu kämpfen hat 28 – Pathos passt aber nicht zu einem und auch nicht zu diesem Gericht.

2. Beschwerdeführer als Akteure des Verfassungsalltags

Auch die Beschwerdeführer muss man nicht unnötig als Helden bezeichnen, aber indem sie – mit notwendigem Beharrungsvermögen bis hin zu signifikanter Querulanz – Verfahren notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht betreiben, erweisen sie sich als Förderer der Verfassung. Ohne ihre Anträge 29 könnte und müsste 30 das Gericht nicht entscheiden; es wäre nicht das, was es ist – eben auch ein Bürgergericht und eine erste Adresse des demokratischen Verfassungsstaats für denjenigen, der diese zu nutzen bereit und in der Lage ist. Bereits die Einlegung einer Beschwerde kann eine gewisse Befriedungsfunktion entfalten, weil man dann einschließlich des Gangs nach Karlsruhe 31 alles versucht hat, um einen Konflikt im eigenen Sinne zu lösen. Gerichtliche Verfahren gehen zwar häufig mit einem Verlust an Lebensqualität einher, jedoch wirkt die Verfahrensdauer bisweilen dilatorisch. Eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht mag insoweit eher zu verschmerzen sein als die im Ausgangsverfahren vor dem AG Buxtehude 32.

So wäre die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um viele Aspekte ärmer, wenn Wilhelm Elfes 33, Erich Lüth 34 und Karl-Heinz Röber 35 oder – in jüngerer Zeit – Kazim Görgülü 36, Irene Katzinger-Göth 37und Julia Kümmel 38 nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gezogen wären, von regelmäßig wiederkehrenden Beschwerdeführern wie Gerhart Baum 39 sowie Caroline 40 und Ernst-August von Hannover 41 ganz zu schweigen – ob andere für sie eingerückt wären, ist nicht mit abschließender Sicherheit zu sagen; einzig in Verfahren mit einer großen Zahl von Beschwerdeführern, die regelmäßig als Rechtssatzverfassungsbeschwerden geführt werden, wie etwa im Falle der Vorratsdatenspeicherung, scheint die Relevanz des Einzelnen weniger von Belang zu sein. Die Beschwerdeführer speisen den Strom, der über Gerichtsentscheidungen die Heraus- und Fortbildung der Dogmatik versorgt. Dabei wäre es verfehlt, die Beschwerdeführer durchweg als Sieger zu bezeichnen: Das Elfes-Urteil hat sich zwar in das Bewusstsein eingebrannt, in der Sache war Elfes aber nicht erfolgreich gewesen 42. Röber war mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung der Versagung einer Apothekenbetriebserlaubnis und die dieser Versagung zugrunde liegende Regelung zwar erfolgreich, die Eröffnung der Apotheke scheiterte dann allerdings aus tatsächlichen Gründen. Die Buchmacherin Katzinger-Göth konnte mit dem Urteil zu den Sportwetten einen kollektiven, nicht jedoch einen eigennützigen Erfolg verbuchen. Und für Görgülü war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – auch wegen der Renitenz eines Spruchkörpers des OLG Naumburg – noch nicht der Schlusspunkt in der Auseinandersetzung über seine Rechte als Vater eines Kindes, mit dessen Mutter er nicht verheiratet ist 43. Die Beschwerdeführer verschwinden regelmäßig hinter den sachbezogenen Entscheidungsnamen, zumal nicht das Bundesverfassungsgericht die Personalisierung der Entscheidungen betreibt 44. Nur wurden Elfes und Lüth durch die stete Referenz und ihre bereits zuvor herausgehobene Stellung 45 eben zu einem Teil der A-Prominenz des Verfassungsrechts. Nicht übersehen werden sollten weiterhin die Verfahrensbevollmächtigten, die je nach Perspektive vor oder hinter den Beschwerdeführern stehen: Auch ihr Anteil am Erfolg ist zu würdigen 46.

III. Die Verbindung zwischen den Organen der Verfassungsrechtspflege und zu lösenden Fällen

Bis hierher wurden zwei Organe der Verfassungsrechtspflege beschrieben, ohne deren Wirken es um das Grundgesetz anders, um nicht zu sagen: schlechter bestellt wäre. So wertvoll diese Beiträge sind, Fälle kann man mit ihnen nicht lösen – und auch mit dem schlichten Normtext stößt man relativ schnell an Grenzen. Unabdingbar ist daher die Erwähnung des missing link, der aus den Folgen der Vorleistungen von Bundesverfassungsgericht und Beschwerdeführern gespeist wird: die Rechtsdogmatik.

Rechtsdogmatik ist das auf dem Wortlaut des geltenden Rechts, seiner Durchdringung, Interpretation, Rekonstruktion und Verdichtung beruhende System juristischer Sätze und Regeln 47. Mit ihrer Hilfe werden abstrakte Normen handhabbar, und die Lösung eines Falls wird überhaupt erst möglich: Ohne die Rechtsdogmatik wäre man auf den bloßen Gesetzestext verwiesen; es könnte eine Kasuistik entwickelt werden, mit deren Hilfe Fälle ebenfalls, aber eben anders gelöst werden könnten 48. Für das deutsche Recht und die deutsche Rechtswissenschaft ist Rechtsdogmatik essentiell, auch für das Verfassungsrecht, für das in den 1950er Jahren ein „großes dogmatisches Projekt“ 49 begonnen wurde 50.

Ein darauf basierendes grundrechtsdogmatisches Minimum könnte wie folgt beginnen: Grundrechte sind Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Jedermann – eine natürliche und nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG eine juristische Person – ist durch sie berechtigt, die staatlichen Gewalten sind nach Art. 1 Abs. 3 GG auf sie verpflichtet. Die Grundrechte schützen die Entfaltung des Einzelnen, sei es im höchstpersönlichen, im erweiterten persönlichen oder im wirtschaftlichen Lebensbereich, sei es unspezifisch bei der Betätigung des Willens, das zu tun, was man möchte; Art. 2 Abs. 1 GG ist insoweit als Auffanggrundrecht einer allgemeinen Handlungsfreiheit zu betrachten. In bestimmten Konstellationen und in unterschiedlichen Anteilen entfalten die Grundrechte neben der Abwehrfunktion auch eine Leistungs- und eine Mitwirkungsfunktion. Sobald und soweit der Staat sein Gewaltmonopol in Bezug auf Mehrpersonenverhältnisse in Anspruch nimmt, wirken die Grundrechte mittelbar auch auf diese Verhältnisse ein. Grundrechte können eingeschränkt werden: entweder aufgrund eines einfachen oder eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts, dessen Inanspruchnahme selbst im Lichte der Bedeutung des einzuschränkenden Grundrechts zu beurteilen ist, oder durch kollidierendes Verfassungsrecht in Gestalt konkreter verfassungsrechtlich, insbesondere grundrechtlich geschützter Rechtspositionen. Ob eine Einschränkung überhaupt vorliegt, richtet sich nach dem Schutzbereich des Grundrechts und danach, ob in diesen eingegriffen wurde, entweder unmittelbar und final („klassischer“) oder aber auch nur faktisch und mittelbar („moderner“ Eingriffsbegriff). Die Schutzbereiche sind nicht auf der Grundlage des einfachen Gesetzes, sondern auf der Ebene des Verfassungsrechts zu definieren. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; ansonsten ist das Grundrecht durch den Eingriff verletzt. Soweit verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter miteinander kollidieren, müssen sie möglichst schonend zum Ausgleich gebracht werden. Eine Einschränkung muss in diesem Zusammenhang jedenfalls verhältnismäßig sein, das heißt, – einen legitimen Zweck verfolgend – geeignet und erforderlich sein sowie in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des einzuschränkenden Grundrechts stehen.

Die vorstehenden Ausführungen verknüpfen zahlreiche Aussagen zu den Grundrechten zu einem – oberflächlichen – Befund zu den Freiheitsrechten, einem freiheitsrechtlichen common sense, der jedoch nicht über jede Kritik erhaben ist 51. Die Aussagen sind nicht durch einen willkürlich handelnden Halb- 52 oder einen „Hausgott“ 53, die Natur oder den Text des Grundgesetzes formuliert, sondern das Kondensat der Tätigkeit verschiedener als Mittler des Verfassungsrechts, als Organe der Verfassungsrechtspflege wirkender Personen. Für jede der Aussagen ließen sich zahlreiche Belege finden, insbesondere aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und aus rechtswissenschaftlichen Monographien, ohne dass es bei der Lösung eines Falls auf diese einzelnen Belege, geschweige denn einen „Erfinder“ der jeweiligen Aussage 54 ankäme: Rechtsdogmatik vollzieht sich plural 55 und polyzentrisch 56; sie ist dazu bestimmt, eine „rationale Stütze des Rechts“ 57 zu sein – auch wenn sie diesem Anspruch nicht immer gerecht wird. Auch sie ist zahlreichen An- 58 und Herausforderungen ausgesetzt, insbesondere neuen gesetzlichen Regelungen 59 und Gerichtsentscheidungen 60 – sie steht damit im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel 61. Abseits der Falllösung ist es auch Aufgabe der Rechtswissenschaft, daran Anteil zu nehmen, die Wirkungspfade nachzuweisen und die Grundrechtsdogmatik zukunftsfähig weiterzuentwickeln, auf dass sie nicht ihre Konturen verliere 62.

IV. Zum Geleit: Juristen als Organe alltäglicher Verfassungsrechtspflege

Es wäre nicht erträglich, wenn für die Durchsetzung der Grundrechte immer (mittels der Verfassungsbeschwerde) das Bundesverfassungsgericht angerufen werden müsste, die staatlichen Gewalten ihre Bindung nach Art. 1 Abs. 3 GG strikt übersähen oder es allein auf die Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 63 und die Notifizierung von Legislative, Exekutive und Legislative ankäme. In der Unerträglichkeit verfassungsrechtlicher Ignoranz – und nicht in einer vor dem Hintergrund der Europäisierung vermeintlich überkommenen Tradition – ist auch ein Grund zu sehen, warum das Verfassungsrecht Pflichtfach der Staatsprüfung ist. § 7 Abs. 2 der JAPrO 64 legt fest, dass sich diese Staatsprüfung an den Inhalten des Studiums orientiert und dass das systematische Verständnis der Rechtsordnung und die Fähigkeit zu methodischem Arbeiten im Vordergrund von Aufgabenstellung und Leistungsbewertung stehen. Vorwegzunehmen ist, was damit nicht bezweckt wird: ein Verfassungsimperialismus oder Verfassungsgerichtspositivismus gegenüber anderen Fächern, eine Unterjochung des Zivilrechts, die Entwicklung oder gar Zementierung eines Berufsbildes „Verfassungsjurist“, die Abnahme einer Verpflichtungserklärung auf eine „objektive Wertordnung“ 65. Verfassungsrecht als Pflichtfach sollte nicht als Zumutung verstanden werden, soll nicht zu Ohnmachten oder Ergebenheit gegenüber Schicksal oder Zufall oder Bundesverfassungsgericht leiten. Es geht um die Vorstellung dessen, was in der für Juristen zuvörderst relevanten Rechtsordnung als in besonderem Maße bindend festgelegt wurde, wie die Rechtsordnung konstituiert und konstitutionalisiert 66 wird, was die Maßstäbe für Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsprechung sind 67. Deren Ergebnisse sind aus juristischer Sicht immer wieder zu beurteilen, und die Verfassung prägt dabei den Maßstab, wenn sie ihn  (jedenfalls als Fluchtpunkt) nicht sogar bildet. Bei der Betätigung des staatlichen Gewaltmonopols ist die verfassungsrechtliche Hegung durch Prinzipien wie den Vorbehalt und den Vorrang des Gesetzes sowie die Verhältnismäßigkeit kein hehrer Anspruch, sondern Kern des materiellen Rechtsstaats – und muss entsprechend angenommen werden. Diese Einsicht ist auch für diejenigen essentiell, die staatliche Maßnahmen veranlassen oder im Wege der Überprüfung staatlicher Maßnahmen Interessen geltend machen: Im Öffentlichen und im Strafrecht ist die Notwendigkeit der Rückbindung an die Verfassung evident, im Bereich des Zivilrechts ist die Rückbindung unter Berücksichtigung der Privatautonomie heikel, sie kann aber (nicht nur ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) nicht ausgeschlossen werden. Mit einer solchen Interessenvertretung wird jeder examinierte Jurist gelegentlich betraut sein. Er sollte sie – nicht ohne verfassungsrechtlichen Kompass 68 – selbstbewusst übernehmen.

 

Der Autor des Jubiläumsbeitrages: Eike Michael Frenzel, geboren 1975; Studium der Rechtswissenschaft in Augsburg; Referendariat in Augsburg, Speyer und Toronto; 2004 Promotion zum Dr. iur.; derzeit Akademischer Rat a. Z. (beurlaubt) und Lehrstuhlvertreter am Institut für Öffentliches Recht, Abt. 4, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Albert-Ludwigs-Uni­ver­si­tät Freiburg i. Br. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Grundrechte, Staatsorganisationsrecht und Gesetzgebungslehre sowie Verwaltungsorganisationsrecht.

 


Fußnoten:

  1. K. Hesse,Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Auflage 1967; zur Rezeption in Deutschland vgl. A. Rinken, Die „Grundzüge“ von Konrad Hesse als Lehrbuch, R. Geitmann, Die „Grundzüge des Verfassungsrechts“ von Konrad Hesse im Wandel ihrer Auflagen, und G. Herbert, Die „Grundzüge“ und ihre Wirkung in der Rechtsprechung, jeweils JöR 57 (2009), 527 ff., 531 ff. und 537 ff.
  2. Die einzelnen Grundrechte werden in der Erstauflage auf 33 von knapp 270 Seiten behandelt (20. Auflage 1995: 41 von knapp 320 Seiten).
  3. K. Hesse,Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1995, Rn. 41 (so bereits ab der 4. Auflage 1970, S. 17; ähnlich in der Erstauflage 1967, S. 17); W. Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 171: „Die Verfassung als Rechtsnorm lebt in der Realität, von der Realität und durch die Realität“.
  4. Vgl. die Nachrufe auf Hesse von P. Häberle, AöR 130 (2005), 289, R. Steinberg, NJW 2005, 1556, und E. Benda, JZ 2005, 454.
  5. Vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG sowie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG einerseits und Art. 56 S. 1, 64 Abs. 2 GG andererseits.
  6. Vgl. BVerfGE 7, 198 (210) – Lüth (1958): „Ausleger“.
  7. Vgl. für Richter des Bundesverfassungsgerichts auch Art. 97 Abs. 1 GG, § 11 Abs. 1 S. 1 BVerfGG.
  8. Wobei klar sein muss, dass es auch darauf ankommt, wo und wem man diese Frage stellt.
  9. Vgl. Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG, § 90 Abs. 2 BVerfGG; BVerfGE 7, 198 (207) – Lüth (1958): nicht dazu berufen, als „(…) ‚Superrevisions’-Instanz gegenüber den Zivilgerichten tätig zu werden“; BVerfGE 18, 315 – Marktordnung (1965): „außerordentlicher Rechtsbehelf“.
  10. Dazu aus unterschiedlichen Perspektiven etwa bei J. Limbach, Das Bundesverfassungsgericht, 2000 (die Innensicht einschließend); R. Häußler, Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und politischer Führung, 1994, S. 22 ff. (Dissertation); U. Wesel, Der Gang nach Karlsruhe, 2004, 54 ff. (die zum Teil sehr pointierte Außensicht).
  11. Änderung des Grundgesetzes vom 29. Januar 1969 (BGBl. I S. 97); dazu BT-Drs. V/2677, V/3506; ausführlich S. Hain, Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht, 2002, S. 113 ff.
  12. Mit der fraglichen Methode der Ermittlung des Willens des Grundgesetzes, vgl. BVerfGE 7, 198 (205): „Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will (…), in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt“.
  13. Zitiert nach BVerfGE 7, 198 (200); nachzuhören bei M. Reissenberger, Residenz des Rechts. Das Bundesverfassungsgericht. Ein Porträt mit historischen Tondokumenten, herausgegeben von der SDR-Holding, 1996, Nr. 10 – Lüth.
  14. BVerfGE 7, 230 – Mietrechtsstreit; vgl. aktuell LG Chemnitz, Urteil vom 21. Oktober 2011 – Kinderpiratenflagge (als Sichtschutz für ein Fenster in einer Mietwohnung).
  15. Vgl. zur Nachvollziehung durch das BVerfG BVerfGE 34, 269 (280 ff.) – Soraya (1973).
  16. Beachte zu dessen Entstehung jedoch W. Steinmüller, Das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Wie es entstand und was man daraus lernen kann, RDV 2007, 158 ff.
  17. Zur Gesetzeskraft von Entscheidungen des BVerfG § 31 BVerfGG.
  18. Vgl. auch BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung (1983).
  19. Eingeführt durch § 30 Abs. 1 S. 2 BVerfGG (1970); vgl. auch § 56 der Geschäftsordnung des BVerfG; zum Lesenswert aus Sondervoten vgl. E. M. Frenzel, Zugänge zum Verfassungsrecht, 2009, S. 109 ff. m. w. N.
  20. H. Vorländer, Verfassungsgeschichten, in: G. Melville/K.-S. Rehberg (Hrsg.), Gründungsmythen – Genealogien – Memorialzeichen, 2004, S. 177 (180).
  21. Vgl. R. Lamprecht, Ich gehe bis nach Karlsruhe, 2011, S. 25 ff.; von §§ 2 Abs. 3, 3 BVerfGG ausgehend – mit Beispielen einiger Grenzgänger zwischen Anwaltschaft und Gericht W. Janisch, Aus der Kanzlei nach Karlsruhe, Süddeutsche Zeitung Nr. 249 vom 28. Oktober 2011, S. 5.
  22. Zwischenzeitlich kann man die Intransparenz im Vorlauf zur Ernennung und die Vorprägung durch den parteipolitischen Proporz in Bundestag und Bundesrat mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis nehmen – bei aller Kritik daran ist ein anderes, besseres Verfahren nicht in Sicht.
  23. So D. Baecker, Die nächste Universität, in: Lettre International, Heft 77, Sommer 2007, S. 82 (Neuabdruck in: ders., Studien zur nächsten Gesellschaft, 2007, S. 98), im Anschluss an N. Luhmann.
  24. Vgl. zuletzt C. Möllers/O. Lepsius/M. Jestaedt/C. Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011; C. Hillgruber, Ohne rechtes Maß? Eine Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach 60 Jahren, JZ 2011, 861; in Bezug auf das Lissabon-Urteil (BVerfGE 123, 267) M. Jestaedt, Warum in die Ferne schweifen, wenn der Maßstab liegt so nah?, Der Staat 48 (2009), 497; zum Wunsiedel-Beschluss (BVerfGE 124, 300) W. Höfling/S. Augsberg, Grundrechtsdogmatik im Schatten der Vergangenheit, JZ 2010, 1088; zum Rauchverbot in Gaststätten (BVerfGE 121, 317) S. Bulla, Das Verfassungsprinzip der Folgerichtigkeit und seine Auswirkungen auf die Grundrechtsdogmatik, ZJS 2008, 585 (589 ff. m. w. N.); vgl. zuvor E.-W. Böckenförde, Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranken, Der Staat 42 (2003), 165 (Neuabdruck in: ders., Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011, S. 230); B. Schlink, Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, Der Staat 28 (1989), 161; vgl. außerdem ders., Abschied von der Dogmatik, JZ 2007, 157 (161 f.); J. Isensee, Bundesverfassungsgericht – quo vadis?, JZ 1996, 1085 (Festvortrag anlässlich der Eröffnung des 61. Deutschen Juristentags 1996 in Karlsruhe).
  25. Vgl. den Umgang mit BVerfGE 93, 121 – Einheitswerte II (dort bereits das Sondervotum des Richters E.-W. Böckenförde, S. 149 ff.), in BVerfGE 115, 97 – Halbteilungsgrundsatz (2006).
  26. Dazu etwa O. Klein, Straßburger Wolken am Karlsruher Himmel, NVwZ 2010, 221; auch Popularität (vgl. U. Kranenpohl, Hinter dem Schleier des Beratungsgeheimnisses, 2010, S. 400 ff.) kann negative Seiten haben, etwa wenn Erwartungen enttäuscht werden.
  27. Vgl. R. Stürner, Gerichtsöffentlichkeit und Medienöffentlichkeit in der Informationsgesellschaft, JZ 2001, 699 (703); T. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Auflage 1991, S. 214 ff.
  28. Die still er- oder unterschiedlich ausgetragen werden können, vgl. als Beispiel die Replik von W. Hoffmann-Riem, Grundrechtsanwendung unter Rationalitätsanspruch, Der Staat 43 (2004), 203.
  29. Vgl. BVerfG, Jahresstatistik 2010, 2011 (Stand: 31. Dezember 2010): 96,47% der seit 1951 anhängig gemachten Verfahren waren Verfassungsbeschwerden, 2,4% der bereits entschiedenen Verfassungsbeschwerden waren erfolgreich; empirisch vergleichend und analysierend aktuell M. Jestaedt, Der „Europäische Verfassungsgerichtsverbund“ in (Verfahrenskenn-)Zahlen, JZ 2011, 82 (873 ff.).
  30. Vgl. die Bezugnahme auf Bertolt Brechts „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ H. Prantl, Europäische Sternstunde, SZ Nr. 148 vom 1. Juli 2009, S. 4.
  31. Zuletzt zum Jubiläum anschaulich aufgegriffen von R. Lamprecht (Fn. 21).
  32. So in Abgrenzung zum BGH das Beispiel bei U. Kranenpohl(Fn. 26), S. 420.
  33. BVerfGE 6, 32 – Elfes (1957).
  34. BVerfGE 7, 198 – Lüth (1958).
  35. BVerfGE 7, 377 – Apotheken (1958).
  36. BVerfGE 111, 307 – Görgülü  (2004); vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 2685; B. Fritz, In den Fängen der Amtsgewalt, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 12 vom 14. Januar 2006, S. 3.
  37. BVerfGE 115, 276 – Sportwetten (2006); dazu H. Kerscher, Ein donnerndes „So nicht!“, Süddeutsche Zeitung Nr. 74 vom 29. März 2006, S. 2.
  38. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – Az. 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 – Flughafenverbot (2011); dazu H. Kerscher, Demoverbot auf Flughafen, Süddeutsche Zeitung Nr. 17 vom 21./22. Januar 2006, S. 5.
  39. BVerfGE 109, 279 – Lauschangriff (2004); BVerfGE 115, 118 – Luftsicherheitsgesetz (2006); BVerfGE 120, 274 – Grundrecht auf Computerschutz (2008); BVerfGE 125, 260 – Vorratsdatenspeicherung (2010).
  40. Vgl. BVerfGE 97, 125 – Caroline I/van Almsick (1998); BVerfGE 101, 361 – Caroline II (1999); BVerfGE 120, 180 – Caroline III (2008).
  41. BVerfG, AfP 2001, 212 = NJW 2001, 1921 – Bildveröffentlichung; vgl. aber auch BVerfGE 112, 1 – Alteigentümer (2004).
  42. Vgl. auch R. Lamprecht (Fn. 21), S. 50 ff.
  43. Verfassungsrechtlich ist dieser Bereich längst nicht erledigt, vgl. zum Phänomen „Sperrvater“ OLG Köln, Urteil vom 17. Mai 2011 – Az. 14 UF 160/10.
  44. Gleichwohl wurde bisweilen unter ausdrücklicher Nennung des Namens auf das Lüth-Urteil verwiesen, vgl. BVerfGE 30, 173 (219/220) – Mephisto (1971), Sondervotum der Richterin W. Rupp-von Brünneck;BVerfGE 35, 79 (113) – Hochschulurteil (1973); unter Konrad Hesses Mitwirkung:BVerfGE 42, 143 (147) – Deutschland-Magazin (1976); BVerfGE 42, 163 (169) – „Deutschland-Stiftung“ (1976); BVerfGE 43, 130 (137) – Flugblatt (1976); BVerfGE 50, 290 (337) – Mitbestimmung (1979); BVerfGE 54, 129 (136) – Kunstkritik (1980); BVerfGE 54, 208 (219) – Böll (1980); BVerfGE 57, 295 (320) – 3. Rundfunkentscheidung (1981); BVerfGE 59, 231 (264) – freier Rundfunkmitarbeiter (1982); BVerfGE 60, 234 (239) – Kredithai(1982); BVerfGE 62, 230 (242) – Boykottaufruf  (1982); BVerfGE 74, 297 (323) – 5. Rundfunkentscheidung (1987); zuletzt BVerfG (Kammer), Beschluss vom 7. März 2003 – Az. 1 BvR 1962/01, NJW 2002, 2771.
  45. Vgl. A. Eßer, Wilhelm Elfes 1884 bis 1969. Arbeiterführer und Politiker, 1990; E. Lüth, Viel Steine lagen am Weg, 1966, insbesondere S. 263 ff.
  46. Vgl. zur Lüth-Entscheidung D. Gosewinkel, Adolf Arndt, 1991, S. 495 ff.; für die Perspektive des „Büros Arndt“ auf den Fall vgl. W. Hennis, Lüth – und anderes, in: T. Henne/A. Riedlinger (Hrsg.), Das Lüth-Urteil aus (rechts-)historischer Sicht, 2005, S. 187 ff.
  47. Vgl. aus der Ausbildungsliteratur etwa J. Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2007, S. 353 ff.
  48. Vgl. B. Schlink (Fn. 24), 157 (160), unter Verweis auf die USA: „Rechtswissenschaft geht auch anders.“
  49. So die Umschreibung von B. Schlink (Fn. 24), 157 (158).
  50. Rückblickend E.-W. Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990; vgl. auch ders., Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), 1.
  51. Vgl. zu Art. 2 Abs. 1 GG etwa das Sondervotum des Richters D. Grimm, BVerfGE 80, 137 (164 ff.) –Reiten im Walde (1989); B. Pieroth, Der Wert der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG, AöR 115 (1990), 33 ff. m. w. N.; M. Hochhuth, Lückenloser Freiheitsschutz und die Widersprüche des Art. 2 Abs. 1 GG, JZ 2002, 743.
  52. Vgl. L. Carroll, Alice im Wunderland und was Alice hinter den Spiegeln fand, 1992, S. 125 (207): Carroll lässt den auf einer Mauer sitzenden HumptyDumpty „betont herablassend“ sagen: „Wenn ich ein Wort verwende, dann hat es zu bedeuten, was ich will – nicht mehr und nicht weniger.“ Alice erwidert: „Die Frage ist nur, ob die Wörter das bedeuten wollen, was Sie wollen?“, woraufhin HumptyDumpty antwortet (wobei die Übersetzung sich hier wohltuend vom Original distanziert): „Die Frage ist nur, wer bestimmt – und das ist der, der oben sitzt!“
  53. So W. Hennis, Integration durch Verfassung?, in: ders., Regieren im modernen Staat, 2000, 353 (356): „(…) im BVerfG schien sich Rudolf Smend als Hausgott durchgesetzt zu haben – zur Erbitterung von Carl Schmitt und seinen Schülern“ – bei aller Bedeutung von Smend ein verfehltes Bild. Smend hielt den Festvortrag zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts: R. Smend, Das Bundesverfassungsgericht in der rechtsstaatlichen Ordnung, in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg 11 (1962), Nr. 11, S. 1 f.
  54. Als Beispiel sei auf die auf K. Hesse,Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Auflage 1967, S. 28 f., zurückgeführte Figur praktischer Konkordanz hingewiesen, der mit einer Referenz (dort Fn. 30) U. Scheuner und P. Lerche seine Reverenz erweist. Vgl. die gelegentliche explizite Inanspruchnahme der Figur (ohne Fremdreferenz) in der Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 59, 360 (381) – Schülerberater (1982); BVerfGE 89, 214 (232) – Bürgschaftsverträge (1993); BVerfGE 93, 1 (21, 23 f.) – Kruzifix (1995); BVerfGE 97, 169 (176) – Kleinbetriebsklausel (1998); BVerfGE 115, 205 (234 f., 240 f.) – Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (2006); BVerfGE 122, 89 (107) – Wissenschaftsfreiheit (2008); vgl. bereits BVerfGE 47, 327 (369) – Universitätsgesetz Hessen (1978); unter Verweis auf Hesse das Sondervotum des Richters J. F. Henschel, BVerfGE 78, 38/54 (56) – Familienname (1988).
  55. Anknüpfend an R. Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 93: „Geschichtsschreibung ist plural“.
  56. Dazu J. F. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 430 ff.
  57. So C. Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, 1996, S. 403 ff.; zu unterschiedlichen Dogmatikkonzeptionen vgl. dort S. 101 ff.
  58. Vgl. auch R. Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: J. Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 149.
  59. Demnächst zum Beispiel das Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik; zum bisherigen Verfahrensgang vgl. Gesetzentwurf, BT-Drs. 17/5451 vom 12. April 2011; Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 17/6400 vom 30. Juni 2011; Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/120 vom 7. Juli 2011, S. 13871 ff.; BR-Drs. 480/11 vom 2. September 2011; Bundesrat, Plenarprotokoll zur 886. Sitzung am 23. September 2011, S. 395.
  60. Als Beispiele: BVerfGE 125, 175 – Hartz IV (2010); BVerfGE 124, 300 – Wunsiedel (2009); BVerfGE 121, 317 – Rauchverbot in Gaststätten (2008).
  61. Vgl. neben den in Fn. 24 genannten Beiträgen C. Möllers, Wandel der Grundrechtsjudikatur, NJW 2005, 1973; D. Murswiek, Grundrechtsdogmatik am Wendepunkt?, Der Staat 45 (2006), 473.
  62. Dazu der ernüchternde Befund bei E.-W. Böckenförde (Fn. 24), 165; weiterhin B. Schlink (Fn. 24), 157.
  63. Vgl. § 31 BVerfGG.
  64. Verordnung des Justizministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Juristen (Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung – JAPrO) vom 8. Oktober 2002, zuletzt geändert durch Verordnung vom 23. März 2011 (GBl. S. 164).
  65. Vgl. oben, Fn. 12.
  66. Dazu G. F. Schuppert/C. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 36 ff.
  67. Vgl. für Richter Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG, §§ 25, 38 Abs. 1 DRiG; für Beamte vgl. auch §§ 60, 63, 64 Abs. 1 BBG (Bund), §§ 47 Abs. 1, 48 LBG (Baden-Württemberg); für Rechtsanwälte §§ 1, 12a BRAO; aus vielfältigen Perspektiven demnächst T. Vesting/S. Korioth (Hrsg.), Der Eigenwert des Verfassungsrechts, 2011.
  68. Vgl. M. Ende, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Stuttgart 1960, S. 116 (dessen Erstaufführung der Augsburger Puppenkiste im ARD-Programm – Stichwort: Jubiläum – sich 2011 zum 50. Mal jährt); vgl. auch N. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 13.

Der Emmely-Fall: Viel Lärm um nichts ?!

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Zugleich eine Auseinandersetzung mit der Prüfung des wichtigen Grundes bei Verdachtskündigungen

stud. jur. Tobias Mandler

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Am 10.06.2010 entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt über eine Frage, die bis dahin innerhalb der Gesellschaft und Wissenschaft kontrovers diskutiert worden war und die Gemüter erhitzt hatte[1]. Es handelte sich dabei abstrakt um die Fragestellung, ob es einem Arbeitgeber möglich ist einem Arbeitnehmer wirksam fristlos zu kündigen, wenn (der Verdacht besteht, dass) der Arbeitnehmer das Vermögen des Arbeitgebers durch ein „Bagatelldelikt“ um einen geringen Betrag, hier 1,30 €, vermindert hat. Das Bundesarbeitsgericht entschied dazu, dass die Möglichkeit des Arbeitgebers im konkreten Einzelfall nicht bestand und sowohl die ausgesprochene fristlose als auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung unwirksam sei. Ob die Antwort und die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts aber überzeugen kann und inwieweit die Entscheidung Einfluss auf die arbeitsrechtliche Praxis haben wird, soll hier im Folgenden dargelegt werden.

Zunächst aber zum Sachverhalt 1: Barbara Emme („Emmely“) war zum Zeitpunkt der Kündigung, dem 22. Februar 2008, 50 Jahre alt und arbeite seit dem 25. April 1977, also knapp 31 Jahre als Kassiererin bei einer Berliner Supermarktkette 2. Anlass für die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die Einlösung zweier Pfandbons im Wert von 48 Cent und 82 Cent gegeben. Die Bons wurden am 22. Januar 2008 dazu verwandt, um den Endbetrag eines Personaleinkaufs von Frau Emme entsprechend zu vermindern. Bei den Bons handelte es sich um zwei zuvor gefundene Kundenbons, die zur Aufbewahrung für den Kunden im Kassenbüro der Filiale aufbewahrt worden waren. Die Bons hatte Frau Emme aber erwiesenermaßen 3 entgegen der diesbezüglich getroffenen Anweisungen ihres Arbeitgebers an sich genommen. Die Sicherheit, mit der angenommen werden kann, dass es tatsächlich so war, begründet der Umstand, dass zu dem Zeitpunkt an dem die Pfandbons erstellt worden waren, Frau Emme nachgewiesener Maßen selbst an der Kasse tätig war und es ihr damit unmöglich gewesen ist die streitigen Bons selbst erstellt zu haben. Ferner lag zwischen der Erstellung der Bons ca. eine dreiviertel Stunde. Dies räumte sie in der Anhörung auch ein. Sie versuchte sich jedoch zunächst zu rechtfertigen. Vorgebrachte Erklärungsversuche 4, die Tochter oder gar eine Mitarbeiterin hätte die Bons in ihre Brieftasche gesteckt, verfingen aber nicht. Zum einen wohnte die Tochter in einiger Entfernung zum Supermarkt und zum anderen ist auch hier nicht erkennbar, warum die Tochter in 45-minütiger zeitlicher Versetzung Flaschen im Pfandwert von 82 und 48 Cent zurückgebracht haben soll, um die Bons dann heimlich der Mutter in das Portmonee zu legen. Fernerhin konnten die Bons auch nicht von einer Mitarbeiterin stammen, da selbige nicht durch den Filialleiter abgezeichnet waren, was den Anweisungen für Personalpfandbons entsprochen hätte. Selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte Frau Emme dies bemerken müssen, weil es Mitarbeitern gemäß Anweisung nur erlaubt war Bons einzulösen, die zuvor vom Filialleiter abgezeichnet worden waren. Diese Regelung sollte gerade dem Missbrauch durch Mitarbeiter vorbeugen und diesen verhindern. Soweit also zum Sachverhalt: wobei für den Interessierten anzumerken ist, dass der Tathergang durch die Kassiererin „aufgedeckt“ wurde, die den Personaleinkauf von Frau Emme durchführte. Sie sagte später im Prozess gegen Frau Emme aus und wurde von dieser wiederum öffentlich bezichtigt ihr eine „Falle“ gestellt zu haben.

Wo liegt nun aber das „Revolutionäre“ der Entscheidung und der Punkt an dem sich viele Arbeitgeber gestört haben mögen? Zeitweilig wird im Zusammenhang mit der Emmely-Entscheidung von einer Änderung der Rechtsprechung gesprochen, die dahingehend verstanden werden muss, dass nunmehr Bagatelldelikte, also Delikte, die einen geringen wirtschaftlichen Schaden verursachen, zukünftig nicht mehr eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen können. Die Vorstellung, des „unkündbaren“ Mitarbeiters, der sich „alles“ herausnehmen kann, verstärkt dabei die Enttäuschung über das Urteil auf der Arbeitgeberseite. Aber liegt mit der Emmely-Entscheidung wirklich eine Rechtsprechungsänderung vor? Dazu muss ein Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen aus der Zeit vor dem Urteil gesucht werden. Zuvor sollte man sich jedoch zumindest die prüfungsrelevanten Tatbestandsmerkmale der fristlosen arbeitgeberseitigen Kündigung, wie sie im Fall Emmely angewandt wurden, vergegenwärtigen, um die tragenden Schlagworte des Gerichts, wie „an sich geeigneter Grund“ und Interessenabwägung in der Prüfung einordnen und die Rechtsprechung fixieren zu können. Die Kündigung wurde als Verdachtskündigung ausgesprochen, weshalb deren Voraussetzungen aufgelistet werden sollen. Es verbleibt anzumerken, dass sich an dem ursprünglichen Charakter der Kündigung im Prozess nichts verändert hat, obgleich dieser Auffassung verschiedene Passagen der Urteile von Bundesarbeitsgericht und Landesarbeitsgericht bei einer unreflektierten Betrachtung zu widersprechen scheinen 5. Eine Verdachtskündigung, als besonderer Fall der außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung liegt vor, wenn die Kündigung im Kern nicht auf eine erwiesene Tatsache als Kündigungsgrund gestützt wird, sondern auf den bloßen schwerwiegenden Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schweren Verfehlung 6. Warum der bloße Verdacht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, liegt darin begründet, dass die Verdachtskündigung auf einen in der Person liegenden Grund abstellt und nicht auf einen verhaltensbedingten, bei dem die Tatsache zur Kündigung erwiesen sein müsste. Der Verdacht führt vielmehr dazu, dass das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Arbeitnehmer zerstört wird und damit ein personenbedingter Kündigungsgrund vorliegen kann 7. Daher ist auch der Arbeitnehmer kündbar, dem zum Beispiel eine strafbare Handlung noch nicht rechtskräftig nachgewiesen ist 8. Die Voraussetzungen der Verdachtskündigung sind 9:

1. Der Arbeitgeber muss die Kündigung gerade mit dem Verdacht begründen.

2. Der Verdacht muss sich aus objektiven Umständen ergeben.

3. Es muss die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Tatbegehung sprechen.

4. Die Tat müsste, wäre sie bewiesen, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können.

5. Der Verdacht muss das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört haben.

6. Der Arbeitgeber muss alle ihm zumutbaren Schritte zur Sachverhaltsaufklärung unternommen haben, insbesondere eine Anhörung durchgeführt haben 10.

Nachdem nun die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung wieder präsent sein sollten, muss nunmehr eine Einordnung der im Emmely-Fall gebrauchten Schlagworte erfolgen, die den Kern des Problems für die Prüfung und den Rechtssprechungsvergleich fixieren. Die Rede ist wiederholt von einem an sich geeigneten Grund und der Interessenabwägung. Diese Punkte finden sich zumindest dem ersten Anschein nach nicht in der Auflistung der Prüfungspunkte wieder. Dem ist jedoch nicht so, denn in Prüfungspunkt 4. werden alle angesprochenen Merkmale relevant. „Die Tat müsste, wäre sie bewiesen, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können“. Damit ist der Bogen zur „normalen“ außerordentlichen (Tat-)Kündigung gespannt, denn die Verdachtskündigung stellt letztlich lediglich eine besondere Fallgruppe der außerordentlichen Kündigung dar, wobei an den wichtigen Grund iSd. § 626 I BGB nur zusätzliche Anforderungen, nämlich die vorstehenden sechs Punkte, gestellt werden. Prüfungspunkt 4 entspricht damit inhaltlich der Prüfung eines wichtigen Grundes im Rahmen einer außerordentlichen Tatkündigung, obgleich der Prüfung nur eine fingierte Tat zugrunde liegt und diese an § 626 I BGB bemisst. Die Prüfung des wichtigen Grundes gliedert sich dabei wie folgt 11:

1. Keine Fiktion des Grundes nach §§ 7, 13 I 2 KSchG aufgrund von Präklusion (§ 4 S. 1 KSchG).

2. Bestimmung des wichtigen Grundes. Ist dieser an sich geeignet? (1. Stufe)

3. Interessenabwägung (2. Stufe)

Nunmehr ist das Problem im Fall Emmely herauszuarbeiten. Die Klage war nicht präkludiert und hielt die 3 Wochenfrist gem. § 4 S. 1 KSchG ein.

I. Wichtiger Grund an sich (1. Stufe)

Die Kündigung wurde als Verdachtskündigung ausgesprochen und war folglich auf personenbedingte Gründe gestützt. Da hier aber die Tat fingiert wird und überprüft werden soll, ob diese Tat, wäre sie nachweisbar gewesen, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, ist von einem verhaltensbedingtem Kündigungsgrund in der inzidenten Prüfung auszugehen. Fraglich war hier zunächst, ob aufgrund der Höhe des Schadens (zur Erinnerung 1,30 €) überhaupt ein an sich geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegen kann. Das ist nach wie vor in der Literatur und Rechtsprechung umstritten. So gehen einige Autoren und auch Arbeitsgerichte davon aus, dass ein geringfügiger Vermögensschaden keinen wichtigen Grund im Sinne von § 626 I BGB darstellen kann 12. Die Vertreter dieser Meinung knüpfen daher an ein tatsächliches Element, nämlich die Höhe des Schadens an. Anders beurteilen die Frage der Geringfügigkeit oder der „Bagatelle“ hingegen das Bundesarbeitsgericht und der überwiegende Teil der in der Literatur vertretenen Meinung. Diese gehen zutreffend davon aus, dass es auf die Höhe des Schadens zumindest in der 1. Stufe, nicht ankommen kann. Die Vertreter dieser Auffassung knüpfen das Vorliegen des wichtigen Grundes vielmehr an ein juristisches, normatives Element, nämlich das der Verletzung von arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten. Danach kann die Höhe des Schadens aber nicht zu berücksichtigen sein, denn die entsprechenden juristischen Tatbestände – sowohl im Strafrecht als auch im Arbeitsrecht – orientieren sich (zumeist 13) nicht an der Höhe des Schadens. Eine Pflichtverletzung liegt damit immer unabhängig von der Höhe vor. Das ist auch einleuchtend, denn diese Pflichtverletzungen sind an sich geeignet das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Arbeitnehmer zu zerstören. Zudem dürften die Vertreter der erstgenannten Meinung Schwierigkeiten haben die Grenze der unerheblichen Geringfügigkeit genau zu bestimmen. Ist zum Beispiel auf den Verkaufswert einer Sache oder nur auf den tatsächlichen Wert abzustellen? Wie kann ein ideeller Wert Berücksichtigung finden? Man stelle sich nur den Fall vor, in dem der Arbeitnehmer den nahezu wertlosen aber vom Arbeitgeber über alles geliebten Hund „entwendet“. Es bleibt daher festzustellen, dass eine Lösung auf der 1. Stufe im Bereich der Bagatelldelikte noch nicht gesucht werden kann, sondern auf die 2. Stufe zu verlagern ist, wo eine Wertung des Einzelfalls eher möglich und greifbar erscheint.

Worin lag nun aber der wichtige Grund im Fall von Barbara Emme, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, wenn die Geringfügigkeit sie auf dieser 1. Stufe zumindest nicht zu „retten“ vermag? In Betracht kamen zum einen die Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten als auch das Begehen von strafbaren Handlungen, die sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis ausgewirkt haben. Zunächst ist auf die Strafwürdigkeit der Handlungen von Frau Emme einzugehen, denn würden diese – unter der Fiktion, dass es sich bei den Bons tatsächlich um die gefundenen Kundenbons handelte – strafrechtlich zu würdigen sein, so läge darin bereits eine Verletzung zumindest der vertraglichen Nebenpflichten nach § 241 II BGB, denn schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers wären so verletzt worden. Der strafrechtliche Charakter der Handlungen ist dabei jedoch – zumindest nach einigen Autoren – zweifelhaft. Daher soll hier klargestellt werden, ob – unter der Fiktion der Beweisbarkeit der Handlungen – überhaupt Straftatbestände erfüllt wurden und welche dies gegebenenfalls sind.

1. Diebstahl

So kommt zunächst ein Diebstahl gem. § 242 I StGB in Betracht. Diebstahl ist Eigentumsverletzung durch Wegnahme zwecks Eigentumsanmaßung 14. Tatobjekt muss dabei immer eine fremde bewegliche Sache sein. Schon hier stört sich eine Meinung und behauptet es würde bei den Pfandmarken bereits an der Fremdheit der an sich beweglichen Sachen fehlen, da diese derelegiert, d.h. herrenlos, waren und Frau Emme daher Eigentum an diesen nach § 958 I BGB begründen konnte 15. Man verweist hier auf § 959 BGB, und unterstellt, dass der unbekannte Kunde kein Interesse mehr an den Pfandbons und damit auch an dem Eigentum daran hatte. Diese Unterstellung darf jedoch aufgrund der dürftigen Sachverhaltslage in Zweifel gezogen werden. Die Dereliktion nach § 959 BGB stellt ein Rechtsgeschäft dar und bedarf neben dem Realakt der Besitzaufgabe vor allem auch einer auf den Eigentumsverzicht gerichteten nicht, empfangsbedürftigen Willenserklärung 16. Jene Willenserklärung kann dabei aber nicht, wie jene Meinung annimmt, leichtfertig unterstellt werden. Art. 14 I GG zwingt zu einer wohlwollenden Auslegung, sodass im Zweifel anzunehmen ist, dass das Eigentum nicht aufgegeben werden sollte 17. Vorliegend bestand lediglich das Indiz, dass sich der Eigentümer nicht mehr meldete. Dies reicht jedoch für die Annahme einer Willenserklärung, die auf den Verzicht des Eigentums gerichtet ist, nicht aus. Ferner setzt § 959 BGB die Rechts- und Geschäftsfähigkeit des Handelnden voraus, von der hier nicht zweifelsfrei ausgegangen werden konnte. Minderjährige können zum Beispiel eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung nach § 111 S. 1 BGB nicht wirksam abgeben und damit auch nicht wirksam das Eigentum an einer Sache aufgeben 18. Das Geschäft ist auch grundsätzlich nicht lediglich rechtlich vorteilhaft nach § 107 BGB. Es bleibt daher festzustellen, dass das Eigentum nicht durch § 959 BGB aufgegeben wurde. Ferner greifen auch die Regelungen über Fund oder Vermischung nicht. Das Eigentum verblieb bei den unbekannten Dritten 19. Indem Frau Emme nunmehr jene Bons zunächst in ihre Brieftasche und damit in ihre Tabusphäre verbrachte, erfüllte sie den objektiven Tatbestand des § 242 StGB, denn alter Gewahrsam 20 wurde zugunsten ihres neuen Gewahrsams gebrochen. Eine Wegnahme lag damit ebenso vor. Auch vom Vorliegen des subjektiven Tatbestands kann ausgegangen werden. Insbesondere scheidet der Enteignungsvorsatz auch nicht deshalb aus, weil Frau Emme die Pfandbons gleich nach Gebrauch wieder von sich gab. Entäußert sich der Täter der Sache, sodass die Wiederherstellung der Besitzerposition ausgeschlossen erscheint, so ist der Enteignungsvorsatz anzunehmen 21. Indem Frau Emme die Bons an der Kasse abgab und diese mit den restlichen Pfandbons der Wahrscheinlichkeit nach vermengt worden wären 22, erschien es aussichtslos, dass die ursprüngliche Besitzerposition wiederhergestellt hätte werden können. Sie handelte folglich mit Enteignungsvorsatz. Mangels rechtfertigender oder entschuldigender Gründe ist damit davon auszugehen, dass Frau Emme mit der Wegnahme im Kassierbüro § 242 StGB, unter Fiktion der Handlungen, verwirklichte. An dieser Stelle wird nun wiederum zweierlei eingewandt: Zum einen soll § 248a StGB der Geeignetheit des Grundes entgegenstehen und zum anderen sei der Schaden nicht zum Nachteil des Arbeitgebers, sondern zum Nachteil des unbekannten Eigentümers entstanden 23. Dazu ist Stellung zu beziehen.

Der Einwand, dass § 248a StGB einer Qualifizierung als wichtigem Grund an sich im Sinne von § 626 I BGB entgegenstünde verfängt nicht. Zwar würde der Diebstahl aufgrund des geringen Schadens zweifelsfrei unter den Anwendungsbereich des § 248a StGB fallen und damit die Straftat nur auf Antrag verfolgt werden, dies ändert jedoch nichts an der Strafwürdigkeit der Handlungen. Lediglich der staatliche Strafverfolgungsanspruch wird dadurch in manchen Fällen eingeengt. An der Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten nach § 241 II BGB ändert dies jedoch nichts und damit auch nicht an der Geeignetheit des Grundes an sich. Aus demselben Grund ist auch der Meinung eine Absage zu erteilen, die behauptet, dass aufgrund der mangelnden Verletzung gegenüber dem Arbeitgeber der Diebstahl als Kündigungsgrund ausscheide. Begründung findet dies darin, dass es im Ergebnis gar nicht darauf ankommt, dass die Verletzung gegenüber dem Arbeitgeber eingetreten ist, sondern dass sich die Handlung nachteilig auf das Arbeitsverhältnis ausgewirkt hat 24. Davon ist – unter der Fiktion der tatsächlichen Begehung – vorliegend auch auszugehen. Das Verhalten von Frau Emme, der Diebstahl, war an sich geeignet das dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegende, notwendige Vertrauensverhältnis zu zerstören und stellt damit gleichzeitig eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten dar, denn ein Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass von Dritten eingebrachte Sachen vor den Zugriffen durch seine Mitarbeiter sicher sind. Durch die Handlungen wurden daher die Interessen des Arbeitgebers nach § 241 II BGB verletzt. Der notwendige Bezug zum Arbeitsverhältnis ist damit auch bei einer Straftat gegenüber einem Dritten, im Betrieb und während der Beschäftigungszeit, anzunehmen 25. Die mit dem Diebstahl verbundene Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten ist ein an sich ein geeigneter Grund, um eine außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung zu rechtfertigen.

2. Betrug

Der Vollständigkeit halber soll nunmehr aber auch erörtert werden, ob die zweite – fiktive – Handlung der Frau Emme, nämlich das Vermindern des Entgeltbetrages bei ihrem Wareneinkauf um 1,30 €, ebenso einen an sich wichtigen Grund darstellt, der geeignet ist eine arbeitgeberseitige Kündigung zu rechtfertigen. Zunächst bedarf es wiederum einer strafrechtlichen Bewertung, um damit zielgerichteter Rückschlüsse auf die Verletzung der Vertragspflichten ziehen zu können. Diskutiert wird hier vor allem der Betrug gem. § 263 StGB, der vereinzelt abgelehnt wird 26. Betrug ist eine durch Täuschung verursachte Vermögensschädigung eines anderen in Bereicherungsabsicht 27. In Zweifel gezogen wird hier zunächst, ob Frau Emme – unter Fiktion der Tatbegehung – tatsächlich täuschte. Eine Täuschung besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen 28. Vorspiegeln bedeutet, dass der Täter einem anderen eine nicht bestehende Tatsache als bestehend zur Kenntnis bringt 29. Dabei ist als Täuschungshandlung jedes Verhalten des Täters zu begreifen, dem ein Erklärungswert zukommt, aus dem sich die unwahre Behauptung erschließt 30. Indem die Pfandbons während des Personaleinkaufs wortlos vorgelegt wurden, wurde der Kassiererin die Tatsache vorgespielt, dass Frau Emme rechtmäßige Eigentümerin des Pfandbons 31 und der durch diesen repräsentierten Forderung ist. Der Umstand, dass sich auf den Bons nicht die sonst übliche Unterschrift des Filialleiters befand, ist dabei für die Täuschung unerheblich. Warum sonst sollte sie die Pfandbons ohne Begründung für ihren eigenen Personaleinkauf verwenden? Nachgewiesener Maßen war Frau Emme aber nicht Eigentümerin der Pfandbons, denn der oder die Unbekannten waren auch zu diesem Zeitpunkt noch Eigentümer und damit materiell Berechtigte 32. Frau Emme täuschte damit über Tatsachen. Diese Täuschung führte dann auch zu einer Vermögensverfügung durch die Kassiererin zulasten des Arbeitgebers 33, denn dadurch verminderte sich dessen Vermögen unmittelbar um den Betrag von 1,30 €. Von der Klägerseite wurde angeführt, dass durch die Handlung nicht das Vermögen des Arbeitgebers, sondern nur das Vermögen des jeweiligen Kunden um die entsprechenden Centbeträge vermindert wurde. Dieses Argument mag auf den ersten Eindruck hin plausibel erscheinen, verfängt im Ergebnis aber nicht. Zutreffend führt das Arbeitsgericht aus, dass sich durch das Vorlegen der Bons der Endbetrag des Personaleinkaufs von Frau Emme entsprechend verminderte, obgleich dazu kein Rechtsgrund bestand 34. Folglich ist von einem Vermögensschaden auszugehen. Entsprechende Bereicherungsabsicht lag dabei neben den übrigen Tatbestandsmerkmalen des § 263 StGB ebenfalls vor. Sie hätte – bei unterstellter Tatbegehung – daher einen Betrug begangen. Dieser Betrug müsste jedoch auch geeignet sein einen wichtigen Grund an sich darzustellen, der geeignet wäre eine außerordentliche fristlose arbeitgeberseitige Kündigung zu rechtfertigen. In Betracht kommt wiederum die Verletzung von Arbeitgeberinteressen gem. § 241 II BGB, also einer Verletzung von Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag. Unsicher erscheint dies hier nunmehr nicht von der Seite, dass die Straftat nicht gegenüber dem Arbeitgeber begangen wurde, sondern vielmehr daher, dass Frau Emme eine Straftat beging als sie einen Personaleinkauf tätigte, also während ihrer „Freizeit“. Fraglich ist, ob dabei der erforderliche Bezug zum Arbeitsverhältnis noch bestand. So geht die Rechtsprechung von der Geeignetheit strafbarer Handlungen im außerbetrieblichen Bereich aus, wenn durch diese das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird. Das war vorliegend gegeben. Frau Emme war Angestellte in derselben Filiale und beging dort vor den Augen ihrer Kollegin eine Straftat gegenüber ihrem Arbeitgeber. Damit wurden – unter der Fiktion der Tatbegehung – erkennbar die Nebenpflicht zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers verletzt; hier wurde das Interesse des Arbeitgebers an dem Bestand seines Eigentums verletzt. Somit war auch die zweite Handlung der Frau Emme an sich geeignet eine außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung zu rechtfertigen.

Es sei zur Klarheit jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass eine Verdachtskündigung vorliegt und die Prüfung unter der Annahme erfolgte, dass Frau Emme tatsächlich entsprechend handelte. Der wichtige Grund an sich liegt nach wie vor im Verdacht, der hier bei Beweisbarkeit schwer genug wiegen würde, um eine außerordentliche Kündigung an sich zu rechtfertigen. Wichtig ist, dass die Straftaten dabei nicht den Grund darstellen, sondern nur die Vertragsverletzungen, die sie implizieren. Das Bundesarbeitsgericht entspricht dabei diesem Ergebnis hat sich jedoch nicht konkret mit der rechtlichen Einordnung der Handlungen auseinandergesetzt 35. Dies war angesichts der bindenden Feststellung durch die letzte Tatsacheninstanz auch nicht erforderlich 36. Bezüglich des wichtigen Grundes an sich ergibt sich somit keine Rechtsprechungsänderung, da auch Taten, die nur einen geringfügigen Vermögensschaden bedeuten nach wie vor die Hürde der 1. Stufe überwinden können.

II. Interessenabwägung (2. Stufe)

Eine Rechtsprechungsänderung könnte aber im Bereich der Interessenabwägung stattgefunden haben. Zur Verdeutlichung soll dazu zunächst auf mit dem Emmely Fall vergleichbare Entscheidungen verwiesen werden, um dann das Emmely-Urteil in Kontrast setzen zu können.

1. Der Maultaschen-Fall

Zunächst sei auf das Maultaschen Urteil verwiesen. Der Sachverhalt gestaltete sich dort wie folgt: Eine Altenpflegerin, die zum damaligen Zeitpunkt 58 Jahre alt war und bei Zugang der außerordentlichen Kündigung eine Beschäftigungsdauer von etwa 17 Jahren aufzuweisen hatte, entwendete während ihrer Pause von dem für die Pflegebedürftigen bestimmten Essen 6 Maultaschen 37 im Wert von ca. 2,00 € 38 und versuchte diese heimlich in einer Stofftasche und mit einer Zeitung abgedeckt aus dem Altenheim zu befördern. Das Mitnehmen und Verzehren von Speisen der  Patienten war ausdrücklich vorher untersagt worden. Es handelt sich um eine Tatkündigung. Auch hier nahm das Gericht an, dass der Diebstahl geringfügiger Sachen an sich geeignet ist um die arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers zu verletzen. Die 1. Stufe wurde damit ebenso begründet wie im Emmely-Fall. Interessant ist nunmehr die Begründung der 2. Stufe, der Interessenabwägung. Diese ist dabei grundsätzlich durch drei Überlegungen bestimmt:

a) Prognoseprinzip

b) Ultima ratio-Prinzip

c) Interessenabwägung im Einzelfall

An diesen Grundsätzen hat sich auch das Bundesarbeitsgericht im Emmely-Fall sowie das Arbeitsgericht Lörrach im Maultaschen-Fall orientiert. Das Prognoseprinzip besagt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der aufgetretenen Störungen unzumutbar sein muss und damit eine gedeihliche Fortführung des Vertrages für die Zukunft ausgeschlossen erscheint 39. Es ist folglich eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung und dem Auflösungsinteresse des Arbeitgebers zu suchen. Das Ultima ratio-Prinzip bestimmt wiederum, dass entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, eine Kündigung immer das letzte Mittel darstellen muss 40. Ergänzt werden diese Prinzipien durch den Gedanken, dass eine Kündigung immer den größten Einschnitt bedeutet und zeitweilig die Gefahr der Überreaktion birgt. Daher ist stets im Einzelfall konkret zu prüfen, ob die Kündigung auch angemessen im speziellen Einzelfall ist 41.

Im Maultaschen-Fall entschied das Gericht, dass die Kündigung im Einzelfall als verhältnismäßig anzusehen sei und insbesondere auch eine Abmahnung im konkreten Fall entbehrlich war 42. Das Gericht verwies vor allem darauf, dass sich die Arbeitnehmerin bewusst über eine bestehende Anweisung des Arbeitgebers hinweggesetzt habe. Sie habe die Weisung des Arbeitgebers, über das Verbot zum Verzehren von Speisen der Pflegebedürftigen missachtet, indem sie ihre Vorstellung der Wertlosigkeit der Maultaschen an die Stelle des Arbeitgeberwillens gesetzt habe. Daher ging das Gericht davon aus, dass die Gefahr auch zukünftig besteht, dass sich die Klägerin eigenmächtig über die Anweisungen des Arbeitgebers hinwegsetzt. Es sei nicht Aufgabe oder Kompetenz der Arbeitnehmer Weisungen zu hinterfragen, die der Arbeitgeber unter Ausübung seiner Dispositionsfreiheit gemacht hat. Damit wurde das für die Zusammenarbeit notwendige Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber irreparabel zerstört. Prognoseprinzip und Ultima ratio-Prinzip waren damit zuungunsten der Klägerin entschieden worden. Es verblieb die Interessenabwägung im Einzelfall. Das Gericht legte hierbei hauptsächlich den Wert der Maultaschen und die Beschäftigungsdauer der Altenpflegerin zugrunde und beurteilte die Interessen unter diesen Gesichtspunkten. Beide fielen jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht schwer genug ins Gewicht, um die Kündigung dennoch rechtswidrig erscheinen zu lassen. Der geringe Vermögensschaden wurde dabei nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, da – unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 43 – die Wertigkeit zwar grundsätzlich zu berücksichtigen sei, eine absolute Grenze, die ein Abmahnerfordernis bedeuten würde, aber aus Gründen der Rechtssicherheit zu verneinen ist. Weitere Ausführungen bzw. eine Subsumtion des Sachverhalts unterblieben diesbezüglich. Vielmehr zog sich das Arbeitsgericht auf den Standpunkt zurück, dass trotz der schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt (die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt fast 59 Jahre alt) und der fast 17-jährigen Beschäftigungsdauer, die Vorbildfunktion für jüngere Angestellte hier schwerer wiege. Für die Klägerin sprach auch nicht, dass sie sich für ihr Handeln entschuldigte. Die Kammer argumentierte, dass die Ernsthaftigkeit der Entschuldigung durch die Behauptung, sie habe lediglich 3 – 4 Maultaschen entwendet, statt der bewiesenen 6, wieder entwertet wurde. Auch die 2. Stufe fiel damit nicht zugunsten der Klägerin aus. Das Urteil wurde am 16.10.2009 entschieden.

2. Der Kinderreisebett-Fall

Bevor eine Auseinandersetzung mit der 2. Stufe im Emmely-Fall erfolgen soll, möchte ich nunmehr auf den Kinderreisebett-Fall hinweisen, dessen Berufung vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 10.02.2010 entschieden wurde. Von Interesse ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts deshalb, weil es in unmittelbarer Nähe zum Emmely-Fall entschieden wurde, nämlich exakt vier Monate davor 44. Was war passiert 45?

Der Kläger war ein seit knapp 9 Jahren bei einem Abfallunternehmen beschäftigter Hofarbeiter, dessen Tätigkeit insbesondere im Sortieren von Altpapier und sonstigen Hilfstätigkeiten bestand. Am 05.12.2008 46 hatte der Kläger Altpapier aus einem Altpapiercontainer zu sortieren. Während er dies tat, fiel ihm ein Karton in die Hände, in dem sich ein Kinderreisebett befand. Diesen öffnete der Kläger und baute das Kinderbett zusammen mit einem sich ebenfalls in der Sortierhalle befindlichen Leiharbeitnehmer auf. Dabei wurde er von seinem Vorgesetzten, dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden und drei Disponenten über die den Angestellten bekannte Videoüberwachungsanlage beobachtet. Anschließend baute er das Bett wieder auseinander, um es anschließend samt Karton auf dem Rücksitz seines PKWs für sich zu verstauen. Von zwei Mitarbeitern wurde er später darauf angesprochen, dass es nach der Weisung des Arbeitgebers nicht erlaubt sei das Kinderreisebettchen mitzunehmen. Im Folgenden entfernte der Kläger das Bett aus seinem PKW und vernichtete es ordnungsgemäß.

a) Wichtiger Grund an sich (1.Stufe)

Das Gericht prüfte wiederum zunächst auf der ersten Stufe, ob ein an sich geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung vorlag. In Betracht kam hier die Verletzung von Vertragspflichten zunächst durch eine strafbare Handlung aber auch durch Zuwiderhandlung gegenüber einer arbeitgeberseitigen Weisung.

Zuerst zur strafrechtlichen Seite, die das Gericht vertretbar außer Betracht lies, da es auf die Vertragsverletzung abhob. Zur Vollständigkeit und Klärung des Tatbestandes soll hier jedoch trotzdem auf die strafrechtliche Würdigung eingegangen werden. Der Arbeitnehmer entwendete das Kinderreisbett und verbrachte es in seinen PKW, den er anschließend abschloss. Möglich erscheint ein Diebstahl nach § 242 StGB. Die Klägerseite argumentierte hier, dass die Arbeitgeberin 47 schließlich nicht Eigentümerin des Kinderreisebettes gewesen sei. Man mag diesen Vortrag daher dahingehend interpretieren, dass die Klägerseite davon ausging, dass die Sache herrenlos war oder aber ein Diebstahl gegenüber Dritten keine Vertragsverletzung innerhalb des Arbeitsverhältnisses bedeuten kann. Beiden Möglichkeiten ist dabei aber eine Absage zu erteilen. Das Abfallunternehmen hatte durchaus Eigentum an dem Kinderreisebett erlangt. Begründung findet dies darin, dass die Entsorgung in den Müll grundsätzlich ein Angebot an das Entsorgungsunternehmen auf Übereignung darstellt, das unter der Auflage der fachgerechten Entsorgung steht 48. Folglich konnte das Bettchen zum Zeitpunkt der Aneignung durch den Kläger nicht mehr herrenlos sein 49. Er nahm damit eine fremde bewegliche Sache iSd. § 242 StGB weg und verwirklichte den objektiven Tatbestand desselben. Ferner ist entgegen der Annahme der Klägerseite auch nicht davon auszugehen, dass ein Diebstahl aufgrund mangelnden Vorsatzes ausscheide 50. Der Kläger war sich darüber im Klaren, dass das Bettchen nicht ihm gehörte, als er es sich aneignete und in seinen auf dem Mitarbeiterparkplatz stehenden PKW – also in seine Sphäre – verbrachte, um es später mit nach Hause zu nehmen. Der Tatbestand des § 242 StGB war erfüllt. Folglich lag damit eine Vertragspflichtverletzung der Nebenpflichten nach § 242 II BGB vor, denn der Kläger missachtete die Interessen – Eigentum und Weisungsbefolgung durch die Arbeitnehmer – seines Arbeitgebers. Dies stellt an sich immer einen geeigneten Grund für eine fristlose arbeitgeberseitige Kündigung dar.

Ferner kommt auch eine Pflichtverletzung in Betracht, die auf der Verletzung einer Arbeitgeberweisung beruht. Bezüglich der Verfahrensweise mit dem Abfall hatten die Arbeitnehmer folgende Weisung erhalten: Sofern es von der Geschäftsführung im Einzelfall gestattet wird, dürfen Mitarbeiter Gegenstände aus dem Abfall privat mitnehmen 51. Der Kläger handelte hier jedoch entgegen der Weisung, indem er gerade nicht um Einwilligung bat, deren Voraussetzungen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin erfüllt gewesen wären. Er setzte sich damit eigenmächtig über die Weisung hinweg und verletzte somit seine arbeitsvertragliche Pflicht zu deren Einhaltung. Dies ist ebenfalls ein an sich geeigneter Grund für die Rechtfertigung einer fristlosen arbeitgeberseitigen Kündigung.

b) Interessenabwägung (2. Stufe)

Es bleibt daher festzustellen, dass die 1. Stufe im Kinderreisebettfall genommen werden kann und dem auch das Arbeitsgericht bzw. das Landesarbeitsgericht entsprochen haben. Wiederum ist daher auf die 2. Stufe, die Interessenabwägung, einzugehen. Hierbei ergibt sich jedoch eine Änderung im Vergleich zum Maultaschenfall, wo diese abgelehnt worden war. Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht gingen beide im Kinderreisebettfall von der Unwirksamkeit der fristlosen, als auch der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung aus. Beide begründeten dies damit, dass zwar die Anforderungen an die 1. Stufe erfüllt seien, aber nicht die der 2. Stufe. Die Entscheidung fiel dabei bei der Interessenabwägung im Einzelfall. Die Gerichte sahen es nicht als erwiesen an, dass es dem Arbeitgeber, nach der unstreitig begangen Pflichtverletzung, unzumutbar sei, den Kläger weiter zu beschäftigen. Argumentiert wurde dabei folgendermaßen: Für die Arbeitgeberseite sprach, dass es zuvor Abmahnungen gegenüber dem Kläger gegeben hatte, die sich auf das pflichtwidrige Anlegen eines PET-Flaschenvorrats und auf den Diebstahl von Toilettenpapier bezogen hatten. Das Prognoseprinzip und das Ultima-ratio-Prinzip waren folglich erfüllt. Auf der letzten Prüfungsebene der 2. Stufe, der Interessenabwägung im Einzelfall, führte das Gericht jedoch aus, dass das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsverhältnis das Auflösungsinteresse des Arbeitgebers trotz der Pflichtverletzungen immer noch überwiege. Dabei ging es nicht davon aus, dass das noch relativ junge Alter des Klägers 52 oder die bestehenden Unterhaltspflichten den Ausschlag zu seinen Gunsten gegeben haben. Vielmehr wurde auf die Geringwertigkeit, die vermeintliche innere Haltung und die störungsfreie Beschäftigungszeit verwiesen. So wurde zugunsten des Klägers die Geringwertigkeit des Kinderreisebettchens angeführt. Das habe anders als PET-Flaschen und Toilettenpapier aufgrund der bevorstehenden Vernichtung überhaupt keinen Wert mehr für den Arbeitgeber besessen, womit die Absicht des Klägers auf Schädigung oder das Hinzufügen von Nachteilen nicht anzuerkennen sei. Dies werde auch dadurch gestützt, dass der Kläger das Kinderreisebett mit dem Wissen entwendete, dass auf dem Gelände des Arbeitgebers, im Speziellen auch in der Sortierhalle, eine Videoüberwachungsanlage installiert war. Daher erkannte das Gericht an, dass der Kläger nicht durch eine „rechtsfeindliche Gesinnung“ bei der Tatbegehung geleitet worden war und sein Handeln eher durch Gedankenlosigkeit oder einen nicht unbedingt unverschuldeten Rechtsirrtum bestimmt war 53. Die Handlung wäre anders zu bewerten gewesen, wenn das Reisebettchen heimlich fortgeschafft worden wäre 54. Letztlich verwies das Landesarbeitsgericht im Folgenden noch darauf, dass das Arbeitsverhältnis sieben der knapp neun Jahre störungsfrei verlaufen sei, womit nochmals das Interesse des Arbeitnehmers gestärkt worden ist. Die 2. Stufe wurde hier, anders als im Maultaschen-Fall, zugunsten des klagenden Arbeitnehmers als nicht gegeben angesehen. Die fristlose und auch die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung waren folglich unwirksam.

3. Der Emmely-Fall

Nachdem nunmehr ein Überblick über die Prüfungspunkte und die bis zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts bestehende Rechtsprechung gewonnen werden konnte, kann jetzt auf die 2. Stufe des Emmely-Falls eingegangen werden und diese in Kontrast zur bis dahin existierenden Rechtsprechung gesetzt werden. Die Argumentation in der 2. Stufe stellt dabei nach verschiedener Ansicht ein Novum dar und soll daher die Rechtsprechungsänderung begründen.

Nochmals zur Vergegenwärtigung. Die fristlose arbeitgeberseitige Kündigung gegenüber Frau Emme war auf einen an sich geeigneten Kündigungsgrund für eine fristlose Kündigung gestützt. Die Nebenpflichtverletzung bestand in der Missachtung der arbeitgeberseitigen Weisung 55. Nun aber zur 2. Stufe, der Interessenabwägung, die durch Prognose- und Ultima-ratio-Prinzip bestimmt ist und durch die Interessenabwägung im Einzelfall abgeschlossen wird. Das Bundesarbeitsgericht befand, dass im Fall von Frau Emme der Ultima-ratio Grundsatz missachtet worden sei und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ergebe, dass das mildere Mittel einer Abmahnung zuvor hätte ausgeschöpft werden müssen 56.

Wie begründet aber das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung? Zunächst führt das Gericht aus, dass der Ultima-ratio-Grundsatz, der letztlich nur den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darstellt, verlange, dass alle in Betracht kommenden und zumutbaren milderen Mittel bei einer Kündigung ausgeschöpft werden müssen, da eine solche immer den schärfsten Einschnitt in ein Arbeitsverhältnis bedeute. Ferner muss die Kündigung auch an sich geeignet sein, um die bestehende Störung zu beseitigen 57. Im Anschluss prüft das Bundesarbeitsgericht daher, ob hier im Einzelfall mildere Mittel in Betracht kamen und ob diese dem Arbeitgeber unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zumutbar waren. Bei einer fristlosen verhaltensbedingten Kündigung kommt dabei grundsätzlich eine Abmahnung in Betracht 58. Die Abmahnung soll den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass er mit seinem Verhalten Pflichten verletzte und ihm unter Androhung individualrechtlicher Konsequenzen gleichzeitig zu vertragstreuen Verhalten anhalten 59.

a) Abmahnerfordernis bei Verdachtskündigung?

Dies mag im vorliegenden Fall zunächst verwundern, denn die hier ausgesprochene Verdachtskündigung stellt eine Kündigung aus personenbedingten Gründen dar. Ein in einer Person liegender Grund kann aber nicht durch Abmahnung beseitigt werden, was bedeuten würde, dass eine Abmahnung im Emmely-Fall kein milderes Mittel darstellen könnte 60. Dem ist aber nur dem ersten Anschein nach so, denn es ist wiederum auf die Prüfungspunkte einer Verdachtskündigung zu verweisen. Die Prüfung des Bundesarbeitsgerichts findet innerhalb des vierten Prüfungspunktes einer Verdachtskündigung statt und setzt voraus, dass der Kündigungsgrund so schwer wiegt, dass er eine außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung rechtfertigen würde. Die Beweislage wird folglich fingiert. Daher war im vorliegenden Fall auch zu prüfen, ob eine Abmahnung, die nur bei verhaltensbedingten Gründen ihren Zweck erfüllen kann, hier ein milderes Mittel darstellt. Ist dem – wie vom Bundesarbeitsgericht angenommen – so, dann liegt kein wichtiger Grund im Sine von § 626 I BGB vor, der eine außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung rechtfertigen kann. Die Verdachtskündigung ist dann unwirksam.

b) Verhältnismäßigkeitsprüfung

Nachdem das Bundesarbeitsgericht davon ausging, dass eine Abmahnung in Betracht kommt, prüft es die Verhältnismäßigkeit. Dazu erörtert es vor allem die Frage, ob es dem Arbeitgeber im vorliegenden Einzelfall zumutbar war vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung auszusprechen. Diese Zumutbarkeit hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zuvor damit abgelehnt, dass aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung nicht davon auszugehen war, dass eine Abmahnung die Störung des Arbeitsverhältnisses beenden könnte, da Frau Emme nicht damit rechnen konnte, dass der Arbeitgeber eine solche Pflichtverletzung auch nur einmalig hinnehmen würde 61. Der Ansicht des Landesarbeitsgerichts trat das Bundesarbeitsgericht jedoch entgegen und entschied ohne Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz selbst 62. Das Bundesarbeitsgericht stützte sich bei seinem Ergebnis hauptsächlich auf drei Argumente:

aa) Heimlichkeit – innere Einstellung 63

Das Bundesarbeitsgericht verwies darauf, dass Frau Emme die Pflichtverletzung 64 nicht heimlich, sondern in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten und einer nicht befreundeten Kollegin 65 begangen hatte. Dies lasse darauf schließen, dass die Klägerin davon ausging, dass sie ihr Verhalten noch als korrigierbar und notfalls tolerabel eingeschätzt habe. Dies spielt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts eine zentrale Rolle bei der Bewertung des Verschuldens und der Möglichkeit der Wiederherstellung des Arbeitgebervertrauens in den Arbeitnehmer.

bb) Vertrauenskonto 66

Des Weiteren verweist das Bundesarbeitsgericht auf die lange Beschäftigungsdauer der Angestellten Frau Emme. Das Vertrauen, das durch viele Jahre der ungestörten Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber entsteht werde nicht automatisch durch eine erstmalige Vertrauenstäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. „Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird 67“. Für die Beurteilung dieses „Vertrauensvorrats“ soll dann nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ein objektiver Standpunkt maßgeblich sein, der allein darauf gerichtet ist, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist. Im Fall von Frau Emme war der Vorrat an 30 Beschäftigungsjahren zu orientieren und mit dem entstandenen Schaden von 1,30 € abzuwägen. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass der „angesparte Vorrat“ im vorliegenden Fall noch nicht mit der Pflichtverletzung in der Schadenshöhe von 1,30 € aufgebraucht sei und damit von einem objektiven Standpunkt aus damit zu rechnen sei, dass Frau Emme zukünftig ihre Vertragspflichten korrekt erfüllen wird. Die Pflichten seien daher nicht auf das Schwerste verletzt worden und eine Abmahnung damit erforderlich bzw. das mildere Mittel gegenüber einer Kündigung.

bb) Nachträgliche Umstände 68

Letztlich verwies das Bundesarbeitsgericht noch auf darauf, dass nachträgliche Umstände für die gerichtliche Beurteilung nur insoweit von Bedeutung sein können, „wie sie Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen 69“. Dabei nahm das Gericht zu den Vorwürfen der Beklagtenseite Stellung, die geäußert hatte, dass eine Weiterbeschäftigung vor allem unter dem Blickwinkel nicht zumutbar sei, dass Frau Emme andere Mitarbeiter beschuldigt habe und selbst die Tat immer geleugnet habe. Das Bundesarbeitsgericht entkräftete diesen Einwand für den konkreten Fall mit dem Hinweis, dass Frau Emme lediglich in einer umstrittenen Rechtsfrage eine für sie günstige Position eingenommen habe und daraus nicht geschlussfolgert werden kann, dass sie sich künftig in gleicher Weise vertragswidrig verhalten wird.

dd) Ergebnis der Zumutbarkeitsprüfung

Mit diesen Argumenten begründete das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung zugunsten von Frau Emme und zuungunsten der Arbeitsgeberseite. Die fristlose und auch die ordentliche Kündigung waren aufgrund eines Verstoßes gegen den Ultima-ratio-Grundsatz für unwirksam zu erklären. Dem nach diesem Grundsatz gebotenen Abmahnerfordernis wurde vom Arbeitgeber nicht genüge getan.

4. Rechtsprechungsvergleich

Nachdem nunmehr die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts im Emmely-Fall und in vergleichbaren Fällen bekannt sein dürften soll jetzt versucht werden eine Antwort auf die Frage zu finden, ob tatsächlich mit der Emmely-Entscheidung ein rechtliches Novum bzw. eine Rechtsprechungsänderung vorliegt.

a) Vergleich mit dem Maultaschen-Fall

Im Maultaschen-Urteil hatte das Arbeitsgericht Lörrach entschieden, dass der Kündigungsgrund zunächst an sich geeignet ist (1. Stufe) um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Auf der 2. Stufe urteilte es, dass kein Abmahnerfordernis bestehe, da bei dessen Annahme im geringfügigen Bereich Rechtsunsicherheit entstehen würde. Es sah das Ultima-ratio-Prinzip anders als das Bundesarbeitsgericht daher nicht als verletzt an, obgleich die Klägerin eine immerhin 17-jährige Betriebszugehörigkeit vorzuweisen hatte und der Vermögensschaden, sofern man diesen überhaupt annehmen möchte, zwischen 2 und 3 € gelegen hat. Diese Entscheidung steht zumindest bei grober Betrachtung der Rechtsprechung des Emmely-Urteils entgegen, denn auch hier war eine Straftat verübt worden und ein geringwertiger Vermögensschaden entstanden. Betrachtet man jedoch die Feinheiten des jeweiligen Einzelfalles, so muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass bisweilen Unterschiede zwischen den beiden Fällen bestehen, die das Urteil des Arbeitsgerichts im Maultaschen-Fall auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gerechtfertigt erscheinen lassen. Eine Rechtsprechungsänderung wäre dann ausgeschlossen. Im Maultaschen-Fall hatte die Arbeitnehmerin ihr Diebesgut heimlich, d.h. in einer Stofftasche und mit einer Zeitung bedeckt, aus dem Pflegeheim bringen wollen. Es wäre demnach bei der Subsumtion unter das Argument der Heimlichkeit im Emmely-Fall davon auszugehen, dass jene heimlich verdeckte Vorgehensweise sich anders als bei Frau Emme zulasten der Arbeitnehmerin auswirkt und die Möglichkeit der Wiederherstellung des Arbeitgebervertrauens dadurch vermindert, wenn nicht ausgeschlossen wird. Folglich hätte das Bundesarbeitsgericht wohl entschieden, dass der Ultima-ratio-Grundsatz aufgrund der Schwere der Tat gewahrt worden wäre. Im dritten Prüfungspunkt, der Interessenabwägung im Einzelfall, müsste man sich dann mit dem nunmehr „neuen“ Argument des Vertrauensvorrats auseinandersetzen. Wenn man davon ausgeht, dass Frau Emme bei 30 Jahren Beschäftigung und einer offenen Vorgehensweise genügend „Vorrat“ angespart hatte, um einen Vermögensschaden von 1,30 € zu verursachen, so ist für die Arbeitnehmerin im Maultaschen-Fall diese Quantität des Vorrats wohl zu verneinen. Die Vertrauensverletzung wiegt aufgrund der heimlichen Vorgehensweise der Arbeitnehmerin schlicht zu schwer, um durch einen entsprechenden Vorrat aufgefangen werden zu können. Folglich wäre das Bundesarbeitsgericht unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung wohl zu dem Ergebnis gelangt, dass die Interessenabwägung insgesamt zuungunsten der Arbeitnehmerin ausgefallen wäre. Eine Rechtsprechungsänderung kann daher dahingehend nicht vorliegen.

b) Vergleich mit dem Kinderreisebett-Fall

Der Vergleich mit dem Kinderreisebettfall fällt besonders leicht, da hier das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zuungunsten der Arbeitgeberseite entschied und die Kündigung für rechtsunwirksam erklärte. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass zuvor Abmahnungen ausgesprochen wurden und folglich das Arbeitsverhältnis im Zeitraum vor der Kündigung nicht störungsfrei verlaufen ist. Der „Vorrat“ war, wenn man so will, bereits aufgebraucht und das Argument hätte bei der Entscheidung nicht gegriffen. Auch bestand die Beschäftigung nur knapp neun Jahre und war somit bedeutend kürzer als im Maultaschen- oder Emmely-Fall. Die Entscheidung wurde aber auch nicht auf der Ebene des Ultima-ratio-Prinzips getroffen, sondern auf der letzten Ebene, der Interessenabwägung im Einzelfall. Abmahnungen lagen vor. Folglich widerspricht das Urteil auch nicht der aktuellen Rechtsprechung, wenn es das Problem auf der Ebene Interessenabwägung im Einzelfall anspricht, da auch dem Bundesarbeitsgericht angesichts der bestehenden Abmahnungen eine Lösung auf dieser Ebene verschlossen geblieben wäre. Die Einzelfallabwägung, die das Landesarbeitsgericht getroffen hat steht der Emmely-Rechtsprechung nicht entgegen. Auch hier hatte der Arbeitnehmer offen und nicht verdeckt gehandelt. Auf das Vertrauenskonto kam es im Kinderreisbett-Fall nicht an, weil auf die objektive Wertlosigkeit der Sache abgestellt wurde. Es konnte faktisch – anders als im Emmely- oder Maultaschenfall – kein Schaden entstehen 70. Damit ließ sich die Verletzung der Arbeitgeberweisung in der Abwägung rechtfertigen.

c) Vergleichsfazit

Es zeigt sich im Ergebnis, dass von einer Rechtsprechungsänderung im Zusammenhang mit dem Emmely-Urteil nicht ausgegangen werden kann und man lediglich von einer Argumentationserweiterung bzw. Konkretisierung sprechen mag, die das Bundesarbeitsgericht mit dem Argument des Vertrauensvorrats getroffen hat. Bagatelldelikte sind nach wie vor ein an sich geeigneter Grund für eine Kündigung und bedürfen nach wie vor einer dezidierten Einzelfallprüfung auf der 2. Stufe. Ob die Abwägung dabei auf der Ebene des Ultima-ratio-Prinzips getroffen wird oder im Bereich der Interessenabwägung im Einzelfall verbleibt einer Frage des konkreten Einzelfalls.

5. Auswirkungen

Nunmehr mag man sich fragen, ob das Emmely-Urteil überhaupt Auswirkungen auf die bis dahin bestehende Praxis hat. Es lässt sich zunächst festhalten, dass in Zukunft Arbeitgeber sorgfältiger für sich prüfen müssen, ob Vertragsverletzungen nicht zunächst mit einer Abmahnung zu ahnden sind. Von der Möglichkeit der fristlosen Kündigung ist nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Fernerhin kann gemutmaßt werden, dass mit dem Emmely-Urteil vor allem auch auf Seiten der Rechtsprechung durchaus eine Erweiterung der Argumentationsgrundlage stattgefunden hat, die bisweilen zu fragwürdigen Ergebnissen führen kann 71. Wie ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin 72 zeigt, hat die Rechtsprechung den geringwertigen Vergehen aber keinen Blankoscheck ausgestellt und es kann nach wie vor eine fristlose arbeitgeberseitige Kündigung wirksam sein, auch wenn es sich um geringfügige Beträge handelt. Im konkreten Fall hatte ein Kassierer, der 17 Jahre bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, manuell selbst Pfandbons im Wert von 6,06 € ausgestellt, um damit nach eigenen Angaben ein Kassenminus auszugleichen 73. Man mag die Emmely-Entscheidung daher als Erinnerung an die Tatsacheninstanzen begreifen, die bei Bagatelldelikten in der Interessenabwägung zu mechanisch geprüft und den Blick vor dem Einzelfall verschlossen haben. Auch wird sich zeigen, inwiefern das Argument des Vertrauensvorrats Einfluss auf den Entfernungsanspruch 74 von Abmahnungen aus den Personalakten haben wird. Das Vertrauen wird durch Abmahnungen gestört und kann sich folglich nur erneut bilden. Führt nun aber der Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers dazu, dass dem Arbeitgeber in einem späteren Prozess der Beweis für die gestörte Vertragsbeziehung fehlt, so führt dies zu unvereinbaren Ergebnissen 75. Zutreffend kann daher angenommen werden, dass der Entfernungsanspruch gänzlich entfallen 76 oder ein Surrogat für die Beweisbarkeit der Vertrauensstörung geschaffen werden muss, der es dem Arbeitgeber ermöglicht eine zeitlich zurückliegende Störung zu beweisen.

6. Anmerkung

Hinsichtlich des Emmely-Urteils mag man zwischenzeitlich Bedenken äußern. So kann das Argument der heimlichen Begehung natürlich auch dann greifen, wenn keine Gedankenlosigkeit, sondern pure Dreistigkeit vorliegt. Ferner sind verschiedene Tatbestände geradezu prädestiniert hierunter zu fallen. Betrug, im Speziellen der Dreiecksbetrug setzt immer eine gewisse Offenheit voraus und mag demjenigen zum Vorteil, gegenüber demjenigen, der zum Beispiel heimlich stielt, gereichen. Das Argument lässt sich daher durchaus umkehren. Dies ist aber in Anbetracht der Einzelfallentscheidung und der Einzelfallprüfung unproblematisch, weil das Argument sicher nur dann zum Einsatz kommen wird bzw. kommen kann, wenn tatsächlich Gedankenlosigkeit und keine Dreistigkeit vorliegt. Ferner wäre es wünschenswert gewesen, dass sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern die Vorbildfunktion von Frau Emme eine Rolle spielt. Das war im Maultaschen-Fall eines der tragenden Argumente und vermag durchaus zu überzeugen. Gerade langjährig Beschäftigte müssen den kürzer Beschäftigten ein Vorbild im Umgang mit den Arbeitgeberweisungen sein. Des Weiteren mag man im Urteil eine konkrete Auseinandersetzung mit den Kündigungsgründen vermissen. Bei genauerer Betrachtung fällt nämlich auf, dass eigentlich zwei Pflichtverstöße der Frau Emme vorlagen. Zum einen stahl sie die Pfandbons aus dem Kassenbüro und zum anderen löste sie diese anschließend ein 77. Interessant ist das vor allem dahingehend, dass der Diebstahl der Pfandbons aus dem Kassenbüro, anders als das Einlösen, tatsächlich heimlich vonstattenging. Der Arbeitgeber war zum Zeitpunkt der Kündigung nicht in der Lage nachzuweisen, wann und wie Frau Emme die Bons von dort entwendete. Jene Sichtweise mag man damit entkräften, dass die Kündigung augenscheinlich nur auf den Einlösevorgang abstellte. Dies ergibt sich jedoch nicht unbedingt aus dem im Urteil geschilderten Tatbestand. Die Kündigung und auch die Betriebsratsanhörung bezogen sich vielmehr auf den gesamten Ablauf, also vom Entwenden bis zum Einlösen. Es ist anzumerken, dass dies rein spekulativ ist, da keine Einsicht in die jeweilige Akte und damit auch in das Kündigungsschreiben erfolgen konnte. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der heimliche Diebstahl, jene heimliche Weisungsverletzung, in die Interessenabwägung auf der 2. Stufe durchaus hätte mit einfließen müssen. Insbesondere hätte dessen Auswirkungen auf das „Vertrauenskonto“ von Frau Emme geklärt werden müssen. Unter Berücksichtigung dieser Sachlage wäre es dem Bundesarbeitsgericht sicher schwerer gefallen die Kündigung als unwirksam anzusehen. Ein pauschaler Hinweis, dass es einer strafrechtlichen oder sachenrechtlichen Einschätzung nicht bedarf, steht dem nicht entgegen. Auch der Diebstahl stellt eine Pflichtverletzung dar und ist als eine vom Betrug durch den vorliegenden Lebenssachverhalt getrennte Tat zu erkennen. Ferner ist nicht ersichtlich, inwiefern die Leugnung der Tat ein rechtlich günstiger Standpunkt sein soll. Lediglich die Wirksamkeit einer Kündigung bei einem Vergehen im Bagatellbereich war rechtlich umstritten nicht jedoch die konkrete Tatbegehung. Letztlich lässt sich aber feststellen, dass das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil eine vertretbare Entscheidung getroffen hat, der sicher Einiges entgegengehalten werden kann, aber vor allem in Anbetracht des konkreten Einzelfalls nicht entgegengehalten werden muss. Es verbleibt die Erkenntnis, dass dieses Urteil als Erinnerung zu begreifen ist, wonach auch bei derartigen Bagatelldelikten noch eine 2. Stufe im speziellen Einzelfall zu prüfen ist.

 

Zum Autor: Tobias Mandler ist seit WS 2008/2009 Student der Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.


Fußnoten:

  1. Bzgl. des Sachverhalts ist auf die Urteile des Arbeitsgerichts (ArbG Berlin 2 Ca 3632/08), des Landesarbeitsgerichts (LArbG Berlin-Brandenburg 7 Sa 2017/08) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG 2. AZR 541/09) zu verweisen.
  2. Inhaber: Kaiser´s Tengelmann AG.
  3. Es ist anzumerken, dass die Kündigung lediglich als Verdachtskündigung ausgesprochen wurde. Das Landesarbeitsgericht war dabei jedoch von der Tatbegehung durch Frau Emme überzeugt und nahm dies bindend für das BAG an (LArbG Berlin-Brandenburg 7 Sa 2017/08, juris Rn. 48).
  4. Jene Erklärungsversuche vertrat Frau Emme dabei nicht durchgehend, sondern behauptete zeitweilig jene nie gemacht zu haben. So legte sie zunächst ein Schriftstück der Tochter vor, in dem diese den Tathergang bestätigen sollte, um dann knapp ein halbes Jahr später zu erklären dies nie behauptet zu haben.
  5. vgl. Stoffels NJW 2011, S. 118, der nicht anhand einer Verdachtskündigung prüft. vgl. auch Walker NZA 2011 S. 1f., der davon ausgeht, dass sich die Verdachtskündigung im Verlauf des Prozesses zu einer Tatkündigung gewandelt hat. Der Autor erkennt dies an, verweist aber darauf, dass die Arbeitgeberseite ausweislich des Urteils nach wie vor von einer Verdachtskündigung ausgeht (BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 12). Ferner sollen in diesem Beitrag auch die Voraussetzungen der Verdachtskündigung erläutert werden, weswegen diese beibehalten wurde.
  6. BAG 18. 11. 1999 AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 32; 5. 4. 2001 AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 34 = NZA 2001, 837; 28. 11. 2007 NZA-RR 2008, 344; 12. 3. 2009 ZTR 2009, 658; 23. 6. 2009 NZA 2009, 1136; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/ Müller-Glöge (11.Auflage) § 626 BGB Rn. 173.
  7. In diesem Zusammenhang wird daher auch von einer sog. Vertrauenskündigung gesprochen, vgl. Eilberg DB 2006 S. 1555.
  8. vgl. BAG 2 AZR 631/02 = NZA 2004 S. 919 (920); Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 412 mit weiteren Nachweisen und Beispielen.
  9. Jene Auflistung ist an angelehnt an Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 412.
  10. Die Durchführung einer Anhörung entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung (BAG 26. 9. 2002 AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/ Müller-Glöge (11.Auflage) § 626 BGB Rn. 178).
  11. nachzulesen bei Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 399 ff., 415.
  12. so LAG Köln 30. September 1999 5 Sa 872/99 = NZA-RR 2001, S. 83; LAG Hamburg NZA-RR 1999, S. 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 – 1 Ca 73/96 – RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 (12. Auflage) Rn. 1128; Klueß NZA 2009, S. 337 ff.; eingeschränkt Gerhards BB 1996, S. 794 (796); wohl auch Hüpers Jura 2010 S. 52 (54).
  13. Ausnahmen könnten in einer entsprechenden arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Regelung bestehen, die Vermögensschäden bis zu einem bestimmten Betrag als Kündigungsgrund ausschließen. Solche Regelungen sollten in der Praxis jedoch zu den Exoten zählen, wenn nicht zu den Legenden.
  14. Schönke/Schröder/Eser/Bosch § 242 Rn. 1/2 mwN.
  15. Hüpers Jura 2010 S. 52 (53).
  16. vgl. Münchner Kommentar BGB – Oechsler § 959 Rn. 1.
  17. Münchner Kommentar BGB – Oechsler § 959 Rn. 3.
  18. Münchner Kommentar BGB – J. Schmidt § 111 Rn. 9.
  19. Dazu ausführlich Schlösser HRRS 2009, S. 509 (511).
  20. Der Arbeitgeber hatte zuvor Gewahrsam an den Pfandbons begründet, denn nach herrschender Meinung begründet dieser jenen stets an verlorenen Sachen auf Grundlage eines antizipierten Erlangungswillens (vgl. Schönke/Schröder/Eser/Bosch § 242 Rn. 30).
  21. BGH NStZ 1981, S. 63; Schönke/Schröder/Eser/Bosch § 242 Rn. 52
  22. Dies konnte verhindert werden, da sich die Kassiererin an den Wert der Tage zuvor gefundenen Bons erinnerte und deren Verbleib überprüfte.
  23. Schlösser HRRS 2009, S. 509 (511).
  24. so ist auch der Diebstahl bei Kunden des Arbeitgebers oder bei Kollegen an sich geeigneter Grund (LAG Köln NZA-RR 1999, S. 415; NZA-RR 2002, S. 519; Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/ Stoffels § 626 Rn. 126; BAG NZA – RR 2008, S. 344; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/ Müller-Glöge (11.Auflage) § 626 BGB Rn. 133.
  25. vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/ Müller-Glöge (11.Auflage) § 626 BGB Rn. 133 mwN.
  26. so Hüpers Jura 2010 S. 52 (53); Schlösser HRRS 2009, S. 509 (512f.).
  27. Schönke/Schröder/Cramer/Perron § 263 Rn. 1/2.
  28. Schönke/Schröder/Cramer/Perron § 263 Rn. 6.
  29. Schönke/Schröder/Cramer/Perron § 263 Rn. 6.
  30. Schönke/Schröder/Cramer/Perron § 263 Rn. 12.
  31. Der Pfandbon mag als kleine Inhaberpapier iSv. § 807 BGB eingeordnet werden, wonach die Vorschrift des § 793 I (Inhaberschuldpapiere) entsprechende Anwendung finden soll (Palandt/Sprau § 807 Rn. 1; Schlösser HRRS 2009, S. 509 (512).
  32. Palandt/Sprau § 793 Rn. 9.
  33. sog. Dreiecksbetrug (vgl. dazu Kindhäuser/ Neumann/ Paeffgen/ Kindhäuser StGB (3. Auflage) § 263 Rn. 209 ff.),
  34. ArbG Berlin 2 Ca 3632/08, juris Rn. 29.
  35. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 26 ff.
  36. vgl. Bauer FD-ArbR 2010, 304828.
  37. Für den Interessierten ist anzumerken, dass die Klägerin bestritt 6 Maultaschen entwendet zu haben, sondern lediglich 3 – 4 Maultaschen. Dieser Umstand wird dabei von der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Lörrach umfassend beleuchtet. Nach der Vernehmung zweier Zeugen konnte dann aber festgestellt werden, dass tatsächlich 6 Maultaschen entwendet wurden (vgl. ArbG Lörrach 4 Ca 248/09, juris Rn. 49 – 51).
  38. Der tatsächliche Wert war tatsächlich sehr umstritten. So behauptete die Klägerin die Maultaschen könnten lediglich einen Wert von 1,20 € gehabt haben und wäre im Übrigen eh weggeworfen worden, d.h. stellten wirtschaftlich überhaupt keinen Wert dar. Die Gegenseite rechnete vom Preis eines normalen Essens (3,35 €) und zog den Preis eines Salates dafür ab. Das Gericht legte sich schließlich auf 2 bis 3 € fest (ArbG Lörrach 4 Ca 248/09, juris Rn. 19, 27, 74).
  39. sog. Negativprognose vgl. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/ Stoffels § 626 Rn. 70; Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 404.
  40. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/ Stoffels § 626 Rn. 72; Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 405.

  41. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/ Stoffels § 626 Rn. 73; Junker Grundkurs Arbeitsrecht (9. Auflage) Rn. 407; Reichold Arbeitsrecht (3. Auflage) § 10 Rn. 85.
  42. ArbG Lörrach 4 Ca 248/09, juris Rn. 68 ff.
  43. BAG 2 AZR 923/98.
  44. Zur Erinnerung: der Emmely-Fall wurde durch das ArbG Berlin am 21.08.2008 erstmalig entschieden. Das LArbG Berlin Brandenburg entschied am 24.02.2009 über die Berufung. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Revision erging am 10.06.2010.
  45. Es sei verwiesen auf das Urteil des LArbG Baden-Württemberg 13 Sa 59/09 vom 10.02.2010.
  46. Man bedenke die Nähe zum 06.12 und 24.12 und das Factum, dass der Kläger zwei Kinder hat, denen er unterhaltspflichtig ist.
  47. Die juristische Gesellschaft, hier ein Abfallunternehmen, war Arbeitgeber (LArbG Baden-Württemberg 13 Sa 59/09, juris Rn. 2).
  48. Grziwotz MDR 2008 S. 726 (727); anders Münchner Kommentar BGB – Oechsler § 959 Rn. 4.
  49. Anzumerken ist, dass auch unter der Annahme, dass das Bettchen herrenlos war (so wohl Münchner Kommentar BGB – Oechsler § 959 Rn. 4.), die Sache eine Fremde für den Kläger gewesen wäre. Spätestens durch das Abholen durch die Arbeitnehmer des Abfallunternehmens hätte dieses über seine Mitarbeiter (§ 855 BGB – Besitzdiener) zurechenbar Eigentum an dem Bettchen erworben.
  50. LArbG Baden-Württemberg 13 Sa 59/09, juris Rn. 9, 23.
  51. vgl. LArbG Baden-Württemberg 13 Sa 59/09, juris Rn. 3.
  52. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung 29 Jahre alt.
  53. Dies mag man angesichts der oben zur strafrechtlichen Einordung geführten Diskussion in Zweifel ziehen. Der Verfasser vermag jene Gedankenlosigkeit nicht zu erkennen, da das Kinderreisebett zunächst aufgebaut und anschließend wieder abgebaut wurde, um es in den privaten PKW zu verbringen. Gedankenlosigkeit kann vielmehr lediglich im Bezug auf die Tatsache angenommen werden, dass Videoüberwachung bestand.
  54. LArbG Baden-Württemberg 13 Sa 59/09, juris Rn. 41.
  55. Nach Ansicht des Autors liegen mit dem Diebstahl (Diebstählen) bzw. dem Betrug neben der vom Bundesarbeitsgericht genannten Pflichtverletzung noch weitere vor, die aber zurücktreten können, da sie auf demselben Lebenssachverhalt beruhen.
  56. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 34 ff., 39 ff.
  57. vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht /Müller-Glöge § 626 Rn. 24.
  58. BAG AP BGB § 626 Nr. 218; AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 33; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht /Müller-Glöge § 626 Rn. 25.
  59. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht /Müller-Glöge § 626 Rn. 25.
  60. ausführlich und auch zu Ausnahmen Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht /Müller-Glöge § 626 Rn. 29.
  61. LArbG Berlin-Brandenburg 7 Sa 2017/08, juris Rn. 53.
  62. zu diesem Problem siehe zB Hüpers Jura 2010 S. 52 (56); Walker NZA 2011 S. 1 (2 f.) mwN.
  63. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 45.
  64. Gemeint ist die Pflichtverletzung an der Kasse, also der Betrug.
  65. Frau Emme bezichtigte die Kollegin im Prozess sogar ihr eine „Falle“ gestellt zu haben.
  66. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 47.
  67. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 47.
  68. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 49 ff., Orientierungssatz 4.
  69. BAG 2. AZR 541/09, juris Rn. 49 ff., Orientierungssatz 4.
  70. Dies ist eine bedenkliche Argumentation, da sie Arbeitnehmern suggerieren mag, dass alle wertlosen Sachen des Arbeitgebers zu ihrer Disposition stehen. Im vorliegenden Fall ist dies jedoch unbedenklich, da hier tatsächlich die Vernichtung der Sache angestrebt war.
  71. vgl. Beispiele aus der Rechtsprechung in Stoffels NJW 2011 S. 118 (123). Vernachlässigt werden hier jedoch, die Besonderheiten des Einzelfalls.
  72. ArbG Berlin 1 Ca 5421/10.
  73. Das Arbeitsgericht folgte diesem Erklärungsversuch des Klägers jedoch nicht und nahm an, dass dieser sich bereichern wollte (ArbG Berlin 1 Ca 5421/10, juris Rn. 40 ff., 43 ff.).
  74. Ausführlich zur Rechtsprechung und den Voraussetzungen Novara/Knierim NJW 2011 S. 1175 (1176).
  75. Der Entfernungsanspruch besteht bemessen anhand einer Einzelfallprüfung nach zwei bis drei Jahren des Eintrags (Novara/Knierim NJW 2011 S. 1175 (1176). Das Vertrauenskonto berücksichtigt jedoch die gesamte Beschäftigungszeit, die im Regelfall wesentlich länger sein dürfte.
  76. Novara/Knierim NJW 2011 S. 1175 (1178 f.); der vorgeschlagene Weg über § 83 II BetrVG (Recht des Arbeitgebers zur Gegendarstellung) scheint dabei zwar geeignet, es ist jedoch darauf zu verweisen, dass das BetrVG nicht bei Kleinunternehmen Anwendung findet. Eine Analogie wäre hier wohl diskutabel.
  77. Das LSG sah die Taten als bewiesen an.

Notes on the Independent Life of Statutes of Limitation

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Dr. Herbert Jacobson

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To say that the legal order of a country is a mirror of the society sounds like a truism and is one as well. This observation is however put forward to students and may sometimes be heard on more solemn occasions, when a speech is held to celebrate a great legal scholar or a famous legal institution. These are difficult concepts, even though the observations are appropriate. For the great majority of legal work however, these notions are to abstract and theoretical to be used for practical purposes. For legal practitioner it is more important to be able to distinguish a courts case to fit a certain line of arguments or to find a witness who can corroborate a statement of fact.

If however we return to the opening statement concerning the relationship between the society and the legal order, it builds upon a tacit presumption. The presumption being that the legal order is legitimate, i.e. that the solutions offered by the legal order are used even outside of the walls of the rooms in which legal proceedings are held, for example in a conflict between two business partners who have different opinions on the question whether a delivery was late or not or two former spouses who argue about the amount to be paid for child support. All legal solutions need not be legitimate in this sense, for example there are many rules concerning taxation, which tend to be overlooked by the taxpayers. The legal system must however be legitimate, at least to its core elements.

One such core element is the system of limitation rules. Limitation (“Verjährung”) is a very important legal institution, since it concerns all those who ever have been carrier of an obligation. In short, the rules concern every person in a society. Limitation rules give the time frame within which the participants, creditor and debtor, have to act to guard their rights respectively to fulfil their obligations. But, and this is an important point, the time frame concerns only the time the state allots to the creditor to use the states power to force his claim upon the debtor. When the time has run out and the instruments of power inherent to the state no longer may be used, the debtor may still fulfil his obligation on a voluntary base. In this regard the threat of losing an important customer or supplier may be an important enough reason to pay an obligation, for which the time to demand execution in court of law has expired. 1

Already a superficial study of statutes of limitation of different legal systems, give rise to some important observations. One observation, which may be made is, that there seems to exist a relationship between the founding of some kind of unitarian state or nation-state and the establishment of a system of limitation rules. Furthermore, the rules on limitation, once established, seem to change only when there is a pressure on the foundations of the society or there is a pressure upon the fundamentals of the economic order of the society. If we look at the rules on limitation referred to in this text, one may see that the German statutes of limitation in the BGB was the result of the establishment of the German nation-state during the 19:th century and the establishment of the French rules on limitation was a result of Napoleons Code civil in the beginning of the 19:th century. Both of these systems of limitation rules have been changed during the last 20 years. The Swedish system however has principally remained the same since the last codification of the Swedish law in 1734. Another observation is, that these rules of limitation rarely change, and if they are changed the process is, more often than not, preceded by a long discussion.

Some General Notes on Rules on Limitation

Even though “everybody” knows how a rule of limitation works and what it looks like, I would like to point to some circumstances in common for all systems of limitation rules, however they may differ in their details.

A rule on limitation gives a time frame, a limitation period. This period is dependant on the ordinary time, calendar time, but it is not identical to it. The period of limitation has a beginning and an end, and in certain cases it can be halted at one point in (calendar) time, and made start to go again at another point in (calendar) time.

The length of the limitation period seems to be dependant of the manner in which the limitation period is interrupted or cut off. If the limitation period is cut off by a measure outside of a court of law, for example by a reminder in a letter as may be the case according to Swedish law, the limitation period tends to start with the beginning of the legal relationship, which establishes the obligations relevant to the limitation period. Consequently in Swedish law, this time is generally the starting point of the limitation period. 2 Since the starting point of the limitation period lies in the beginning of the legal relationship the time frame tends to be quite long. In Sweden the time frame for the generally applicable limitation period is ten years for all obligations, which cannot be classified as consumer debts. 3 Swedish law rarely decrees rules, which suspend the running of the limitation period, as it is comparatively easy to interrupt the limitation period and thereby starting a new period to run.

If however the limitation period can be cut off only if the creditor files a case with a court, which is the case in Germany, Finland and France, the starting point tends to be situated in the end of the legal relationship. In German law, the starting point has been determined to be the time when the obligation is to be met by the debtor. Since the interruption of the limitation period is a demanding measure, which calls for a large amount of work and commitment from the creditor, the laws decree an order, which has the effect of protecting the creditor from filing a lawsuit, where the outcome is at least doubtful or even may be harmful to the interests of the creditor. Examples of situations, when the limitation period is suspended, would be the case that the courts do not function or that the parties try to solve the conflict by negotiation. In similar cases the limitation period is suspended, until a point in time is reached when the creditor may file his case with better prospects regarding his interests.

A third question, which has to be addressed, is the question of what it is in the relationship, which forms the object of the limitation period. According to Swedish law this object is (in Swedish) “fordringen”, in German “die Forderung” and in English “the demand or claim”, i.e. all claims to perform in products of a kind (“fungible Sachen”), for example money, work or raw material. In German law, according to § 194 BGB, the object of the limitation is “der Anspruch”, i.e. “[d]as Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.” According to this VILKEN? legal order the objects of limitation are all claims, regardless of their origin.

Similarities and Differences between German and Swedish Law concerning Limitation

1.When it comes to the object of the limitation in German law, there is a problem. Limitation periods work in two, quite different manners, there is “exstinktive” limitation on the one hand and there is “adkvisitiv” limitation on the other. “Exstinktive” limitation has in writings been characterized as a limitation with the effect to extinguish the obligation. This characterization points to the legal effect of a limitation, that is that the claim cannot be pursued with the help of the states monopoly on power.

The “adkvisitive” has accordingly been characterized as a limitation, which has the effect of moving a right from one person to another. The object of this limitation is the right to an object, an example in point is the ownership to an object. May I give an example: if I lend my lawnmower to my neighbour and if I do not have it back in my possession during the time the of the limitation period, my ownership will have been moved to my neighbour. In Swedish law, this kind of limitation exists mainly with respect to claims for real estate, but there also exists such a rule with regard to stolen movable property. This kind of limitation exists also in German law, where it is named “Ersitzung”.

Because of the qualification in the BGB of the object of limitation, there exists a third kind of limitation in German law, that is an “exstinktive” limitation with regards to claims which stem from a right to an object (“sachenrechtlicher Anspruch”). An example in point would be “der Herausgabeanspruch”. A claim for the return of an object can be limited, which has the effect that the owner cannot regain possession over his property, since he cannot use the power of the state. However, he still is the owner of his property, but this ownership is curtailed because he is time-barred from using one of the primary rights of ownership.

2. I would now like to return to some of the observations I made earlier in tis text, i.e. the inertia and the resistance against changes which seem to be associated with the statutes of limitation. At the same time I will try to show the principally important differences, which exist between on the one hand the Swedish system of rules on limitation and on the other, most of the other European systems. To a certain extent, these notes also concern the method of comparative law and the problems, which can encounter a researcher when he tries to understand foreign law.

To commence, I would like to point to the determination in German law on the starting point of the limitation period. According to BGB, the starting point is the time when “der Anspruch” is established, “entsteht”. According to the writings relevant to the law before the “Schuldrechtsreform”, this time would be the moment the debtor has to perform according to his obligation.

When I first encountered the German rules on limitation, I found this was very hard to understand. I could not understand how German authors could take this point of view. It was very frustrating and the problem of understanding made my studies difficult, bringing them to a temporary standstill. This frustration stemmed from the fact that the Swedish statute on limitation named exactly the same time as the starting point for the period of limitation, namely the establishment of the claim. The Swedish and German legal systems are not totally unrelated, many German institutions and points of view have been “imported” into Swedish law. However, the expression “establishment of the claim”, has been interpreted contrarily in the two legal cultures.

Whereas the limitation period according to German law starts when the debtor has to perform his obligation, the limitation period according to the Swedish understanding starts at the very beginning of the legal relationship, even before either of the creditor and debtor has to perform according to their obligation. It suffices that the contract has been closed for the limitation period to start running. It is necessary to observe that in this particular case, the object of the limitation periods are the same in the two countries, namely obligations to perform money, work, raw materials or other goods which have to be delivered in kind (“fungible Sachen”). In fact, these claims are an important part of all the “Ansprüche”, which are possible to pursue in a court of law.

It was not until I began reading the legal writings from the time when BGB was enacted, that an understanding could be achieved. I realized that the opinion of the “herrschende Meinung” according to the modern day legal writers had not always been the “herrschende Meinung”. In fact, Planck wrote three years after the enactment of the BGB, that the starting point of the limitation period should be the beginning of the legal relationship, roughly then sharing the view of the present Swedish law. He wrote in 1903: “The limitation period of a claim for things in kind (“fungible Sachen”) therefore starts to run when this obligation is established, regardless of the question if the debtor has performed too late or if the creditor has a right of immediate performance or delivery from the debtor.” 4

Hölder 5 took the opposite position. The starting point for the limitation period would be the time for the debtor’s execution of his obligation, since the creditor only then had the right and legal opportunity to demand that the debtor do what he has promised to do. As far as I have been able to ascertain, this was Hölders only justification for his point of view. On this somewhat uncertain ground, Hölders point of view became the opinion of the “herrschende Meinung” and was later accepted by the German lawmaker. 6  This development raises a question, how was it possible? At least from my point of view, Planck was in the right and had understood the newly enacted law of limitations better than Hölder.

My answer is a tentative one, it has not ben possible to ascertain it, and follows from my understanding of limitation clauses. Before the enactment of the BGB, large parts of Germany found their source to civil law in a modernized form of Roman law, the “usus modernus” and to a not negligible extent in the Code civil. In these legal frameworks the starting point for the limitation period was the time when the performance or delivery of the debtor was due to occur. Consequently the knowledge of how to calculate the duration of the limitation period was widely spread and of course widely spread. Every businessman knows of these rules, since every businessman comes into contact with them. The bottom line is, that it is difficult to constitute a realistic annual account without knowing if a claim is valid in court or not. Consequently these rules are important to all those persons whose task it is to establish annual accounts.

Accordingly, a radical change in the manner in which the limitation period is to be computed would involve very many persons. It would take a long time for all these persons to learn the new way of counting and many mistakes would be made, with losses of claims, ie. money, as an unfortunate consequence. So, my guess would be, that lawyers, businessmen, owners of shops and factories and not to mention accountants, rather would have liked to keep the previous way to calculate than to change it, especially since the new way of counting not could be seen as a reform which would bring gain to certain parties in society.

My second example as case in point concerns the Swedish statute on limitation. The generally applicable law on limitation, which is in force now, can be dated back to the Swedish codification of 1734. (There are traces of this limitation framework to be seen even in earlier Swedish royal enactments. The law of the Danish king Christian V of 1683, “Danske Lov”, contained a statute on limitation very similar to the one, which appeared in the Swedish law of 1734.) The limitation period was originally 20 years, but it was shortened 1800 to 10 years.

The application of the law was however even at that time, 1800 and later, still not stable, since the interpretation of the law and its application varied depending upon the courts notion of the law and legal institute. 7 A desirable stability of the application of the limitation statute was probably not achieved until the law of 1734 in this respect was substituted by a new and more extended statute, 8 which regulated questions concerning limitation in a more detailed manner than before.

The Swedish government found in the early years of the 1950:s that the law of 1862, which at that time had been in force during 90 years, could be considered ripe for a reform and perhaps be replaced by a new law on limitation. A lawyer was appointed to investigate the matter and presented a proposal on a new statute on limitation. The proposal was presented in 1957 9 and provoked many commentators to criticize the proposal harshly.

The proposed new statute was in its outline similar to the statutes on limitation of today for example in Germany, Denmark or Finland. The limitation period started in the end of the legal relationship, when the debtor’s performance was due, the length of the period was different depending on the type, quality and importance to economic life of the claim. Furthermore, there were clauses concerning extension of limitation periods, an alternative to a suspension of the running of the limitation time. The critics remarked that the rules were too complicated to apply: the thought that different claims be limited according to different computations of time and that the rules according to which the starting point would be different depending on the claim, were probably too unacquainted to the commentators for them to accept.

The proposal was not enacted. However the work with a new limitation statute did not halt, but continued with a slower pace. There was work being done on an international level with different international organizations, amongst others the UN. These efforts however bore little fruit and the Swedish government found in the middle of the 1970:s, that the time had come to complete the reform process of the Swedish society with a new statute on limitation. The then social-democratic government presented a study by the Department of Justice putting forward a new proposal concerning the statute on limitations. 10 Its rules built on the principles presented in the proposal of 1957, i.e. the outline was of continental Europe. Consequently the proposal met the same critiques as the proposal of 1957, even if the commentators no longer were as unanimously negative as they had been 20 years before.

The proposal was somewhat rewritten and presented to Swedish parliament to be decided upon during autumn of 1976. 11 This proposal would probably have been accepted by the Swedish parliament, had not the election of 1976 changed the majority in the parliament. The social-democratic government had ruled more or less constantly since the Second World War and was succeeded by a government of a more conservative nature. The new majority rejected the proposed new legislation. However, the new government realized that the statute on limitation, now 114 years old, was ripe for a reform, especially a rewrite. When the new government presented its proposal of a new limitation statute, it presented a law, which mainly was a revision into a modern language of the previous law. One change of a bigger importance was presented and later enacted. The limitation period for claims of a businessman towards a consumer was radically shortened, from 10 to three years. 12 The generally applicable limitation period was, and still is, 10 years and the limitation period starts with the establishment of the legal relationship.

Why was the new political majority negatively inclined towards the proposal of 1976? It would have joined the Swedish law on limitation to principles, common to those in force in the rest of Europe, a not unimportant consideration for a small nation, which depends economically on its export. One hypothesis to be put forward could be, that Sweden at that time, 1976, still was quite proud of its societal achievements and the then famous “Swedish middle way”. In that point of view, there was not enough ground to change an order, which had well served the Swedish economic life. The reason given officially to reject the proposal of the previous government was, that the limitation order in force in Sweden was simple and well known. The rules on limitation had functioned well and a radical change would bring negative effects, especially for the commercial and industrial life. 13

Today the subject of limitation is topical again. This time the rules to be changes are the rules, which limit claims referring to insurance contracts, particularly insurance claims. According to the rules now in force, these rules are outlined, corresponding to the rules in German or Swiss insurance law. These rules have been in force since 1929. They are important since they concern many persons and influence the pricing of insurance coverage.

According to these rules two periods of limitation run at the same time. One has a continuance of three years, counting from the time when the creditor could bring his claim to court and the other has a length of ten years from the time when the creditor at the earliest could bring his claim to court.

This rule has however given grounds for problems, since its outline is quite another than the principle which governs the generally applicable statute on limitation. For this reason the application and interpretation of the insurance limitation rule becomes difficult, the persons who have to decide with regard to the limitation periods, have quite other principles in mind. Practical problems arise for example during the adjustment of insurance claims.

So, the solution of this problem is either to change the principles for the generally applicable rule on limitation, or to change the rule concerning limitation of insurance claims. As it seems impossible to change the general statute on limitation, a proposal has been presented by the Department of Justice to change the rules on limitation of insurance claims. According to this proposal all insurance claims will be time barred after a period of ten years. The starting point has been determined to be the time when the insurance event (“försäkringsfallet”) occurred.

3. Against the background of the notes written above, one might pose a question with a methodological and theoretical bearing: suppose that a law has gained a very solid acceptance, so that this particular way of solving a conflict has gained common acceptance. Suppose then, that this law stops being law, say it is abolished, but the solution suggested by the law is still being used by many persons even after the abolishment. Is it possible to maintain, that there really is a clear delimitation between customary rights (“Gewohnhetsrecht”) and written law?

If I may venture an answer it would be “no”, at least when rules are concerned, which are given more in the interest of society, for example private law, than in the interest of the state, for example tax law or parts of the penal law. The reason is as follows. The law making process in those countries, where the concept of democracy has found root and has formed a guideline for the social intercourse, has taken on quite particular forms to guarantee that no societal group of importance be left out of the law making process. There are institutionalized ways for their voices and desires to be made available to the lawmaker, even if he may choose to disregard them in a certain case. So, deeply rooted notions and conceptions will come to the attention of the lawmaker, who, having the desire induced by the notions of democracy, legitimacy and justice, try to adhere to deeply felt sentiments and try to take these notions into account, producing a law, which takes heed of them.

Zum Autor: Dr. Herbert Jacobson ist Lehrer im Gesellschaftsrecht an der Universität Linköping.


Fußnoten:

  1. When I write about statutes on limitation, I above all refer to the Nordic, German and French statutes.
  2. Of course, there are exceptions to this starting point, but they are stated in laws, which are concerned with certain kinds of obligations. Here I write about the generally applicable statute of limitation.
  3. A consumer debt in this sense is a debt, which a person has towards a businessman for a service or a product which is bought for his personal use.
  4. Gottlieb Planck et al, Bürgerlliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, 3. Vermehrte und verbesserte Auflage, Band I, Berlin 1903, s. 338.
  5. Eduard Hölder, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18 August 1896, München 1900, s. 423.
  6. RegBegr. BT-Drucks. 14/6040 s. 108, Schuldrechtsmodernisierungsreform 2002, Materialien•Texte•Dokumente zusammengestellt und eingeleitet von Claus-Wilhelm Canaris, C.H.Beck oHG, München 2002, s. 621.
  7. Johan Christoffer Lindblad, Om prescription enligt svensk lag, 1:a uppl., 1827, s.2.
  8. Kunglig Förordning den 4 mars 1862 om tioårig preskription och om kallelse å okända borgenärer.
  9. SOU 1957:11.
  10. PM Ds Ju 1977:11.
  11. Prop. 1976/77:5.
  12. Preskriptionslag (1981:130).
  13. PM Ds Ju 1977:14, s. 24 f.
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