stud. jur. Teresa Schad
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Die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet Ugarte im Oktober 1998 in London hat in aller Welt große Aufmerksamkeit erregt. Der Fall vor dem britischen House of Lords sorgte deshalb für Furore, weil in diesem Zusammenhang zum ersten Mal darüber entschieden wurde, ob ein ehemaliges Staatsoberhaupt sich vor einem nationalen Gericht eines anderen Staates strafrechtlich für Menschenrechtsverletzungen zu verantworten habe oder ob sich Pinochet auf diplomatische Immunität, auf Immunität als ehemaliges Staatsoberhaupt oder auf Staatenimmunität berufen könne, und sich somit seiner Verantwortlichkeit vor Gericht entziehen könnte.
I. Einleitung
Das Völkerrecht verbindet mit verschiedenen Amtshandlungen und mit der Person verschiedener Amtsträger die Immunität vor ausländischer Gerichtsbarkeit, insbesondere auch vor Strafgerichtsbarkeit. Das Immunität genießende Rechtssubjekt oder -objekt einer fremden Hoheitsmacht bleibt damit der nationalen Gerichtsbarkeit eines dritten Staates entzogen.
Dieser Immunitätsschutz ist für das Völkerstrafrecht wegen der bei Völkerverbrechen typischen Staatsbeteiligung von besonderer Bedeutung.
Anlässlich des erwähnten Verfahrens gegen Pinochet wurden einige im Völkerrecht wohl bekannte Fragen in Bezug auf die völkerrechtliche Immunität im Allgemeinen und ihre Grenzen im Besonderen neu diskutiert. Sie sollen auch Gegenstand dieser Arbeit sein.
Es wird näher zu beleuchten sein, inwieweit Immunität vertraglich geregelt ist bzw. welche Bedeutung das Fehlen konkreter Vertragsbestimmungen hat. Weiter wird darauf eingegangen werden, wie sich der Schutzumfang der Immunität von amtierenden und ehemaligen Staatsorganen darstellt.
Der Fokus der Arbeit liegt besonders auf den Grenzen der Staatenimmunität, wobei vor allem der Schutz von Staatsoberhäuptern detailliert beleuchtet werden soll. In diesem Zusammenhang wird auch näher darauf einzugehen sein, in welche Richtung sich die wissenschaftliche Diskussion diesbezüglich entwickelt. Besonders wichtig erscheint die Frage nach der Reichweite der persönlichen Immunität von ausländischen Amtsträgern bei schweren Menschenrechtsverletzungen.
Was den Forschungsstand anbelangt, so hat besonders in den letzten Jahren – vor allem seit dem Bekanntwerden des Pinochet-Falls – die Zahl der Publikationen, seien es Aufsätze, mehrbändige Werke oder Dissertationen zu diesem Thema, stark zugenommen, und das Angebot an einschlägiger Literatur ist nahezu unüberschaubar. Dies trifft in besonderem Maße auf den Fall Pinochet zu. So kann die vorliegende Arbeit nur eine grobe Umreißung des Themenkomplexes „Immunitätsexemtionen“ liefern und Konfliktpotentiale aufzeigen.
II. Der historische Ursprung des Immunitätsschutzes und seine Bedeutung heute
Die völkerrechtliche Bestimmung, dass Staaten und ihre Repräsentanten nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten unterliegen, ist annähernd so alt wie der Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten. Aus ihm ergibt sich, dass kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen darf: „par in parem non habet imperium“.
Die Immunität dient also zunächst einmal der Verwirklichung der Souveränität der Staaten, das bedeutet deren gegenseitiger Gleichheit und Unabhängigkeit. Mit dieser Souveränität sind zwei Aspekte verbunden: der der funktionalen Souveränität und der der staatlichen Würde. Erstere wird durch die Immunität gewährt, indem sie verhindert, dass ausländische Behörden den Staat selbst, vor allem aber seine Organe, belangen. Somit können die Staatsfunktionen erfüllt werden, ohne dass es zu Behinderung vonseiten des Auslands kommt.
Die staatliche Würde wird dadurch geschützt, dass die Immunität ausländischen Stellen verbietet, über Staatsakte zu urteilen. Diese Würdefunktion der Immunität hat jedoch im Gegensatz zum Schutz der funktionalen Souveränität an Bedeutung eingebüßt und dient fast ausschließlich ideellen Zwecken. Sie ist eher ein historisches Überbleibsel aus einer Zeit, in der Staat und monarchisches Staatsoberhaupt ein und dasselbe darstellten.
Ein weiterer wichtiger Zweck ist der Schutz der politischen Beziehungen zwischen den Staaten. Die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des zwischenstaatlichen Verkehrs verlangt ein Mindestmaß an äußerer Handlungs- und Bewegungsfreiheit. Nicht zuletzt sollte an dieser Stelle auch das Ziel der Sicherung des Rechtsfriedens genannt werden.
Die Schwierigkeit bei sowohl der Durchsetzung als auch der Verweigerung der Immunität liegt darin, dass es kein einheitliches Rechtsinstitut gibt, das den Immunitätsschutz in seiner heutigen Form gewährt. Zahlreiche Normen, Verträge und Urteile beschäftigen sich mit der Frage der Immunität und ihrer Grenzen, jedoch leider ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen.
III. Die diplomatische und die konsularische Immunität
Wenn von Immunität die Rede ist, sollte unterschieden werden zwischen der Immunität ausländischer Staaten, auch Staatenimmunität genannt und der Immunität des diplomatischen Personals. Hinzu kommt noch die Immunität internationaler Organisationen , ihrer Bediensteten und Funktionäre, die im Zuge der Vernetzung der Weltgemeinschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Da es sich bei letzterer jedoch um sehr differenziert zu betrachtende Immunitätsstatus handelt, deren nähere Erläuterung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werden sich die Erläuterungen an dieser Stelle auf die diplomatische und konsularische Immunität beschränken.
1. Diplomatische Immunität
Der Zweck der Immunität von Diplomaten und Konsuln ist nicht in erster Linie im Schutz des Entsendestaates zu suchen, sondern in der Sicherung der rechtlichen und politischen Beziehungen innerhalb der Staatengemeinschaft. Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt, dient sie mithin auch der Friedenssicherung. Der Internationale Gerichtshof bezeichnet die diplomatische Immunität deshalb auch als „essential for the maintenance of relations between states“ und „accepted throughout the world by nations of all creeds, cultures and political complexions”. Die diplomatische Immunität ist rechtlich im Wiener Übereinkommen über die diplomatischen und konsularischen Beziehungen von 1961 bzw. 1963 kodifiziert. Die Ratifizierung dieses Abkommens durch die Mehrzahl der Staaten deutet auf eine große Akzeptanz von wesentlichen Bestimmungen darin hin. Somit kann in Bezug auf das Übereinkommen von Völkergewohnheitsrecht gesprochen werden.
Wie in der Präambel des Wiener Übereinkommens niedergeschrieben, ist das Schutzgut der diplomatischen Immunität die „wirksame Wahrnehmung“ der diplomatischen Aufgaben.
a. Reichweite der Immunität während der Amtszeit
Die diplomatische Immunität gilt für alle dienstlichen Tätgkeiten („ratione materiae“) und für Privathandeln („ratione personae“). Die Immunität ratione personae wird damit begründet, dass auch durch eine Strafverfolgung wegen eines persönlichen Fehlverhaltens die Amtstätigkeit des Diplomaten behindert würde. Es besteht also ein Verfolgungshindernis auch für private Handlungen. Dazu gehören Falschparken, private Straftaten, private Schulden, private Vertragsverletzungen, Erbstreitigkeiten und so weiter. Dieses Verfolgungshindernis ist aber sachlich beschränkt: Zum Teil sind Zivil- und Verwaltungsklagen gegen einen Diplomaten schon während seiner Amtszeit in Bezug auf dessen private Handlungen erlaubt. Eine Einschränkung gilt für Vollstreckungshandlungen nach Art. 31 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD).
Diplomaten genießen völlige Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Grundlage für die diplomatische Immunität stellt der Schutz der diplomatischen Funktionen dar. Darüber hinaus spielt die Idee, dass der Diplomat, auch als Missionschef bezeichnet, als Repräsentant des Entsendestaats gesehen wird. Die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission genießen nur eingeschränkte Immunität.
Die Immunitäten eines Diplomaten entbinden ihn nicht von der Verpflichtung, die Gesetze des Empfangsstaates zu befolgen. Dem Aufnahmestaat steht es frei, den diplomatischen Status eines Missionschefs oder eines anderen Mitglieds des diplomatischen Personals ohne Angabe von Gründen und zu jeder Zeit zu beenden. Dies geschieht, indem der Diplomat zur persona non grata erklärt wird.
b. Reichweite der Immunität nach Beendigung der Amtszeit
Die Immunität ratione materiae ist zeitlich unbegrenzt, so dass sie auch nach Beendigung der Amtszeit und nach Verlassen des Empfangsstaates in Bezug auf die (früheren) Amtshandlungen wirkt. Die Fortwirkung des Schutzes durch die Immunität gilt aber nur im Empfangsstaat und muss nicht von anderen Staaten respektiert zu werden. Es stellt sich hier allerdings die Frage, was genau eine Amtshandlung ist. Zählt hierzu beispielsweise auch ein Verkehrsunfall, der auf einer Dienstfahrt verursacht wurde? Nach herrschender Meinung ist dies keine Amtshandlung, weil sich der Unfall nicht im Auftrag des Entsendstaates ereignete. Ein anderes denkbares Kriterium wäre der „enge Zusammenhang“ mit der diplomatischen Funktion.
Die ratione personae ist zeitlich begrenzt. Sie gilt nur während der Amtszeit und endet mit der Ausreise des Diplomaten aus dem Empfangsstaat. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt sowohl Zivil- als auch Strafverfahren eingeleitet werden können. Dies gilt auch in Bezug auf früheres Privathandeln während der Amtszeit.
2. Konsularische Immunität
Ähnlich wie die Wiener Diplomatenrechtskonvention ist das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) von 1963 größtenteils Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts.
Die Immunität von Angehörigen konsularischer Vertretungen reicht nicht so weit, wie die diplomatische Immunität. Sie ist im Wesentlichen auf den dienstlichen Tätigkeitsbereich beschränkt. Konsularbeamte und Bedienstete des Verwaltungs- und technischen Personals genießen nur im Rahmen der Wahrnehmung ihrer konsularischen Aufgaben Immunität.
III. Staatenimmunität
Staaten genießen gegenüber anderen Staaten gewohnheitsrechtliche Immunität. Das bedeutet, dass ein Staat gegenüber einem fremden Staat grundsätzlich keine hoheitlichen Befugnisse hat, geschweige denn über dessen Handlungen zu Gericht sitzen kann.
Zum Staat gehören der Staat selbst als Rechtsperson sowie seine in amtlicher Eigenschaft handelnden Staatsorgane. Auch Staatsunternehmen können, wenn sie vom Staat für seine hoheitlichen Zwecke instrumentalisiert werden (etwa Zentralbankaufgaben), in diesem Sinne als staatliche Organe angesehen werden und somit Immunität genießen.
Art. 1 (b) des Entwurfs der International Law Commission von 1991 zählt dementsprechend zum „Staat“ die „various organs of government“, die „agencies or instrumentalities of the State and other entities to the extent that they are entitled to perform acts in the exercise of the sovereign authority of the State“ sowie „representatives of the State acting in that capacity“.
Dies gilt in gleichem Maße für die Zivil- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit und für jede Strafverfolgung durch den Gerichtsstaat. Daraus ergibt sich, dass alleine die Einleitung eines Verfahrens oder gar die Zustellung einer Klageschrift oder Ähnliches unzulässig sind.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war diese Immunität als absolut zu verstehen, das heißt sobald sich ein Angeklagter als Staat oder als Regierung eines Staats identifizierte, waren keine rechtlichen Schritte gegen ihn mehr möglich.
1. Absolute versus relative Immunität
Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die meisten Staaten von der Gewährung absoluter Immunität für fremde Staaten abgewandt. Nur die früheren „Ostblock“-Staaten hielten noch lange an der absoluten Staatenimmunität fest. Dies änderte sich jedoch mit dem Zusammenfall der Sowjetunion, so dass heute im Völkergewohnheitsrecht nur noch der Grundsatz der so genannten relativen, eingeschränkten oder auch qualifizierten Immunität gilt. Danach können Staaten Immunität nur bei hoheitlichem Handeln (acta iure imperii) in Anspruch nehmen. Bei sonstigen, nichtstaatlichen Akten eines Staates (acta iure gestionis) sind sie dagegen fremder Gerichtsbarkeit unterworfen.
Diese Entwicklung ist auf die zunehmende Bedeutung des Welthandels, der Globalisierung und der internationalen Kooperation zurückzuführen. Im 20. Jahrhundert sind die Staaten vermehrt im privatrechtlichen und wirtschaftlichen Bereich aktiv geworden. Es wäre nicht vertretbar, wenn sie bezüglich ihrer Tätigkeiten dort als immun gelten würden, da privatrechtliches Handeln eines Staates stets gerichtlich überprüfbar sein sollte. Aufgrund dieser Staatenpraxis ist seit den 1970er Jahren der Grundsatz der nur relativen Immunität ein Satz des Völkergewohnheitsrechts. Die UN-Immunitätskonvention von 2004 normiert ebenfalls den Grundsatz der relativen Immunität. Nach Art. 10 kann die Staatenimmunität nicht für „privatwirtschaftliche Rechtsgeschäfte“ („commercial transactions“) beansprucht werden.
2. Die Unterscheidung von acta iure imperii und acta iure gestionis
Die Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis richtet sich danach, ob ein bestimmtes Handelsverhalten auch von einer Privatperson durchgeführt werden könnte.
Bei acta iure imperii handelt es sich um Hoheitsakte, also Akte, welche die öffentliche Gewalt betreffen. Beispiele hierfür sind militärische Tätigkeiten, Enteignungen, Beschlagnahme von Kunstgütern im öffentlichen Interesse usw. Die acta iure gestionis sind Akte, die nicht nur ein Staat, sondern auch ein Privatperson vornehmen kann, so zum Beispiel Miet-, Werk-, oder Arbeitsverträge, die von einer diplomatischen Vertretung mit Arbeitnehmern geschlossen werden.
Nach Art. 2 Abs. 2 der UN-Immunitätskonvention muss die Abgrenzung in erster Linie auf die „Natur“ des Aktes abstellen. Die Konvention erlaubt es aber den Staaten, auch den „Zweck“ des Aktes zu berücksichtigen. In vielen Fällen gibt es jedoch erhebliche Abgrenzungsprobleme, zum Beispiel wenn es um die Zuordnung eines Kaufes von Kriegswaffen geht.
Gäbe es diese Differenzierung nicht, würde eine erhebliche Benachteiligung der am Wirtschaftsleben beteiligten privaten Akteure gegenüber staatlichen Unternehmen entstehen, wenn letztere Immunität genössen und so nicht auf Erfüllung ihrer Pflichten verklagt werden könnten. Diese Konstellation könnte zur Folge haben, dass Privatpersonen keine Geschäfte mehr mit Staaten machen, was nicht zuletzt auch für die staatlichen Akteure von Nachteil wäre. Somit wird durch diese Einschränkung der Immunität in erster Linie eine Stärkung der Stellung des Individuums verfolgt. Aber auch wirtschaftliche Überlegungen spielen eine Rolle.
Als weiterer Beweggrund für die Abgrenzung von acta iure imperii und acta iure gestionis ist das Rechtsstaatsprinzip („rule of law“) zu nennen. Dieses könne es nicht zulassen, dass der einzelne ohne Klagemöglichkeit bliebe, wenn eigentlich vertragliche oder deliktische Haftung greifen würde.
3. Der Umfang der Immunität von Staatsbediensteten
Die Immunität vor fremden Gerichten gilt sowohl für den Staat als Rechtsperson als auch für seine in amtlicher Eigenschaft handelnden Staatsorgane. Die Staatenimmunität lässt sich also untergliedern in die originäre Staatenimmunität des Staates selbst als juristischer Person und die Immunität der Staatsorgane, oder genauer die Immunität von deren Amtsträgern.
Bezüglich der Immunitätswirkung ist die Unterscheidung nach ihrem Anwendungsbereich zu beachten, aber auch der sich verändernde Immunitätsschutz während der Amtszeit und nach Beendigung der Amtszeit.
Auch hier gibt es, wie bei den Angehörigen des Diplomatenstands die Immunität ratione materiae. Die in ihrem Rahmen ausgeführten Amtshandlungen werden dem Staat zugerechnet. Somit trägt auch dieser die alleinige Verantwortung und nicht der handelnde Amtsträger.
Dies bedeutet, dass wenn der Täter in amtlicher Eigenschaft, also als Minister, Polizist oder Soldat, handelt, verhindert die Immunität ratione materiae das Entstehen individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit.
Auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt unterliegen Handlungen, die in amtlicher Eigenschaft während der Amtszeit vorgenommen wurden dieser Immunität.
Die Immunität ratione personae wird im Völkerrecht nur einem begrenzten Personenkreis von Staatsbediensteten eingeräumt. Sie stellt ein Verfahrenshindernis für Maßnahmen gegen diese während ihrer Amtszeit dar. Eine Person, der der Schutz der Immunität ratione personae gewährt wird, kann zwar das Recht in einem dritten Staat verletzen, unterliegt aber für das im Sinne der fremden Rechtsordnung begangene Unrecht nicht der Gerichtsbarkeit des fremden Staats. Dies hat zur Folge, dass Vorschriften der Rechtsordnung dieses Staats nicht mittels staatlicher Zwangsgewalt durchgesetzt werden können. Der von dieser Immunität erfasste Personenkreis genießt also während seiner Amtszeit nahezu absolute Immunität, das bedeutet den Schutz vor rechtlichen Maßnahmen eines fremden Staates für hoheitliches Handeln. Dieser Schutz gilt nicht nur bei offiziellen Staatsbesuchen, sondern darüber hinaus auch bei Privatreisen, da die so geschützten Personen stets als Repräsentanten ihres Heimatlandes begriffen werden.
Mit Ausscheiden aus dem Amt erlischt die persönliche Immunität, so dass der Amtsträger in Bezug auf Amtshandlungen dann nur noch durch die zeitlich unbegrenzt wirkende Immunität ratione materiae geschützt ist. Für solche Handlungen ist eine gerichtliche Überprüfung durch fremdstaatliche Gerichte nur dann möglich, wenn der betreffende Staat hinsichtlich seines ehemaligen Amtsträgers der Inanspruchnahme zustimmt beziehungsweise wenn das Völkerrechtssubjekt, welches diese Person repräsentiert hat, gänzlich verschwindet.
4. Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern
Das Hauptproblem der Immunität ratione personae ist in der Bestimmung des Personenkreises, der sich auf sie berufen kann, zu sehen. Meist wird diese Immunität nur dem nach der Verfassung des jeweiligen Staats bestimmten Staatsoberhaupt zugesprochen. Es ist fraglich, ob sie auch auf bestimmte Ressortminister auszudehnen ist.
Um diese immer wieder sehr brisante und viel diskutierte Frage zu beantworten, ist zunächst nach Hinweisen in den dafür relevanten Texten des Völkervertragsrechts zu suchen, bevor eine genauere Analyse sich der Betrachtung der gängigen Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung der Staaten widmet, also eine Antwort im Völkergewohnheitsrecht gesucht wird.
a. Völkervertragliche Normen
Die Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern wird in verschiedenen Abkommen und Entwürfen angesprochen. Auf sie soll im Folgenden eingegangen werden.
aa. Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961
Dieses Abkommen gewährt Diplomaten Immunität von der Straf- Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Als Begünstigte dieser Regelung werden Diplomaten, also Missionschefs und Mitglieder des diplomatischen Personals einer Mission genannt. Somit kann die Wiener Diplomatenkonvention nicht auf Staatsoberhäupter angewandt werden.
bb. Das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität von 1972
Dieses Übereinkommen , das auch als Baseler Konvention bezeichnet wird, regelt das Ausmaß der Immunität, die ein Staat vor den Gerichten eines anderen Staats genießt. Es ist nämlich bestimmt, dass ausländische Gerichte nicht über in Ausübung der Hoheitsgewalt vorgenommene Handlungen (acta iure imperii) eines vom Vertragsstaat verschiedenen Rechtsträgers entscheiden können.
In Art. 11 ist zudem eine Immunitätsausnahme für deliktisches Verhalten („torts“) auch für acta iure imperii, welche Körperverletzungen oder Beschädigungen von Sacheigentum verursacht haben, zu finden. Allerdings verlangt es, dass die Tat im Forumstaat, also dem Staat, dessen Gerichte den Fall bearbeiten, begangen wurde und der Täter sich zum Zeitpunkt der Tat in diesem aufhielt (doppelter Inlandsbezug).
Staatsoberhäupter werden als Begünstigte nicht ausdrücklich erwähnt, können jedoch in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen. Diesem Abkommen kommt jedoch international keine große Bedeutung zu, da es nur von acht Staaten, unter anderem von Deutschland ratifiziert wurde. In Deutschland genießt das Übereinkommen über das Grundgesetz den Rang eines Bundesgesetzes.
cc. Das Übereinkommen über Sondermissionen von 1969
Diese Konvention besagt, dass Mitglieder einer Sondermission grundsätzlich Immunität bezüglich der Rechtsprechung des Empfangsstaates genießen. Staatsoberhäupter werden als Begünstigte explizit genannt. Sie fallen in den Anwendungsbereich des Übereinkommens, wenn sie eine Sondermission leiten, genießen Immunität aber nur in dem Umfang, wie es das Völkerrecht für offizielle Staatsbesuche von Staatsoberhäuptern vorsieht.
Somit ist wichtig festzuhalten, dass das Abkommen keine rechtliche Grundlage für die Immunität und Unverletzlichkeit bei privaten Auslandsreisen darstellt.
dd. United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property von 2004
Dieses Abkommen geht auf einen Entwurf der International Law Commission zurück.
Auf Grundlage dieser Draft Convention on Jurisdictional Immunities of States von 1991 hat ein Ad-hoc-Ausschuss im Rechtsausschuss der UN-Generalversammlung eine umfassende Kodifikation vorbereitet.
Der Entwurf wurde der UN-Generalversammlung 1991 vorgelegt, jedoch zunächst nicht beschlossen. Dies zeigt, wie umstritten die Frage nach dem persönlichen Schutzbereich der Immunität ratione personae war und ist. In den Kommentierungen zum Entwurf findet sich zum Beispiel der Hinweis, dass bewusst keine Bestimmung zur Immunität von Außenministern getroffen wurde, um der umstrittenen Frage einer völkerrechtlichen Grundlage und des Umfangs einer solchen Immunität aus dem Weg zu gehen.
Erst am 2. Dezember 2004 wurde der Entwurf von der Generalversammlung verabschiedet. Seitdem haben 28 Staaten das Abkommen unterzeichnet, in zehn Staaten wurde es bereits ratifiziert. Es ist somit noch nicht in Kraft getreten.
Die Konvention befasst sich ausdrücklich mit der Immunität von Staatsoberhäuptern. Art. 12 entspricht inhaltlich dem Art. 11 der Europäischen Konvention, enthält jedoch neben Körperverletzungen auch Tötungen aufgelistet.
ee. Contemporary Problems Concerning the Immunity of States in Relation to Questions of Jurisdiction and Enforcement von 1991
Bei dieser Resolution , die in Basel verabschiedet wurde, handelt es sich um einen Entwurf des “Institut de droit international”, der auf der Grundlage der Staatenpraxis erarbeitet wurde. Ihm ging bereits eine “Resolution on the immunities of foreign States” voraus, die im Jahr 1954 in Aix-en-Provence stattfand.
Er beschränkt sich, wie Art. I schon sagt, auf Kompetenzen der relevanten Organe des Forumstaats. Art. II (e) stellt auch für acta iure imperii eine Immunitätsausnahme für eine einem fremden Staat zurechenbare und innerhalb des Forumstaats begangene Körperverletzung, Tötungen und Beschädigungen von Sacheigentum vor.
In den vergangenen zwanzig Jahren folgten, auf diese Resolution aufbauen weitere Resolutionen des Institut de droit international“, so die Resolution von Vancouver im Jahr 2001 und die Resolution von Neapel von 2009.
Den beiden letzteren Resolutionen kommt besondere Bedeutung zu, was die Frage der Immunität von Staatsoberhäuptern anbelangt.
Art. 13 der Vancouver Resolution besagt zum Beispiel, dass frühere Staatsoberhäupter – und nach Art. 16 der Resolution gilt dies auch für frühere Regierungschefs – weder immun sind in Fällen von straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlicher Gerichtsbarkeit, die nicht in den Bereich ihrer Amtsausübung fallen. Darüber hinaus können Staats- und Regierungschefs für Handlungen, die als internationale Verbrechen gelten, zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Resolution von Neapel ist insofern sehr interessant, als sie in Art. I genau definiert, was unter dem Begriff „international crimes“ zu verstehen sei: „serious crimes under international law such as genocide, crimes against humanity, torture and war crimes, as reflected in relevant treaties and the statutes and jurisprudence of international courts and tribunals.“
Weder die Resolution von Basel, noch die von Vancouver und Neapel wurden bislang von einem Staat angenommen. Sie können also lediglich als Indiz für die Existenz der aufgegriffenen Staatenpraxis dienen.
ff. Zwischenfazit
Die Analyse der Abkommen und Entwürfe zeigt deutlich, dass auf die Frage nach dem persönlichen Schutzbereich der Immunität ratione materiae im Völkervertragsrecht keine klare Antwort gefunden werden kann und die Lösung des Problems deshalb zum jetzigen Zeitpunkt im Völkergewohnheitsrecht zu suchen ist.
b. Völkergewohnheitsrecht
In diesem Bereich ist zwischen der Immunität von Staatsoberhäuptern und der von Regierungsmitgliedern zu unterscheiden.
aa. Staatsoberhäupter
Zunächst ist zu klären, wer als Staatsoberhaupt anzusehen ist. Die genaue Bestimmung ist grundsätzlich in der jeweiligen nationalen Verfassung zu suchen. Es kann jedoch auch eine andere Person unter Verletzung des nationalen Verfassungsrechts de facto die Position eines Staatsoberhaupts einnehmen. Hierfür gab es in der Vergangenheit einige Beispiele: So tritt der libysche Revolutionsführer Muammar Ghaddafi wie ein Staatsoberhaupt auf. Gleiches gilt für die führenden Personen der Partei in sozialistischen oder kommunistischen Ein-Parteien-Staaten wie China und Nordkorea.
Im Völkergewohnheitsrecht ist unstreitig, dass amtierenden Staatsoberhäuptern grundsätzlich persönliche Immunität gewährt bekommen. Andernfalls wären sie nicht in der Lage, ihren offiziellen Aufgaben gerecht zu werden. Wenn Staatsoberhäupter bei Aufenthalten im Ausland rechtliche Untersuchungen egal welcher Art fürchten müssten, wären damit der freie Kontakt und die freie zwischenstaatliche Kommunikation in Gefahr.
Man kann also sagen, dass ein Staatsoberhaupt Immunität als Pendant zur Staatenimmunität genießt. Klassischerweise war diese Immunität absolut, das heißt, sie umfasste die Immunität für Amtshandlungen (ratione materiae) und die Immunität für private Handlungen (ratione personae).
Diese Regel findet im Völkergewohnheitsrecht allgemeine Anerkennung, was durch zahlreiche nationale Gerichtsentscheidungen nachzuweisen ist. So ging ein französisches Gericht zum Beispiel nicht auf eine Klage gegen den libyschen Staatschef Ghaddafi ein (2001); das belgische Kassationsgericht in Strafsachen trat nicht auf eine Klage gegen den Israelischen Premierminister Ariel Sharon ein (Entscheid vom 12. Februar 2003), eine zivilrechtliche Klage gegen das amtierende Staatsoberhaupt von Liechtenstein (Vaterschaftsklage) wurde ebenfalls abgewiesen.
Zwar können diese nationalen Entscheidungen nicht unmittelbar die Existenz von Völkergewohnheitsrecht beweisen, da es hierzu des Nachweises konstanter zwischenstaatlicher Anwendung bedarf. Sie können jedoch ein Hinweis auf ein bestimmtes Rechtsbewusstsein und damit ein Hilfsmittel zur Findung gewohnheitsrechtlicher Regeln sein.
Zusammenfassend gilt also: Von der jeweiligen Verfassung als Staatsoberhäupter definierte Personen und solche, die de facto als Staatsoberhäupter agieren, wird während ihrer Amtszeit grundsätzlich persönliche Immunität zugestanden. Diese umfasst sowohl amtliche als auch private Handlungen.
Doch in welchen Fällen erfährt die Immunität eines Staatsoberhauptes nur noch eingeschränkte Gültigkeit? Es wird diskutiert, ob nicht auch bei amtierenden Staatschefs die Immunität nur noch für Amtshandlungen anerkannt werden sollte. Eine absolute Immunität stößt in zunehmendem Maße auf Kritik. In dieser Immunitätsdebatte wird meist zwischen strafrechtlichen und sonstigen Gerichtsverfahren unterschieden. Die Forderung nach der Beschränkung der Immunität bezieht sich meist auf Strafanklagen gegen Staatschefs. Das Argument hierfür ist, dass die Immunität des Staatsoberhauptes nur eine Facette der Staatenimmunität sei. Weil aber selbst die Immunität des Staates nicht mehr absolut gilt, sondern beschränkt auf acta iure imperii ist, sollte – so die Argumentationsweise – auch die Immunität des Staatsoberhauptes entsprechend eingegrenzt werden. Die Einschränkung der absoluten Immunität von noch amtierenden Staatsoberhäuptern stößt jedoch bisher in der Staatenpraxis auf keinen Widerhall.
Was die Regelung nach Beendigung der Amtszeit des Staatsoberhauptes betrifft, so sieht die Lage etwas anders aus: Das ehemalige Staatsoberhaupt genießt nur noch Immunität ratione materiae bezüglich früherer Amtshandlungen. Es tut dies nicht in Bezug auf frühere Privathandlungen, die es während der Amtszeit begangen hat. Logischerweise erst recht nicht in Bezug auf aktuelle, zwangsläufig private Handlungen nach Beendigung der Amtszeit.
Ein gutes Beispiel für einen so gelagerten Fall stellt die Strafanklage durch ein spanisches Gericht im Jahr 1998 gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Pinochet dar, auf die in den folgenden Kapiteln noch näher eingegangen wird. Pinochet war von 1974 bis 1990 Staatspräsident Chiles.
bb. Regierungsmitglieder
Die Immunitätsfrage für Mitglieder einer Regierung gestaltet sich schwieriger und muss sehr differenziert betrachtet werden.
Eine Sichtweise argumentiert, dass Regierungsmitglieder nicht durch persönliche Immunität geschützt seien, weil es bei ihnen nicht wie bei dem Oberhaupt eines Staates die Würde des Staates zu schützen gelte. Zwar besitzen Regierungschefs und Außenminister weitreichende Repräsentationsbefugnisse, jedoch personifizierten und repräsentierten sie nicht in jener Art und Weise den eigenen Staat, wie dies das Staatsoberhaupt als höchstes Organ des Staates tut.
Dem kann entgegengehalten werden, dass das Staatsoberhaupt auf dem Gebiet der auswärtigen Politik zwar formell als Träger der höchsten Zuständigkeit gilt, in der Praxis aber der Regierungschef und der Außenminister diejenigen sind, die in den internationalen Beziehungen eines Staates besonders exponiert sind und besonderer Bewegungsfreiheit und besonderem Schutz bedürfen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969, auch Wiener Vertragsrechtskonvention genannt, benötigen Regierungschefs und Außenminister keine Vollmacht, wenn sie bei Vertragsverhandlungen oder bei Vertragsschluss für ihren Staat tätig werden, so dass sie zumindest insoweit den Staat in gleicher Weise wie ein Staatsoberhaupt repräsentieren und ihr Verhalten in dieser Beziehung immer dem Staat zugerechnet wird.
Diese Ansicht steht im Einklang mit der Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs im Urteil zu dem Fall der Demokratischen Republik Kongo mit Belgien. Dort heißt es:
a Minister of Foreign Affairs, responsible for the conduct of his or her State’s relation with all other States, occupies a position such that, like the Head of State or the Head of Government, he or she is recognized under international law as representative of the State solely by virtue of his or her office.
In diesem Statement des Internationalen Gerichtshofs kommt auch zum Ausdruck, dass abgesehen von dem Außenminister eines Staats, nicht auch einfache Ressortminister von der persönlichen Immunität geschützt werden sollen, da sie den Staat nicht in der Weise repräsentieren, wie dies bei Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Außenministern, den so genannten „Big three“ , der Fall ist.
Nach völkergewohnheitsrechtlichen Regeln werden also neben dem Staatsoberhaupt eines Staats auch bestimmte Regierungsmitglieder, namentlich der Regierungschef und der Außenminister, durch die persönliche Immunität geschützt. Während ihrer Amtszeit können sich die so geschützten Personen folglich sowohl in Bezug auf hoheitliches als auch auf privates Handeln auf die persönliche Immunität berufen.
5. Ausnahmen vom Immunitätsschutz bei völkerrechtlichen Verbrechen
Die Immunitätsausnahmen bei schweren Völkerrechtsverbrechen ist in den letzten Jahren wohl der am heftigsten polarisierende Themenkomplex, wenn die Frage nach der völkerrechtlichen Immunität von Amtsträgern diskutiert wird. Vor allem der medienwirksame Fall des bereits mehrfach erwähnten chilenischen Ex-Diktators Pinochet hat dieses Problem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, aber auch andere, von den Medien nicht in diesem Maße berücksichtigten Prozesse haben sich mit dieser zentralen Frage beschäftigt. So gab es in der Vergangenheit Ermittlungen vonseiten französischer Behörden gegen den libyschen Staatschef Ghaddafi. Ein weiterer Fall beschäftigte die belgische Justiz, die einen Haftbefehl gegen den damaligen kongolesischen Außenminister Abdulaye Yerodia Ndombasi ausstellte und später deshalb von der Republik Kongo vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt wurde.
Bei all diesen Fällen ist zwischen dem legitimen Anspruch des Nationalstaats auf möglichst ungestörte Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit und dem gleichermaßen legitimen und rechtlich verbürgten Anspruch der Staatsbürger auf Schutz ihrer Menschenrechte abzuwägen.
Gegen eine strafrechtliche Verfolgung besonders im Hinblick auf amtierende Spitzenorgane, also Organe, die durch die persönliche Immunität geschützt werden, spricht, dass es dadurch zu einer Destabilisierung der Struktur und des ordnungsgemäßen Funktionierens des betreffenden Staats kommen könnte, da die höchsten Institutionen betroffen wären. Jedoch ist es auf der anderen Seite schwer zu rechtfertigen, eine Strafverfolgung beziehungsweise ein Verfahren gegen diejenigen nicht zu gestatten, die eine Verletzung der Menschenrechte begangen haben, und gleichzeitig die verantwortlichen Amtsträger eines Staates sind. Dies gilt umso mehr, als diese Art von Verbrechen typischerweise von „Handlangern“ ausgeführt werden, die, da sie keine Immunität genießen, zur Rechenschaft gezogen werden, während die hochrangigen Amtsträger nicht herangezogen werden können, obwohl viele Gräueltaten mit ihrer Kenntnis geplant werden, wenn nicht sogar von ihnen initiiert werden.
Zur Begründung der Immunitätsdurchbrechung im Fall von völkerstrafrechtlich relevanten Verbrechen haben sich deshalb verschiedene Ansätze herausgebildet.
a. Fehlende Amtlichkeit
Maßnahmen, die völkerstrafrechtliche Verbrechen darstellen, können nicht in den amtlichen Aufgabenbereich von Staatsorganen fallen. Sie seien von vornherein private und damit nach Beendigung der Amtszeit verfolgbare Handlungen.
Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass die praktisch wichtigste Verbrechenshandlung, die Folter, nach Art. 1 der Antifolterkonvention per se als amtliche Handlung definiert zu sein scheint. Leugnet man den amtlichen Charakter des staatlichen Handelns, so entfällt der Vorwurf der Menschenrechtsverletzung, mithin der Grund für eine Immunitätsausnahme. Dasselbe gilt für Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Davon abgesehen spricht gegen dieses Modell, dass die Funktionen eines amtlich Handelnden sich nach dessen Aufgabenkreis im Verfassungsgefüge des Staates bestimmen und nicht nach der Rechtmäßigkeit seines Handelns oder dem Gutdünken anderer Staaten.
b. Ius cogens
Eine weiterer Ansatz geht davon aus, dass das Verbot völkerstrafrechtlicher Verbrechen zu den völkerrechtlichen Regeln gehört, von denen die Völkerrechtssubjekte wegen ihrer grundlegenden Bedeutung nicht abweichen dürfen, da sie zum festen unabdingbaren Kern der internationalen Rechtsordnung gehören . „Ius cogens-Normen“ sollen deshalb nicht von einer „einfachen“ Regel wie der der Staatenimmunität umgestürzt werden.
Diese Ansicht ist insofern umstritten, dass noch nicht geklärt ist, ob der zwingende Charakter einer völkerrechtlichen Verbotsregel auch das Gebot bedingt, Verstöße gegen das Verbot strafrechtlich zu ahnden. Der revidierte Entwurf der „International Law Commission“ von 2001 sieht als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen eine „ius cogens-Norm“ nur eine Kooperationspflicht zur Beendigung des Rechtsverstoßes und eine Pflicht zur Nichtanerkennung der entstandenen Situation vor.
c. Widerspruchsfreiheit der Völkerrechtsordnung
Dieses Argument verfolgt eine logische Herangehensweise. Es prangert an, wenn es keine Immunitätsexemtion bei derartigen Verbrechen geben soll, dass das Völkerrecht dann Handlungen schützt, die es selbst als kriminell und als Attacke gegen die Interessen der gesamten internationalen Gemeinschaft verurteilt. Diese Argumentation verfolgt auch das Jugoslawientribunal:
[It] would be a travesty of law and a betrayal of the universal need for justice, should the concept of State sovereignty be allowed to be successfully raised against Human Rights.
Lord Nicholls formulierte in der ersten Pinochet-Entscheidung des House of Lords:
International law has made plain that certain types of conduct, including torture and hostage-taking, are not acceptable conduct on the part of anyone. This applies as much to heads of state, or even more so, as it does to everybody else; the contrary would make a mockery of international law. .
d. Konkrete Pflichtkollision
Nach diesem Ansatz kann ein Staat dem Amtsträger eines anderen Staates dann die Immunität entziehen, wenn die Gewährung der Immunität den Gerichtsstaat in Widerspruch zu einer anderen völkerrechtlichen Norm setzen würde, die ein Gerichtsverfahren gebietet. Dieser Ansatz liegt grundsätzlich der dritten Pinochet-Entscheidung des House of Lords zugrunde. Die Mehrheit der Richter bezieht sich in dieser Entscheidung auf die Art. 5 und 7 der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen von 1984 , die im Fall der Folter eine grundsätzliche Pflicht
zur Strafverfolgung festschreibt. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass eine Strafverfolgung erst dann erfolgen kann, wenn die sie gebietende Norm auch in Kraft getreten ist. Da die Antifolterkonvention im Vereinigten Königreich erst durch die Umsetzung im Criminal Justice Act 1988 verankert wurde, konnten im Fall Pinochet auch nur solche Verbrechen Berücksichtigung finden, die nach diesem Datum begangen wurden, und das, obwohl Pinochet sich schon im Jahr 1973 ins Amt geputscht hatte und dieses Amt anschließend unter anderem mit Mitteln der Folter verteidigte. Immunitätsexemtionen von der Existenz bestimmter Normen des Völkervertragsrechts abhängig zu machen und sie nicht als Regel des Völkergewohnheitsrechts anzuerkennen, senkt die Bedeutung und Reichweite des Pinochet-Urteils erheblich.
6. Die Immunität vor internationalen Gerichtshöfen
a. Die Immunität vor den Tribunalen von Nürnberg bis Ruanda
Die bisher genannten Schutzzwecke sind vor internationalen Gerichten nicht relevant. Hier sitzt kein anderer Staat über einen Staat oder dessen Organ zu Gericht. Das Gemeinschaftsinteresse an der Verfolgung der schweren Straftaten überwiegt. Also gibt es gegenüber der internationalen Strafgerichtsbarkeit keine Immunität.
Diese Tatsache wird auch deutlich, wenn man die Statute der verschiedenen internationalen Tribunale näher betrachtet: das Nürnberger Tribunal ermöglicht ganz eindeutig eine Bestrafung von Staatsoberhäuptern :
[Immunity] which under certain circumstances, protects the representatives of a state, cannot be applied to acts which are condemned as criminal by international law. The authors of these acts cannot shelter themselves behind their official position in order to be freed from punishment in appropriate proceedings. (…) He who violates the laws of war cannot obtain immunity while acting in pursuance of the authority of the state if the state in authorizing action moves outside its competence under international law.
Gleiches gilt für das Statut des Jugoslawientribunals (ICTY) , das bestimmt, dass kein Amtsträger den Einwand der Immunität geltend machen kann. Amtsträger können wegen schweren Verstößen gegen die Genfer Konvention, Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schon dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie noch im Amt sind. So ist etwa dem früheren Präsidenten der Republik Jugoslawien, Slobodan Milosevic, in Den Haag der Prozess gemacht worden. Ähnlich lautet auch der 2. Art. des Ruandatribunals.
2. Der Internationale Strafgerichtshof
Das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, das man auch als das Römische Statut von 1998 bezeichnet, legte fest, dass die offizielle Eigenschaft einer Person weder daran hindern soll, die Person für nach dem Statut strafbare Handlungen zur Verantwortung zu ziehen, noch per se als Grund für eine Strafmilderung gelten soll. Das bedeutet, dass durch diese Norm eine Berufung auf Immunität ratione materiae ausgeschlossen ist, und zwar unabhängig davon, ob die Immunität nach nationalem oder nach internationalem Recht gewährt wurde. Auch die Immunität ratione personae kann nicht als Verfahrenshindernis vor dem Internationalen Strafgerichtshof angesehen werden. Da die persönliche Immunität von Spitzenorganen nur vor Strafverfolgung durch ausländische Behörden schützen soll, kann vor dem Internationalen Strafgerichtshof wie auch vor den anderen internationalen Strafgerichtshöfen ein solcher Immunitätsschutz nicht geltend gemacht werden.
Fraglich an dieser Stelle bleibt jedoch die Vereinbarkeit der Immunitätsklausel mit der Vorschrift des Römischen Statuts. Die Immunitätsklausel legt nämlich fest, dass das Gericht von der Ausführung einer Anweisung zur Zusammenarbeit oder zur Auslieferung absehen muss, wenn durch die Ausführung dieser Anweisung der angewiesene Staat seine Verpflichtungen gegenüber einem dritten Staat im Hinblick auf den Immunitätsschutz verletzen würde, sofern nicht ein Verzicht des dritten Staates auf die Immunität vorliegt.
Diese Klausel könnte in vielen Fällen die Ausübung der Jurisdiktion über die fragliche Person verhindern, da das Römische Statut Verfahren in Abwesenheit verbietet. Jedoch ist der Begriff des Drittstaates in diesem Zusammenhang nicht als dritter Staat in Bezug auf den angewiesenen Staat, sondern vielmehr als dritter Staat in Bezug auf das Statut zu verstehen, also als Nichtvertragsstaat des Römischen Statuts.
Das Gericht ist also nur dann auf den ausdrücklichen Verzicht auf die Immunität angewiesen, wenn der Heimatstaat des Beschuldigten, das Römische Statut nicht ratifiziert hat. In den Fällen, in denen der Heimatstaat hingegen Vertragsstaat ist, kann das Gericht die Ausführung einer Anweisung auch dann verlangen, wenn durch sie der angewiesene Staat in Widerspruch zu Verpflichtungen mit dem Heimatstaat des Beschuldigten gerät. Die Interpretation der fraglichen Klausel ist auf das Prinzip der Effektivität zurückzuführen, da ansonsten die Immunitätsklausel des Römischen Statuts praktisch bedeutungslos wäre.
7. Die Immunität vor nationalen Gerichten und der Fall Pinochet
Die Frage der Immunitätsgeltung vor nationalen Gerichten ist sehr umstritten. Fraglich ist, ob es völkerrechtlich zulässig oder gar geboten ist, die Immunität vor nationalen Gerichten in gleichem Maße einzuschränken, wie das nach dem Internationalen Strafgerichtshof, also auf internationaler Ebene, der Fall ist. Wie schwierig sich die Situation bezüglich dieser Fragestellung darstellt, soll anhand des Pinochet-Falls kurz dargestellt werden.
Nach zwei gescheiterten Gerichtsverfahren, in denen der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet Ugarte im Vereinigten Königreich nach seiner Verhaftung wegen Mordes, Folter angeklagt wurde, entschied sich das House of Lords am 24. März 1999 in einem abschließenden dritten Gerichtsverfahren gegen die Immunität Pinochets. Das Votum mit sechs Richterstimmen gegen die Immunität und einer für ihre Gewährung war eindeutig.
Das Gericht befand, dass die Immunität eines ehemaligen Staatsoberhaupts hinter dem zwingenden Charakter des völkerrechtlichen Folterverbots zurücktreten müsse. Damit verweigerte man Pinochet die Freiheit vor strafrechtlicher Verfolgung und stimmte einem Auslieferungsverfahren zu.
Jedoch stellten sich die Begründungen für das jeweilige Votum der Richter als sehr verschieden, wenn nicht sogar widersprüchlich und wenig überzeugend heraus, da sie auf keine einheitliche Argumentation gestützt wurden. Somit ist eine Präzedenzwirkung der Entscheidung stark zu bezweifeln. Dies liegt unter anderem darin begründet, das der Immunitätsschutz auf die spezifischen Verpflichtungen der Antifolterkonvention zurückgeführt wird und gerade nicht auf Völkergewohnheitsrecht. Somit ist das Urteil praktisch bedeutungslos hinsichtlich völkerrechtlicher Verbrechen, für die keine ähnliche Konvention besteht.
Positiv zu bewerten ist, dass es durch das Urteil zu einer wachsende Sensibilisierung der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich der Staatsbeteiligung an völkerstrafrechtlich relevanten Verbrechen kam und von der ausdrückliche Missbilligung dieser Taten durch die nationalen Gerichte zeugte. Auch die Tatsache, dass es sich bei diesem Gerichtsprozess um das erste Verfahren überhaupt handelte, bei dem sich ein ehemaliger Staatschef vor einem Amtsgericht eines anderen Staates verantworten musste, spricht für sich. Dass es bei den Anklagepunkten um Foltervorkommnisse ging, die er noch während seiner Amtszeit begangen hatte, macht den Fall noch spektakulärer.
V. Fazit
Die Frage der völkerrechtlichen Grenzen von Immunität ist ein sehr weites Feld, das auch in Zukunft nicht an Komplexität verlieren wird. Innerhalb der Staatenimmunität wird die Immunitätsausnahme bei völkerstrafrechtlichen Verbrechen auch in Zukunft der am kontroversesten diskutierte Aspekt bleiben, besonders falls die durch den Pinochet-Fall eingeleiteten Tendenzen der Immunitätserosion sich ausweiten. Dies liegt zum einen daran, dass bei keinem anderen Thema zwei für Staat und ihre Bürger so wichtige Anliegen, nämlich auf der einen Seite die Sicherstellung von Souveränität und auf der anderen Seite der Anspruch auf effektiven Schutz von Menschenrechten, aufeinander prallen. Zum anderen birgt die Frage einer Verweigerung der Immunität vor nationalen Gerichten aufgrund seiner politischen Dimensionen ein immenses Konfliktpotential für die Zukunft in sich. Dem Entstehen von großen diplomatischen Spannungen könnte allerdings durch einen gut funktionierenden Internationalen Strafgerichtshof entgegengewirkt werden. Deshalb bleibt zu hoffen, dass es dem Gericht in nächster Zeit gelingen wird, die für die Effektivität notwendige Akzeptanz der Staatengemeinschaft zu erlangen.
Im Hinblick auf das Thema des Seminars – „Privatisierung“ des Völkerrechts – lässt sich festhalten, dass Private in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Objekt zum Subjekt des Völkerrechts geworden sind, dadurch dass sie, angefangen bei den Artikeln der UN-Charta, heute selbst Adressaten völkerrechtlicher Normen sind. Das Völkerrecht hat damit als Rechtsordnung seiner oft als „klassisch“ bezeichneten Periode den Rücken gekehrt, die Paul Heilborn im Jahr 1925 noch folgendermaßen umschrieb:
Die Normen des Völkerrechts wenden sich nicht an die Menschen, sondern an die Staaten, gebieten und verbieten den Menschen nichts, räumen ihnen keine Rechte ein.
Zur Autorin: Teresa Schad ist Studentin der Rechtswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.