Julian Busche*
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A. Einleitung in die Thematik
„Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.“
(Georg Büchner, Dantons Tod, 1. Akt)
Über das Ziel des deutschen Strafprozesses besteht Einigkeit: Es soll eine in materiell-rechtlicher Hinsicht richtige und damit gerechte Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten gefunden werden . Vorrangiges Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist die Erforschung der Wahrheit . Doch wie erfolgt diese „Erforschung“? Welche Mittel sind zulässig, damit der Richter gerecht entscheiden kann? Basis der richterlichen Entscheidung sind zum großen Teil Zeugenaussagen. Beachtet man, dass die völlig fehlerfreie Aussage vor Gericht eher die Ausnahme als die Regel ist , kommt der Frage nach der Wahrheitserforschung eine besondere Bedeutung zu.
Der Wahrheitssuche vor Gericht standen oft technische Errungenschaften oder Hilfsmittel der entsprechenden Zeit zur Seite, um eine möglichst objektive Forschung zu betreiben . So gibt es Erzählungen aus dem alten China, wie man vor 3000 Jahren dem Verdächtigen eine Handvoll ungekochten Reis in den Mund legte, um auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussage schließen zu können: Konnte er diesen aufgrund der Trockenheit seines Mundes und Halses nicht schlucken, galt er als schuldig .
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde auf der Suche nach Verhalten und Verbrechen erstmals dem Gehirn und seiner Anatomie Bedeutung beigemessen. Die von seinem Begründer Joseph Gall als Phrenologie bezeichnete Lehre versuchte, geistige Fähigkeiten und psychische Eigenarten mit äußeren Merkmalen der Schädeloberfläche in Verbindung zu bringen . Weitere Erkenntnisse auf dem Gebiet der Verknüpfung von kriminologischen Verhalten und biologischen Besonderheiten gelangen dem italienischen Forscher Cesare Lombroso und seinem Schüler Enrico Ferri Mitte des 19. Jahrhunderts .
Im Jahre 1848 sorgte der Arbeitsunfall des zuverlässigen und beliebten Vorarbeiters einer Eisenbahngesellschaft Phineas Gage für Aufsehen. Eine 3cm dicke Eisenstange durchbohrte seinen Kopf vom linken Kiefer bis zum linken Auge. Dabei wurde Gehirnmasse herausgeschleudert. Er überlebte den Vorfall, wurde jedoch in seiner Persönlichkeit radikal verändert: so berichtete man von einem launischen, unzuverlässigen und unberechenbaren Menschen nach dem Unfall. Dies zeigte erstmals in eindrucksvoller Weise, dass für Persönlichkeitszüge und Sozialverhalten bestimme Hirnareale verantwortlich sind .
Auf der Suche nach dem Wahrheitsgehalt von Aussagen entwickelte ein US-Amerikaner in den 1920er Jahren den sog. Polygraphen. Gestützt auf der Annahme, die Aussprache einer Lüge erhöhe den Blutdruck, misst der „Vielschreiber“ verschiedene physiologische Prozesse. Eine derartige Begeisterung wie in seinem Heimatland konnte der Polygraph in Deutschland nicht verzeichnen. So dauerte es bis in die 1950er Jahre bis eine Diskussion zum technischen „Gedankenlesen“ entstand . Im Jahre 1998 sollte diese durch das zweite BGH-Urteil zum Polygraph endgültig beendet werden.
Anfang des 21. Jahrhunderts machten neurowissenschaftliche Studien zum Thema Messung von Gedanken und Empfindungen im Gehirn, vor allem aus den USA, auf sich aufmerksam. Hier wurde nun nicht mehr „mittelbar“ anhand des peripheren Nervensystems getestet, wie es beim Polygraphen der Fall war, sondern „unmittelbar“ im Gehirn des Probanden. Wie auch beim „Lügendetektor“ der 1930er Jahre herrschte in Deutschland erneut Skepsis und Ablehnung, ganz im Gegensatz zu den USA, wo eine breite Debatte zum Thema losbrach, die auch von Juristen geführt wurde . Zunächst beschränkten sich die Untersuchungen auf die Suche nach Korrelaten zwischen Verhaltensdeviation wie Pädophilie, Psychopathie, Änderungen in der Hirnmorphologie oder Hirnstoffwechsel, bis sich schließlich daraus eine Art „neue Generation von Lügendetektoren“ entwickelte . Möglich ist dies durch sog. bildgebende Verfahren und Hirnscans. Doch kann man der Lüge einen genauen Ort im Gehirn zuschreiben?
Der vorliegende Artikel wird zunächst auf die medizinisch-technischen Grundzüge der bildgebenden Verfahren eingehen und diese anhand zweier verschiedener Methoden vorstellen und erfolgte Studien analysieren. Sodann werden die gewonnenen Erkenntnisse in den deutschen Strafprozess einbezogen, kritisch hinterfragt und anhand des Gesetzes bearbeitet. Schließlich soll ein Fazit gezogen werden, welches durch einen Ausblick auf Künftiges ergänzt wird.
B. Grundverständnis zu den medizinisch-technischen Verfahren
„Hab ich des Menschen Kern erst untersucht, so weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.“
(Friedrich Schiller, Wallenstein)
Die Hirnforschung stellt eine interdisziplinäre Wissenschaft aus Medizin, Psychologie und Biologie dar.
Um sich materiell-strafrechtlichen Diskussionen zum Thema bildgebende Verfahren stellen zu können, ist ein Grundverständnis der medizinisch-technischen Abläufe unerlässlich.
Zunächst soll in einem kurzen Rückblick der Polygraph vorgesellt werden, um schließlich auf die bildgebenden Verfahren einzugehen.
I. Der Polygraph – ein Rückblick
Anfang des 20. Jahrhunderts rückte die Wissenschaft der Psychophysiologie erstmals ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als Überlegungen aufkamen, psychophysiologische Untersuchungen für juristische Zwecke einzusetzen .
Zunächst ist der Begriff der Psychophysiologie zu definieren. Dabei handelt es sich um eine Wissenschaft, die die Untersuchung psychologischer Prozesse in einem intakten Organismus mittels Messung an sich unsichtbarer physiologischer Prozesse anstrebt . Die wohl bekannteste Apparatur zur Messung von physiologischen Prozessen ist der sog. Polygraph. Seine Entwicklung geht auf den US-Amerikaner William M. Marston zurück, der unter der Grundidee, die Aussprache einer Lüge erzeuge eine Stresssituation mit der damit verbundenen Nervosität, die physiologischen Parameter Herzfrequenz, Atmung und Leitfähigkeit der Haut misst . Da Störreize den Probanden ablenken und die Aufzeichnungen beeinflussen, werden die Tests in einem separaten Untersuchungsraum von einem Gutachter geführt und nicht etwa im Gerichtssaal .
Grundsätzlich werden verschiedene Verfahren zur Lügendetektion eingesetzt. Besondere Bedeutung kommen jedoch zwei Methoden zu: dies sind der Kontrollfragentest (Control Question Test: CQT, dt. KWT), bei dem ein Fragekatalog bestehend aus neutralen Fragen, relevanten Fragen zum Tatvorwurf und Kontrollfragen zum Einsatz kommt, und das Tatwissensverfahren (Guilty Knowledge Test GKT, dt. TWT), in dem der potentielle Täter konkret mit Ermittlungsdetails konfrontiert wird, die nur der Täter und die Ermittler wissen können .
Obwohl einige Befürworter der Polygraphie mit sehr hohen Trefferquoten von z.T. mehr als 90% aufwarten, um die Vertrauenswürdigkeit dieses Testverfahrens zu belegen, ist die Aussagekraft von Untersuchungen der Glaubwürdigkeit mit Hilfe des Polygraphen stets von großer Skepsis begleitet worden . Der Einsatz eines Polygraphen im Strafverfahren wird international unterschiedlich gehandhabt, so ist seine Verwendung in den meisten europäischen Ländern meist generell untersagt . In den USA genießt der Polygraph vor allem bei privaten Sicherheitsfirmen und dem Verteidigungsministerium hohes Ansehen und wurde Schätzungen zu Folge jährlich ca. 40.000 Mal als Test herangezogen , unter anderem auch zur Terrorismusbekämpfung und im Auslandseinsatz als Instrument für Verhöre von Verdächtigen .
II. Bildgebende Verfahren
Im Jahr 2000 schrieben die Neurowissenschaftler Kathleen O´Craven und Nancy Kanwisher: „Unsere Daten zeigen zum ersten Mal, dass der Inhalt eines einzelnen Gedanken allein durch seine Kernspin-Signatur erschlossen werden kann“ .
Funktionale bildgebende Verfahren, deren Aufgabe die Messung der Gehirnaktivität ist, haben in der Hirnforschung eine große Zahl neuer Erkenntnisse über die physiologischen Funktion des Gehirn ermöglicht . Bildgebende Verfahren werden als eine Methode definiert, welche kein originäres Relatum in ein Bild übersetzt – abbildet – , vielmehr visualisiert sie einen Vorgang, den sie gleichzeitig als Phänomen erst erstellt. Die dabei aufwendig generierten Bilder sind Ergebnisse eines indirekten Verfahrens und nicht, wie die Fotographie, die Abbildung von etwas Bestehendem . Dabei nimmt die Neurowissenschaft mit Hilfe bildgebender Verfahren für sich in Anspruch, das Wesen des Menschen nunmehr endgültig zu klären .
Zu den bildgebenden Verfahren (Imaging-Techniken) zählen zahlreiche Anwendungen, wie zum Beispiel die Röntgenographie, die Computertomographie (CT) oder die optischen Bildgebungsverfahren (DOI, EROS) .
Im Folgenden sollen eine Methode vorgestellt werden, mit der zum größten Teil gearbeitet wird, die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Aus Kosten-, Gesundheits- oder Technikgründen eignen sich andere Verfahren derzeit weniger. Die bildgebenden Verfahren erzeugen eine enorme Suggestivkraft und leisten eine im Vergleich zu rein schriftlichen Darstellungsweisen gesteigerte Überzeugungsarbeit in puncto Vertrauenswürdigkeit in die neurowissenschaftliche Forschungsdienste . So seien Tomographenbilder symbolische Bilder, die im Wesentlichen durch ihren Bilderkontext und ihre umgebende Kultur bestimmt und so unglücklicherweise einem weiten Interpretationsspielraum ausgeliefert sind .
Die funktionelle Magnetresonanztomographie ist eine spezielle Form der Magnetresonanztomographie . Im Unterschied zur MRT, die aufgrund ihrer hohen räumlichen Auflösung vor allem in der Diagnostik eingesetzt wird, ist die fMRT hauptsächlich in der Forschung vertreten. Die MRT erzeugt dabei Schnittbilder, während die fMRT auch die Funktionen der bestimmten Hirnareale anzeigt – daher auch der Begriff funktionelle Magnetresonanztomographie.
1. Erfolgte Studien und deren Erkenntnisse
Mit dem fMRT sind bereits zahlreiche Studien zum Thema Wahrheitssuche und Lügendetektion durchgeführt worden. Dabei schwanken die Aussagen über die Zuverlässigkeit der Methode zur Lügendetektion teilweise drastisch.
a. Daniel Langleben et al. (2002)
Im Jahr 2002 machte der Neurowissenschaftler Daniel Langleben von der University of Pennsylvania in Philadelphia auf sich aufmerksam, als er sich mit Hirnscans auf die Wahrheitssuche begab. Mittels fMRT, welches erstmalig zu diesem Zwecke eingesetzt wurde, untersuchte er in einen Gruppenexperiment Probanden, die den Besitz von bestimmten Spielkarten leugnen sollten. Durch eine Software, die die fMRT-Bilder der unterschiedlichen Aktivierungsmuster im Kopf der Studenten auswertete, konnte Langleben 7 von 10 Lügner überführen . Bei den gelogenen Aussagen kam es dabei laut Langleben zu einer signifikanten Signalzunahme im vorderen Teil des Gehirns (linker anteriorer singulärer Gyrus zum mittleren rechten superioren frontalen Gyrus (SFG)) , was dafür spreche, dass ein anderes Verhalten zugunsten eines tatsächlichen Verhaltens ausgeführt werde, sprich die wahre Aussage zugunsten der Lüge unterdrückt werde. Des Weiteren wurde das Hirnareal im Bereich der oberen Hirnseite in der vorderen Mitte (vom präfrontalen zum dorsalen prämotorischen Kortex) und in der Hirnmitte (intraparietalen Sulcus) aktiviert, welches für vermeidendes Verhalten sowie negative Affekte stehe.
Die fMRT stelle durch die gewonnenen Erkenntnisse ein geeignetes Mittel zur „Lügendetektion“ dar .
b. Andrew Kozel et al. (2005)
In der von Andrew Kozel durchgeführten Studie aus dem Jahre 2005 wurden gesunde Probanden aus dem universitären Umfeld aufgefordert, ein „Scheinverbrechen“ zu begehen. Vor der Untersuchung sollten sie in einem abgetrennten Raum eine Uhr oder einen Ring stehlen und dies später leugnen. Die fMRT-Scans zeigten erneut eine signifikante Aktivität in den Hirnarealen, die auch in vorherigen Studien bei der „Lüge“ aktiviert waren (anteriorer Gyrus cinguli, orbifrontalen Kortex und dorsolateraler präfrontaler Kortex).
Im Vergleich zu bisherigen Studien war neben der Erkenntnis, dass Wahrheit und Lüge andere Hirnareale aktivieren, auch von großer Bedeutung, dass sich Ergebnisse aus Gruppenstudien auf Einzelpersonen übertragen lassen .
c. John-Dylan Haynes et al. (2007) und weitere Untersuchungen
John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN) in Berlin veröffentlichte 2007 ein Experiment, in dem er mit 70-prozentiger Trefferquote durch fMRT sagen konnte, ob eine Person mit zwei präsentierten Zahlen eine Subtraktion oder Addition durchführen wolle . Zwar ging es in diesem Experiment nicht um die „Lügendetektion“ und Wahrheitsfindung als solche, sondern vielmehr um „das Lesen verdeckter Absichten im menschlichen Gehirn“. Dennoch zeigte die Untersuchung auf eindrucksvolle Weise, wie es bereits gelingt, in vermeintlich verborgene Bereiche des Menschen vorzudringen .
Kürzlich ließ er verlauten, er könne mittels MRT mit 85-prozentiger Genauigkeit dem Scan entnehmen, ob Probanden einen Ort aus der virtuellen Realität kennen, denn „Orte hinterlassen eine ähnlich unverkennbare Signatur im Gehirn wie Objekte“ .
Ähnliches zeigten auch Untersuchungen von Wissenschaftlern der Stanford University. So unterscheiden sich laut Jesse Rissmann die Hirnaktivitätsmuster der Probanden bei Gesichtern, die sie als neu identifizierten von jenen Mustern, die auftraten, wenn Gesichter als bekannt wahrgenommen wurden .
2. Bereits erfolgter Einsatz im deutschen Strafprozess
Die Feststellung der Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage stand im Zentrum der psychologischen Begutachtung von Hans J. Markowitsch im Jahr 2000 .
Einer jungen Frau wurde mit einem Baseballschläger (oder ähnlichem Gegenstand) der Schädel zertrümmert. Laut ihrer Aussage habe sie ihren damaligen Ex-Freund als Täter identifizieren können. Es sei ein Racheakt, habe sie sich doch erst kürzlich von ihm getrennt. Das Opfer war als Hausmädchen bei einem bettlägerigen, vermögenden Herrn angestellt. Dieser wurde nach der schweren Körperverletzung ebenfalls mit dem Gegenstand angegriffen und tödlich verletzt. Weitere Beweise als die Aussage der Frau waren nicht gegeben, sodass es wesentlich auf die Glaubwürdigkeit des Opfers ankam. Da die Anklage auf Mord bzw. Mordversuch angesetzt war, wurden zur Glaubwürdigkeitsuntersuchung psychologische Gutachter hinzugezogen. Einer von ihnen war der heutige Bielefelder Universitätsprofessor Hans J. Markowitsch. Durch die schweren Verletzungen am Kopf zweifelte das Gericht die Aussagen des Opfers an, war doch das Hirngebiet hinter dem Schädel geschädigt, was für Neurologen die Vermutung nahe legte, die Patientin könnte zu Konfabulationen neigen, also die Geschichte erfinden .
Nachdem die intellektuell-kognitiven Funktionen untersucht wurden, um eine Art Profilbildung zu machen, wurde auch eine fMRT durchgeführt .
Wenn die Frau angab, sich an bestimme Dinge zu erinnern, wies das Gehirn genau die Aktivierungen auf, die für bewusste, selbst erlebte Episoden typisch sind (Erkenntnisse aus Untersuchungen von normalen Probanden), sodass die Frau im Stande war, die Wahrheit zu erzählen und das tat sie auch . Besonders im Bereich der rechten Amygdala, welcher im Teil des limbischen System als Verarbeiter emotionsgeladener Aspekte gesehen wird, wurde bei wahren autobiographischen Erinnerungen signifikante Aktivität beobachtet . Der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt .
C. Einbeziehung in den Strafprozess
„In der nächsten Dekade wird ein Verfahren vorhanden sein, das reliable und valide Ergebnisse liefert und somit auch vom BGH nicht ignoriert werden kann.“
(Hans J. Markowitsch)
Gemäß § 244 II StPO hat das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dabei entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung, § 261 StPO.
Die gewonnenen Ergebnisse zum Thema Lügendetektion mittels bildgebender Verfahren aus Teil B müssen also für die gerichtliche Entscheidung von Bedeutung sein.
Eine wesentliche Rolle spielt zunächst, wie sich die deutschen Gerichte bisher zum „klassischen Lügendetektor“, dem Polygraphen, geäußert haben. Diese Ausführungen gilt es schließlich auf die bildgebende Verfahren zu adaptieren.
I. Rechtsprechung zum Polygraphen
Im Folgenden wird auf zwei BGH-Urteile und ein Urteil des BVerfG eingegangen. Sodann wird als aktuelle Rechtsprechung auf eine Entscheidung des OLG Dresden und auf Entscheidungen des AG Bautzen verwiesen.
1. BGHSt 5, 332 (1954)
Die erste Entscheidung des BGH zum Thema Zulässigkeit einer polygrafischen Untersuchung im Strafverfahren erging am 16. Februar 1954.
Die Staatsanwaltschaft beantragte in diesem Fall die Einholung eines Gutachtens auf Grundlage eines Polygraphentests. Der Angeklagte zeigte sich einverstanden. Da das erstellte Gutachten ihn belastete, wurde er schließlich vom LG Zweibrücken verurteilt.
Der BGH lehnte in seinem Urteil jedoch die Untersuchung mit dem Polygraphen sowohl für das Ermittlungs- als auch für das Hauptsacheverfahren ab, ohne dabei Rücksicht auf das Einverständnis des Beschuldigten zu nehmen.
Dabei stützte sich der BGH nicht auf wissenschaftliche Erwägungen zur Brauchbarkeit, sondern stellte allein auf rechtliche Grundsätze ab .
Der Beschuldigte sei Beteiligter und nicht Gegenstand des Verfahrens und nur in diesem Rahmen sei er bestimmten Untersuchungen und Beschränkungen unterworfen wie z.B. in §§ 81, 81a StPO festgelegt. Über die Menschenwürde aus Art. 1 I GG und § 136a StPO sei die Entschließungsfreiheit des Beschuldigten für seine Einlassung geschützt und würde in jeder Verfahrensphase unangetastet bleiben . Dementsprechend müsse dem Beschuldigten bei der Vernehmung das Ob und auch das Wie seiner Antwort überlassen werden, ohne dass dabei auftretende unbewusste Äußerungen, wie etwa ein Erröten oder Schwitzen, vom Gericht anders als im alltäglichen Umgang wahrgenommen werden könnten . Ein solcher Einblick in die Seele des Beschuldigten sei im Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen die Freiheit der Willensentschließung und –betätigung gem. § 136a StPO unzulässig.
Neben dem Verstoß gegen die Norm wurde ebenfalls erwähnt, dass für den Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden im Strafverfahren entscheidend sei, ob im Hinblick auf ihre Voraussetzungen wissenschaftliche Erfahrungssätze unangefochten feststünden . Weiter lägen im vorliegenden Fall keine ausreichenden Ergebnisse über Auswertungsmethoden und -richtlinien vor.
2. BVerfG – Beschluss zum „Lügendetektor“ (1981)
Am 18. August 1981 befasste sich das BVerfG erstmalig mit dem „Lügendetektor“. Somit sind mehr als 25 Jahre seit dem ersten BGH Urteil ergangen, ehe die Gerichte erneut zur Zulässigkeit des Polygraphen Stellung bezogen.
Jedoch ging es nun um eine entgegengesetzte Fallkonstellation. So wehrte sich der Beschwerdeführer (im Folgenden mit Bf. abgekürzt) nicht gegen die Verwertung von mit Polygraphie erlangter Aussagen, sondern er stritt dafür, um seine Unschuld unter Beweis zu stellen .
Der Bf. war vom LG Mannheim (Urt. V. 2.6 1980 – 2 KLs 3/80) zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung verurteilt worden.
Dieses Urteil beruhte auf Indizien, denn man fand zahlreiche Spuren des Angeklagten am Tatort. Belastende Zeugenaussagen existierten hingegen nicht. In dieser Lage sah der Bf. im Test mit dem Polygraphen die einzige Chance, einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu entgehen.
Der Vorprüfungsausschuss des BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung an. Die „Durchleuchtung“ der Person, welche die Aussage als deren ureigenste Leistung entwertet und den Untersuchten zu einem bloßen Anhängsel eines Apparates werden lasse, greife in unzulässiger Weise in das durch Art. 2 I i.V. mit Art 1 I GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein, das der Wahrheitsforschung im Strafverfahren Grenzen setze . Anders als in der BGH-Entscheidung von 1954 wurde nun nicht mehr auf die menschenunwürdige Behandlung abgestellt, sondern auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG.
Weiter fehlten überwiegende Interessen der Allgemeinheit oder des Bf., welche den Eingriff in den Kernbereich der Allgemeinen Persönlichkeitsrechte rechtfertigen würden. Auch lasse die Trefferquote des Polygraphen von 90% höchstens ein Wahrscheinlichkeitsurteil zu, was nicht ausschließe, dass der konkret Untersuchte bei negativem Testergebnis dennoch der Täter sein kann.
Auch ändere die Einwilligung des Bf. nichts an der Unzulässigkeit, denn eines Schutzes gegen staatliche Eingriffe bedarf nur derjenige nicht, der wählen könne. Diese Freiheit habe der von empfindlicher Freiheitsstrafe bedrohte Angeklagte tatsächlich nicht, sie sei daher nicht freiwillig und daher unwirksam .
Die Ausführungen stießen in der Literatur auf heftige Kritik. Die Erklärungen des BVerfG seien „eine so klägliche Begründung und fast schlechter als gar keine“ bzw. „ein Beschluss von äußerster Dürftigkeit“ . Das Gericht sei der Komplexität des Falls nicht gerecht geworden . Inhaltlich habe sich der Vorprüfungsausschuss mit der Besonderheit, dass der Polygraph zur Entlastung eingesetzt werden sollte, nicht ausreichend auseinander gesetzt .
3. BGHSt 44, 308 (1998)
Rund 45 Jahre nach der ersten BGH-Entscheidung , musste sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes erneut mit der Frage der Zulässigkeit des Polygraphen im Strafverfahren befassen. Anlass war die Verfahrensrüge eines wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vom LG Mannheim Verurteilten (im Folgenden mit V abgekürzt). V hatte in der Hauptverhandlung vor dem LG Mannheim zur Widerlegung der ihm zur Last gelegten Vorwürfe eine polygraphische Untersuchung beantragt, welche vom LG abgelehnt wurde.
Die Entscheidung des BGH distanziert sich in der Argumentation von der bisherigen Rspr., bleibt jedoch im Ergebnis gleich.
a. Kein Verstoß gegen die Menschenwürde aus Art. 1 I GG
Zunächst sei der Einsatz eines Polygraphen vor Gericht kein Verstoß gegen die Menschenwürde gemäß Art. 1 I GG, da dem Untersuchenden kein „Einblick in die Seele des Beschuldigten“ gewährt sei , wie der BGH früher noch angenommen hatte . Dies ergebe sich auch daraus, dass es dem Gericht erlaubt sei, nicht steuerbare Körperreaktionen (wie starke Schweißbildung oder Erröten) zu verwerten . Weiter bleibe die Subjektstellung des Beschuldigten unangetastet, auch wenn er an ein Messgerät angeschlossen sei, hierzu aber sein Einverständnis erklärt habe.
Nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung gebe es schließlich keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen kognitiven oder emotionalen Zuständen und spezifischen körperlichen Reaktionen, vor allem löse das Lügen keine bestimmte, eindeutige körperliche Reaktion aus („no specific lie response“) .
b. Kein Verstoß gegen § 136a StPO
Laut BGH liege auch kein Verstoß gegen die Willensentschließung und Willensbetätigung nach § 136a StPO vor. Eine direkte Anwendung der Norm scheide ohnehin aus, falle die Polygraphie doch nicht unter die in der Norm genannten verbotenen Vernehmungsmethoden . Auch eine analoge Anwendung scheide auf Grund der mangelnden Eingriffsintensität der Polygraphie aus, so sei der Schweregrad nicht erreicht (wie etwa bei Narkose oder Narkoanalyse) und die Vergleichbarkeit daher nicht gegeben . Folglich sei auch die Einwilligung in die Durchführung nach § 136a III StPO unbeachtlich.
c. Ungeeignetheit des Beweismittels
Im Ergebnis sei die Polygraphie ein ungeeignetes Beweismittel nach § 244 III S. 2 Var. 4 StPO. Der BGH unterscheidet in seinen Ausführungen den Tatwissenstest (TWT) und den Kontrollfragentest (KFT). Vor der Entscheidung wurden Gutachten von vier Experten eingeholt .
Der TWT funktioniere nur, wenn die dem Beschuldigten als Antwort vorgeschlagenen Tatdetails nicht bekannt seien, weil andernfalls die ausschlaggebenden Orientierungen auch bei einem Nichttäter zu erwarten seien . Dies sei zumindest zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht der Fall – z.B. durch Akteneinsicht des Strafverteidigers-, sodass eine Verwendung des Tatwissensverfahrens in diesem Verfahrensstadium nach allgemeiner Ansicht ausscheiden müsse .
Den Umkehrschluss, dass ein solcher Test eventuell im Ermittlungsverfahren durchgeführt werden könnte, hat das Gericht offenbar bewusst nicht ausdrücklich zu ziehen gewagt .
Der KFT sei in den maßgebenden Fachkreisen nicht allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestuft worden, sodass ihm kein indizieller Beweiswert zukomme . Weiter verweist der BGH erneut auf den nicht existenten Zusammenhang von emotionalen Zuständen und entsprechenden Reaktionsmustern („no specific lie response“). Schließlich geht der BGH auf die Erstellung der Kontrollfragen ein, welche fehleranfällig sind, was dazu führen kann, dass auch für den Unschuldigen die tatbezogenen Fragen eine höhere Belastung darstellen als die Kontrollfragen selbst. Daher seien Kontrollfragen nicht standardisierbar .
Diese Auffassung wurde vom 3. Strafsenat des BGH in einem Anschlussurteil vom 10.02.1999 bekräftigt . Auch der Zivilsenat bezeichnete die polygraphische Untersuchung als völlig ungeeignetes Beweismittel
4. Aktuelle Rechtsprechung zum Polygraphen
Im Jahr 2013 wurden in mehreren Verfahren die Zulässigkeit des Polygraphen vor Gericht bestätigt . So sei die polygraphische Untersuchung nunmehr zuverlässig. Daher stehe die Entscheidung auch nicht im Widerspruch zum BGH-Urteil , da der Bundesgerichtshof seine Entscheidung von der Zuverlässigkeit der psychophysiologischen Methode abhängig gemacht habe .
Als Voraussetzung für den Einsatz im Strafverfahren muss die polygraphische Untersuchung in einem geordneten gerichtlichen oder staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren nach erklärter Freiwilligkeit angeordnet worden sein. Dieser freiwillige Test muss unter Laborbedingungen mindestens vier Parameter messen und von einem zertifizierten Sachverständigen durchgeführt werden, sodass die Aufzeichnungen fachgerecht interpretiert werden können. Das Verfahren muss weiter die Tatfrage betreffen und das Befundergebnis darf lediglich zur Entlastung des Angeklagten verwendet werden .
II. Bildgebende Verfahren im Strafprozess
Es soll nun versucht werden, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Rechtsprechung zum Einsatz des Polygraphen auf die bildgebenden Verfahren anzuwenden. Dabei werden Probleme bei dem Versuch der Adaption zu konkretisieren sein. Zunächst muss geklärt werden, wie objektiv, valide und reliabel die Testergebnisse der bildgebenden Verfahren überhaupt sind.
1. Validität und weitere offene Fragen
Trotz der teilweise vielversprechenden Resultate in den Studien, räumen selbst die zuversichtlichsten Autoren der Studien Bedenken gegen die Verlässlichkeit ihrer Resultate ein .
a. Validität
So sei laut Langleben et al. eine Mehrdeutung von Testergebnissen möglich, denn bei Untersuchungen zum Arbeitsgedächtnis waren teilweise dieselben Areale im Hirn aktiv, wie bei täuschendem Verhalten, sodass Zweifel an der Validität der bisherigen Studien aufkommen. Bis heute ist kein sog. „Lügenzentrum“ im Hirn lokalisiert worden. Auch ist jedes Hirn und seine Aktivität eine Art persönlicher Fingerabdruck, also höchst individuell und einzigartig .
Weiter erfolgten bis heute kaum Studien, die die Aufdeckung einer Lüge in einer Einzelperson zum Ziel hatten; größtenteils wurden die Ergebnisse über mehrere Personen ermittelt und daraus ein Mittelwert erstellt . In der Forensik gehe es aber um jeden Einzelfall und nicht um den Durchschnitt einer Untersuchungsgruppe .
b. Falsche Erinnerungen
Ein grundsätzliches Problem jeder Art der Lügendetektion lag bisher in der Voraussetzung, dass die untersuchte Person überhaupt in der Lage ist, zwischen Wahrhaftigkeit und Lüge zu unterscheiden . Wenn der Proband nicht erkennen kann, dass seine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit sich nicht mit der objektiven Wirklichkeit deckt, würde auch ein zuverlässiger Test eine objektive Lüge nicht als solche erkennen, sondern sie im Gegenteil als subjektive Wahrheit ausweisen . Das gleiche Problem ergibt sich dementsprechend für den Beschuldigten, der sich für den Täter hält, obwohl er objektiv unschuldig ist. Er würde der Lüge überführt werden, sofern er die Tatbeteiligung leugnet, obwohl er objektiv die Wahrheit sagt. Neue Studien deuten nun zum ersten Mal auch auf experimenteller Basis darauf hin, dass es mit hirnbildgebenden Verfahren möglich sein könnte zu unterscheiden, ob sich eine Person fehlerinnert; was es bei einem möglichen Einsatz zu berücksichtigen gilt .
c. Manipulation
Über die Manipulierbarkeit der Hirnscans mittels fMRT ist bisher wenig bekannt . Jedoch wollen manche Studien belegt haben, dass durch bildgebende Verfahren jene Areale des Hirns sichtbar gemacht werden können, die bei bewusst unterdrückten Gefühle angeblich aktiviert werden, sodass eine etwaige Manipulation deutlich erschwert werde .
Zu einem anderen Ergebnis kam ein Forscherteam um Anthony Wagner von der Stanford University . Hier ging es zwar nicht um „Lügendetektion“ im eigentlichen Sinne, vielmehr wurde ein Gedächtnistest mittels fMRT durchgeführt. Dennoch zeigten die Ergebnisse, dass auch ein moderner MRT manipulierbar ist. Die Teilnehmer trugen mehrere Wochen digitale Kameras um den Hals, die ca. 45.000 Fotos aus dem Leben der Probanden schossen. Diese Bilder wurden mit Kontrollmaterial gemischt, also mit Bildern, die den Untersuchten fremd waren. Mit dem fMRT wurde nun untersucht, ob den Probanden ein jeweiliges Bild vertraut oder fremd war. Dabei wurde eine Trefferquote von erstaunlichen 91% erzielt. Dramatisch änderte sich jedoch das Ergebnis, als die Probanden aufgefordert wurden, bei einem vertrauten Gesicht an ein fremdes zu denken und umgekehrt. „Wir waren nicht mehr fähig festzustellen, ob jemand ein Gesicht erkennt oder nicht“, berichtete Anthony Wagner und führte weiter aus, es sei also noch zu früh, über einen möglichen Einsatz von Gedankenlesern im Gerichtssaal zu entscheiden .
Ebenfalls wirken sich Kopfbewegungen extrem störend auf die bildgebenden Verfahren mittels fMRT aus, sodass zwingend notwendig ist, dass sich der Proband kooperativ verhält.
2. Zwischenergebnis zu bildgebende Verfahren im Strafprozess
Trotz der vorgebrachten Probleme und offenen Fragen lohnt es sich, einen möglichen Einsatz bildgebender Verfahren genauer zu untersuchen und etwaige Kollisionspunkte mit dem Gesetz zu beleuchten.
Im Folgenden wird dazu ein technisches Verfahren auf Basis der fMRT vorausgesetzt, welches vom BGH nicht mehr als „völlig ungeeignete“ Methode nach § 244 III S. 2 Var. 4 StPO zu beurteilen wäre und auch „in den maßgeblichen Fachkreisen“ zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestuft werden würde . Auch sei, wie bereits ausgeführt, die Gefahr der Auswertung einer Fehlerinnerung nicht mehr gegeben .
3. Verstoß gegen Normen und rechtliche Bedenken
Es wird von einem einverständlich durchgeführten fMRT-Gutachten ausgegangen, welches im Hauptverfahren zur Entlastung des Beschuldigten durchgeführt wird.
a. Verstoß gegen § 244 III S. 1 StPO – rechtliche Unzulässigkeit der Beweiserhebung
Auf Grund des numerus clausus der Beweismittel wäre ein bildgebendes Verfahren kein eigenständiges Beweismittel im Sinne der Strafprozessordnung sondern ein Untersuchungsverfahren im Rahmen des Sachverständigenbeweises nach §§ 72 ff. StPO.
Die Fragen, ob der Angeklagte sich mittels eines bildgebenden Verfahrens entlasten kann, richtet sich somit nach § 244 III, IV StPO. Die völlige Ungeeignetheit des Beweismittels nach § 244 III S. 2 Var. 4 StPO wird vorliegend nicht untersucht, da die Geeignetheit unterstellt wird.
Die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen nach § 244 IV S. 1 StPO wird im Folgenden ebenfalls nicht weiter untersucht, da hierfür kaum rationale Kriterien für eine ausgewogene Beurteilung zu finden sind und die Beurteilung mit dem Selbstbild der Tatrichter zusammenhängt .
Der Beweisantrag auf Untersuchung mittels bildgebender Verfahren könnte aber abzulehnen sein, sofern er unzulässig ist, § 244 III S. 1 StPO.
Eine Beweiserhebung ist unzulässig, wenn sie Rechtsvorschriften widerspricht . Ein Verstoß des einverständlich durchgeführten bildgebenden Verfahrens im Rahmen des Sachverständigenbeweises könnte sich zunächst gemäß § 136a StPO aus strafprozessualen Normen ergeben oder aber aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, in Form einer Grundrechtsverletzung des Angeklagten bzw. weil vorrangige Belange der Allgemeinheit oder überwiegende Interessen Dritter beeinträchtigt wären .
b. Verstoß gegen § 136a StPO
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 6 I 1 EMRK abzuleitende Grundsatz des „fair trail“, sowie das Gebot der Achtung der Menschenwürde verbieten es, die Wahrheit um jeden Preis zu ermitteln .
Gemäß § 136a StPO darf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten nicht beeinträchtigt werden, wobei die Aufzählung der verbotenen Vernehmungsmethoden in § 136a I StPO nicht abschließend ist .
aa. Anwendungsbereich
Außer für Strafverfolgungsorgane gilt § 136a StPO für Sachverständige, die zur Bearbeitung ihres Gutachtens Beschuldigte oder Zeugen untersuchen und dabei Befundtatsachen feststellen . Da sie von den Strafverfolgungsbehörden bestellt worden sind, um die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, dürfen sie sich ebenso wenig wie ihre Auftraggeber unerlaubter Mittel bedienen, um Beschuldigte oder Zeugen zum Reden zu bringen .
Anwendung findet § 136a StPO nur auf Vernehmungen . Vernehmungen sind amtliche Befragungen von Beschuldigten sowie von Zeugen und Sachverständigen in Bezug auf die Beschuldigung (§ 136a I S. 2 StPO) oder den Gegenstand der Untersuchung (§ 69 I S.2, § 72 StPO) im Rahmen eines Strafverfahrens .
Fraglich ist, ob eine „Lügendetektion“ mittels bildgebender Verfahren eine Befragung oder vielmehr eine körperliche Durchsuchung nach § 81a ff StPO darstellt. § 136a StPO kann aber nur auf die bildgebenden Verfahren angewandt werden, sofern diese eine Befragungsmodalität sind .
Peters sah in der Polygraphie keine Variante einer Vernehmung. So zeichne diese Methode physische Phänomene aus und sei daher eine körperliche Untersuchung, die auf Grund ihrer Eigenart aber auch nicht unter die § 81a ff. StPO falle .
Um die bildgebenden Verfahren als körperliche Untersuchung iSd § 81a StPO klassifizieren zu können, müsste diese Methode die Feststellung der Beschaffenheit des Körpers oder einzelner Körperteile bzw. die Suche innerhalb des Körpers nach etwas intendieren, sprich der Körper des Betroffenen müsste zum „Augenscheinobjekt“ gemacht werden .
Im Unterschied zur Polygraphie messen die bildgebenden Verfahren keine physiologischen Reaktionen, sondern versuchen die Motive einer Aussage sichtbar zu machen. Daher steht nicht die Feststellung körperlicher Reaktionen im Zentrum, sondern vielmehr die Aufzeichnung einer Aussage, sodass der Körper beim bildgebenden Verfahren nicht zum „Augenscheinobjekt“ gemacht wird. Ein neurowissenschaftlicher Lügendetektortest ist somit als Befragung zu qualifizieren, die durch Amtspersonen durchgeführt wird und daher eine Vernehmung im Sinne des § 136a StPO darstellt .
bb. Direkte Anwendung
Fraglich ist, ob bildgebende Verfahren mit fMRT einen körperlichen Eingriff darstellen bzw. ihnen eine Täuschung innewohnt, sodass § 136a I S. 1 StPO direkt anzuwenden wäre.
In seiner BGH-Entscheidung hat das Gericht bereits beim Polygraphen keine Ausführungen dazu gemacht, ob dieses Verfahren einen körperlichen Eingriff darstellen könnte . Somit scheidet dies auch für ein nicht invasives Verfahren mittels Magnetresonanztomographie aus, in dem lediglich Vorgänge im Gehirn beobachtet werden . Teilweise wurde bei der Polygraphenuntersuchung mit dem Kontrollfragentest dem Probanden eine höhere Zuverlässigkeit als die Tatsächliche vorgespielt. Welche Methode bei einem etwaigen fMRT angewandt wird, kann man noch nicht vorhersagen , es ist aber im Unterschied zur Polygraphie nicht nötig, ein Spannungslevel über Zuverlässigkeit und Wirksamkeit zu erzeugen; es sei vielmehr möglich, den Probanden umfassend über die Modalität des Verfahrens aufzuklären .
Das Merkmal der Täuschung aus § 136a I StPO ist nach Ansicht des BGH zudem restriktiv auszulegen . Somit ist weder das Merkmal der Täuschung noch ein körperlicher Eingriff iSd § 136a I S. 1 StPO gegeben. Eine direkte Anwendung scheidet daher aus.
cc. Analoge Anwendung
Möglich wäre es, den § 136a StPO analog auf die bildgebenden Verfahren anzuwenden. Für eine Analogie in diesem Falle bedarf es eines Fallkatalogs, der nicht abschließend ist; weiter müssten die nicht erwähnten Methoden mit den explizit genannten qualitativ vergleichbar sein und schließlich keine anderweitige Regelung im Gesetz erfahren haben (sog. planwidrige Regelungslücke) .
Schon angeführt wurde, dass der Katalog des § 136a StPO nicht abschließend ist. Auch liegt eine Gesetzeslücke vor, so ist die „Lügendetektion“ in keiner Norm ausdrücklich geregelt. Somit muss untersucht werden, ob diese mittels bildgebender Verfahren qualitativ mit den in § 136a StPO aufgeführten Methoden vergleichbar ist.
Wie bereits erwähnt, schützt § 136a StPO die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung. So wird die Hypnose explizit aufgeführt und auch die Narkoanalyse fällt einhellig unter die Norm der verbotenen Methoden .
Hinsichtlich des Polygraphen nahm der BGH in seinem Urteil aus dem Jahre 1998 keine analoge Anwendung des § 136a I StPO an, da eine Vergleichbarkeit zum Schweregrad der Hypnose nicht gegeben war, denn diese Methode schalte den Willen gerade zu aus, wovon bei der Polygraphie nicht die Rede sein kann.
Bezogen auf die bildgebenden Verfahren kann nichts anderes gelten, denn auch hier ist der Proband in vollem Umfang handlungs- und willensfähig. Es ist kein Kontrollentzug gegeben, vor dem § 136a I StPO zu schützen versucht.
Bereits erwähnt wurde auch die mögliche Manipulierbarkeit der bildgebenden Verfahren. Ein solches Verfahren ist nur mit einem kooperativen Probanden möglich. Weiter besteht kein Zwang, sich einem psychologischen Test oder einer neurowissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen, denn Zwang verfälscht die Zuverlässigkeit. Außerdem ist ein bildgebendes Verfahren nicht wesentlich verschieden zu anderen psychologischen Untersuchungen zur Glaubwürdigkeit, Konfabulationstendenzen oder Persönlichkeitszügen. Im Ergebnis kann auch der Sachverständige sein Urteil kurz fassen, so muss er prinzipiell nur eine Aussage über die allgemeine Glaubwürdigkeit verlieren, nicht aber über einzelne Fragen, die die Privatsphäre des Probanden betreffen .
Somit liegt bei den bildgebenden Verfahren zur Lügendetektion wie schon bei der Polygrafie nicht der vergleichbare Schweregrad zu den Methoden des § 136a I StPO vor, sodass bildgebende Verfahren nicht unter den Anwendungsbereich der Norm fallen.
dd. Ergebnis
Die bildgebenden Verfahren beeinträchtigen nicht die Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten. Im Ergebnis ist damit auch die mögliche Einwilligung des zu Untersuchenden nach § 136 a III StPO unbeachtlich.
c. Verletzung der Menschenwürde
Möglicherweise verletzt die Methode der bildgebenden Verfahren die Menschenwürde gemäß Art. 1 I GG. Einen allgemein akzeptierten, dogmatisch präzisen Rechtsbegriff der Menschenwürde, der über die allgemeinen Aussagen zu Bedeutung, Rechtscharakter und Rang hinausginge, gibt es nicht .
Im vorliegenden Fall der bildgebenden Verfahren sei angemerkt, dass als Ausdruck verfassungsstaatlicher Freiheit die Individualität, Identität sowie die physische, psychische und moralische Integrität des Menschen zu respektieren sind .
aa. Erfolgte Rechtsprechung zur Polygraphie
Um eine Aussage über die mögliche Verletzung der Menschwürde durch bildgebende Verfahren treffen zu können, muss erneut die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Polygraphen angeführt werden.
In seinem ersten Urteil zur Polygraphie sah der BGH die Menschenwürde aus Art. 1 I GG verletzt, weil es die Freiheit der Willensentscheidung und –betätigung verletze . Die Einwilligung spiele keine Rolle, da die Menschenwürde nicht aus der individuellen Autonomie, sondern aus den Interessen deines Kollektivsubjekts abgeleitet werde .
Diese Ansicht wurde vom BGH in der zweiten Grundsatzentscheidung selbst widerlegt. Dem Bürger gegenüber, sofern er zeitweise seine Rechte aufgebe, um dauerhaft seine Freiheit aus Art. 2 II GG zu sichern, sei der Staat sogar dazu verpflichtet, diesem Aufopferungsangebot Folge zu leisten, wenn dies das letzte Mittel dieser Sicherung darstelle .
bb. Anwendung der Argumente auf bildgebende Verfahren
Im Unterschied zur Polygraphie versuchen bildgebende Verfahren nicht mittels körperlichen Reaktionen auf die Qualität der Aussage zu schließen, sondern sie untersuchen, ob das Gehirn die Aktivität der Wahrheit oder Lüge aufweist . Es geht somit nicht um die Ermittlung des Inhalts, sondern um die Qualifikation des Gedankens, also um die statistische Relation zwischen dem Aussprechen der Unwahrheit und einer bestimmten Gehirnaktivität .
Daher liegt auch kein „Ausforschen des Innersten“ oder der Verlust der Kontrolle des Einzelnen über Art und Umfang seiner „Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit“ vor .
cc. Gegen den Willen
Laut Beck sei zu beachten, dass Staatsanwaltschaft und Gericht typischerweise gegen den Willen des Beschuldigten/Angeklagten ermitteln, sodass auch ein Test gegen den Willen des zu Untersuchenden nicht gegen die Menschenwürde verstoße . Dies komme aber auf Grund der möglichen Manipulierbarkeit wohl nicht in Betracht, da die fMRT wie gesehen zwingend einen kooperativen Probanden benötigt .
Spranger hingegen verneint die Untersuchung mit bildgebenden Verfahren, die durch Zwang vom Staat veranlasst werden .
dd. Ergebnis
Vorliegend wurde eine einverständlich durchgeführte fMRT untersucht.
Diese „Lügendetektion“ mittels bildgebender Verfahren verletzt nicht die Menschenwürde aus Art. 1 I GG .
d. Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
In der jüngsten BGH-Entscheidung zur Polygraphie ging das Gericht nicht auf eine mögliche Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (im Folgenden als APR abgekürzt) gemäß Art. 2 I iVm. Art 1 I GG ein, was zunächst verwundert, war das APR doch ein wichtiger Bestandteil des Vorprüfungsausschusses des BVerfG im Jahre 1981 . Um eine mögliche Verletzung des APRs durch bildgebende Verfahren annehmen zu können, müsste zunächst der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet sein.
aa. Schutzbereich
In den Schutzbereich des APRs fällt die Integrität der menschlichen Person in geistig-seelischer Beziehung . So ist auch die informationelle Selbstbestimmung und die Beobachtung und Interpretation der eigenen Gehirnaktivität erfasst . Die bildgebenden Verfahren als Ermittlung und Auswertung staatlicher Informationserhebung und deren Verarbeitung von Gehirnprozessen, fallen somit in den Schutzbereich des APRs gemäß Art. 2 I iVm Art. 1 I GG .
bb. Einwilligung
Allgemeine Ansicht ist, dass das APR prinzipiell zur Disposition des Einzelnen steht . Diese Einwilligung muss aber „echt freiwillig“ erfolgen, d.h. der Betroffene dürfte nicht auch nur unter mittelbarem Zwang stehen. Dies wurde auch schon bei der Polygraphie angezweifelt, so lasse das Damoklesschwert einer strafrechtlichen Sanktion die echte Freiwilligkeit bei der Entscheidung für oder gegen einen solchen Test, nicht sehr wahrscheinlich erscheinen . Auch wenn der Beschuldigte objektiv nicht gezwungen ist, so kann er sich subjektiv dennoch so fühlen, da es für ihn auf die Überzeugung der Sinnhaftigkeit eines solchen Tests nicht mehr ankommt .
Dies stellt aber einen eklatanten Widerspruch dar, wenn gerade das Grundrecht, das dem Einzelnen nach allgemeiner Auffassung speziell die Möglichkeit autonomer Selbstentfaltung garantiert, der Verfügungsgewalt des Betroffenen entzogen wird .
Somit ist eine Einwilligung in den Grundrechtsverzicht zur Glaubwürdigkeitsuntersuchung mittels bildgebender Verfahren zulässig und möglich.
cc. Reichweite des Eingriffs
Geht man von der Meinung aus, dass ein wirksamer Verzicht auf die Grundrechtsposition des APRs im Zusammenhang mit Lügendetektion ausgeschlossen ist, bleibt zu prüfen, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts durch einen Lügendetektortest vorliegt und ob dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.
Das APR unterliegt dem Schrankenvorbehalt des Art. 2 1 GG, jedoch darf es nur soweit eingeschränkt werden, wie es den Menschenwürdekern unberührt lässt. Diese Kernbereichslehre, die aus Art 1 I GG im Zusammenhang mit den rechtsstaatlichen Garantien der Art. 19 II GG sowie Art. 79 III GG abgeleitet wird, besagt, dass das Grundgesetz einen Schutz für einen unantastbaren und damit jedem staatlichen Zugriff endgültig entzogenen Kernbereich der Persönlichkeitssphäre des Einzelnen für jedes Grundrecht intendiert . Fraglich ist somit, ob die bildgebenden Verfahren diesen Kernbereich berühren. In seiner Entscheidung über den Gebrauch von Tagebuchaufzeichnungen verwendete das BVerfG den Begriff des „mittelbaren Gedankenlesens“ . Dies meint lediglich die Bewertung der Qualität, also die Frage nach dem „Ob“, nicht jedoch nach Gefühlen, also nach dem „Wie“. Diese Unterscheidung lässt sich auch auf die bildgebenden Verfahren anwenden . Befasst man sich nur mit der Frage, ob Lüge oder Wahrheit bei einer Aussage vorliegt, ohne dabei die Qualität des Gedankens, also das „Wie“ zu untersuchen, so berühren die bildgebenden Verfahren nicht den Kern des APRs .
dd. Ergebnis
Eine Glaubwürdigkeitsbetrachtung mittels bildgebender Verfahren verstößt daher nicht gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG des Angeklagten.
D. Fazit und Ausblick
„Die funktionelle Magnetresonanztomographie dürfte angesichts des aktuellen Forschungsstands auf absehbare Zeit keine Relevanz in Strafverfahren haben.“
(Antwort des Bundestages Petition 13841 vom 30.6. 2010)
Zweifelsohne ist die Neurowissenschaft eine faszinierende Reise zu unserem inneren Wesen. Erklärungen für unser Verhalten zu finden ist wohl seit Anbeginn der Zeit ein Wunsch aller Menschen. Durch die neuen Erkenntnisse der Hirnforschung haben sich scheinbar zahllose neue Wissenschaften erschlossen, so sprechen wir heute über Neuroethik, Neurobiologie oder Neurophilosophie. Die Jahre 1990 bis 2000 wurden als Dekade des Gehirns ausgerufen und auch heute bringen Regierungen Milliarden auf, um die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben.
Das Gehirn und seine Prozesse betreffen uns alle und so war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Rechtswissenschaften mit der Neurologie aufeinandertreffen und scheinbar eine Art „Neurorecht“ aufkommt .
Kritische Stimmen äußern sich bereits zur auswuchernden Verbreitung von Neurowissenshaften . Interessanterweise sind es Neurologen, die versuchen, den Enthusiasmus zu bremsen. Die Neurologie stecke noch in Kinderschuhen, warnen sie.
Vorsichtig und voller Skepsis wagen sich Juristen zögerlich an die Hirnforschung. Immerhin stehen viele der Grundansichten des deutschen Strafrechts auf dem Prüfstand: Der Handlungsbegriff und der damit verbundene freie Wille oder der Schuldbegriff, der als wesentlicher Kern des deutschen Strafrechts anerkannt ist.
Auch diese Arbeit zeigt, wie schwierig es ist, die gewonnenen Erkenntnisse der Neurostudien in ein juristisches Korsett zu drängen. Stehen wir kurz vor der Verbannung des Richters aus dem Saal und ersetzen ihn durch eine Maschine? „Ich rufe den Zeugen in den Magnetresonanztomographen“, schrieb Susanne Donner und machte auf die Gefahr aufmerksam, die solche Methoden bringen könnten.
Derzeit gibt es keine Studien, die eine zuverlässige Aussage über die Glaubwürdigkeit von Aussagen mittels bildgebender Verfahren belegen. Auch sind die Trefferquoten von über 90% bei Cephos und NoLieMRI mit Vorsicht zu genießen, verfolgen diese Firmen doch einen kommerziellen, nicht wissenschaftlich-juristischen Zweck.
Selbst wenn in ferner Zukunft ein bildgebendes Verfahren entwickelt wird, welches eine absolute Sicherheit bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit liefern würde, wäre dieses im gerichtlichen Kontext zu betrachten. Die Beurteilung der getroffenen Aussage muss immer anhand des genauen Sachverhalts gesehen werden und an ihm bemessen werden. Diese Tätigkeit kann nur ein Richter vollziehen und darf auch nur von diesem als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips unternommen werden.
Nichtsdestoweniger schließen sich Neurowissenschaften und Rechtswissenschaften nicht als oxymorale Tätigkeiten aus. Vielmehr muss wie bisher der Konsens statt Dissens im Vordergrund stehen. Das fordert von den Juristen eine offene, aber kritische Haltung und von Neurowissenschaftlern geduldiges Verhalten mit zuverlässigen Erkenntnissen, die sich im Kontext der juristischen Felder homogen einfügen lassen.
Nach bisherigem Kenntnisstand verstoßen bildgebende Verfahren nicht gegen deutsches Recht oder die Verfassung. Dennoch birgt diese Methode Unstimmigkeiten. Man bedenke nur den Zwang, der einem Beschuldigten auferlegt wird, sofern er einer bildgebenden Untersuchung nicht zustimmt. Sein Recht auf Aussageverweigerung gebietet ihm das, doch würde es ihm zwangsläufig negativ ausgelegt werden.
Auch ist der Kostenfaktor bisher ungeklärt. Die Verfahren sind aufwendig und nicht überall durchführbar. Hier liegt eine weitere Schwierigkeit der realistischen Umsetzung vor.
Möglicherweise haben diese Bedenken auch zum allmählichen Verebben der Diskussion über bildgebende Verfahren im Strafprozess geführt, wurde diese doch im Zeitraum der letzten Dekade heftig geführt. Nachdem auch die USA, welche als Vaterland für Technik und Sicherheit gilt, juristisches Bedenken geäußert haben, rudern auch Neurowissenschaftler zurück.
Die Hirnforschung steht noch am Anfang ihrer Tätigkeit und somit auch ihre Auswirkung auf das Rechtssystem. Diese Erkenntnis brachte auch der ablehnende Beschluss einer vom Bundestag eingereichten Petition zum Thema: Einsatz der Magnetresonanztomographie als Beweismittel vor Gericht. Dieser wurde lediglich von 776 Mitunterzeichnern unterstützt, was auf eher geringes Interesse schließen ließ. Der Bundestag verkündete, dass eine solche Petition gar nicht nötig sei, da eine gesetzliche Einzelzulassung wissenschaftlicher Methoden nicht erfolgreich ist.
Von größerer Bedeutung ist allerdings der Verweis des Petitionsausschusses, dass laut Bundesministerium für Justiz (BMJ) die Methode der fMRT wissenschaftlich umstritten sei, sie keine hinreichende Verlässlichkeit aufweise und von geringem kriminaltechnischen Nutzen sei. Des Weiteren bestehe eine berechtigte Gefahr von Fehlurteilen, sodass nach aktuellem Forschungsstand auf absehbare Zeit keine Relevanz im Strafverfahren gegeben ist. Dies zeigt, dass man der Methode der fMRT nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, sondern vielmehr derzeit keinen Handlungsbedarf sieht.
Dies könnte sich aber bei weiterentwickelten Methoden ändern, sodass ein Einsatz bildgebender Verfahren im Strafprozess in Zukunft, wenn auch nicht sehr bald, nicht unwahrscheinlich ist.
* Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Die vorliegende Arbeit (in gekürzter und überarbeiteter Form) entstand im Rahmen des kriminologischen Seminars des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg mit dem Titel „Neurowissenschaften, Strafrecht und Kriminologie“ unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg Albrecht im Sommersemester 2015. Derzeit befindet sich der Autor zum Auslandsstudium an der Universität Bergen in Norwegen.