Eva Fischer*
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Kartellrecht, der Hüter des Wettbewerbs? Führt die Geltendmachung von Immaterialgüterrechten zu dysfunktionalen Effekten, wird das Kartellrecht oft als letztes Regulierungsinstrument bemüht. Am Beispiel der wirtschaftlich begehrten Standardpatente zeigt sich jedoch, dass das Kartellrecht insbesondere bei der Abgrenzung des relevanten Marktes und bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Patentinhabers an seine Grenzen stößt.
“Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not.” - Thomas Jefferson (1813)
A. Einleitung
Standardisierungen können einen missbräuchlichen Umgang mit Patentschutz verstärken. Ist die Offenhaltung von Märkten Aufgabe des Kartellrechts, so gewährt ein Schutzrecht dem Inhaber ausschließliche Nutzung. Weil andere Wettbewerber im Falle eines Standardpatents auf das Patent angewiesen sind, kann der Inhaber damit potentiell Wettbewerb beschränken. Grundidee der Patenterteilung war jedoch die Schaffung von Innovationsanreiz durch die Möglichkeit zur Refinanzierung der getätigten Investitionen. Patente sollten gerade nicht zur massiven Einschränkung von Wettbewerb, der Verschließung von Märkten oder der Verhinderung neuer innovativer Entwicklungen dienen .
Die Bedeutung von bestehenden Standards könnte sich durch ständig neue Innovation relativieren . Schnelle technologische Entwicklung und die folgende Patentierung nämlich überholen laufend einen gesetzten Standard. Damit hat der Inhaber von Standardpatenten nur für eine begrenzte Dauer ein marktmächtiges Instrument. Längst sind Standards jedoch Gegenstand von Wettbewerbsstrategien geworden. Bereits im Standardisierungsverfahren gibt es Verfahrensmissbräuche, sogenannte Patenthinterhalte. Die Bildung von Patentpools führt zur Akkumulation großer Patentportfolios, die durch die gepoolten Standardpatente entscheidenden Einfluss am Markt haben können. Besonders im Mobilfunksektor handeln sogenannte Privateers. Diese erhalten Standardpatente von produzierenden Unternehmen für Verletzungsverfahren . Grundsätzlich verstärkt werden die Folgen der Standardsetzung durch sog. Netzwerkeffekte: Aktuell wird das iPhone 6 auf dem US-Markt mit Apple Pay Funktion vermarktet. War Google mit Google Wallet bisher nicht erfolgreich, sprechen Experten nun von einer zweiten Chance für das erste mobile Kreditkartenzahlsystem mit NFC- Technik. Denn warum, so die Argumentation, sollten Warenhäuser neben Apple Pay nicht auch Google Wallet zulassen: Ist Apple Pay bei Verbrauchern beliebt, wären Android- Kunden zur Nutzung von Google Wallet motiviert. Beide Systeme machen sich nämlich gegenseitig bekannt. Die NFC- Technik wäre dann für alle Smartphonehersteller wichtig. Damit werden NFC- Patente so bedeutend, dass trotz Fehlens rechtlicher Verbindlichkeit der NFC- Standard den Austausch mit einer neuen Technologie mit gleichen Funktionen unwahrscheinlich macht. Damit kann ein Standard den Markt für neue Innovation verschließen .
Dennoch kann Standardsetzung auf Informations- und Technologiemärkten positiv wirken. Bei schneller technologischer Entwicklung und kurzlebigen Produktzyklen hat ein einzelner Unternehmer nicht ausreichend Innovationspotenzial. Dieser ist auf die Nutzung von Standardtechnologie angewiesen. Koordination bei Standardsetzung verhindert Doppelinnovation und senkt Marktrisiken der beteiligten Unternehmen, die sich zum Beispiel auf die Nutzung des Standards durch andere Unternehmen einstellen können .
In diesem Zusammenhang wird das Kartellrecht häufig als Regulationsinstrument gesehen. Als letzter Anker zur Bewahrung funktionierenden Wettbewerbs sollen die negativen Folgen von Standardisierung verhindert werden. Dies soll am Beispiel von Patentpool, Patenthinterhalt und Privateers hinterfragt werden.
Bei der Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische Kommission (Kommission) konzentriert sich diese hauptsächlich auf die Verwertungshandlung der Standards . Um wettbewerbsschädigende Nutzung von Patenten zu verhindern, müssten – so die These dieses Beitrags – kartellrechtliche Mechanismen jedoch vor der eigentlichen Verwertungshandlung durch Lizenzierung greifen. Denn diese – nachträgliche – Kontrolle kann die Schäden für den Wettbewerb nur noch begrenzen. Regulative außerhalb des Kartellrechts haben sog. Standardisierungsorganisationen etabliert . Schnittstellen zum Kartellrecht finden sich auch im Marken- und Urheberrecht . Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind jedoch Standardpatente.
Zunächst sollen daher ein Standard definiert und die Problemlagen herausgearbeitet werden. Darauf sollen die kartellrechtliche Verhaltens- und die Fusionskontrolle angewandt werden, um bezüglich deren Wirksamkeit zur Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs zu einer Beurteilung zu gelangen.
B. Standardsetzung auf dem Mobilfunkmarkt
I. Möglichkeiten der Standardsetzung
Standards wie NFC entstehen in Standardisierungsorganisationen (SSO) wie beispielsweise der europäischen SSO ETSI . Davon zu unterscheiden sind am Markt entstehende Standards, sogenannte de facto Standards und Normungen. Letztere werden von Unternehmen oder in staatlich anerkannten SSOs wie DIN gesetzt .
Die NFC zugrunde liegenden Standards Bluetooth und RFID sowie NFC sind durch Patente geschützt, zu denen es (noch) keine technischen Substitute am Markt gibt . Diese sind essentiell zur Standardimplementierung, also standardessentielle Patente (SEP).
Allen Standards ist gemein, dass sie aufgezeichnet werden und Regelungsgehalt haben . Ihre wiederholte Anwendung ist durch mehrere Wettbewerber möglich. NFC kann etwa von iOS und Android getriebenen Smartphones implementiert werden. Ein Standard wirkt also vereinheitlichend . Wegen dieser Gemeinsamkeiten sind Standards im Folgenden gleich zu behandeln.
II. Märkte der Mobilfunkbranche
Grundsätzlich können in der Mobilfunkbrache drei Märkte unterschieden werden: Innovations- , Technologie-, und Produktemarkt . Dabei ist der Innovationswettbewerb den beiden letzteren, und damit der Technologie und dem Produkt, vorgelagert . Dort entsteht durch Entwicklung etwa die NFC- Technik. Idealerweise besteht zwischen diesen Märkten ein Wertschöpfungszusammenhang. Einschränkungen des Wettbewerbs auf einer Stufe der Wertschöpfung aber werden durch knock-on Effekte weiter gegeben .
Liegt ein SEP vor, ist der Innovationswettbewerb bereits abgeschlossen. Eine Technologie hat sich durchgesetzt. Daher ist der Technologiemarkt im Zusammenhang mit SEPs entscheidend.
III. Problemstellung auf dem Technologiemarkt bei Standardisierung
1. Patenthinterhalt
Vor der Verwendung eines Standards am Markt finden Wettbewerbsbeschränkungen im SSO- Verfahren statt . Beispielhaft wird der sog. Patenthinterhalt herausgegriffen. Dabei unterlassen Teilnehmer des SSO- Verfahrens die Offenlegung von Patenten und Patentanmeldungen, die Teil des Standards werden . Nach Standardsetzung kann das Unternehmen mit dem Kartellrecht unvereinbare Verwertungshandlungen begehen oder sich kartellrechtskonform verhalten.
2. Standards in Technologiepools
Nach Abschluss eines Standardisierungsverfahrens werden zur Lizenzierung der Patente häufig Patentpools gebildet. Dabei schnüren zumeist mehrere Parteien ein Paket meist zusammengehöriger Technologien, hier von SEPs . Positiv verringert das „one-stop-shop“-Prinzip Transaktionskosten. Standards können wirksam implementiert werden, da der Hersteller die SEPs nicht separat lizenzieren muss . Pools verringern jedoch den Anreiz, die Gültigkeit der Patente zu überprüfen und neue Technologien zu entwickeln .
3. Standards in Portfolios von Privateers
Ebenfalls über große Patentportfolios mit SEPs verfügen auf dem Technologiemarkt Privateers . Die SEPs werden durch andere Unternehmen an Privateers wie Rockstar übertragen. Rockstar erwarb 6000 Patente des insolventen Nortel- Konzerns aus finanziellen Mitteln von Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry . Bei anschließenden Verletzungsklagen gegen Wettbewerber setzen Privateers auf einen günstigen Vergleich. Diese sind besonders wegen der hohen Kosten bereits vor Prozessbeginn erzielbar. Sollte dies fehlschlagen, können attraktive Lizenzgebühren ausgehandelt werden. Praktischer Hintergrund ist, dass etwa Rockstar kein Interesse an sog. Kreuzlizenzen hat , da Rockstar mangels produktiver Tätigkeit keiner Lizenzen bedarf. Somit könnte der Zugang zu SEPs erschwert und ein Wettbewerber auf dem Produktemarkt für einige Zeit verhindert werden. Die Zugangsverhinderung verringert die Produktauswahl für den Verbraucher . Zur rechtlichen Bewertung fehlen aber oft Detailinformationen .
C. Verhaltenskontrolle als Ausgleichsmechanismus für Standardsetzung
I. Anwendbarkeit von Kartellrecht
Lange war die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf immaterielle Güter fraglich . Jetzt ist anerkannt, dass Patent- und Kartellrecht gemeinsame Ziele von Wettbewerbs- und Wohlstandsförderung verfolgen . Grund dafür ist schon der auf Verfassungsebene verankerte Schrankenvorbehalt des Eigentums, Art. 14 II GG . Damit ist jedes Marktverhalten an den Wettbewerbsregeln zu messen .
II. Kontrolle durch Missbrauchsverbot einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV
Die missbräuchliche Verhaltensweise in einer SSO, eines Patentpools, oder eines Privateers wie Rockstar müsste von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen.
1. Marktbeherrschende Stellung
a) Adressatenstellung
Die Teilnehmer des SSO-Verfahrens und die Mitglieder eines Patentpools erfüllen unproblematisch den funktionalen Unternehmensbegriff, indem sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen . Rockstar könnte hingegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigung sein. Eine Unternehmensvereinigung liegt dann nicht mehr vor, wenn Rockstar aufgrund eigenständiger Tätigkeit im Geschäftsverkehr als Unternehmen auftritt . Rockstar handelt nach eigenen Angaben selbstständig und ist daher Unternehmen.
b) Relevanter Markt
Die unternehmerische Tätigkeit müsste auf dem relevanten Markt stattfinden. Nach dem Bedarfsmarktkonzept grenzt sich der sachlich relevante Markt nach der Substituierbarkeit der Produkte aus Sicht der Marktgegenseite ab . Bei Patenten könnte auf die Nachfrager der Technologie bzw. des Produktes abzustellen sein.
Aus Sicht der Produktnachfrager könnten alle Smartphones mit einem NFC- Feature zum gleichen Produktemarkt gehören . Auf dem vorgelagerten Technologiemarkt ersetzt ein Patent bzw. eine Technologie wie NFC das Produkt . Um überhaupt auf dem Produktemarkt tätig zu werden, also das Smartphone mit NFC- Feature herstellen zu können, muss Zugang zur Technologie erlangt werden . Eine alleinige Konzentration auf den Technologiemarkt würde jedoch eine Substituierbarkeit des Standards auf dem Produktemarkt unberücksichtigt lassen. Bei Berücksichtigung käme es allerdings auf die Sicht der Nachfrager des Produktes an. Für den Zugang zum Produktemarkt relevant ist aber allein die Marktgegenseite zum Patent, also der Nachfrager der durch das Patent geschützten Technologie .
Der Umfang dieses Technologiemarktes richtet sich nun danach, ob andere Technologien bestehen, die gleiche Funktionen erfüllen. Dies können andere geschützte oder freie Lehren sein, die mit dem fraglichen Standard konkurrieren . Dieser Grundsatz müsste nun auf das Vorliegen von SEPs übertragen werden. Dabei verzichtet die Kommission häufig auf eine Abgrenzung des relevanten Marktes, weshalb es an Kasuistik fehlt . Dennoch müsste wegen der fehlenden Austauschbarkeit des SEPs mit anderen geschützten oder nicht geschützten Lehren der Markt auf das einzelne SEP begrenzt werden . Damit bliebe aber die faktische Austauschbarkeit mit anderen Standards auf dem Technologiemarkt unberücksichtigt. Überzeugender ist es daher, auf austauschbare Standards als auf die Austauschbarkeit des SEPs abzustellen . Dafür spricht auch, dass es unbillig wäre, ein Unternehmen als Inhaber eines SEPs dem Kartellrecht zu unterstellen, wenn der dahinterstehende Standard auf dem Markt jeglicher Relevanz entbehrt.
Der räumlich relevante Markt besteht aus dem Wirtschaftraum, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen gleichen . Im Mobilfunksektor besteht ein weltweiter Wirtschaftsraum . Der zeitlich relevante Markt deckt sich grundsätzlich mit der Geltungsdauer der wettbewerbsrelevanten Maßnahme und ist daher nicht separat zu bestimmen .
c) Marktbeherrschende Stellung auf relevantem Markt
Auf dem relevanten Technologiemarkt müsste die Marktmacht von Rockstar oder Teilnehmern der SSO ausreichen, sich unabhängig von Verbrauchern, Wettbewerbern und Abnehmern zu verhalten . Wird einer engen Abgrenzung des relevanten Markts gefolgt, dann hat der Inhaber eines SEPs konsequenterweise per se eine marktbeherrschende Stellung. Denn das SEP ist zur Implementierung des Standards nicht substituierbar und der Inhaber kann sich aufgrund der Alleinstellung unabhängig von anderen Marktteilnehmern verhalten. Mit einer solchen per se Betrachtung blieben jedoch die Marktrealitäten außer Betracht. Die tatsächliche Marktmacht eines Inhabers hängt – zumindest wirtschaftlich – von der Bedeutung des Standards auf dem Produktemarkt ab. Bestehen dort andere Standards, die den Bedürfnissen der Verbraucher ebenfalls gerecht werden, verringert das die Marktstellung des SEP-Inhabers . Somit bedeutet die Wesentlichkeit des SEPs für den Standard noch nicht, dass daraus Marktmacht folgt .
Fraglich ist, woran die Marktmacht erkennbar ist. Die Marktmacht könnte sich am Marktanteil des Standards festmachen lassen , der durch substituierbare andere Standards auf dem Markt begrenzt wird und dadurch bestimmt werden kann . Jedoch sind die Normadressaten die Unternehmen, die Inhaber eines SEPs, nicht aber des Standards sind. Der Anteil eines SEPs am Marktanteil, den der Standard messbar auf sich vereinigt, ist aber wohl nicht feststellbar. Denn in den Produkten wird der Standard, nicht das einzelne SEP implementiert . Daher kann der Marktanteil nicht als Kriterium herangezogen werden und es ist auf das SEP, nicht auf den Standard zur Bestimmung der Marktmacht abzustellen.
Ausnahmsweise kann sich Marktbeherrschung durch ein SEP beispielsweise durch eine gesetzliche Vorschrift zur Einhaltung eines bestimmten Standards oder aus faktischer Verbindlichkeit ergeben. Eine solche besteht etwa, wenn Verbraucher nur Produkte annehmen, die einen bestimmten Standard implementieren .
Fraglich ist jedoch die Bestimmung von Marktmacht im Normalfall. Marktmacht könnte bestehen, wenn das SEP wie eine Marktzutrittsschranke wirkt. Dabei können Parameter wie Ablösewahrscheinlichkeit des Standards oder die Lizenznehmerquote mitberücksichtigt werden . Diese Marktzutrittsschranke kann sich verschiedentlich äußern. Sog. switching costs der Nutzer zwischen den Standards binden die Nutzer an einen Standard und verstärken die Marktmacht des Inhabers der dahinterstehenden SEPs . Netzwerkeffekte etwa zwischen Google Wallet und Apple Pay haben gleiche Wirkung . Daraus kann etwa ein natürliches Monopol entstehen, da neue Nachfrager dem bestehenden großen Netzwerk beitreten anstatt einem alternativen . Sollte sich das Bezahlsystem durchsetzen, haben Kaufhäuser beispielsweise nur Vorrichtungen für NFC- Erkennungstechnik, nicht für alternative Datenübertragungsmöglichkeiten.
Das von Rockstar erworbene Nortel- Portfolio umfasste unter anderem SEPs für Wlan . Eine Marktzutrittsschranke läge vor, wenn Rockstar anderen Unternehmen die Verwendung der Wlan-Technik untersagen könnte, da Mobiltelefone ohne Wlan für Kunden unattraktiv wären. Portfolios von Privateers zeichnen sich durch fehlende Zusammengehörigkeit der Patente aus, so dass die vorhandenen SEPs nicht zwangsläufig genügen, um einen Standard wie Wlan gänzlich zu blockieren . Ob eine Marktzutrittsschranke vorliegt, ist daher vom Beweisvortrag abhängig.
d) Beeinträchtigung des Binnenmarktes
Der Binnenmarkt als ganzer ist bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Mobilfunkmarkt aufgrund seiner internationalen Bedeutung betroffen.
e) Zeitpunkt der Marktbeherrschung
Beim Patenthinterhalt stellt sich das Problem, dass zwischen der Verwertungshandlung und der Unterlassung der Offenlegung zu unterscheiden ist. Bei Vornahme der Missbrauchshandlung muss Marktbeherrschung vorliegen. Während der Verwertungshandlung verleiht der implementierte Standard dem Inhaber Marktbeherrschung. Ausnahmsweise kann bei der Verletzung der Offenlegungspflicht hohe Nachfrage nach einem Patent vor Standardsetzung dem Inhaber Marktmacht verleihen . Dies dürfte aber schon deswegen selten sein, da interne Verfahrensregeln von SSOs die Standardisierung eines bestehenden Patentes oft verhindern. Daher liegt Marktmacht erst mit Standardimplementierung vor.
Bei SEPs könnte es jedoch gerechtfertigt sein, auf Marktmacht zu verzichten . Dazu könnte rechtsvergleichend die Figur des attempt to monopolize herangezogen werden. Nach Sherman Act Section 2 ist im us-amerikanischen Rechtssystem lediglich die Wahrscheinlichkeit von Monopolmacht nachzuweisen . Zwar hat Art. 102 AEUV mit der Voraussetzung eines Missbrauchs eine andere Schutzrichtung, der Rechtsgedanke von Section 2 zur Erfassung missbräuchlichen Verhaltens vor signifikanter Marktmacht könnte jedoch übertragbar sein .
Andererseits wäre eine „antizipierte“ marktbeherrschende Stellung anzunehmen, wenn aufgrund des Hinterhalts nach Standardsetzung Marktmacht erlangt würde . Dabei ist aber bereits die Bestimmung des relevanten Marktes schwierig, da der Markt des SEPs noch gar nicht besteht .
In Hinsicht auf die Rechtssicherheit ist beides abzulehnen. Die besondere Verantwortung des Unternehmens, die die Anwendung des Kartellrechts auf das Ausschließlichkeitsrecht rechtfertigt, ergibt sich erst mit Marktmacht. Es widerspräche auch einer liberalen Wirtschaftsordnung, wenn Kartellamt bzw. europäische Kommission auf diese Weise die Kompetenz erhielten, jede Standardsetzung zu kontrollieren.
Aufgrund der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung von Standards ließe sich aber argumentieren, dass eine Kontrolle der Standardsetzung rechtspolitisch wünschenswert wäre. Denn durch einen Missbrauch kann eine Technologie zum Standard werden, die nicht die beste ist und somit nicht zum Wohle der Verbraucher künftig in allen Endprodukten implementiert wird. Die Annahme hängt davon ab, ob sich im Folgenden die Verletzung von Offenlegungspflichten im Zuge eines Patenthinterhalts als missbräuchlich darstellt.
2. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
a) Missbrauch durch Patenthinterhalt
Der Patenthinterhalt findet vor der Verwertungshandlung statt. Daher müsste sich die Verletzung der Offenlegungspflichten als missbräuchlich darstellen. Wie eine solche einzuordnen ist, wird unterschiedlich bewertet. Die Durchsetzung eines Patents als Standard wird von manchen Stimmen als kartellrechtsneutral eingestuft . Andere weisen darauf hin, dass auch einzelne Unterlassungen der Offenlegung Teil eines Gesamtplanes sein könnten und damit als Ganzes als Missbrauch angesehen werden müssen . Ferner könnten die Teilnehmer des SSO- Verfahrens zur Garantie unverfälschten Wettbewerbs und damit von vornherein zur Offenlegung verpflichtet sein . Eine solche Garantenstellung wurde bisher aber nur nach Art. 101 AEUV angenommen . Auch finden bei Patenthinterhalt nicht mehrere Missbräuche statt, sondern es wird die SSO- Pflicht zur Offenlegung verletzt . Daher ist die Verletzung nicht missbräuchlich. Auf eine Modifizierung des Marktmachterfordernisses kommt es folglich nicht an.
b) Missbrauch durch Privateers oder Patentpool
Bei Privateers und Patentpools stellt sich dies Problem nicht. Ihre relevanten Handlungen entstehen erst nach Standardsetzung. In Betracht kommen zunächst missbräuchliche Lizenzverträge, auf die zwar Art. 102 AEUV anwendbar ist, aber die nicht Inhalt dieses Beitrags sind.
Darüber hinaus verwendet ein Privateer präventiv vor Lizenzverhandlungen Abmahnungsstrategien, welche einen Missbrauch begründen könnten. Ein solches Verhalten kann auch der Pool aufgrund der gepoolten SEPs begehen.
Ob ein solcher Missbrauch durch die Geltendmachung von SEPs vorliegt, bestimmt sich danach, ob der Beklagte dem Anspruch den sog. Zwangslizenzeinwand nach Art. 102 AEUV entgegenhalten kann. Anwendbares Recht wäre in einem solchen Unterlassungsverfahren das Recht des Schutzlands . Bei einem deutschen Patent ist die Anwendbarkeit des Zwangslizenzeinwandes, gerichtlich mit „Orange-Book“ bestätigt und neben § 24 PatG anerkannt . Die gerichtliche Geltendmachung des SEPs als Ausschließlichkeitsrecht ist noch nicht missbräuchlich. Es müssten also weitere Umstände hinzukommen, die die Anwendung des Missbrauchstatbestands rechtfertigen . Ein gültiges SEP wie GSM, 3G, 4G, LTE im Rockstar- Portfolio könnte auf dem Produktemarkt ein Erzeugnis verhindern. Diese Verhinderung wäre bei Geltendmachung aber gerechtfertigt. Zwar sind die Anforderungen an ein Angebot des Lizenzsuchers derzeit strittig und die Entscheidung des EuGH noch abzuwarten. Dass aber gar kein vorheriges Angebot ausreichen könnte, ist eher unwahrscheinlich . Da ein Privateer aber gerade wahllos abmahnt, dürfte kein Angebot zum Lizenzvertrag des Beklagten vorliegen.
Sollte der Zwangslizenzeinwand dennoch greifen, etwa bei einem Pool, fehlt es an einer generellen Abschreckungswirkung, da das einzige Prozessrisiko des Klägers in der Gewährung einer angemessenen Lizenz liegt. Bereits die Erhebung der Unterlassungsklage hat erhebliches Schädigungspotenzial beim Beklagten, führt doch die drohende Unterlassungsverfügung in den meisten Fällen zur Einstellung des Unterfangens und zu womöglich vernichtenden wirtschaftlichen Schäden . Langwierige Prozesse und etwaige Schadensersatzforderungen verleihen schon der Klageerhebung zusätzlich Drohpotenzial .
3. Würdigung
Ein wirksamer Ausgleichsmechanismus müsste daher möglichst früh in der Wertschöpfungskette greifen. Fällt der Innovationswettbewerb bei Standardsetzung schon aus dem Anwendungsbereich, so kann eine marktbeherrschende Stellung bzw. eine Marktzutrittsschranke auf dem Technologiemarkt schwer nachgewiesen werden. Selbst der prozessuale Ausgleich greift bei Privateers oft zu kurz und führt im Ergebnis zu einer angemessenen Lizenz.
Ebenso kann bei Patenthinterhalt zwar die Verwertung reguliert, nicht aber die ursprünglich missbräuchliche Durchsetzung verhindert werden. Dahingehend sind auch die Vorschläge aus der Literatur zu verstehen, die neue Verwertungsmodelle für den Fall des Patenthinterhalts anregen wie niedrigere Lizenzgebühren nach Patenthinterhalt oder ein transparenteres Lizenzierungsverfahren .
Art. 102 AEUV ist damit auf die Verwertungshandlung angelegt. So hat die Kommission nach Art. 9 VO 1/2003 die Möglichkeit, bei Verpflichtung zu angemessener Lizenzierung von der kartellrechtlichen Sanktion abzusehen . Auch befördert ein Mangel an Offenlegung vor allem sog. hold-up Strategien. Das Tätigen von Investitionen in Erwartung des Standards aber und die anschließende Ausnutzung dieser Abhängigkeit des investierenden Unternehmens durch den SEP- Inhaber ist durch Lizenzregulation zu verhindern .
III. Kontrolle durch Kartellverbot, Art. 101 AEUV
Zweiseitige Verhaltensweisen könnten bei einem Patentpool, bei Standardsetzung oder im Beispielsfall Rockstar zu spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen führen.
1. Koordinierung, Art. 101 I AEUV
Es müsste eine Koordinierung mindestens zweier Unternehmen über ein zukünftiges gemeinsames Auftreten am Markt vorliegen . Eine Standardsetzung zwischen Unternehmen in einer SSO und Errichtungsvereinbarungen von Pools erfüllen diese Voraussetzung.
Bei Privateers könnte eine Koordinierung mit den investierenden Unternehmen vorliegen. Zwischen diesen könnte aber ein Beherrschungsverhältnis bestehen, sodass nicht unabhängige Unternehmen am Markt tätig wären. Folglich würde das sog. Konzernprivileg greifen . Ein Beherrschungsverhältnis setzt die Möglichkeit zur Einflussnahme voraus. Dies wird bei Anteilsmehrheit, § 17 II AktG, oder bei vertraglichem Beherrschungsvertrag vermutet. Bei Rockstar könnte dafür Indiz sein, dass systematisch nur Android nutzende Unternehmen verklagt werden und Apple den Kauf der Nortel- Patente zu überwiegendem Anteil finanziert hat. Dies würde für ein Beherrschungsverhältnis und das Konzernprivileg sprechen. Ob ein koordiniertes Verhalten nach Art. 101 I AEUV oder ein Beherrschungsverhältnis vorliegt, ist eine Beweisfrage. Wird letzteres abgelehnt, dann stellen sich für die Annahme von Koordinierungen zwischen Rockstar und Apple die gleichen Beweisprobleme. Zumindest nach eigenen Angaben handelt Rockstar eigenständig. Art. 101 AEUV ist daher mangels anders gelagerter Beweise nicht auf Privateers anwendbar.
2. Wettbewerbsbeschränkung
Mit Koordinierung müsste nach Inhalt und Ziel der Handlung eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten Markt bezweckt oder bewirkt werden . Durch Standardsetzung und die Schaffung eines Pools zur Verwertung des Standards können der Wettbewerb zwischen den Vertragsparteien verringert und alternative Technologien ausgeschlossen werden . Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor.
3. Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeit
Bei Annahme von Marktmacht ließe sich bei Vereinbarung eines internationalen Mobilfunkstandards mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass zumindest potenziell der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten betroffen ist . Dies wäre aufgrund der Marktmacht durch SEPs auch spürbar. Das ist genauso wie bei Art. 102 AEUV eine Beweisfrage.
4. Ausnahmen vom Kartellverbot, Art. 101 III AEUV
Eine Freistellung des SSO- Verfahrens oder eines Pools ist möglich, wenn Vorteile für Verbraucher, Produkte und Fortschritt überwiegen, Art. 101 III AEUV.
a) Freistellung des Standardisierungsverfahrens
Standardsetzung gilt zwar als grundsätzlich wettbewerbsfördernd und wird generell freigestellt.
Die Kommission könnte jedoch im Rahmen der Freistellung Offenlegungspflichten als interne Verfahrensregeln verlangen, obwohl diese zu den IPR- Policies der SSO gehören . Dadurch könnte einem Patenthinterhalt, der nicht von Art. 102 AEUV erfasst ist, vorgebeugt werden. In der SSO ETSI kam es zur Verletzung von Offenlegungspflichten, da das ETSI-Mitglied Sun Teile der Patente mit Relevanz für den neuen Standard GSM 03.19 nicht offenlegte . Nach Bekanntwerden verlangte die Kommission eine Änderung der Verfahrensregelungen von ETSI. Dabei leitete sie ein Verfahren, gestützt auf Art. 101 AEUV, ein. Anschließend implementierte ETSI die Vorschläge der Kommission im SSO- Verfahren . Damit waren die folgenden Verfahren der Standardisierung von ETSI wieder nach Art. 101 III AEUV freigestellt. Somit kann die Kommission Einfluss auf Verfahrensvorschriften nehmen.
b) Freistellung eines Patentpools
Der Patentpool könnte bereits durch die TT-GVO freigestellt sein. Mangels Herstellungselement und der Vereinbarung von mehr als zwei Unternehmen (Art. 1 c) TT-GVO) ist dies aber nicht der Fall .
Daher ist auf Art. 101 III AEUV abzustellen. Positive Effekte des Pools wie etwa Kostensenkung durch zentrale Lizenzvergabe führen zu Verbesserung der Warenerzeugung und dienen dem Fortschritt. Preiskartelle und Ausschluss alternativer Technologien haben gegenteilige Wirkung . Das Überwiegen positiver oder negativer Effekte hängt entscheidend an der gepoolten Technologie. Dies bestimmt daher über die Freistellung.
Dafür lassen sich die Leitlinien zur TT-GVO heranziehen , die auf die Förderung der Innovation durch Anreize für Forschung und Entwicklung abzielen . Dafür entwirft die Kommission einen „Safe-Harbour“ für einen Technologiepool, also eine garantierte Freistellung.
Dies gilt für wesentliche Technologie . Darunter fällt solche, die innerhalb und außerhalb des Pools kein wirtschaftlich oder technisch mögliches Substitut hat . Solange ein SEP Patentschutz genießt und eine nicht ersetzbare Technologie schützt, kann der Pool freigestellt werden. Dass tatsächlich SEPs gemeint sind, ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss aus der Abgrenzung zu „nichtessentiellen Technologien“ .
Neu eingeführt ist, dass der Pool offen sein muss. Sensible Information darf nur eingeschränkt ausgetauscht. Nicht- Exklusivlizenzen zwischen Pool und Inhaber sowie Lizenzen zwischen Pool und Dritten nur nach FRAND- Bedingungen vergeben werden dürfen. Die Gültigkeit der SEPs muss überprüfbar bleiben . Der Ausschluss von Wettbewerbern soll damit verhindert werden. Die Beschränkung des Informationsaustausches soll Missbräuche im Verfahren und sog. over declarations verringern . Damit sollen Wettbewerber zur Partizipation und zur Lizenzierung ihrer Patente durch den Pool nach Standardsetzung durch garantierte Freistellung motiviert werden . Denn ein Pool basiert auf Freiwilligkeit . Soll dieser aber gerade seine positiven Effekte wie das „one-stop-shop“- Prinzip verwirklichen, müssen alle SEPs durch die Inhaber an den Pool gegeben werden.
Dass diese Lizenzen ferner nicht exklusiv sein dürfen, dient der Abgrenzung zu Privateers, die die Patente exklusiv erhalten. Durch die Möglichkeit zur ständigen Überprüfung der gepoolten SEPs kann neue Technologie auf den Markt kommen . Die Kommission ermöglicht damit, über Privilegierungen auf dem Technologiemarkt auch den Innovationswettbewerb zu fördern.
Mit berücksichtigt werden typische IPR- Policies wie die Einschaltung von Sachverständigen und die Etablierung von Streitbeilegungsverfahren . Somit entsteht ein starker Anreiz zu deren Einhaltung auch durch Auferlegung von Bußgeldern durch die SSO. Diese verhindert damit kartellrechtliche Sanktionen und wird für Unternehmen interessant.
Im Safe Harbour ist der Pool freigestellt, was der Kommission die Durchsetzung von wettbewerbspolitischen Zielen bei SEPs ermöglicht.
5. Würdigung
Trotz des möglichen Einflusses auf die Verfahrensvorschriften einer SSO zur Verhinderung eines Patenthinterhalts oder der Begrenzung negativer Pooling – Effekte bleiben die Folgen begrenzt . Verfahrensvorschriften können nur als nicht rechtsverbindliche Codes of Conduct vorliegen . Ein Schadensersatzanspruch der SSO aus einem Gesellschaftsvertrag kann nach § 280 I BGB gegen den Verletzer bestehen , als inter alia Pflicht aber nicht gegenüber Dritten. Ob die Patente tatsächlich standardessentiell sind, ist auch nicht überprüfbar. Besonders nach Patenthinterhalt wäre die Forderung nach Standardrücknahme effektiver. Wegen der dann verlorenen Entwicklungskosten und der log-in Effekte, die am Markt an den Standard binden , ist dies angesichts einer unterlassenen Offenlegung eines Patents nicht interessengerecht.
Durch mehr Bereitschaft zur Partizipation, dem Ziel des Safe Harbours, könnten Missbräuche verringert werden . Sind die Verfahren attraktiver für Wettbewerber, kann das Prinzip des „one-stop-shop“ verbessert werden, da die Wahrscheinlichkeit der freiwilligen Lizenzierung wächst. Denn wegen des Bedarfs zahlreicher SEPs zur Standardimplementierung ist Pooling wirtschaftlich sinnvoll . Der dem Safe Harbour entsprechende Pool hat also Ausgleichsfunktion für Schwachstellen des SSO- Verfahrens. Insofern lässt sich ein kartellrechtliches Regulativ festmachen. Dieses ist jedoch wegen der bleibenden Freiwilligkeit der Teilnahme begrenzt.
D. Fusionskontrolle als Ausgleichsmechanismus nach Standardsetzung
Wenn, wie gezeigt, das Marktverhalten schwer greifbar ist, könnte bereits die Entstehung eines Privateers durch die Fusionskontrolle zu regulieren sein. Die Fusionskontrolle ist dabei Gegenspieler zur Verhaltenskontrolle und will die Marktstruktur als solche schützen. Daher könnte sie angemessenes Kontrollinstrument sein. Dabei sollen die kritischen Punkte in Kürze dargestellt werden. Beispielhaft ist das Verfahren Motorola Mobility/Google zu nennen, in dem die Kommission den Erwerb von SEPs gestattete.
I. Aufgreifkriterien
1. Unternehmenszusammenschluss, Art. 3 FKVO
Zwischen den Unternehmen, etwa Rockstar und Nortel, müsste ein Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO vorliegen . Dafür gelten, anders als für die deutsche Fusionskontrolle, qualitative Kriterien .
a) Voraussetzungen von Art. 3 FKVO
Auf das Beispiel Rockstar angewandt, müsste das Unternehmen mit rund 6000 erworbenen Patenten die Möglichkeit zur bestimmenden Einflussnahme haben. Dabei ist ein Kontrollerwerb i.S.v. Art. 3 I b) FKVO bereits an einem Unternehmensteil möglich , sofern dieser eigenen Umsatz und rechtliche Selbstständigkeit hat . Dass Rockstar etwa nicht alle Unternehmensteile von Nortel kaufte, sondern nur große Teile des Patentportfolios, schadet demnach nicht. Fraglich ist weiter, wer Erwerber im Falle Rockstar wäre. Dies bestimmt sich nach Art. 3 I b) FKVO. Ein Privateers wie Rockstar könnte ein eigenes Unternehmen sein oder mit Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen. Dies würde eine 10%-ige Beteiligung der Mutter an der Tochter voraussetzen . Dies ist wohl nicht beweisbar. Weil einige Nortel- Patente nach dem Erwerb an Google verkauft wurden , könnte Google, nicht Rockstar Erwerber sein. Der Zwischenerwerb durch Rockstar und der Weiterverkauf hätten jedoch vorab rechtsverbindlich festgelegt werden müssen . Dies ist nicht erkennbar. Rockstar ist also Erwerber.
b) Problematisch: das Kontrollmittel
Im Falle des Erwerbs von SEP ist jedoch das Kontrollmittel zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der FKVO problematisch. Nach Art. 3 II 3. HS FKVO setzt Kontrolle die bestimmende Einflussnahme voraus. Die Möglichkeit (2.HS) der Ausübung über Rechte, Verträge und faktische Mittel ist durch Gesamtschau aller Umstände zu ermitteln . Unter einen Vermögenserwerb nach Art. 3 I lit. a) FKVO (Asset Deal) fallen durch Übertragung oder Lizenzierung auch Patente . Diese müssten einen Geschäftsbereich bilden, dem ein Marktumsatz zuzuordnen ist . Grund dafür ist, dass erst mit Leistung an Dritte strukturelle Veränderung der Marktbedingungen eintreten, die eine Anwendung der FKVO rechtfertigt . Microsoft etwa übernahm mit Nokia auch Verkauf und Produktion von Feature- Phones .
Problematisch ist die Übertragung rein immaterieller Assets. Statt eines Geschäftsbereichs verlangt die Kommission dann Exklusivlizenzen auf einem Gebiet mit umsatzgenerierender Tätigkeit . Rockstar erwarb lediglich die Patente ohne umsatzgenerierende Tätigkeit. Danach wäre die FKVO unanwendbar. Zweck dieser Einschränkung ist, dass der Erwerber in die bestehende Markstellung des Veräußerers eintreten soll, welcher ausscheidet . So würde der Erwerb zur weiteren Marktkonzentration beitragen. Dies wäre anzunehmen, wenn die immateriellen Güter Marktbedeutung hätten. Für das Kriterium spricht, dass die Kommission wegen der Beurteilungsschwierigkeiten im Fall des Erwerbs rein immaterieller Assets von Unternehmensteilen in einer Gesamtschau auf den wirtschaftlichen Gehalt des Zusammenschlusses abstellt . Rechtsvergleichend könnte die Figur des loss of going concern hinzugezogen werden . Scheidet der Veräußerer also aus dem relevanten Markt aus, kommt es zur Verschiebung von Marktstrukturen. SEPs gültiger Mobilfunkstandards sind Güter mit großer Marktbedeutung, denn sie sind in der Lage, die Implementierung eines Standards zu verhindern. Dies spricht dafür, den Kauf von SEPs mit der Übertragung des Geschäftsbereichs gleichzusetzen . Zahlreiche SEPs wären Kontrollmittel über einen Teil des Nortel-Konzerns.
II. Eingriffsvoraussetzungen, Art. 2 FKVO
Der Zusammenschluss müsste mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sein, sog. SIEC- Test .
1. Relevanter Markt
Der Umfang des relevanten Marktes könnte durch die Zielrichtung der FKVO von dem der Verhaltenskontrolle abweichen . Nach der Kommissionspraxis ist dabei der Verwendungszweck maßgeblich . Ein SEP kann auf dem Technologie- oder Produktemarkt eingesetzt werden . Auf dem Technologiemarkt stellt die Kommission nicht auf den Standard, sondern auf das einzelne SEP ab . Diese Reduktion ist sachgerecht, da der Zusammenschluss von Unternehmen durch einzelne Assets und nicht durch den ganzen Standard geschieht. Denn das Unternehmen hat nur einzelne SEPs inne. Auf dem Produktemarkt entstehen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Implementierungen der SEPs in den Produkten. Grundsätzlich besteht ein Markt für mobile devices . Für Rockstar wäre nur der Technologiemarkt relevant.
2. Marktbeherrschende Stellung, Art. 2 III FKVO
a) Marktanteil
Kriterium für Marktmacht (Art. 2 III FKVO) des Unternehmens ist der Marktanteil, der sich an der Zahl und der Bedeutung der Wettbewerber misst . Zwar besteht keine Marktbeherrschungsvermutung, dennoch spricht ein Marktanteil von unter 25% gegen Marktmacht . Die Kommission verglich das Portfolio von Google post-merger etwa mit dem des Wettbewerbers Sony . Rockstar wäre noch unbedeutender als Google. Marktmacht ist aber schwer am SEP zu messen .
b) Marktzutrittsschranken
Ein Wettbewerbshindernis kann durch Zutrittsschranken entstehen. Anders als bei der Verhaltenskontrolle müssen diese nicht Marktmacht statuieren, sondern es müssen post-merger signifikante Wettbewerbsbeschränkungen eintreten.
aa) Wahrscheinlichkeit von Markeintritten
Diese abschottende Wirkung könnte sich an der Wahrscheinlichkeit des Marktzutritts anderer Wettbewerber messen . Google könnte nach Erwerb Android nur noch in eigenen Endgeräten, den ursprünglichen Motorola Geräten, implementieren . Google generiert hauptsächlich durch Online-Dienste Einkommen. Dazu muss Android möglichst weit verbreitet sein . Trotz Smartphones von Google können neue und bestehende Hersteller Android nutzen. Der Zugang zum Betriebssystem und damit der Zugang zum Smartphone- Markt wird also nicht entscheidend versperrt. Durch die Abmahnstrategie von Rockstar und das fehlende Interesse an Lizenzierung könnten aufgrund fehlender Substituierbarkeit der SEPs Zutrittsschranken entstehen. Wettbewerber wären am Markteintritt gehindert.
Dennoch ist der schnell wachsende Mobilfunkmarkt für potenzielle Wettbewerber sehr rentabel . Dies schwächt das blockierende Verhalten von Rockstar ab. Auch ist Rockstar kein etablierter Wettbewerber, der den Wettbewerbsdruck derart verringert, dass der Eintritt für andere Wettbewerber wegen des Erwerbs der SEPs unrentabel würde. Trotz des Zusammenschlusses besteht noch potenzieller Wettbewerb. Dies spricht gegen wirksame Marktzutrittsschranken.
bb) Förderung weiterer Wettbewerber
Würden durch den Zusammenschluss Newcomer ermöglicht, würde das den Wettbewerb bestärken, statt zu beschränken . Dennoch waren Newcomer nach bisheriger Kommissionspraxis nicht ausreichend zur Verneinung von Marktzutrittsschranken . Mit Erwerb erhalten Microsoft und Google erstmals Mobilfunkpatente und hardware- Produktion und können Smartphones herstellen. Dies betrifft allein den Produktemarkt, weshalb dies nicht berücksichtigt wird. Berücksichtigung findet, ob die Bereitschaft von Google zur Lizenzierung abnehmen oder verstärkt würde, da insofern Google durch Inhaberschaft der SEPs neuer Wettbewerber ist. Dies wird zwar verneint . Bei einem Privateer würde jedoch Gegenteiliges gelten, denn Lizenzbereitschaft an den erworbenen assets besteht gerade nicht. Dies spräche für Beschränkungen des potenziellen Wettbewerbs post-merger.
Ob durch Verhinderung von Newcomern also doch Marktzutrittsschranken anzunehmen wären, kann offen bleiben, wenn es an der Kausalität nach Art. 2 III FKVO fehlt oder Abhilfemaßnahmen vorliegen.
c) Kausalität, Art. 2 III FKVO
Der Zusammenschluss zwischen Rockstar und Nortel ist nach Art. 2 III FKVO nicht zu untersagen, wenn das wettbewerbsschädliche Verhalten nicht kausal aus dem Zusammenschluss folgt (not merger specific ) . Nicht kausal ist unabhängiges Unternehmensverhalten . Da etwa Nokia das Mobilgerätegeschäft mit Verkauf aufgab, könnte auch Nokia die SEPs zu Verletzungsklagen nutzen. Denn nach Zusammenschluss mit Microsoft blieben die SEPs bei Nokia, Microsoft erhielt nur für 30.000 SEPs eine Nicht-Exklusivlizenz . Daher versicherten Microsoft und Nokia, keine Absprachen bezüglich des Umgangs mit den Nokia- SEPs getroffen zu haben . Nokia würde bei Abmahnung aufgrund eigener SEPs eigenständig handeln.
Auf die Kausalität, auch failing company defence, kommt es aber nur in der Sanierungsfunktion an . Nokia schied wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit aus dem Mobilfunkmarkt post-merger aus. Rockstar aber kaufte die SEPs aus der Insolvenzmasse von Nortel. Damit schied Nortel nicht erst in naher Zukunft aus dem Markt, sondern war bereits ausgeschieden. Da Rockstar nicht zwangsläufig der Nortel- Marktanteil zugewachsen wäre, ist das Verhalten post-merger auf den Zusammenschluss rückführbar.
d) Abhilfemaßnahmen
Ein Zusammenschluss kann auch dann nicht nach Art. 2 III FKVO untersagt werden, wenn sich die Parteien zu Abhilfemaßnahmen verpflichten. Zwar zielt die Fusionskontrolle hauptsächlich auf strukturelle Maßnahmen zur Wettbewerbssicherung. Dennoch sind Verhaltenszusagen anerkannt . Diese Privilegierung des Zusammenschlusses ist besonders bei SEPs sachgerecht. Denn dadurch kann die Verwertung der SEPs etwa durch FRAND- Verpflichtung erreicht werden. Ohne den fraglichen Zusammenschluss würden die SEPs nämlich ohne Verwertungspflicht beim Veräußerer bleiben.
Google etwa verpflichtete sich zu FRAND-Lizenzen ebenso wie Nokia . Rockstar sicherte zu, die SEPs aus dem Nortel- Portfolio nicht für Unterlassungsklagen zu verwenden . Damit war eine Genehmigung durch die amerikanische Kartellbehörde möglich. Da die spezifische Wirkung möglicher Zutrittsschranken dadurch entfällt, könnte dies auch von der Kommission angenommen werden.
III. Würdigung
Ist das Vorliegen von Markzutrittsschranken schon fraglich, ist bei einer Abhilfemaßnahme die Untersagung des Zusammenschlusses nicht mehr gerechtfertigt. Wird durch den Zusammenschluss negatives Verhalten ermöglicht, verweist die Kommission auf Art. 101, 102 AEUV . Die Entstehung eines Privateers wird also nicht verhindert.
Die Patenthäufung bei Unternehmen wie Google oder Apple könnte aber deshalb nicht wünschenswert sein, da beispielweise der Kauf von Motorola durch Google hauptsächlich dazu diente, Gegenklagen gegen Rockstar anzustrengen. Handelt es sich dabei schon um unabhängiges Unternehmensverhalten, muss sich die Bewertung der Fusion auf den dafür relevanten Markt beziehen. Obwohl Google durch den Ankauf von Patenten nunmehr auch Smartphones herstellt und der Konzern als solcher sich vergrößert, kann nur der Markt des SEPs berücksichtigt werden.
Ferner ist das Wohl des Verbrauchers Maßstab für die Beurteilung des Zusammenschlusses. Dem ordnet sich die Beurteilung des potenziellen Wettbewerbs unter . Ein Zusammenschluss kann Qualität und Quantität der Innovationen fördern . Dies wäre zum Wohle der Verbraucher. Damit werden Zusammenschlüsse grundsätzlich nicht allzu restriktiv behandelt. Dies ist auch sachgerecht, da die Vorhersage künftiger Marktverhältnisse schwer ist . Gegen eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission zu restriktiveren Fusionskontrollen spricht auch die Vertragsfreiheit der Unternehmen i.S.v. Art. 16 GRCh .
E. Abschließende Betrachtungen
Grundidee des Patentschutzes ist, dem Erfinder eine angemessene Vergütung für seine Leistungen verschaffen. Auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen übertragen, soll durch die Möglichkeit zur Patentierung der Innovation eine Refinanzierung gesichert werden.
Mit Standardsetzung aber wird zwischen konkurrierender Technologie ausgewählt und somit deren Wettbewerb beendet. Da die Implementierung von Standards für die Kaufentscheidung relevant ist, benötigen Unternehmen Lizenzen für die SEPs. Dabei ist die Verwertung im Technologiepool wirtschaftlich sinnvoll. Jedoch kommt es zu ungewollter Ausnutzung dieser Privilegierung, wenn Wettbewerber ausgeschlossen werden oder alte Technologie gepoolt wird. Denn dann verliert sich der Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung, weil die Refinanzierung versperrt ist. Daher ist die Freistellung eines Pools an wettbewerbsschützende Kriterien zu binden.
Verläuft aber schon die Standardsetzung missbräuchlich, ist zweifelhaft, ob sich die beste verfügbare Technik durchsetzt. Kartellrechtlich bedenklich ist insbesondere der Patenthinterhalt; dieser fällt nicht unter Art. 102 AEUV. Die Prävention mit Hilfe der Durchsetzung von Verfahrensvorschriften über die Freistellung des Standardisierungsverfahrens nach Art. 101 III AEUV bietet geringen Schutz. Dem Schutzzweck besonders evident zuwider läuft die Abmahnstrategie eines Privateers, welcher damit auf Verringerung des Substitutionswettbewerbs zielt . Neben stattfindender Wettbewerbsverzerrung erfolgt durch das Patent keine Refinanzierung und nicht nur eine Verhinderung des Imitationswettbewerbs. Wegen Beweisfragen und wegen fehlender Marktmacht eines Privateers ist Art. 101, 102 AEUV meist unanwendbar. Zwar könnte die Entstehung über die FKVO reguliert werden. Ist dabei aber das Kontrollmittel schon fraglich, verhindern Abhilfeerklärungen die Anwendung von Art. 2 III FKVO. Eine Abhilfeerklärung abzugeben, ist aber reizvoll, da die Abmahnstrategie eines Privateers auch mit nicht standardessentiellen Patenten gelingen kann. Andererseits scheint sich dieses Strategie nicht durchzusetzen. Zumindest zeigt der Ausverkauf aller Rockstar- Patente und die Beruhigung der Patentkriege in eine andere Richtung.
Auf Standardpatente kann wegen Marktzutrittsschranken also grundsätzlich Kartellrecht angewandt werden. Eine Kontrolle von Offenlegungspflichten und Privateers unterbleibt. Über die Freistellung ist ein geringes Maß an Kontrolle möglich. Abgesehen von Ausnahmen kann das Kartellrecht damit nur zur Kontrolle der Lizenzierung der Patente greifen und ist damit ein Mittel zur Schadensbegrenzung.
* Die Autorin war studentische Hilfskraft bei Herrn Prof. Dr. D. Murswiek und ist derzeit am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Sie studiert Rechtswissenschaft und Geschichte (BA) an der Ludwig- Maximilians- Universität München. Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Seminararbeit im Schwerpunktbereich 3 (Wettbewerb, Geistiges Eigentum und Medienrecht) zum Thema „Gebrauch und Missbrauch von Schutzrechten: Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus?“ im WS 2014/15.